Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten 1914-006/1922
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    XXV.

    WEITERE RATSCHLÄGE ZUR TECHNIK DER 
    PSYCHOANALYSE.*)

    II. ERINNERN, WIEDERHOLEN UND DURCHARBEITEN.

    Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer 
    wieder daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderun-
    gen die psychoanalytische Technik seit ihren ersten Anfängen 
    erfahren hat. Zuerst, in der Phase der Breuerschen Kathar-
    sis, die direkte Einstellung des Moments der Symptombil-
    dung und das konsequent festgehaltene Bemühen, die psy-
    chischen Vorgänge jener Situation reproduzieren zu lassen, 
    um sie zu einem Ablauf durch bewußte Tätigkeit zu leiten. 
    Erinnern und Abreagieren waren damals die mit Hilfe des 
    hypnotischen Zustandes zu erreichenden Ziele. Sodann, nach 
    dem Verzicht auf die Hypnose, drängte sich die Aufgabe vor, 
    aus den freien Einfällen des Analysierten zu erraten, was er 
    zu erinnern versagte. Durch die Deutungsarbeit und die Mit-
    teilung ihrer Ergebnisse an den Kranken sollte der Wider-
    stand umgangen werden; die Einstellung auf die Situationen 
    der Symptombildung und jene anderen, die sich hinter 
    dem Momente der Erkrankung ergaben, blieb erhalten, das Ab-
    reagieren trat zurück und schien durch den Arbeitsaufwand

    *) Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, II, 1914.

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    ersetzt, den der Analysierte bei der ihm aufgedrängten Über-
    windung der Kritik gegen seine Einfälle (bei der Befolgung
    der ψα Grundregel) zu leisten hatte. Endlich hat sich die
    konsequente heutige Technik herausgebildet, bei welcher der
    Arzt auf die Einstellung eines bestimmten Momentes oder
    Problems verzichtet, sich damit begnügt, „die jeweilige psy-
    chische Oberfläche des Analysierten zu studieren und die
    Deutungskunst wesentlich dazu henützt, um die an dieser
    hervortretenden Widerstände zu erkennen und dem Kranken
    bewußt zu machen. Es stellt sich dann eine neue Art von
    Arbeitsteilung her: der Arzt deckt die dem Kranken unbe-
    kannten Widerstände auf; sind diese erst bewältigt, so er-
    zählt der Kranke oft ohne alle Mühe die vergessenen Situa-
    tionen und Zusammenhänge. Das Ziel dieser Techniken ist
    natürlich unverändert geblieben. Deskriptiv: die Ausfüllung
    der Lücken der Erinnerung, dynamisch: die Überwindung der
    Verdrängungswiderstände.

    Man muß der alten hypnotischen Technik dankbar daür
    bleiben, daß sie uns einzelne psychische Vorgänge der Ana-
    Iyse in Isolierung und Schematisierung vorgeführt hat. Nur
    dadurch konnten wir den Mut gewinnen, komplizierte Situa-
    tionen in der analytischen Kur selbst zu schaffen und durch-
    sichtig zu erhalten.

    Das Erinnern gestaltete sich nun in jenen hypnotischen
    Behandlungen sehr einfach. Der Patient versetzte sich in
    eine frühere Situation, die er mit der gegenwärtigen niemals
    zu verwechseln schien, teilte die psychischen Vorgänge der-
    selben mit, soweit sie normal geblieben waren, und fügte
    daran, was sich durch die Umsetzung der damals unbewuß-
    ten Vorgänge in bewußte ergeben konnte.

