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XXV.
WEITERE RATSCHLÄGE ZUR TECHNIK DER
PSYCHOANALYSE.*)II. ERINNERN, WIEDERHOLEN UND DURCHARBEITEN.
Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer
wieder daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderun-
gen die psychoanalytische Technik seit ihren ersten Anfängen
erfahren hat. Zuerst, in der Phase der Breuerschen Kathar-
sis, die direkte Einstellung des Moments der Symptombil-
dung und das konsequent festgehaltene Bemühen, die psy-
chischen Vorgänge jener Situation reproduzieren zu lassen,
um sie zu einem Ablauf durch bewußte Tätigkeit zu leiten.
Erinnern und Abreagieren waren damals die mit Hilfe des
hypnotischen Zustandes zu erreichenden Ziele. Sodann, nach
dem Verzicht auf die Hypnose, drängte sich die Aufgabe vor,
aus den freien Einfällen des Analysierten zu erraten, was er
zu erinnern versagte. Durch die Deutungsarbeit und die Mit-
teilung ihrer Ergebnisse an den Kranken sollte der Wider-
stand umgangen werden; die Einstellung auf die Situationen
der Symptombildung und jene anderen, die sich hinter
dem Momente der Erkrankung ergaben, blieb erhalten, das Ab-
reagieren trat zurück und schien durch den Arbeitsaufwand*) Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, II, 1914.
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ersetzt, den der Analysierte bei der ihm aufgedrängten Über-
windung der Kritik gegen seine Einfälle (bei der Befolgung
der ψα Grundregel) zu leisten hatte. Endlich hat sich die
konsequente heutige Technik herausgebildet, bei welcher der
Arzt auf die Einstellung eines bestimmten Momentes oder
Problems verzichtet, sich damit begnügt, „die jeweilige psy-
chische Oberfläche des Analysierten zu studieren und die
Deutungskunst wesentlich dazu henützt, um die an dieser
hervortretenden Widerstände zu erkennen und dem Kranken
bewußt zu machen. Es stellt sich dann eine neue Art von
Arbeitsteilung her: der Arzt deckt die dem Kranken unbe-
kannten Widerstände auf; sind diese erst bewältigt, so er-
zählt der Kranke oft ohne alle Mühe die vergessenen Situa-
tionen und Zusammenhänge. Das Ziel dieser Techniken ist
natürlich unverändert geblieben. Deskriptiv: die Ausfüllung
der Lücken der Erinnerung, dynamisch: die Überwindung der
Verdrängungswiderstände.
Man muß der alten hypnotischen Technik dankbar daür
bleiben, daß sie uns einzelne psychische Vorgänge der Ana-
Iyse in Isolierung und Schematisierung vorgeführt hat. Nur
dadurch konnten wir den Mut gewinnen, komplizierte Situa-
tionen in der analytischen Kur selbst zu schaffen und durch-
sichtig zu erhalten.
Das Erinnern gestaltete sich nun in jenen hypnotischen
Behandlungen sehr einfach. Der Patient versetzte sich in
eine frühere Situation, die er mit der gegenwärtigen niemals
zu verwechseln schien, teilte die psychischen Vorgänge der-
selben mit, soweit sie normal geblieben waren, und fügte
daran, was sich durch die Umsetzung der damals unbewuß-
ten Vorgänge in bewußte ergeben konnte.
Ich schließe hier einige Bemerkungen an, die jeder AnalytikerS.
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in seiner Erfahrung bestätigt gefunden hat. Das Ver-
gessen von Eindrücken, Szenen, Erlebnissen reduziert sich
zumeist auf eine „Absperrung“ derselben. Wenn der Patient
von diesem „Vergessenen“ spricht, versäumt er selten, hin-
zuzufügen: das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht
daran gedacht. Er äußert nicht selten seine Enttäuschung
darüber, daß ihm nicht genug Dinge einfallen wollen, die
er als „vergessen“ anerkennen kann, an die er nie wieder
gedacht, seitdem sie vorgefallen sind. Indes findet auch diese
Sehnsucht, zumal bei Konversionshysterien, ihre Befriedigung.
Das „Vergessen“ erfährt eine weitere Einschränkung durch
die Würdigung der so allgemein vorhandenen Deckerinnerun-
gen. In manchen Fällen habe ich den Eindruck empfangen,
daß die bekannte, für uns theoretisch so bedeutsame Kind-
heitsamnesie durch die Deckerinnerungen vollkommen auf-
gewogen wird. In diesen ist nicht nur einiges wesentliche
aus dem Kindheitsleben erhalten, sondern eigentlich alles
wesentlich. Man muß nur verstehen, es durch die Analyse
aus ihnen zu entwickeln. Sie repräsentieren die vergessenen
Kinderjahre so zureichend wie der manifeste Trauminhalt die
Traumgedanken.
