Erfahrungen und Beispiele aus der analytischen Praxis 1913-009/1931
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    damals geübt habe noch heute übe. Man wird aber aufmerksam
    darauf, daß gerade vieles, was die Patienten als Äußerungen oder
    Hmdlungm der Ärzte erzählen, als Verrat ihrer eigenen patho—
    genen Phantasien verstanden werden darf.

    II) Die Bedeutung der Vokalfolge
    (U")

    Es ist sicherlich oft beanstandet werden, daß, wie Stekel
    behauptet. in Träumen und Einf'alllen Namen, die sich verbergen,
    durch andere ersetzt werden sollen, welche nur die Vokalfolge
    mit ihnen gemein haben. Doch liefert die Religionsgesnhichte
    dazu eine frappante Analogie. Bei den alten Hebräern war der
    Name Gottes „tabu“; er sollte weder ausgesprochen noch nieder-
    geschrieben werden; ein keineswegs vereinzeltes Beispiel von der
    besonderen Bedeutung der Namen in archaischen Kulturen. Dies
    Verbot wurde so gut eingehalten, daß die Vokalisation der vier
    Buchstaben des Gottesnamens ]—b—v—b auch heute unbekannt
    ist. Der Name wird Jehovah ausgesprochen, indem mm ihm
    die Vokalzeiehen des nicht verbotenen Wortes Adonai (Herr)
    verleiht. (S. Reinach, Cultes, Mythes et Religions. T. I, p. I,
    1908.)

    ill) Erfahrungen und Beispiele aus der
    analytisdnen Praxis
    (um)

    Die Sammlung kleiner Beiträge, von welcher wir hier ein erstes
    Stück bringen‚'-bedarf einiger einführender Werte: Die Krank—
    heitsfälle, an denen der Psychoanalytiker seine Beobachtungen
    macht, sind für die Bereicherung seiner Kennt-nis natürlich un—
    gleiehwertig. Es gibt solche, bei denen er alles in Verwendung
    bringen muß, .was er weiß, und niches Neues lernt; andere, welche
    ihm das bereits Bekannte in besonders deutlicher Ausprägung und
    schöner Isolierung zeigen, so daß er diesen Kranken nicht nur
    Bestätigungen, sondern auch Erweiterungen seines Wissens ver—
    dankt. Man ist berechtigt zu vermuten, daß die psychischen Vor-

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    ginge, die man studieren will, bei den Fällen der ersterm Art
    keine anderen sind als bei denen der letzteren, aber man wird
    sie am liebsten an solchen günstigen und durchsichtigen Fällen
    beschreiben. Die Entwicklungsgeschichte nimmt ja auch an, daß
    die Furchung des tierischen Eis sich bei dan pigmentsmrken und
    für die Untersuchung ungünstigen Objekten nicht anders vollziehe
    als bei den durchsichtigen pigmentarmen, welche sie für ihre
    Untersuchungen auswählt.

    Die zahlreichen schönen Beispiele, welche dem Analytiker in
    der täglichen Arbeit das ihm Bekannte bestätigen, gehen aber
    zumeist verloren, da deren Einreihung in einen Zusammenhang
    oft lange Zeit aufgeschoben werden muß. Es l1flt darum einen
    gewissen Wert, wenn man eine Form angibt, wie solche Erfah-
    rungen und Beispiele veröfientlinht und der allgemeinen Kenntnis
    zugeführt werden können, ohne eine Bearbeitung von übergeord—
    neten Gesichtspunkten her abzuwarten.

    Die hier eingeführte Rubrik Will den Raum für eine Unter—
    hringung dieses Materials zur Verfügung stellen. Äußerste Knapp—
    heit der Darstellung erscheint geboten; die Aneinanderreihung der
    Beispiele ist eine ganz zwanglose.

    - Versdzämte Füße (Schuhe)

    Die Patientin berichtet nach mehreren Tagen Widerstand, sie
    habe sich so sehr gel-tränkt, daß ein junger Mann, dem sie regel—
    mäßig in der Nähe der Wohnung des Arztes begegne, und der
    sie sonst hewundernd anzuschauen pflegte, dat letztemai ver—
    ächtlich auf ihre Füße gehlickt habe. Sie hatvi0ntt wahrlich keine
    Ursache, sich ihrer Füße zu sthämen. Die Lösung bringt sie selbst,
    nachdem sie gestanden hat, daß sie den jungen Mann für den
    Sohn des Arztes halte; der also zufolge der Übertragung ihren
    (älteren) Bruder vertritt. Nun folgt die Erinnerung, daß sie im
    Alter von etwa fünf Jahren ihren Bruder auf das Klosett zu
    begleiten pfleéte, wo sie ihm utinieren zusah. Von Neid ergrifl"en‚
    daß sie es nicht so könne wie er, vemrchte sie eines Tages es
    ihm gleiehzutnn (Penisneicl), benetzte aber dabei ihre Schuhe und
    ärgerte sich sehr, als der Bruder sie darüber neckte. Der Ärger

    „\\

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    wiederholte sich lange Zeit, so oft der Bruder in der Absicht, sie
    an jenes Mißglücken zu erinnern, verä'chtlich auf ihre Schuhe
    blickte. Diese Erfahrung, fügt sie hinzu, habe ihr späteres Ver-
    halten in der Schule bestimmt. Wenn ihr etwas nicht beim ersten
    Versuch gelingen wollte. brachte sie nie den Entschluß zustande,
    es von neuem zu versuchen, so daß sie in vielen Gegenständen
    völlig versagte. -— Ein gutes Beispiel für die Charaktcrbeeinflussung
    durch die Vorbildlichkeit des Sexuellen.

    Selbstkritik der Neuroiiker

    Es ist. immer aulfällig und verdient bmndere Aufmerksamkeit,
    wenn ein Neurotilter sich selbst zu baehimpfen‚ geringschätzig
    zu beurteilen pflegt u. dgl. Häufig gelangt man. wie bei den
    Selbstverwiirfen, zum Verständnis durch die Annahme einer Iden—
    tifizierung mit einer anderen Person. In einem Falle zwangen
    die Begleitumstände der Sitzung zu einer anderen Lösung eines
    solchen Benehmens. Die junge Dame, die nicht müde wurde zu
    versichern, sie sei wenig intelligent, nnbegabt usw., wollte damit
    nur 1ndeuten, sie sei am Körper sehr schön, und verberg diese
    Prahlcrei hinter jener Selbstkritik. Der in all solchen Fällen zu
    vermute'nde Hinweis auf die schädlichen Folgen der Omnia fehlte
    übrigens auch in diesem Falle nicht.

    Rüdfsizfit auf Darstellbarkeit

    Der Träumer zieht eine Frau hinter dem Bene hervor: —- er
    gibt ihr der: Vorzug. — Er (ein 0Eizier) sitzt an einer Tafel
    dem Kaiser gegeniiber: —— er bringt sich in Gegensatz zum
    Kaisez' (Vater). Beide Bestellungen vom Träume: selbst iiber-
    seat.

    Auftreten von Krankheitssymptomen im Thum

    Die Sympmme der Krankheit (Angst usw.) im Traum scheinen
    glnz’zllgeinein zu beugen: Denim (im Zusammenhmge mit den
    vorhergehenden Traumdementen) bin ich krank geworden. Dies
    Träumen entspricht also einer Fortsetzung der Analyse in den
    Traum.