    Ich schließe hier einige Bemerkungen an, die jeder Analytiker

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    in seiner Erfahrung bestätigt gefunden hat. Das Ver-
    gessen von Eindrücken, Szenen, Erlebnissen reduziert sich
    zumeist auf eine „Absperrung“ derselben. Wenn der Patient
    von diesem „Vergessenen“ spricht, versäumt er selten, hin-
    zuzufügen: das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht
    daran gedacht. Er äußert nicht selten seine Enttäuschung
    darüber, daß ihm nicht genug Dinge einfallen wollen, die
    er als „vergessen“ anerkennen kann, an die er nie wieder
    gedacht, seitdem sie vorgefallen sind. Indes findet auch diese
    Sehnsucht, zumal bei Konversionshysterien, ihre Befriedigung.
    Das „Vergessen“ erfährt eine weitere Einschränkung durch
    die Würdigung der so allgemein vorhandenen Deckerinnerun-
    gen. In manchen Fällen habe ich den Eindruck empfangen,
    daß die bekannte, für uns theoretisch so bedeutsame Kind-
    heitsamnesie durch die Deckerinnerungen vollkommen auf-
    gewogen wird. In diesen ist nicht nur einiges wesentliche
    aus dem Kindheitsleben erhalten, sondern eigentlich alles
    wesentlich. Man muß nur verstehen, es durch die Analyse
    aus ihnen zu entwickeln. Sie repräsentieren die vergessenen
    Kinderjahre so zureichend wie der manifeste Trauminhalt die
    Traumgedanken.

    Die andere Gruppe von psychischen Vorgängen, die man
    als rein interne Akte den Eindrücken und Erlebnissen ent-
    gegenstellen kann, Phantasien, Beziehungevorgänge, Gefühls-
    regungen, Zusammenhänge, muß in ihrem Verhältnisse zum
    Vergessen und Eninnern gesondert betrachtet werden. Hier
    ereignet es sich besonders häufig, daß etwas „erinnert“ wird,
    was nie „vergessen“ werden konnte, weil es zu keiner Zeit
    gemerkt wurde, niemals bewußt war, und es scheint über-
    dies völlig gleichgültig fiir den psychischen Ablauf, ob ein
    solcher „Zusammenhang“ bewußt war und dann vergessen

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    wurde, oder ob er es niemals zum Bewußtsein gebracht 
    hat. Die Überzeugung, die der Kranke im Laufe der Ana -
    lyse erwirbt, ist von einer solchen Erinnerung ganz un 
    abhängig.

    Besonders bei den mannigfachen Formen der Zwangsneu-
    rose schränkt sich das Vergessene meist auf die Auflösung 
    von Zusammenhängen, Verkennung von Abfolgen, Isolierung 
    von Erinnerungen ein.

    Für eine besondere Art von überaus wichtigen Erleb-
    nissen, die in sehr frühe Zeiten der Kindheit fallen und seiner-
    zeit ohne Verständnis erlebt worden sind, nachträglich 
    aber Verständnis und Deutung gefunden haben, läßt sich eine 
    Erinnerung meist nicht erwecken. Man gelangt durch Träume 
    zu ihrer Kenntnis und wird durch die zwingendsten Motive 
    aus dem Gefüge der Neurose genötigt, an sie zu glauben, 
    kann sich auch überzeugen, daß der Analysierte nach Über-
    windung seiner Widerstände das Ausbleiben des Erinnerungs-
    gefühles (Bekanntschaftsempfindung) nicht gegen deren An-
    nahme verwertet. Immerhin erfordert dieser Gegenstand so-
    viel kritische Vorsicht und bringt so viel Neues und Be-
    fremdendes, daß ich ihn einer gesonderten Behandlung an 
    geeignetem Materiale vorbehalte.

    Von diesem erfreulich glatten Ablauf ist nun bei An-
    wendung der neuen Technik sehr wenig, oft nichts, übrig 
    geblieben. Es kommen auch hier Fälle vor, die sich ein Stück 
    weit verhalten wie bei der hypnotischen Technik, und erst 
    später versagen; andere Fälle benchmen sich aber von vorn-
    herein anders. Halten wir uns zur Kennzeichnung des Un-
    terschiedes an den letzteren Typus, so dürfen wir sagen, der 
    Analysierte erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen 
    und Verdrängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es

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    nicht als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, 
    ohne natürlich zu wissen, daß er es wiederholt.