Die andere Gruppe von psychischen Vorgängen, die man
als rein interne Akte den Eindrücken und Erlebnissen ent-
gegenstellen kann, Phantasien, Beziehungevorgänge, Gefühls-
regungen, Zusammenhänge, muß in ihrem Verhältnisse zum
Vergessen und Eninnern gesondert betrachtet werden. Hier
ereignet es sich besonders häufig, daß etwas „erinnert“ wird,
was nie „vergessen“ werden konnte, weil es zu keiner Zeit
gemerkt wurde, niemals bewußt war, und es scheint über-
dies völlig gleichgültig fiir den psychischen Ablauf, ob ein
solcher „Zusammenhang“ bewußt war und dann vergessenS.
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wurde, oder ob er es niemals zum Bewußtsein gebracht
hat. Die Überzeugung, die der Kranke im Laufe der Ana -
lyse erwirbt, ist von einer solchen Erinnerung ganz un
abhängig.Besonders bei den mannigfachen Formen der Zwangsneu-
rose schränkt sich das Vergessene meist auf die Auflösung
von Zusammenhängen, Verkennung von Abfolgen, Isolierung
von Erinnerungen ein.Für eine besondere Art von überaus wichtigen Erleb-
nissen, die in sehr frühe Zeiten der Kindheit fallen und seiner-
zeit ohne Verständnis erlebt worden sind, nachträglich
aber Verständnis und Deutung gefunden haben, läßt sich eine
Erinnerung meist nicht erwecken. Man gelangt durch Träume
zu ihrer Kenntnis und wird durch die zwingendsten Motive
aus dem Gefüge der Neurose genötigt, an sie zu glauben,
kann sich auch überzeugen, daß der Analysierte nach Über-
windung seiner Widerstände das Ausbleiben des Erinnerungs-
gefühles (Bekanntschaftsempfindung) nicht gegen deren An-
nahme verwertet. Immerhin erfordert dieser Gegenstand so-
viel kritische Vorsicht und bringt so viel Neues und Be-
fremdendes, daß ich ihn einer gesonderten Behandlung an
geeignetem Materiale vorbehalte.Von diesem erfreulich glatten Ablauf ist nun bei An-
wendung der neuen Technik sehr wenig, oft nichts, übrig
geblieben. Es kommen auch hier Fälle vor, die sich ein Stück
weit verhalten wie bei der hypnotischen Technik, und erst
später versagen; andere Fälle benchmen sich aber von vorn-
herein anders. Halten wir uns zur Kennzeichnung des Un-
terschiedes an den letzteren Typus, so dürfen wir sagen, der
Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen
und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert esS.
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nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es,
ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt.
Z. B. Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich,
daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern
gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise gegen
den Arzt. Er erinnert nicht, daß er in seiner infantilen Se-
xualforschung rat- und hilflos steckengeblieben ist, son-
dern er bringt einen Haufen verworrener Träume und Ein-
fälle vor, jammert, daß ihm nichts gelinge, und stellt es
als sein Schicksal hin, niemals eine Unternehmung zu Ende
zu führen. Er erinnert nicht, daß er sich gewisser Sexual-
betätigungen intensiv geschämt und ihre Entdeckung ge-
fürchtet hat, sondern er zeigt, daß er sich der Behandlung
schämt, der er sich jetzt unterzogen hat, und sucht diese
vor allen geheimzuhalten usw.Vor allem beginnt er die Kur mit einer solchen Wieder-
holung. Oft, wenn man einem Patienten mit wechselvoller
Lebensgeschichte und langer Krankheitsgeschichte die psycho-
analytische Grundregel mitgeteilt und ihn dann aufgefordert
hat zu sagen, was ihm einfalle, und nun erwartet, daß sich
seine Mitteilungen im Strom ergießen werden, erfährt man
zunächst, daß er nichts zu sagen weiß. Er schweigt und
behauptet, daß ihm nichts einfallen will. Das ist natürlich
nichts anderes als die Wiederholung einer homosexuellen Ein-
stellung, die sich als Widerstand gegen jedes Erinnern vor-
drängt. Solange er in Behandlung verbleibt, wird er von
diesem Zwange zur Wiederholung nicht mehr frei; man ver-
steht endlich, dies ist seine Art zu erinnern.Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungs-
zwanges zur Übertragung und zum Widerstande in erster
Linie interessieren. Wir merken bald, die Übertragung istS.
