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I.
Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse.
Von Sigm. Freud.
II.*)Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten.
Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer wieder
daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderungen die psychoana-
lytische Technik seit ihren ersten Anfängen erfahren hat. Zuerst, in der
Phase der Breuerschen Katharsis, die direkte Einstellung des Moments der
Symptombildung und das konsequent festgehaltene Bemühen, die psychischen
Vorgänge jener Situation reproduzieren zu lassen, um sie zu einem Ablauf
durch bewußte Tätigkeit zu leiten. Erinnern und Abreagieren waren
damals die mit Hilfe des hypnotischen Zustandes zu erreichenden Ziele.
Sodann, nach dem Verzicht auf die Hypnose, drängte sich die Aufgabe
vor, aus den freien Einfällen des Analysierten zu erraten, was er zu
erinnern versagte. Durch die Deutungsarbeit und die Mitteilung ihrer
Ergebnisse an den Kranken sollte der Widerstand umgangen werden;
die Einstellung auf die Situationen der Symptombildung und jene anderen,
die sich hinter dem Momente der Erkrankung ergaben, blieb erhalten,
das Abreagieren trat zurück und schien durch den Arbeitsaufwand ersetzt,
den der Analysierte bei der ihm aufgedrängten Überwindung der Kritik
gegen seine Einfälle (bei der Befolgung der ψα Grundregel) zu leisten
hatte. Endlich hat sich die konsequente heutige Technik herausgebildet,
bei welcher der Arzt auf die Einstellung eines bestimmten Moments oder
Problems verzichtet, sich damit begnügt, die jeweilige psychische Ober-
fläche des Analysierten zu studieren, und die Deutungskunst wesentlich
dazu benützt, um die an dieser hervortretenden Widerstände zu erkennen
und dem Kranken bewußtzumachen. Es stellt sich dann eine neue
Art von Arbeitsteilung her: Der Arzt deckt die dem Kranken unbekannten
Widerstände auf; sind diese erst bewältigt, so erzählt der Kranke oft
ohne alle Mühe die vergessenen Situationen und Zusammenhänge. Das*)Siehe diese Zeitschrift I, 1913, S. 1 und 139.
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Ziel dieser Techniken ist natürlich unverändert geblieben. Deskriptiv:
die Ausfüllung der Lücken der Erinnerung, dynamisch: die Überwindung
der Verdrängungswiderstände.Man muß der alten hypnotischen Technik dankbar dafür bleiben, daß sie
uns einzelne psychische Vorgänge der Analyse in Isolierung und Schema-
tisierung vorgeführt hat. Nur dadurch konnten wir den Mut gewinnen,
komplizierte Situationen in der analytischen Kur selbst zu schaffen
und durchsichtig zu erhalten.Das Erinnern gestaltete sich nun in jenen hypnotischen Behandlungen
sehr einfach. Der Patient versetzte sich in eine frühere Situation, die er
mit der gegenwärtigen niemals zu verwechseln schien, teilte die psy-
chischen Vorgänge derselben mit, soweit sie normal geblieben waren, und
fügte daran, was sich durch die Umsetzung der damals unbewußten
Vorgänge in bewußte ergeben konnte.Ich schließe hier einige Bemerkungen an, die jeder Analytiker in seiner
Erfahrung bestätigt gefunden hat. Das Vergessen von Eindrücken, Szenen,
Erlebnissen reduziert sich zumeist auf eine „Absperrung“ derselben. Wenn der
Patient von diesem „Vergessenen“ spricht, versäumt er selten hinzuzufügen:
das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht daran gedacht. Er äußert
nicht selten seine Enttäuschung darüber, daß ihm nicht genug Dinge einfallen
wollen, die er als „vergessen“ anerkennen kann, an die er nie wieder gedacht,
seitdem sie vorgefallen sind. Indes findet auch diese Sehnsucht, zumal bei
Konversionshysterien, ihre Befriedigung. Das „Vergessen“ erfährt eine weitere
Einschränkung durch die Würdigung der so allgemein vorhandenen Deck-
erinnerungen. In manchen Fällen habe ich den Eindruck empfangen, daß die
bekannte, für uns theoretisch so bedeutsame Kindheitsamnesie durch die Deck-
erinnerungen vollkommen aufgewogen wird. In diesen ist nicht nur einiges
wesentliche aus dem Kindheitsleben erhalten, sondern eigentlich alles wesentliche.