    Z. B. Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich, 
    daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern 
    gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise gegen 
    den Arzt. Er erinnert nicht, daß er in seiner infantilen Se-
    xualforschung rat- und hilflos steckengeblieben ist, son-
    dern er bringt einen Haufen verworrener Träume und Ein-
    fälle vor, jammert, daß ihm nichts gelinge, und stellt es
     als sein Schicksal hin, niemals eine Unternehmung zu Ende 
    zu führen. Er erinnert nicht, daß er sich gewisser Sexual-
    betätigungen intensiv geschämt und ihre Entdeckung ge-
    fürchtet hat, sondern er zeigt, daß er sich der Behandlung 
    schämt, der er sich jetzt unterzogen hat, und sucht diese 
    vor allen geheimzuhalten usw.

    Vor allem beginnt er die Kur mit einer solchen Wieder-
    holung. Oft, wenn man einem Patienten mit wechselvoller 
    Lebensgeschichte und langer Krankheitsgeschichte die psycho-
    analytische Grundregel mitgeteilt und ihn dann aufgefordert 
    hat zu sagen, was ihm einfalle, und nun erwartet, daß sich 
    seine Mitteilungen im Strom ergießen werden, erfährt man 
    zunächst, daß er nichts zu sagen weiß. Er schweigt und 
    behauptet, daß ihm nichts einfallen will. Das ist natürlich 
    nichts anderes als die Wiederholung einer homosexuellen Ein-
    stellung, die sich als Widerstand gegen jedes Erinnern vor-
    drängt. Solange er in Behandlung verbleibt, wird er von 
    diesem Zwange zur Wiederholung nicht mehr frei; man ver-
    steht endlich, dies ist seine Art zu erinnern.

    Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungs-
    zwanges zur Übertragung und zum Widerstande in erster 
    Linie interessieren. Wir merken bald, die Übertragung ist

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    selbst nur ein Stück Wiederholung und die Wiederholung
    ist die Übertragung der vergessenen Vergangenheit nicht nur
    auf den Arzt, sondern auch auf alle anderen Gebiete der
    gegenwärtigen Situation. Wir müssen also darauf gefaßt sein,
    daß der Analysierte sich dem Zwange zur Wiederholung, der
    nun den Impuls zur Erinnerung ersetzt, nicht nur im per-
    sönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt, sondern auch in
    allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und Beziehungen
    seines Lebens, z. B. wenn er während der Kur ein Liebes-
    objekt wählt, eine Aufgabe auf sich nimmt, eine Unterneh-
    mung eingeht. Auch der Anteil des Widerstandes ist leicht
    zu erkennen. Je größer der Widerstand ist, desto ausgiebiger
    wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) ersetzt
    sein. Entspricht doch das ideale Erinnern des Vergessenen
    in der Hypnose einem Zustande, in welchem der Widerstand
    völlig bei Seite geschoben ist. Beginnt die Kur unter der
    Patronanz einer milden und unausgesprochenen positiven Über-
    tragung, so gestattet sie zunächst ein Vertiefen in die Er-
    innerung wie bei der Hypnose, wärend dessen selbst die
    Krankheitssymptome schweigen; wird aber im weiteren Ver-
    laufe diese Übertragung feindselig oder überstark und darum
    verdrängungsbedürftig, so tritt sofort das Erinnern dem Agier-
    ren den Platz ab. Von da an bestimmen dann die Widerstände
    die Reihenfolge des zu Wiederholenden. Der Kranke holt aus
    dem Arsenale der Vergangenheit die Waffen hervor, mit
    denen er sich der Fortsetzung der Kur erwehrt, und die wir
    ihm Stück für Stück entwinden müssen.