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selbst nur ein Stück Wiederholung und die Wiederholung
ist die Übertragung der vergessenen Vergangenheit nicht nur
auf den Arzt, sondern auch auf alle anderen Gebiete der
gegenwärtigen Situation. Wir müssen also darauf gefaßt sein,
daß der Analysierte sich dem Zwange zur Wiederholung, der
nun den Impuls zur Erinnerung ersetzt, nicht nur im per-
sönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt, sondern auch in
allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und Beziehungen
seines Lebens, z. B. wenn er während der Kur ein Liebes-
objekt wählt, eine Aufgabe auf sich nimmt, eine Unterneh-
mung eingeht. Auch der Anteil des Widerstandes ist leicht
zu erkennen. Je größer der Widerstand ist, desto ausgiebiger
wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) ersetzt
sein. Entspricht doch das ideale Erinnern des Vergessenen
in der Hypnose einem Zustande, in welchem der Widerstand
völlig bei Seite geschoben ist. Beginnt die Kur unter der
Patronanz einer milden und unausgesprochenen positiven Über-
tragung, so gestattet sie zunächst ein Vertiefen in die Er-
innerung wie bei der Hypnose, wärend dessen selbst die
Krankheitssymptome schweigen; wird aber im weiteren Ver-
laufe diese Übertragung feindselig oder überstark und darum
verdrängungsbedürftig, so tritt sofort das Erinnern dem Agier-
ren den Platz ab. Von da an bestimmen dann die Widerstände
die Reihenfolge des zu Wiederholenden. Der Kranke holt aus
dem Arsenale der Vergangenheit die Waffen hervor, mit
denen er sich der Fortsetzung der Kur erwehrt, und die wir
ihm Stück für Stück entwinden müssen.
Wir haben nun gehört, der Analysierte wiederholt, an-
statt zu erinnern, er wiederholt unter den Bedingungen des
Widerstandes; wir dürfen jetzt fragen, was wiederholt oder
agiert er eigentlich? Die Antwort lautet, er wiederholt alles,S.
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was sich aus den Quellen seines Verdrängten bereits in sei-
nem offenkundigen Wesen durchgesetzt hat, seine Hemmun-
gen und unbrauchbaren Einstellungen, seine pathologischen
Charakterzüge. Er wiederholt ja auch während der Behand-
lung alle seine Symptome. Und nun können wir merken, daß
wir mit der Hervorhebung des Zwanges zur Wiederholung
keine neue Tatsache, sondern nur eine einheitlichere Auf-
fassung gewonnen haben. Wir machen uns nur klar, daß dies
Kranksein des Analysierten nicht mit dem Beginne seiner
Analyse aufhören kann, daß wir seine Krankheit nicht als
eine historische Angelegenheit, sondern als eine aktuelle
Macht zu behandeln haben. Stück für Stück dieses Krankseins
wird nun in den Horizont und in den Wirkungsbereich der
Kur gerückt, und während der Kranke es als etwas Reales
und Aktuelles erlebt, haben wir daran die therapeutische
Arbeit zu leisten, die zum guten Teile in der Zurückührung
auf die Vergangenheit besteht.
Das Erinnernlassen in der Hypnose mußte den Eindruck
eines Experimentes im Laboratorium machen. Das Wieder-
holenlassen während der analytischen Behandlung nach der
neueren Technik heißt ein Stück realen Lebens heraufbe-
schwören und kann darum nicht in allen Fällen harmlos und
unbedenklich sein. Das ganze Problem der oft unausweich-
lichen „Verschlimmerung Während der Kur“ schließt hier an.
Vor allem bringt es schon die Einleitung der Behandlung
mit sich, daß der Kranke seine bewußte Einstellung zur
Krankheit ändere. Er hat sich gewöhnlich damit begnügt,
sie zu bejammem, sie als Unsinn zu verachten, in ihrer Be-
deutung zu unterschätzen, hat aber sonst das verdrängende
Verhalten die Vogel-Strauß-Politik, die er gegen ihre Ur-
sprünge übte, auf ihre Äußerungen fortgesetzt. So kann esS.
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kommen, daß er die Bedingungen seiner Phobie nicht ordent-
lich kennt, den richtigen Wortlaut seiner Zwangsideen nicht
anhört oder die eigentliche Absicht seines Zwangsimpulses
nicht erfaßt. Das kann die Kur natürlich nicht brauchen.
