Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten 1914-006/1931
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    […]

    ERINNERN, WIEDERHOLEN UND 
    DURCHARBEITEN

    (1914)

    Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer 
    wieder daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderungen 
    die psychoanalytische Technik seit ihren ersten Anfängen er-
    fahren hat. Zuerst, in der Phase der Breuerschen Katharsis, 
    die direkte Einstellung des Moments der Symptombildung und 
    das konsequent festgehaltene Bemühen, die psychischen Vor-
    gänge jener Situation reproduzieren zu lassen, um sie zu einem 
    Ablauf durch bewußte Tätigkeit zu leiten. Erinnern und Ab-
    reagieren waren damals die mit Hilfe des hypnotischen Zu-
    standes zu erreichenden Ziele. Sodann, nach dem Verzicht auf 
    die Hypnose, drängte sich die Aufgabe vor, aus den freien 

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    Einfällen des Analysierten zu erraten, was er zu erinnern ver-
    sagte. Durch die Deutungsarbeit und die Mitteilung ihrer 
    Ergebnisse an den Kranken sollte der Widerstand umgangen 
    werden; die Einstellung auf die Situationen der Symptom-
    bildung und jene anderen, die sich hinter dem Momente der 
    Erkrankung ergaben, blieb erhalten, das Abreagieren trat 
    zurück und schien durch den Arbeitsaufwand ersetzt, den 
    der Analysierte bei der ihm aufgedrängten Überwindung der 
    Kritik gegen seine Einfälle (bei der Befolgung der ψα Grund-
    regel) zu leisten hatte. Endlich hat sich die konsequente heutige 
    Technik herausgebildet, bei welcher der Arzt auf die Ein-
    stellung eines bestimmten Moments oder Problems verzichtet, 
    sich damit begnügt, die jeweilige psychische Oberfläche des 
    Analysierten zu studieren, und die Deutungskunst wesentlich 
    dazu benützt, um die an dieser hervortretenden Widerstände 
    zu erkennen und dem Kranken bewußtzumachen. Es stellt 
    sich dann eine neue Art von Arbeitsteilung her: Der Arzt 
    deckt die dem Kranken unbekannten Widerstände auf; sind 
    diese erst bewältigt, so erzählt der Kranke oft ohne alle Mühe 
    die vergessenen Situationen und Zusammenhänge. Das Ziel 
    dieser Techniken ist natürlich unverändert geblieben. Deskrip-
    tiv: die Ausfüllung der Lücken der Erinnerung, dynamisch: 
    die Überwindung der Verdrängungswiderstände.

    Man muß der alten hypnotischen Technik dankbar dafür 
    bleiben, daß sie uns einzelne psychische Vorgänge der Analyse 
    in Isolierung und Schematisierung vorgeführt hat. Nur da-
    durch konnten wir den Mut gewinnen, komplizierte Situa-
    tionen in der analytischen Kur selbst zu schaffen und durch-
    sichtig zu erhalten.

    Das Erinnern gestaltete sich nun in jenen hypnotischen 
    Behandlungen sehr einfach. Der Patient versetzte sich in eine 
    frühere Situation, die er mit der gegenwärtigen niemals zu 
    verwechseln schien, teilte die psychischen Vorgänge derselben 

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    mit, soweit sie normal geblieben waren, und fügte daran, was 
    sich durch die Umsetzung der damals unbewußten Vorgänge 
    in bewußte ergeben konnte.

