Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten 1914-006/1925
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    ERINNERN, WIEDERHOLEN UND
    DURCHARBEITEN

    Erschien zuerst in  der „Intern. Zeitschr. für 
    ärztliche Psychoanalyse“, Bd. II, (1914), dann in 
    der Vierten Folge der „Sammlung kleiner Schriften 
    zur Neurosenlehre“, gemeinsam mit der vorher-
    gehenden und der folgenden Arbeit unter dem Ober-
    titel „Weitere Ratschläge zur Technik der Psycho-
    analyse“.

    Es scheint mir nicht überflüssig, den Lernenden immer wieder 
    daran zu mahnen, welche tiefgreifenden Veränderungen die 
    psychoanalytische Technik seit ihren ersten Anfängen erfahren 
    hat. Zuerst, in der Phase der Breuerschen Katharsis, die 
    direkte Einstellung des Moments der Symptombildung und das 
    konsequent festgehaltene Bemühen, die psychischen Vorgänge 
    jener Situation reproduzieren zu lassen, um sie zu einem Ablauf 
    durch bewußte Tätigkeit zu leiten. Erinnern und Abreagieren 
    waren damals die mit Hilfe des hypnotischen Zustandes zu 
    erreichenden Ziele. Sodann, nach dem Verzicht auf die Hypnose, 
    drängte sich die Aufgabe vor, aus den freien Einfällen des Ana-
    lysierten zu erraten, was er zu erinnern versagte. Durch die 
    Deutungsarbeit und die Mitteilung ihrer Ergebnisse an den 
    Kranken sollte der Widerstand umgangen werden; die Einstellung 
    auf die Situationen der Symptombildung und jene anderen, die 
    sich hinter dem Momente der Erkrankung ergaben, blieb erhalten, 
    das Abreagieren trat zurück und schien durch den Arbeitsaufwand 
    ersetzt, den der Analysierte bei der ihm aufgedrängten Überwindung 

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    der Kritik gegen seine Einfälle (bei der Befolgung der 
    ψα Grundregel) zu leisten hatte. Endlich hat sich die konsequente 
    heutige Technik herausgebildet, bei welcher der Arzt auf die 
    Einstellung eines bestimmten Moments oder Problems verzichtet, 
    sich damit begnügt, die jeweilige psychische Oberfläche des Ana-
    lysierten zu studieren, und die Deutungskunst wesentlich dazu 
    benützt, um die an dieser hervortretenden Widerstände zu erkennen 
    und dem Kranken bewußtzumachen. Es stellt sich dann eine 
    neue Art von Arbeitsteilung her: Der Arzt deckt die dem Kranken 
    unbekannten Widerstände auf; sind diese erst bewältigt, so erzählt 
    der Kranke oft ohne alle Mühe die vergessenen Situationen und 
    Zusammenhänge. Das Ziel dieser Techniken ist natürlich unver-
    ändert geblieben. Deskriptiv: die Ausfüllung der Lücken der 
    Erinnerung, dynamisch: die Überwindung der Verdrängungs-
    widerstände.

    Man muß der alten hypnotischen Technik dankbar dafür 
    bleiben, daß sie uns einzelne psychische Vorgänge der Analyse 
    in Isolierung und Schematisierung vorgeführt hat. Nur dadurch 
    konnten wir den Mut gewinnen, komplizierte Situationen in 
    der analytischen Kur selbst zu schaffen und durchsichtig zu 
    erhalten.

    Das Erinnern gestaltete sich nun in jenen hypnotischen 
    Behandlungen sehr einfach. Der Patient versetzte sich in eine 
    frühere Situation, die er mit der gegenwärtigen niemals zu ver-
    wechseln schien, teilte die psychischen Vorgänge derselben mit, 
    soweit sie normal geblieben waren, und fügte daran, was sich 
    durch die Umsetzung der damals unbewußten Vorgänge in 
    bewußte ergeben konnte.