Er muß den Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit den
Erscheinungen seiner Krankheit zu beschäftigen. Die Krank-
heit selbst darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, viel-
mehr ein würdiger Gegner werden, ein Stück seines Wesens,
das sich auf gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles für
sein späteres Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem
Verdrängten, welches sich in den Symptomen äußert, wird
so von Anfang an vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse
Toleranz fürs Kranksein eingeräumt. Werden nun durch dies
neue Verhältnis zur Krankheit Konflikte verschärft und Sym -
ptome hervorgedrängt, die früher noch undeutlich waren, so
kann man den Patienten darüber leicht durch die Bemer-
kungen trösten, daß dies nur notwendige aber vorübergehende
Verschlechterungen sind, und daß man keinen Feind um-
bringen kann, der abwesend oder nicht nahe genug ist. Der
Widerstand kann aber die Situation für seine Absichten aus-
beuten und die Erlaubnis, krank zu sein, mißbrauchen wollen.
Er scheint dann zu demonstrieren: Schau her, was dabei
herauskommt, wenn ich mich wirklich auf diese Dinge ein-
lasse. Hab' ich nicht recht getan, sie der Verdrängung zu
überlassen? Besonders jugendliche und kindliche Personen
pflegen die in der Kur erforderliche Einlenkung auf das Krank-
sein gern zu einem Schwelgen in den Krankheitssymptomen
zu benützen.Weitere Gefahren entstehen dadurch, daß im Fortgange
der Kur auch neue, tiefer liegende Triebregungen, die sich
noch nicht durchgesetzt hatten, zur Wiederholung gelangenS.
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können. Endlich können die Aktionen des Patienten außer-
halb der Übertragung vorübergehende Lebensschädigungen mit
sich bringen oder sogar so gewählt sein, daß sie die zu
erreichende Gesundheit dauernd eritwerten.Die Taktik, welche der Arzt in dieser Situation einge-
schlagen hat, ist leicht zu rechtfertigen. Für ihn bleibt das
Erinnern nach alter Manier, das Reproduzieren auf psychi-
schem Gebiete, das Ziel, an welchem er festhält, wenn er
auch weiß, daß es bei der neuen Technik nicht zu erreichen
ist. Er richtet sich auf einen beständigen Kampf mit dem
Patienten ein, um alle Impulse auf psychischem Gebiete zu-
rückzuhalten, welche dieser aufs Motorische lenken möchte,
und feiert es als einen Triumph der Kur, wenn es gelingt,
etwas durch die Erinnerungsarbeit zu erledigen, was der Pa-
tient durch eine Aktion abführen möchte. Wenn die Bindung
durch die Übertragung eine irgend brauchbare geworden ist,
so bringt es die Behandlung zu stande, den Kranken an allen
bedeutungsvolleren Wiederholungsaktionen zu hindern und den
Vorsatz dazu in statu nascendi als Material für die thera-
peutische Arbeit zu verwenden. Vor der Schädigung durch
die Ausführung seiner Impulse behätet man den Kranken am
besten, wenn man ihn dazu verpflichtet, während der Dauer
der Kur keine lebenswichtigen Entscheidungen zu treffen,
etwa keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu wählen,
sondern für alle diese Absichten den Zeitpunkt der Genesung
abzuwarten.Man schont dabei gern, was von der persönlichen Frei-
heit des Analysierten mit diesen Vorsichten vereinbar ist;
hindert ihn nicht an der Durchsetzung belangloser, wenn
auch törichter Absichten, und vergißt nicht daran, daß der
Mensch eigentlich nur durch Schaden und eigene ErfahrungS.
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klug werden kann. Es gibt wohl auch Fälle, die man nicht
abhalten kann, sich während der Behandlung in irgend eine
ganz unzweckmäßige Unternehmung einzulassen, und die erst
nachher mürbe und für die analytische Bearbeitung zugäng-
lich werden. Gelegentlich muß es auch vorkommen, daß man
nicht die Zeit hat, den wilden Trieben den Zügel der Über-
tragung anzulegen, oder daß der Patient in einer Wieder-
holungsaktion das Band zerreißt, das ihn an die Behandlung
knüpft. Ich kann als extremes Beispiel den Fall einer älteren
Dame wählen, die wiederholt in Dämmerzuständen ihr Haus
und ihren Mann verlassen hatte und irgendwohin geflüchtet
war, ohne sich je eines Motives für dieses „Durchgehen“
bewußt zu werden. Sie kam mit einer gut ausgebildeten zärt-
lichen Übertragung in meine Behandlung, steigerte dieselbe
in unheimlich rascher Weise in den ersten Tagen und war
am Ende einer Woche auch von mir „durchgegangen“, ehe
ich noch Zeit gehabt hatte, ihr etwas zu sagen, was sie an
dieser Wiederholung hätte hindern können.Das Hauptmittel aber, den Wiederholungszwang des Pa-
tienten zu bändigen und ihn zu einem Motiv fürs Erinnern
umzuschaffen, liegt in der Handhabung der Übertragung. Wir
machen ihn unschädlich, ja vielmehr nutzbar, indem wir ihm
sein Recht einräumen, ihn auf einem bestimmten Gebiete ge-
währen lassen. Wir eröffnen ihm die Übertragung als den
Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völ-
liger Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, uns alles vorzu-
führen, was sich an pathogenen Trieben im Seelenleben des
Analysierten verborgen hat. Wenn der Patient nur so viel
Entgegenkommen zeigt, daß er die Existenzbedingungen der
Behandlung respektiert, gelingt es uns regelmäßig, allen Sym-
ptomen der Krankheit eine neue Übertragungsbedingung zuS.