    Ich schließe hier einige Bemerkungen an, die jeder Analyti-
    ker in seiner Erfahrung bestätigt gefunden hat. Das Ver-
    gessen von Eindrücken, Szenen, Erlebnissen reduziert sich zu-
    meist auf eine „Absperrung“ derselben. Wenn der Patient von 
    diesem „Vergessenen“ spricht, versäumt er selten hinzuzu-
    “fügen: das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht daran 
    gedacht. Er äußert nicht selten seine Enttäuschung darüber, 
    daß ihm nicht genug Dinge einfallen wollen, die er als „ver-
    gessen“ anerkennen kann, an die er nie wieder gedacht, seit-
    dem sie vorgefallen sind. Indes findet auch diese Sehnsucht, 
    zumal bei Konversionshysterien, ihre Befriedigung. Das „Ver-
    gessen“ erfährt eine weitere Einschränkung durch die Würdi-
    gung der so allgemein vorhandenen Deckerinnerungen. In 
    manchen Fällen habe ich den Eindruck empfangen, daß die 
    bekannte, für uns theoretisch so bedeutsame Kindheitsamnesie 
    durch die Deckerinnerungen vollkommen aufgewogen wird. 
    In diesen ist nicht nur einiges Wesentliche aus dem Kindheits-
    leben erhalten, sondern eigentlich alles Wesentliche. Man muß 
    nur verstehen, es durch die Analyse aus ihnen zu entwickeln. 
    Sie repräsentieren die vergessenen Kinderjahre so zureichend 
    wie der manifeste Trauminhalt die Traumgedanken.

    Die andere Gruppe von psychischen Vorgängen, die man als 
    rein interne Akte den Eindrücken und Ergebnissen entgegen-
    stellen kann, Phantasien, Beziehungsvorgänge, Gefühlsregun-
    gen, Zusammenhänge, muß in ihrem Verhältnis zum Vergessen 
    und Erinnern gesondert betrachtet werden. Hier ereignet es 
    sich besonders häufig, daß etwas „erinnert“ wird, was nie „ver-
    gessen“ werden konnte, weil es zu keiner Zeit gemerkt wurde, 
    niemals bewußt war, und es scheint überdies völlig gleich-
    gültig für den psychischen Ablauf, ob ein solcher „Zusammenhang“

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    bewußt war und dann vergessen wurde oder ob er es 
    niemals zum Bewußtsein gebracht hat. Die Überzeugung, die 
    der Kranke im Laufe der Analyse erwirbt, ist von einer 
    solchen Erinnerung ganz unabhängig.

    Besonders bei den mannigfachen Formen der Zwangsneurose 
    schränkt sich das Vergessene meist auf die Auflösung von 
    Zusammenhängen, Verkennung von Abfolgen, Isolierung von 
    Erinnerungen ein.

    Für eine besondere Art von überaus wichtigen Erlebnissen, 
    die in sehr frühe Zeiten der Kindheit fallen und seinerzeit 
    ohne Verständnis erlebt worden sind, nachträglich aber 
    Verständnis und Deutung gefunden haben, läßt sich eine Er-
    innerung meist nicht erwecken. Man gelangt durch Träume 
    zu ihrer Kenntnis und wird durch die zwingendsten Motive 
    aus dem Gefüge der Neurose genötigt, an sie zu glauben, kann 
    sich auch überzeugen, daß der Analysierte nach Überwindung 
    seiner Widerstände das Ausbleiben des Erinnerungsgefühles 
    (Bekanntschaftsempfindung) nicht gegen deren Annahme ver-
    wertet. Immerhin erfordert dieser Gegenstand so viel kritische 
    Vorsicht und bringt so viel Neues und Befremdendes, daß ich 
    ihn einer gesonderten Behandlung an geeignetem Materiale 
    vorbehalte.

    Von diesem erfreulich glatten Ablauf ist nun bei Anwen-
    dung der neuen Technik sehr wenig, oft nichts übriggeblie-
    ben. Es kommen auch hier Fälle vor, die sich ein Stück weit 
    verhalten wie bei der hypnotischen Technik und erst später 
    versagen; andere Fälle benehmen sich aber von vornherein 
    anders. Halten wir uns zur Kennzeichnung des Unterschiedes 
    an den letzteren Typus, so dürfen wir sagen, der Analysierte 
    erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Ver-
    drängten, sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht 
    als Erinnerung, sondern als Tat, er wiederholt es, ohne 
    natürlich zu wissen, daß er es wiederholt.