Man muß nur verstehen, es durch die Analyse aus ihnen zu entwickeln. Sie
repräsentieren die vergessenen Kinderjahre so zureichend wie der manifeste
Trauminhalt die Traumgedanken.Die andere Gruppe von psychischen Vorgängen, die man als rein interne
Akte den Eindrücken und Erlebnissen entgegenstellen kann, Phantasien, Be-
ziehungsvorgänge, Gefühlsregungen, Zusammenhänge, muß in ihrem Verhältnis
zum Vergessen und Erinnern gesondert betrachtet werden. Hier ereignet es
sich besonders häufig, daß etwas „erinnert“ wird, was nie „vergessen“ werden
konnte, weil es zu keiner Zeit gemerkt wurde, niemals bewußt war, und es
scheint überdies völlig gleichgültig für den psychischen Ablauf, ob ein solcher
„Zusammenhang“ bewußt war und dann vergessen wurde, oder ob er es nie-
mals zum Bewußtsein gebracht hat. Die Überzeugung, die der Kranke im
Laufe der Analyse erwirbt, ist von einer solchen Erinnerung ganz unabhängig.Besonders bei den mannigfachen Formen der Zwangsneurose schränkt
sich das Vergessene meist auf die Auflösung von Zusammenhängen, Verkennung
von Abfolgen, Isolierung von Erinnerungen ein.Für eine besondere Art von überaus wichtigen Erlebnissen, die in sehr
frühe Zeiten der Kindheit fallen und seinerzeit ohne Verständnis erlebt worden
sind, nachträglich aber Verständnis und Deutung gefunden haben, läßt sich
eine Erinnerung meist nicht erwecken. Man gelangt durch Träume zu ihrer
Kenntnis und wird durch die zwingendsten Motive aus dem Gefüge der NeuroseS.
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genötigt, an sie zu glauben, kann sich auch überzeugen, daß der Analysierte
nach Überwindung seiner Widerstände das Ausbleiben des Erinnerungsgefühles
(Bekanntschaftsempfindung) nicht gegen deren Annahme verwertet. Immerhin
erfordert dieser Gegenstand so viel kritische Vorsicht und bringt so viel Neues
und Befremdendes, daß ich ihn einer gesonderten Behandlung an geeignetem
Materiale vorbehalte.Von diesem erfreulich glatten Ablauf ist nun bei Anwendung der
neuen Technik sehr wenig, oft nichts übrig geblieben. Es kommen auch
hier Fälle vor, die sich ein Stück weit verhalten wie bei der hypnotischen
Technik und erst später versagen; andere Fälle benehmen sich aber
von vornherein anders. Halten wir uns zur Kennzeichnung des Unter-
schiedes an den letzteren Typus, so dürfen wir sagen, der Analysierte
erinnere überhaupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten,
sondern er agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern
als Tat, er wiederholt es, ohne zu wissen natürlich, daß er es
wiederholt.Zum Beispiel: Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich, daß er trotzig
und ungläubig gegen die Autorität der Eltern gewesen sei, sondern er
benimmt sich in solcher Weise gegen den Arzt. Er erinnert nicht, daß
er in seiner infantilen Sexualforschung rat- und hilflos stecken geblieben
ist, sondern er bringt einen Haufen verworrener Träume und Einfälle
vor, jammert, daß ihm nichts gelinge, und stellt es als sein Schicksal
hin, niemals eine Unternehmung zu Ende zu führen. Er erinnert nicht,
daß er sich gewisser Sexualbetätigungen intensiv geschämt und ihre
Entdeckung gefürchtet hat, sondern er zeigt, daß er sich der Behandlung
schämt, der er sich jetzt unterzogen hat, und sucht diese vor allen
geheimzuhalten usw.Vor allem beginnt er die Kur mit einer solchen Wiederholung. Oft,
wenn man einem Patienten mit wechselvoller Lebensgeschichte und langer
Krankheitsgeschichte die psychoanalytische Grundregel mitgeteilt und ihn
dann aufgefordert hat zu sagen, was ihm einfalle, und nun erwartet, daß
sich seine Mitteilungen im Strom ergießen werden, erfährt man zunächst,
daß er nichts zu sagen weiß. Er schweigt und behauptet, daß ihm nichts
einfallen will. Das ist natürlich nichts anderes als die Wiederholung
einer homosexuellen Einstellung, die sich als Widerstand gegen jedes
Erinnern vordrängt. Solange er in Behandlung verbleibt, wird er
von diesem Zwang zur Wiederholung nicht mehr frei; man versteht
endlich, dies ist seine Art zu erinnern.Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungszwanges
zur Übertragung und zum Widerstande in erster Linie interessieren. Wir
merken bald, die Übertragung ist selbst nur ein Stück Wiederholung
und die Wiederholung ist die Übertragung der vergessenen Vergangenheit
nicht nur auf den Arzt, sondern auch auf alle anderen Gebiete der
gegenwärtigen Situation. Wir müssen also darauf gefaßt sein, daß derS.