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geben, seine gemeinsame Neurose durch eine Übertragungs-
neurose zu ersetzen, von der er durch die therapeutische
Arbeit geheilt werden kann. Die Übertragung schafft so ein
Zwischenreich zwischen der Krankheit und dem Leben, durch
welches sich der Übergang von der ersteren zum letzteren
vollzieht. Der neue Zustand hat alle Charaktere der Krank-
heit übernommen, aber er stellt eine artefizielle Krankheit
dar, die überall unseren Eingriffen zugänglich ist. Er ist
gleichzeitig ein Stück des realen Erlebens, aber durch be-
sonders günstige Bedingungen ermöglicht und von der Natur
eines Provisoriums. Von den Wiederholungsreaktionen, die
sich in der Übertragung zeigen, führen dann die bekannten
Wege zur Erweckung der Erinnerungen, die sich nach Über-
windung der Widerstände wie mühelos einstellen.Ich könnte hier abbrechen, wenn nicht die Überschrift
dieses Aufsatzes mich verpflichten würde, ein weiteres Stück
der analytischen Technik in die Darstellung zu ziehen. Die
Überwindung der Widerstände wird bekanntlich dadurch ein-
geleitet, daß der Arzt den vom Analysierten niemals erkann-
ten Widerstand aufdeckt und ihn dem Patienten mitteilt.
Es scheint nun, daß Anfänger in der Analyse geneigt sind,
diese Einleitung für die ganze Arbeit zu halten. Ich bin oft
in Fällen zu Rate gezogen worden, in denen der Arzt darüber
klagte, er habe dem Kranken seinen Widerstand vorgestellt,
und doch habe sich nichts geändert, ja der Widerstand sei
erst recht erstarkt und die ganze Situation sei noch undurch-
sichtiger geworden. Die Kur scheine nicht weiter zu gehen.
Diese trübe Erwartung erwies sich dann immer als irrig. Die
Kur war in der Regel im besten Fortgange; der Arzt hatte
nur vergessen, daß das Benennen des Widerstandes nicht das
unmittelbare Aufhören desselben zur Folge haben kann. ManS.
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muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm unbekann-
ten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, ihn
zu überwinden, indem er ihm zum Trotze die Arbeit nach
der analytischen Grundregel fortsetzt. Erst auf der Höhe des-
selben findet man dann in gemeinsamer Arbeit mit dem Ana-
lysierten die verdrängten Triebregungen auf, welche den Wider-
stand speisen, und von deren Existenz und Mächtigkeit sich
der Patient durch solches Erleben überzeugt. Der Arzt hat
dabei nichts anderes zu tun, als zuzuwarten und einen Ab-
lauf zuzulassen, der nicht vermieden, auch nicht immer be-
schleunigt werden kann. Hält er an dieser Einsicht fest, so
wird er sich oftmals die Täuschung, gescheitert zu sein, er-
sparen, wo er doch die Behandlung längs der richtigen Linie
fortführt.Dieses Durcharbeiten der Widerstände mag in der Praxis
zu einer beschwerlichen Aufgabe für den Analysierten und
zu einer Geduldprobe für den Arzt werden. Es ist aber jenes
Stück der Arbeit, welches die größte verändernde Einwirkung
auf den Patienten hat, und das die analytische Behandlung
von jeder Suggestionsbeeinflussung unterscheidet. Theoretisch
kann man es dem „Abreagieren“ der durch die Verdrängung
eingeklemmten Affektbeträge gleichstellen, ohne welches die
hypnotische Behandlung einflußlos blieb.
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