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damals geübt habe noch heute übe. Man wird aber aufmerksam
darauf, daß gerade vieles, was die Patienten als Äußerungen oder
Hmdlungm der Ärzte erzählen, als Verrat ihrer eigenen patho—
genen Phantasien verstanden werden darf.II) Die Bedeutung der Vokalfolge
(U")Es ist sicherlich oft beanstandet werden, daß, wie Stekel
behauptet. in Träumen und Einf'alllen Namen, die sich verbergen,
durch andere ersetzt werden sollen, welche nur die Vokalfolge
mit ihnen gemein haben. Doch liefert die Religionsgesnhichte
dazu eine frappante Analogie. Bei den alten Hebräern war der
Name Gottes „tabu“; er sollte weder ausgesprochen noch nieder-
geschrieben werden; ein keineswegs vereinzeltes Beispiel von der
besonderen Bedeutung der Namen in archaischen Kulturen. Dies
Verbot wurde so gut eingehalten, daß die Vokalisation der vier
Buchstaben des Gottesnamens ]—b—v—b auch heute unbekannt
ist. Der Name wird Jehovah ausgesprochen, indem mm ihm
die Vokalzeiehen des nicht verbotenen Wortes Adonai (Herr)
verleiht. (S. Reinach, Cultes, Mythes et Religions. T. I, p. I,
1908.)ill) Erfahrungen und Beispiele aus der
analytisdnen Praxis
(um)Die Sammlung kleiner Beiträge, von welcher wir hier ein erstes
Stück bringen‚'-bedarf einiger einführender Werte: Die Krank—
heitsfälle, an denen der Psychoanalytiker seine Beobachtungen
macht, sind für die Bereicherung seiner Kennt-nis natürlich un—
gleiehwertig. Es gibt solche, bei denen er alles in Verwendung
bringen muß, .was er weiß, und niches Neues lernt; andere, welche
ihm das bereits Bekannte in besonders deutlicher Ausprägung und
schöner Isolierung zeigen, so daß er diesen Kranken nicht nur
Bestätigungen, sondern auch Erweiterungen seines Wissens ver—
dankt. Man ist berechtigt zu vermuten, daß die psychischen Vor-S.
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ginge, die man studieren will, bei den Fällen der ersterm Art
keine anderen sind als bei denen der letzteren, aber man wird
sie am liebsten an solchen günstigen und durchsichtigen Fällen
beschreiben. Die Entwicklungsgeschichte nimmt ja auch an, daß
die Furchung des tierischen Eis sich bei dan pigmentsmrken und
für die Untersuchung ungünstigen Objekten nicht anders vollziehe
als bei den durchsichtigen pigmentarmen, welche sie für ihre
Untersuchungen auswählt.Die zahlreichen schönen Beispiele, welche dem Analytiker in
der täglichen Arbeit das ihm Bekannte bestätigen, gehen aber
zumeist verloren, da deren Einreihung in einen Zusammenhang
oft lange Zeit aufgeschoben werden muß. Es l1flt darum einen
gewissen Wert, wenn man eine Form angibt, wie solche Erfah-
rungen und Beispiele veröfientlinht und der allgemeinen Kenntnis
zugeführt werden können, ohne eine Bearbeitung von übergeord—
neten Gesichtspunkten her abzuwarten.Die hier eingeführte Rubrik Will den Raum für eine Unter—
hringung dieses Materials zur Verfügung stellen. Äußerste Knapp—
heit der Darstellung erscheint geboten; die Aneinanderreihung der
Beispiele ist eine ganz zwanglose.- Versdzämte Füße (Schuhe)
Die Patientin berichtet nach mehreren Tagen Widerstand, sie
habe sich so sehr gel-tränkt, daß ein junger Mann, dem sie regel—
mäßig in der Nähe der Wohnung des Arztes begegne, und der
sie sonst hewundernd anzuschauen pflegte, dat letztemai ver—
ächtlich auf ihre Füße gehlickt habe. Sie hatvi0ntt wahrlich keine
Ursache, sich ihrer Füße zu sthämen. Die Lösung bringt sie selbst,
nachdem sie gestanden hat, daß sie den jungen Mann für den
Sohn des Arztes halte; der also zufolge der Übertragung ihren
(älteren) Bruder vertritt. Nun folgt die Erinnerung, daß sie im
Alter von etwa fünf Jahren ihren Bruder auf das Klosett zu
begleiten pfleéte, wo sie ihm utinieren zusah. Von Neid ergrifl"en‚
daß sie es nicht so könne wie er, vemrchte sie eines Tages es
ihm gleiehzutnn (Penisneicl), benetzte aber dabei ihre Schuhe und
ärgerte sich sehr, als der Bruder sie darüber neckte. Der Ärger„\\
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wiederholte sich lange Zeit, so oft der Bruder in der Absicht, sie
an jenes Mißglücken zu erinnern, verä'chtlich auf ihre Schuhe
blickte. Diese Erfahrung, fügt sie hinzu, habe ihr späteres Ver-
halten in der Schule bestimmt. Wenn ihr etwas nicht beim ersten
Versuch gelingen wollte. brachte sie nie den Entschluß zustande,
es von neuem zu versuchen, so daß sie in vielen Gegenständen
völlig versagte. -— Ein gutes Beispiel für die Charaktcrbeeinflussung
durch die Vorbildlichkeit des Sexuellen.Selbstkritik der Neuroiiker
Es ist. immer aulfällig und verdient bmndere Aufmerksamkeit,
wenn ein Neurotilter sich selbst zu baehimpfen‚ geringschätzig
zu beurteilen pflegt u. dgl. Häufig gelangt man. wie bei den
Selbstverwiirfen, zum Verständnis durch die Annahme einer Iden—
tifizierung mit einer anderen Person. In einem Falle zwangen
die Begleitumstände der Sitzung zu einer anderen Lösung eines
solchen Benehmens. Die junge Dame, die nicht müde wurde zu
versichern, sie sei wenig intelligent, nnbegabt usw., wollte damit
nur 1ndeuten, sie sei am Körper sehr schön, und verberg diese
Prahlcrei hinter jener Selbstkritik. Der in all solchen Fällen zu
vermute'nde Hinweis auf die schädlichen Folgen der Omnia fehlte
übrigens auch in diesem Falle nicht.Rüdfsizfit auf Darstellbarkeit
Der Träumer zieht eine Frau hinter dem Bene hervor: —- er
gibt ihr der: Vorzug. — Er (ein 0Eizier) sitzt an einer Tafel
dem Kaiser gegeniiber: —— er bringt sich in Gegensatz zum
Kaisez' (Vater). Beide Bestellungen vom Träume: selbst iiber-
seat.Auftreten von Krankheitssymptomen im Thum
Die Sympmme der Krankheit (Angst usw.) im Traum scheinen
glnz’zllgeinein zu beugen: Denim (im Zusammenhmge mit den
vorhergehenden Traumdementen) bin ich krank geworden. Dies
Träumen entspricht also einer Fortsetzung der Analyse in den
Traum.
freud-1931-neurosenlehre
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