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Analysierte sich dem Zwange zur Wiederholung, der nun den Impuls zur
Erinnerung ersetzt, nicht nur im persönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt,
sondern auch in allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und Beziehungen
seines Lebens, z. B. wenn er während der Kur ein Liebesobjekt wählt,
eine Aufgabe auf sich nimmt, eine Unternehmung eingeht. Auch der
Anteil des Widerstandes ist leicht zu erkennen. Je größer der Widerstand
ist, desto ausgiebiger wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen)
ersetzt sein. Entspricht doch das ideale Erinnern des Vergessenen in der
Hypnose einem Zustande, in welchem der Widerstand völlig beiseite ge-
schoben ist. Beginnt die Kur unter der Patronanz einer milden und un-
ausgesprochenen positiven Übertragung, so gestattet sie zunächst ein
Vertiefen in die Erinnerung wie bei der Hypnose, während dessen selbst
die Krankheitssymptome schweigen; wird aber im weiteren Verlaufe diese
Übertragung feindselig oder überstark und darum verdrängungsbedürftig,
so tritt sofort das Erinnern dem Agieren den Platz ab. Von da an be-
stimmen dann die Widerstände die Reihenfolge des zu Wiederholenden.
Der Kranke holt aus dem Arsenal der Vergangenheit die Waffen hervor,
mit denen er sich der Fortsetzung der Kur erwehrt und die wir ihm
Stück für Stück entwinden müssen.Wir haben nun gehört, der Analysierte wiederholt, anstatt zu er-
innern, er wiederholt unter den Bedingungen des Widerstandes; wir
dürfen jetzt fragen, was wiederholt oder agiert er eigentlich? Die Antwort
lautet, er wiederholt alles, was sich aus den Quellen seines Verdrängten
bereits in seinem offenkundigen Wesen durchgesetzt hat, seine Hemmungen
und unbrauchbaren Einstellungen, seine pathologischen Charakterzüge.
Er wiederholt ja auch während der Behandlung alle seine Symptome.
Und nun können wir merken, daß wir mit der Hervorhebung des Zwanges
zur Wiederholung keine neue Tatsache, sondern nur eine einheitlichere
Auffassung gewonnen haben. Wir machen uns nun klar, daß das Krank-
sein des Analysierten nicht mit dem Beginne seiner Analyse aufhören
kann, daß wir seine Krankheit nicht als eine historische Angelegenheit,
sondern als eine aktuelle Macht zu behandeln haben. Stück für Stück
dieses Krankseins wird nun in den Horizont und in den Wirkungsbereich
der Kur gerückt, und während der Kranke es als etwas Reales und
Aktuelles erlebt, haben wir daran die therapeutische Arbeit zu leisten,
die zum guten Teile in der Zurückführung auf die Vergangenheit besteht.Das Erinnernlassen in der Hypnose mußte den Eindruck eines
Experiments im Laboratorium machen. Das Wiederholenlassen während
der analytischen Behandlung nach der neueren Technik heißt ein Stück
realen Lebens heraufbeschwören und kann darum nicht in allen Fällen
harmlos und unbedenklich sein. Das ganze Problem der oft unaus-
weichlichen „Verschlimmerung während der Kur“ schließt hier an.S.
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Vor allem bringt es schon die Einleitung der Behandlung mit sich,
daß der Kranke seine bewußte Einstellung zur Krankheit ändere. Er hat
sich gewöhnlich damit begnügt, sie zu bejammern, sie als Unsinn zu
verachten, in ihrer Bedeutung zu unterschätzen, hat aber sonst das ver-
drängende Verhalten, die Vogel Straußpolitik, die er gegen ihre Ursprünge
übte, auf ihre Äußerungen fortgesetzt. So kann es kommen, daß er die
Bedingungen seiner Phobie nicht ordentlich kennt, den richtigen Wortlaut
seiner Zwangsideen nicht anhört oder die eigentliche Absicht seines
Zwangsimpulses nicht erfaßt. Das kann die Kur natürlich nicht brauchen.