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    Zum Beispiel: Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere 
    sich, daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der 
    Eltern gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise 
    gegen den Arzt. Er erinnert nicht, daß er in seiner infantilen 
    Sexualforschung rat- und hilflos steckengeblieben ist, sondern 
    er bringt einen Haufen verworrener Träume und Einfälle vor, 
    jammert, daß ihm nichts gelinge, und stellt es als sein Schick-
    sal hin, niemals eine Unternehmung zu Ende zu führen. Er 
    erinnert nicht, daß er sich gewisser Sexualbetätigungen intensiv 
    geschämt und ihre Entdeckung gefürchtet hat, sondern er 
    zeigt, daß er sich der Behandlung schämt, der er sich jetzt unter-
    zogen hat, und sucht diese vor allen geheimzuhalten usw.

    Vor allem beginnt er die Kur mit einer solchen Wieder-
    holung. Oft, wenn man einem Patienten mit wechselvoller 
    Lebensgeschichte und langer Krankheitsgeschichte die psycho-
    analytische Grundregel mitgeteilt und ihn dann aufgefordert 
    hat zu sagen, was ihm einfalle, und nun erwartet, daß sich 
    seine Mitteilungen im Strom ergießen werden, erfährt man 
    zunächst, daß er nichts zu sagen weiß. Er schweigt und be-
    hauptet, daß ihm nichts einfallen will. Das ist natürlich nichts 
    anderes als die Wiederholung einer homosexuellen Einstellung, 
    die sich als Widerstand gegen jedes Erinnern vordrängt. So-
    lange er in Behandlung verbleibt, wird er von diesem 
    Zwange zur Wiederholung nicht mehr frei; man versteht 
    endlich, dies ist seine Art zu erinnern.

    Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungs-
    zwanges zur Übertragung und zum Widerstande in erster 
    Linie interessieren. Wir merken bald, die Übertragung ist 
    selbst nur ein Stück Wiederholung und die Wiederholung 
    ist die Übertragung der vergessenen Vergangenheit nicht nur 
    auf den Arzt, sondern auch auf alle anderen Gebiete der 
    gegenwärtigen Situation. Wir müssen also darauf gefaßt sein, 
    daß der Analysierte sich dem Zwange zur Wiederholung, 

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    der nun den Impuls zur Erinnerung ersetzt, nicht nur im 
    persönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt, sondern auch in 
    allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und Beziehungen 
    seines Lebens, zum Beispiel wenn er während der Kur ein 
    Liebesobjekt wählt, eine Aufgabe auf sich nimmt, eine Unter-
    nehmung eingeht. Auch der Anteil des Widerstandes ist leicht 
    zu erkennen. Je größer der Widerstand ist, desto ausgiebiger 
    wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) ersetzt 
    sein. Entspricht doch das ideale Erinnern des Vergessenen 
    in der Hypnose einem Zustande, in welchem der Widerstand 
    völlig bei Seite geschoben ist. Beginnt die Kur unter der 
    Patronanz einer milden und unausgesprochenen positiven 
    Übertragung, so gestattet sie zunächst ein Vertiefen in die 
    Erinnerung wie bei der Hypnose, während dessen selbst die 
    Krankheitssymptome schweigen; wird aber im weiteren Ver-
    laufe diese Übertragung feindselig oder überstark und darum 
    verdrängungsbedürftig, so tritt sofort das Erinnern dem 
    Agieren den Platz ab. Von da an bestimmen dann die Wider-
    stände die Reihenfolge des zu Wiederholenden. Der Kranke 
    holt aus dem Arsenale der Vergangenheit die Waffen hervor, 
    mit denen er sich der Fortsetzung der Kur erwehrt und die 
    wir ihm Stück für Stück entwinden müssen.