    Wir haben nun gehört, der Analysierte wiederholt, an-
    statt zu erinnern, er wiederholt unter den Bedingungen des
    Widerstandes; wir dürfen jetzt fragen, was wiederholt oder
    agiert er eigentlich? Die Antwort lautet, er wiederholt alles,

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    was sich aus den Quellen seines Verdrängten bereits in sei-
    nem offenkundigen Wesen durchgesetzt hat, seine Hemmun-
    gen und unbrauchbaren Einstellungen, seine pathologischen
    Charakterzüge. Er wiederholt ja auch während der Behand-
    lung alle seine Symptome. Und nun können wir merken, daß
    wir mit der Hervorhebung des Zwanges zur Wiederholung
    keine neue Tatsache, sondern nur eine einheitlichere Auf-
    fassung gewonnen haben. Wir machen uns nur klar, daß dies
    Kranksein des Analysierten nicht mit dem Beginne seiner
    Analyse aufhören kann, daß wir seine Krankheit nicht als
    eine historische Angelegenheit, sondern als eine aktuelle
    Macht zu behandeln haben. Stück für Stück dieses Krankseins
    wird nun in den Horizont und in den Wirkungsbereich der
    Kur gerückt, und während der Kranke es als etwas Reales
    und Aktuelles erlebt, haben wir daran die therapeutische
    Arbeit zu leisten, die zum guten Teile in der Zurückührung
    auf die Vergangenheit besteht.

    Das Erinnernlassen in der Hypnose mußte den Eindruck
    eines Experimentes im Laboratorium machen. Das Wieder-
    holenlassen während der analytischen Behandlung nach der
    neueren Technik heißt ein Stück realen Lebens heraufbe-
    schwören und kann darum nicht in allen Fällen harmlos und
    unbedenklich sein. Das ganze Problem der oft unausweich-
    lichen „Verschlimmerung Während der Kur“ schließt hier an.

    Vor allem bringt es schon die Einleitung der Behandlung
    mit sich, daß der Kranke seine bewußte Einstellung zur
    Krankheit ändere. Er hat sich gewöhnlich damit begnügt,
    sie zu bejammem, sie als Unsinn zu verachten, in ihrer Be-
    deutung zu unterschätzen, hat aber sonst das verdrängende
    Verhalten die Vogel-Strauß-Politik, die er gegen ihre Ur-
    sprünge übte, auf ihre Äußerungen fortgesetzt. So kann es

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    kommen, daß er die Bedingungen seiner Phobie nicht ordent-
    lich kennt, den richtigen Wortlaut seiner Zwangsideen nicht 
    anhört oder die eigentliche Absicht seines Zwangsimpulses 
    nicht erfaßt. Das kann die Kur natürlich nicht brauchen. 
    Er muß den Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit den 
    Erscheinungen seiner Krankheit zu beschäftigen. Die Krank-
    heit selbst darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, viel-
    mehr ein würdiger Gegner werden, ein Stück seines Wesens, 
    das sich auf gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles für 
    sein späteres Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem 
    Verdrängten, welches sich in den Symptomen äußert, wird 
    so von Anfang an vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse 
    Toleranz fürs Kranksein eingeräumt. Werden nun durch dies 
    neue Verhältnis zur Krankheit Konflikte verschärft und Sym -
    ptome hervorgedrängt, die früher noch undeutlich waren, so
    kann man den Patienten darüber leicht durch die Bemer-
    kungen trösten, daß dies nur notwendige aber vorübergehende 
    Verschlechterungen sind, und daß man keinen Feind um-
    bringen kann, der abwesend oder nicht nahe genug ist. Der 
    Widerstand kann aber die Situation für seine Absichten aus-
    beuten und die Erlaubnis, krank zu sein, mißbrauchen wollen. 
    Er scheint dann zu demonstrieren: Schau her, was dabei 
    herauskommt, wenn ich mich wirklich auf diese Dinge ein-
    lasse. Hab' ich nicht recht getan, sie der Verdrängung zu 
    überlassen? Besonders jugendliche und kindliche Personen 
    pflegen die in der Kur erforderliche Einlenkung auf das Krank-
    sein gern zu einem Schwelgen in den Krankheitssymptomen 
    zu benützen.