Er muß den Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit den Erscheinungen
seiner Krankheit zu beschäftigen. Die Krankheit selbst darf ihm nichts
Verächtliches mehr sein, vielmehr ein würdiger Gegner werden, ein Stück
seines Wesens, das sich auf gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles
für sein späteres Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem Ver-
drängten, welches sich in den Symptomen äußert, wird so von Anfang
an vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse Toleranz fürs Kranksein
eingeräumt. Werden nun durch dies neue Verhältnis zur Krankheit Konflikte
verschärft und Symptome hervorgedrängt, die früher noch undeutlich
waren, so kann man den Patienten darüber leicht durch die Bemerkungen
trösten, daß dies nur notwendige, aber vorübergehende Verschlechterungen
sind, und daß man keinen Feind umbringen kann, der abwesend oder
nicht nahe genug ist. Der Widerstand kann aber die Situation für seine
Absichten ausbeuten und die Erlaubnis, krank zu sein, mißbrauchen
wollen. Er scheint dann zu demonstrieren: Schau her, was dabei heraus-
kommt, wenn ich mich wirklich auf diese Dinge einlasse. Hab’ ich nicht
recht getan, sie der Verdrängung zu überlassen? Besonders jugendliche
und kindliche Personen pflegen die in der Kur erforderliche Einlenkung
auf das Kranksein gern zu einem Schwelgen in den Krankheits-
symptomen zu benützen.Weitere Gefahren entstehen dadurch, daß im Fortgange der Kur
auch neue, tieferliegende Triebregungen, die sich noch nicht durch-
gesetzt hatten, zur Wiederholung gelangen können. Endlich können die
Aktionen des Patienten außerhalb der Übertragung vorübergehende Lebens-
schädigungen mit sich bringen oder sogar so gewählt sein, daß sie die
zu erreichende Gesundheit dauernd entwerten.Die Taktik, welche der Arzt in dieser Situation einzuschlagen hat,
ist leicht zu rechtfertigen. Für ihn bleibt das Erinnern nach alter Manier,
das Reproduzieren auf psychischem Gebiete, das Ziel, an welchem er fest-
hält, wenn er auch weiß, daß es bei der neuen Technik nicht zu er-
reichen ist. Er richtet sich auf einen beständigen Kampf mit dem
Patienten ein, um alle Impulse auf psychischem Gebiete zurückzuhalten,
welche dieser ins Motorische lenken möchte, und feiert es als einen
Triumph der Kur, wenn es gelingt, etwas durch die ErinnerungsarbeitS.
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zu erledigen, was der Patient durch eine Aktion abführen möchte. Wenn
die Bindung durch die Übertragung eine irgend brauchbare geworden
ist, so bringt es die Behandlung zustande, den Kranken an allen be-
deutungsvolleren Wiederholungsaktionen zu hindern und den Vorsatz dazu
in statu nascendi als Material für die therapeutische Arbeit zu verwen-
den. Vor der Schädigung durch die Ausführung seiner Impulse behütet
man den Kranken am besten, wenn man ihn dazu verpflichtet, während
der Dauer der Kur keine lebenswichtigen Entscheidungen zu treffen, etwa
keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu wählen, sondern für alle
diese Absichten den Zeitpunkt der Genesung abzuwarten.Man schont dabei gern, was von der persönlichen Freiheit des
Analysierten mit diesen Vorsichten vereinbar ist, hindert ihn nicht an
der Durchsetzung belangloser, wenn auch törichter Absichten, und ver-
gißt nicht daran, daß der Mensch eigentlich nur durch Schaden und
eigene Erfahrung klug werden kann. Es gibt wohl auch Fälle, die man
nicht abhalten kann, sich während der Behandlung in irgendeine ganz
unzweckmäßige Unternehmung einzulassen, und die erst nachher mürbe
und für die analytische Bearbeitung zugänglich werden. Gelegentlich
muß es auch vorkommen, daß man nicht die Zeit hat, den wilden Trieben
den Zügel der Übertragung anzulegen, oder daß der Patient in einer
Wiederholungsaktion das Band zerreißt, das ihn an die Behandlung
knüpft. Ich kann als extremes Beispiel den Fall einer älteren Dame
wählen, die wiederholt in Dämmerzuständen ihr Haus und ihren Mann
verlassen hatte und irgendwohin geflüchtet war, ohne sich je eines
Motivs für dieses „Durchgehen“ bewußt zu werden. Sie kam mit einer
gut ausgebildeten zärtlichen Übertragung in meine Behandlung, steigerte
dieselbe in unheimlich rascher Weise in den ersten Tagen und war am Ende
einer Woche auch von mir „durchgegangen“, ehe ich noch Zeit gehabt hatte,
ihr etwas zu sagen, was sie an dieser Wiederholung hätte hindern können.Das Hauptmittel aber, den Wiederholungszwang des Patienten zu
bändigen und ihn zu einem Motiv fürs Erinnern umzuschaffen, liegt in
der Handhabung der Übertragung. Wir machen ihn unschädlich, ja
vielmehr nutzbar, indem wir ihm sein Recht einräumen, ihn auf einem
bestimmten Gebiet gewähren lassen. Wir eröffnen ihm die Übertragung
als den Tummelplatz, auf dem ihm gestattet wird, sich in fast völliger
Freiheit zu entfalten, und auferlegt ist, uns alles vorzuführen, was sich
an pathogenen Trieben im Seelenleben des Analysierten verborgen hat.