    Wir haben nun gehört, der Analysierte wiederholt anstatt 
    zu erinnern, er wiederholt unter den Bedingungen des Wider-
    standes; wir dürfen jetzt fragen, was wiederholt oder agiert 
    er eigentlich? Die Antwort lautet, er wiederholt alles, was 
    sich aus den Quellen seines Verdrängten bereits in seinem 
    offenkundigen Wesen durchgesetzt hat, seine Hemmungen 
    und unbrauchbaren Einstellungen, seine pathologischen 
    Charakterzüge. Er wiederholt ja auch während der Behand-
    lung alle seine Symptome. Und nun können wir merken, daß 
    wir mit der Hervorhebung des Zwanges zur Wiederholung 
    keine neue Tatsache, sondern nur eine einheitlichere Auffassung 

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    gewonnen haben. Wir machen uns nun klar, daß das 
    Kranksein des Analysierten nicht mit dem Beginne seiner 
    Analyse aufhören kann, daß wir seine Krankheit nicht als 
    eine historische Angelegenheit, sondern als eine aktuelle 
    Macht zu behandeln haben. Stück für Stück dieses Krank-
    seins wird nun in den Horizont und in den Wirkungsbereich 
    der Kur gerückt, und während der Kranke es als etwas 
    Reales und Aktuelles erlebt, haben wir daran die therapeu-
    tische Arbeit zu leisten, die zum guten Teile in der Zurück-
    führung auf die Vergangenheit besteht.

    Das Erinnernlassen in der Hypnose mußte den Eindruck 
    eines Experiments im Laboratorium machen. Das Wieder-
    holenlassen während der analytischen Behandlung nach der 
    neueren Technik heißt ein Stück realen Lebens heraufbe-
    schwören und kann darum nicht in allen Fällen harmlos und 
    unbedenklich sein. Das ganze Problem der oft unausweich-
    lichen „Verschlimmerung während der Kur“ schließt hier an.

    Vor allem bringt es schon die Einleitung der Behandlung 
    mit sich, daß der Kranke seine bewußte Einstellung zur 
    Krankheit ändere. Er hat sich gewöhnlich damit begnügt, sie 
    zu bejammern, sie als Unsinn zu verachten, in ihrer Bedeu-
    tung zu unterschätzen, hat aber sonst das verdrängende Ver-
    halten, die Vogel-Strauß-Politik, die er gegen ihre Ursprünge 
    übte, auf ihre Äußerungen fortgesetzt. So kann es kommen, 
    daß er die Bedingungen seiner Phobie nicht ordentlich kennt, 
    den richtigen Wortlaut seiner Zwangsideen nicht anhört oder 
    die eigentliche Absicht seines Zwangsimpulses nicht erfaßt. 
    Das kann die Kur natürlich nicht brauchen. Er muß den 
    Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit den Erscheinun-
    gen seiner Krankheit zu beschäftigen. Die Krankheit selbst 
    darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, vielmehr ein würdi-
    ger Gegner werden, ein Stück seines Wesens, das sich auf 
    gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles für sein späteres 

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    Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem Verdrängten, 
    welches sich in den Symptomen äußert, wird so von Anfang 
    an vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse Toleranz fürs 
    Kranksein eingeräumt. Werden nun durch dies neue Verhält-
    nis zur Krankheit Konflikte verschärft und Symptome her-
    vorgedrängt, die früher noch undeutlich waren, so kann man 
    den Patienten darüber leicht durch die Bemerkung trösten, 
    daß dies nur notwendige, aber vorübergehende Verschlechte-
    rungen sind und daß man keinen Feind umbringen kann, der 
    abwesend oder nicht nahe genug ist. Der Widerstand kann 
    aber die Situation für seine Absichten ausbeuten und die Er-
    laubnis, krank zu sein, mißbrauchen wollen. Er scheint dann 
    zu demonstrieren: Schau her, was dabei herauskommt, wenn 
    ich mich wirklich auf diese Dinge einlasse. Hab' ich nicht 
    recht getan, sie der Verdrängung zu überlassen? Besonders 
    jugendliche und kindliche Personen pflegen die in der Kur 
    erforderliche Einlenkung auf das Kranksein gern zu einem 
    Schwelgen in den Krankheitssymptomen zu benützen.

    Weitere Gefahren entstehen dadurch, daß im Fortgange der 
    Kur auch neue, tieferliegende Triebregungen, die sich noch 
    nicht durchgesetzt hatten, zur Wiederholung gelangen kön-
    nen. Endlich können die Aktionen des Patienten außerhalb 
    der Übertragung vorübergehende Lebensschädigungen mit 
    sich bringen oder sogar so gewählt sein, daß sie die zu er-
    reichende Gesundheit dauernd entwerten.