    Weitere Gefahren entstehen dadurch, daß im Fortgange 
    der Kur auch neue, tiefer liegende Triebregungen, die sich
     noch nicht durchgesetzt hatten, zur Wiederholung gelangen

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    können. Endlich können die Aktionen des Patienten außer-
    halb der Übertragung vorübergehende Lebensschädigungen mit
    sich bringen oder sogar so gewählt sein, daß sie die zu
    erreichende Gesundheit dauernd eritwerten.

    Die Taktik, welche der Arzt in dieser Situation einge-
    schlagen hat, ist leicht zu rechtfertigen. Für ihn bleibt das
    Erinnern nach alter Manier, das Reproduzieren auf psychi-
    schem Gebiete, das Ziel, an welchem er festhält, wenn er
    auch weiß, daß es bei der neuen Technik nicht zu erreichen
    ist. Er richtet sich auf einen beständigen Kampf mit dem
    Patienten ein, um alle Impulse auf psychischem Gebiete zu-
    rückzuhalten, welche dieser aufs Motorische lenken möchte,
    und feiert es als einen Triumph der Kur, wenn es gelingt,
    etwas durch die Erinnerungsarbeit zu erledigen, was der Pa-
    tient durch eine Aktion abführen möchte. Wenn die Bindung
    durch die Übertragung eine irgend brauchbare geworden ist,
    so bringt es die Behandlung zu stande, den Kranken an allen
    bedeutungsvolleren Wiederholungsaktionen zu hindern und den
    Vorsatz dazu in statu nascendi als Material für die thera-
    peutische Arbeit zu verwenden. Vor der Schädigung durch
    die Ausführung seiner Impulse behätet man den Kranken am
    besten, wenn man ihn dazu verpflichtet, während der Dauer
    der Kur keine lebenswichtigen Entscheidungen zu treffen,
    etwa keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu wählen,
    sondern für alle diese Absichten den Zeitpunkt der Genesung
    abzuwarten.

    Man schont dabei gern, was von der persönlichen Frei-
    heit des Analysierten mit diesen Vorsichten vereinbar ist;
    hindert ihn nicht an der Durchsetzung belangloser, wenn
    auch törichter Absichten, und vergißt nicht daran, daß der
    Mensch eigentlich nur durch Schaden und eigene Erfahrung

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    klug werden kann. Es gibt wohl auch Fälle, die man nicht 
    abhalten kann, sich während der Behandlung in irgend eine 
    ganz unzweckmäßige Unternehmung einzulassen, und die erst 
    nachher mürbe und für die analytische Bearbeitung zugäng-
    lich werden. Gelegentlich muß es auch vorkommen, daß man 
    nicht die Zeit hat, den wilden Trieben den Zügel der Über-
    tragung anzulegen, oder daß der Patient in einer Wieder-
    holungsaktion das Band zerreißt, das ihn an die Behandlung 
    knüpft. Ich kann als extremes Beispiel den Fall einer älteren 
    Dame wählen, die wiederholt in Dämmerzuständen ihr Haus 
    und ihren Mann verlassen hatte und irgendwohin geflüchtet 
    war, ohne sich je eines Motives für dieses „Durchgehen“ 
    bewußt zu werden. Sie kam mit einer gut ausgebildeten zärt-
    lichen Übertragung in meine Behandlung, steigerte dieselbe 
    in unheimlich rascher Weise in den ersten Tagen und war 
    am Ende einer Woche auch von mir „durchgegangen“, ehe 
    ich noch Zeit gehabt hatte, ihr etwas zu sagen, was sie an 
    dieser Wiederholung hätte hindern können.

    Das Hauptmittel aber, den Wiederholungszwang des Pa-
    tienten zu bändigen und ihn zu einem Motiv fürs Erinnern 
    umzuschaffen, liegt in der Handhabung der Übertragung. Wir 
    machen ihn unschädlich, ja vielmehr nutzbar, indem wir ihm 
    sein Recht einräumen, ihn auf einem bestimmten Gebiete ge-
    währen lassen. Wir eröffnen ihm die Übertragung als den 
    Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völ-
    liger Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, uns alles vorzu-
    führen, was sich an pathogenen Trieben im Seelenleben des 
    Analysierten verborgen hat. Wenn der Patient nur so viel 
    Entgegenkommen zeigt, daß er die Existenzbedingungen der 
    Behandlung respektiert, gelingt es uns regelmäßig, allen Sym-
    ptomen der Krankheit eine neue Übertragungsbedingung zu