Wenn der Patient nur so viel Entgegenkommen zeigt, daß er die Existenz-
bedingungen der Behandlung respektiert, gelingt es uns regelmäßig, allen
Symptomen der Krankheit eine neue Übertragungsbedeutung zu geben,
seine gemeine Neurose durch eine Übertragungsneurose zu ersetzen, von
der er durch die therapeutische Arbeit geheilt werden kann. Die Über-
tragung schafft so ein Zwischenreich zwischen der Krankheit und demS.
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Leben, durch welches sich der Übergang von der ersteren zum letzteren
vollzieht. Der neue Zustand hat alle Charaktere der Krankheit über-
nommen, aber er stellt eine artifizielle Krankheit dar, die überall unseren
Eingriffen zugänglich ist. Er ist gleichzeitig ein Stück des realen
Erlebens, aber durch besonders günstige Bedingungen ermöglicht und
von der Natur eines Provisoriums. Von den Wiederholungsreaktionen, die
sich in der Übertragung zeigen, führen dann die bekannten Wege zur
Erweckung der Erinnerungen, die sich nach Überwindung der Widerstände
wie mühelos einstellen.Ich könnte hier abbrechen, wenn nicht die Überschrift dieses
Aufsatzes mich verpflichten würde, ein weiteres Stück der analytischen
Technik in die Darstellung zu ziehen. Die Überwindung der Wider-
stände wird bekanntlich dadurch eingeleitet, daß der Arzt den vom
Analysierten niemals erkannten Widerstand aufdeckt und ihn dem
Patienten mitteilt. Es scheint nun, daß Anfänger in der Analyse geneigt
sind, diese Einleitung für die ganze Arbeit zu halten. Ich bin oft in
Fällen zu Rate gezogen worden, in denen der Arzt darüber klagte, er
habe dem Kranken seinen Widerstand vorgestellt, und doch habe sich
nichts geändert, ja, der Widerstand sei erst recht erstarkt und die ganze
Situation noch undurchsichtiger geworden. Die Kur scheine nicht
weiter zu gehen. Diese trübe Erwartung erwies sich dann immer als
irrig. Die Kur war in der Regel im besten Fortgange; der Arzt hatte
nur vergessen, daß das Benennen des Widerstandes nicht das unmittel-
bare Aufhören desselben zur Folge haben kann. Man muß dem Kranken
die Zeit lassen, sich in den ihm nun bekannten Widerstand zu vertiefen,
ihn durchzuarbeiten, ihn zu überwinden, indem er ihm zum Trotze
die Arbeit nach der analytischen Grundregel fortsetzt. Erst auf der Höhe
desselben findet man dann in gemeinsamer Arbeit mit dem Analysierten
die verdrängten Triebregungen auf, welche den Widerstand speisen, und
von deren Existenz und Mächtigkeit sich der Patient durch solches
Erleben überzeugt. Der Arzt hat dabei nichts anderes zu tun, als zuzu-
warten und einen Ablauf zuzulassen, der nicht vermieden, auch nicht
immer beschleunigt werden kann. Hält er an dieser Einsicht fest, so
wird er sich oftmals die Täuschung, gescheitert zu sein, ersparen, wo er
doch die Behandlung längs der richtigen Linie fortführt.Dieses Durcharbeiten der Widerstände mag in der Praxis zu einer
beschwerlichen Aufgabe für den Analysierten und zu einer Geduldprobe
für den Arzt werden. Es ist aber jenes Stück der Arbeit, welches die
größte verändernde Einwirkung auf den Patienten hat, und das die
analytische Behandlung von jeder Suggestionsbeeinflussung unterscheidet.
Theoretisch kann man es dem „Abreagieren“ der durch die Verdrängung
eingeklemmten Affektbeträge gleichstellen, ohne welches die hypnotische
Behandlung einflußlos blieb.S.
Db3055-VS-26
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