    Die Taktik, welche der Arzt in dieser Situation einzu-
    schlagen hat, ist leicht zu rechtfertigen. Für ihn bleibt das 
    Erinnern nach alter Manier, das Reproduzieren auf psychi-
    schem Gebiete, das Ziel, an welchem er festhält, wenn er auch 
    weiß, daß es bei der neuen Technik nicht zu erreichen ist. 
    Er richtet sich auf einen beständigen Kampf mit dem Patien-
    ten ein, um alle Impulse auf psychischem Gebiete zurückzu-
    halten, welche dieser aufs Motorische lenken möchte, und 

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    feiert es als einen Triumph der Kur, wenn es gelingt, etwas 
    durch die Erinnerungsarbeit zu erledigen, was der Patient 
    durch eine Aktion abführen möchte. Wenn die Bindung durch 
    die Übertragung eine irgend brauchbare geworden ist, so 
    bringt es die Behandlung zustande, den Kranken an allen 
    bedeutungsvolleren Wiederholungsaktionen zu hindern und 
    den Vorsatz dazu in statu nascendi als Material für die thera-
    peutische Arbeit zu verwenden. Vor der Schädigung durch 
    die Ausführung seiner Impulse behütet man den Kranken 
    am besten, wenn man ihn dazu verpflichtet, während der 
    Dauer der Kur keine lebenswichtigen Entscheidungen zu 
    treffen, etwa keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu 
    wählen, sondern für alle diese Absichten den Zeitpunkt der 
    Genesung abzuwarten.

    Man schont dabei gern, was von der persönlichen Freiheit 
    des Analysierten mit diesen Vorsichten vereinbar ist, hindert 
    ihn nicht an der Durchsetzung belangloser, wenn auch 
    törichter Absichten und vergißt nicht daran, daß der Mensch 
    eigentlich nur durch Schaden und eigene Erfahrung klug 
    werden kann. Es gibt wohl auch Fälle, die man nicht ab-
    halten kann, sich während der Behandlung in irgend eine 
    ganz unzweckmäßige Unternehmung einzulassen, und die erst 
    nachher mürbe und für die analytische Bearbeitung zugäng-
    lich werden. Gelegentlich muß es auch vorkommen, daß man 
    nicht die Zeit hat, den wilden Trieben den Zügel der Über-
    tragung anzulegen, oder daß der Patient in einer Wieder-
    holungsaktion das Band zerreißt, das ihn an die Behandlung 
    knüpft. Ich kann als extremes Beispiel den Fall einer älteren 
    Dame wählen, die wiederholt in Dämmerzuständen ihr Haus 
    und ihren Mann verlassen hatte und irgendwohin geflüchtet 
    war, ohne sich je eines Motives für dieses „Durchgehen“ 
    bewußt zu werden. Sie kam mit einer gut ausgebildeten 
    zärtlichen Übertragung in meine Behandlung, steigerte dieselbe 

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    in unheimlich rascher Weise in den ersten Tagen und 
    war am Ende einer Woche auch von mir „durchgegangen“, 
    ehe ich noch Zeit gehabt hatte, ihr etwas zu sagen, was 
    sie an dieser Wiederholung hätte hindern können.