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    geben, seine gemeinsame Neurose durch eine Übertragungs-
    neurose zu ersetzen, von der er durch die therapeutische 
    Arbeit geheilt werden kann. Die Übertragung schafft so ein 
    Zwischenreich zwischen der Krankheit und dem Leben, durch 
    welches sich der Übergang von der ersteren zum letzteren 
    vollzieht. Der neue Zustand hat alle Charaktere der Krank-
    heit übernommen, aber er stellt eine artefizielle Krankheit 
    dar, die überall unseren Eingriffen zugänglich ist. Er ist 
    gleichzeitig ein Stück des realen Erlebens, aber durch be-
    sonders günstige Bedingungen ermöglicht und von der Natur 
    eines Provisoriums. Von den Wiederholungsreaktionen, die 
    sich in der Übertragung zeigen, führen dann die bekannten 
    Wege zur Erweckung der Erinnerungen, die sich nach Über-
    windung der Widerstände wie mühelos einstellen.

    Ich könnte hier abbrechen, wenn nicht die Überschrift 
    dieses Aufsatzes mich verpflichten würde, ein weiteres Stück 
    der analytischen Technik in die Darstellung zu ziehen. Die 
    Überwindung der Widerstände wird bekanntlich dadurch ein-
    geleitet, daß der Arzt den vom Analysierten niemals erkann-
    ten Widerstand aufdeckt und ihn dem Patienten mitteilt. 
    Es scheint nun, daß Anfänger in der Analyse geneigt sind, 
    diese Einleitung für die ganze Arbeit zu halten. Ich bin oft 
    in Fällen zu Rate gezogen worden, in denen der Arzt darüber 
    klagte, er habe dem Kranken seinen Widerstand vorgestellt, 
    und doch habe sich nichts geändert, ja der Widerstand sei 
    erst recht erstarkt und die ganze Situation sei noch undurch-
    sichtiger geworden. Die Kur scheine nicht weiter zu gehen. 
    Diese trübe Erwartung erwies sich dann immer als irrig. Die 
    Kur war in der Regel im besten Fortgange; der Arzt hatte 
    nur vergessen, daß das Benennen des Widerstandes nicht das 
    unmittelbare Aufhören desselben zur Folge haben kann. Man

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    muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm unbekann-
    ten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, ihn 
    zu überwinden, indem er ihm zum Trotze die Arbeit nach 
    der analytischen Grundregel fortsetzt. Erst auf der Höhe des-
    selben findet man dann in gemeinsamer Arbeit mit dem Ana-
    lysierten die verdrängten Triebregungen auf, welche den Wider-
    stand speisen, und von deren Existenz und Mächtigkeit sich 
    der Patient durch solches Erleben überzeugt. Der Arzt hat 
    dabei nichts anderes zu tun, als zuzuwarten und einen Ab-
    lauf zuzulassen, der nicht vermieden, auch nicht immer be-
    schleunigt werden kann. Hält er an dieser Einsicht fest, so 
    wird er sich oftmals die Täuschung, gescheitert zu sein, er-
    sparen, wo er doch die Behandlung längs der richtigen Linie 
    fortführt.

    Dieses Durcharbeiten der Widerstände mag in der Praxis 
    zu einer beschwerlichen Aufgabe für den Analysierten und 
    zu einer Geduldprobe für den Arzt werden. Es ist aber jenes 
    Stück der Arbeit, welches die größte verändernde Einwirkung 
    auf den Patienten hat, und das die analytische Behandlung 
    von jeder Suggestionsbeeinflussung unterscheidet. Theoretisch 
    kann man es dem „Abreagieren“ der durch die Verdrängung 
    eingeklemmten Affektbeträge gleichstellen, ohne welches die 
    hypnotische Behandlung einflußlos blieb.