    Das Hauptmittel aber, den Wiederholungszwang des 
    Patienten zu bändigen und ihn zu einem Motiv fürs Erinnern 
    umzuschaffen, liegt in der Handhabung der Übertragung. 
    Wir machen ihn unschädlich, ja vielmehr nutzbar, indem 
    wir ihm sein Recht einräumen, ihn auf einem bestimmten 
    Gebiete gewähren lassen. Wir eröffnen ihm die Über-
    tragung als den Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, 
    sich in fast völliger Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, 
    uns alles vorzuführen, was sich an pathogenen Trieben im 
    Seelenleben des Analysierten verborgen hat. Wenn der Pa-
    tient nur so viel Entgegenkommen zeigt, daß er die Existenz-
    bedingungen der Behandlung respektiert, gelingt es uns regel-
    mäßig, allen Symptomen der Krankheit eine neue Über-
    tragungsbedeutung zu geben, seine gemeine Neurose durch 
    eine Übertragungsneurose zu ersetzen, von der er durch die 
    therapeutische Arbeit geheilt werden kann. Die Übertragung 
    schafft so ein Zwischenreich zwischen der Krankheit und dem 
    Leben, durch welches sich der Übergang von der ersteren 
    zum letzteren vollzieht. Der neue Zustand hat alle Charak-
    tere der Krankheit übernommen, aber er stellt eine artifizielle 
    Krankheit dar, die überall unseren Eingriffen zugänglich ist. 
    Er ist gleichzeitig ein Stück des realen Erlebens, aber durch 
    besonders günstige Bedingungen ermöglicht und von der 
    Natur eines Provisoriums. Von den Wiederholungsreaktionen, 
    die sich in der Übertragung zeigen, führen dann die bekann-
    ten Wege zur Erweckung der Erinnerungen, die sich nach 
    Überwindung der Widerstände wie mühelos einstellen.

    Ich könnte hier abbrechen, wenn nicht die Überschrift 
    dieses Aufsatzes mich verpflichten würde, ein weiteres Stück 

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    der analytischen Technik in die Darstellung zu ziehen. Die 
    Überwindung der Widerstände wird bekanntlich dadurch 
    eingeleitet, daß der Arzt den vom Analysierten niemals er-
    kannten Widerstand aufdeckt und ihn dem Patienten mitteilt. 
    Es scheint nun, daß Anfänger in der Analyse geneigt sind, 
    diese Einleitung für die ganze Arbeit zu halten. Ich bin oft 
    in Fällen zu Rate gezogen worden, in denen der Arzt darüber 
    klagte, er habe dem Kranken seinen Widerstand vorgestellt, 
    und doch habe sich nichts geändert, ja, der Widerstand sei 
    erst recht erstarkt und die ganze Situation sei noch undurch-
    sichtiger geworden. Die Kur scheine nicht weiterzugehen. 
    Diese trübe Erwartung erwies sich dann immer als irrig. 
    Die Kur war in der Regel im besten Fortgang; der Arzt 
    hatte nur vergessen, daß das Benennen des Widerstandes 
    nicht das unmittelbare Aufhören desselben zur Folge haben 
    kann. Man muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm 
    nun bekannten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzu-
    arbeiten, ihn zu überwinden, indem er ihm zum Trotze 
    die Arbeit nach der analytischen Grundregel fortsetzt. Erst 
    auf der Höhe desselben findet man dann in gemeinsamer 
    Arbeit mit dem Analysierten die verdrängten Triebregungen 
    auf, welche den Widerstand speisen und von deren Existenz 
    und Mächtigkeit sich der Patient durch solches Erleben über-
    zeugt. Der Arzt hat dabei nichts anderes zu tun, als zuzu-
    warten und einen Ablauf zuzulassen, der nicht vermieden, 
    auch nicht immer beschleunigt werden kann. Hält er an 
    dieser Einsicht fest, so wird er sich oftmals die Täuschung, 
    gescheitert zu sein, ersparen, wo er doch die Behandlung längs 
    der richtigen Linie fortführt.

    Dieses Durcharbeiten der Widerstände mag in der Praxis 
    zu einer beschwerlichen Aufgabe für den Analysierten und 
    zu einer Geduldsprobe für den Arzt werden. Es ist aber jenes 
    Stück der Arbeit, welches die größte verändernde Einwirkung 

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    auf den Patienten hat und das die analytische Behandlung 
    von jeder Suggestionsbeeinflussung unterscheidet. Theoretisch 
    kann man es dem „Abreagieren“ der durch die Verdrängung 
    eingeklemmten Affektbeträge gleichstellen, ohne welches die 
    hypnotische Behandlung einflußlos blieb.