    Ich schließe hier einige Bemerkungen an, die jeder Analytiker 
    in seiner Erfahrung bestätigt gefunden hat. Das Vergessen von 
    Eindrücken, Szenen, Erlebnissen reduziert sich zumeist auf eine 
    Absperrung“ derselben. Wenn der Patient von diesem „Ver-
    gessenen“ spricht, versäumt er selten hinzuzufügen: das habe ich 

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    eigentlich immer gewußt, nur nicht daran gedacht. Er äußert 
    nicht selten seine Enttäuschung darüber, daß ihm nicht genug 
    Dinge einfallen wollen, die er als „vergessen“ anerkennen kann, 
    an die er nie wieder gedacht, seitdem sie vorgefallen sind. Indes 
    findet auch diese Sehnsucht, zumal bei Konversionshysterien, ihre 
    Befriedigung. Das „Vergessen“ erfährt eine weitere Einschränkung 
    durch die Würdigung der so allgemein vorhandenen Deck-
    erinnerungen. In manchen Fällen habe ich den Eindruck emp-
    fangen, daß die bekannte, für uns theoretisch so bedeutsame 
    Kindheitsamnesie durch die Deckerinnerungen vollkommen auf-
    gewogen wird. In diesen ist nicht nur einiges Wesentliche aus 
    dem Kindheitsleben erhalten, sondern eigentlich alles Wesentliche. 
    Man muß nur verstehen, es durch die Analyse aus ihnen 
    zu entwickeln. Sie repräsentieren die vergessenen Kinderjahre 
    so zureichend wie der manifeste Trauminhalt die Traum-
    gedanken.

    Die andere Gruppe von psychischen Vorgängen, die man als 
    rein interne Akte den Eindrücken und Ergebnissen entgegenstellen 
    kann, Phantasien, Beziehungsvorgänge, Gefühlsregungen, Zusammen-
    hänge, muß in ihrem Verhältnis zum Vergessen und Erinnern 
    gesondert betrachtet werden. Hier ereignet es sich besonders 
    häufig, daß etwas „erinnert“ wird, was nie „vergessen“ werden 
    konnte, weil es zu keiner Zeit gemerkt wurde, niemals bewußt 
    war, und es scheint überdies völlig gleichgültig für den 
    psychischen Ablauf, ob ein solcher „Zusammenhang“ bewußt war 
    und dann vergessen wurde oder ob er es niemals zum Bewußt-
    sein gebracht hat. Die Überzeugung, die der Kranke im Laufe 
    der Analyse erwirbt, ist von einer solchen Erinnerung ganz 
    unabhängig.

    Besonders bei den mannigfachen Formen der Zwangsneurose
    schränkt sich das Vergessene meist auf die Auflösung von
    Zusammenhängen, Verkennung von Abfolgen, Isolierung von
    Erinnerungen ein.

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    Für eine besondere Art von überaus wichtigen Erlebnissen, die 
    in sehr frühe Zeiten der Kindheit fallen und seinerzeit ohne 
    Verständnis erlebt worden sind, nachträglich aber Verständnis 
    und Deutung gefunden haben, läßt sich eine Erinnerung meist 
    nicht erwecken. Man gelangt durch Träume zu ihrer Kenntnis 
    und wird durch die zwingendsten Motive aus dem Gefüge der 
    Neurose genötigt, an sie zu glauben, kann sich auch überzeugen, 
    daß der Analysierte nach Überwindung seiner Widerstände das 
    Ausbleiben des Erinnerungsgefühles (Bekanntschaftsempfindung) 
    nicht gegen deren Annahme verwertet. Immerhin erfordert dieser 
    Gegenstand so viel kritische Vorsicht und bringt so viel Neues 
    und Befremdendes, daß ich ihn einer gesonderten Behandlung an 
    geeignetem Materiale vorbehalte.

    Von diesem erfreulich glatten Ablauf ist nun bei Anwendung 
    der neuen Technik sehr wenig, oft nichts übriggeblieben. Es 
    kommen auch hier Fälle vor, die sich ein Stück weit verhalten 
    wie bei der hypnotischen Technik und erst später versagen; 
    andere Fälle benehmen sich aber von vornherein anders. Halten 
    wir uns zur Kennzeichnung des Unterschiedes an den letzteren 
    Typus, so dürfen wir sagen, der Analysierte erinnere über-
    haupt nichts von dem Vergessenen und Verdrängten, sondern er 
    agiere es. Er reproduziert es nicht als Erinnerung, sondern als 
    Tat, er wiederholt es, ohne natürlich zu wissen, daß er es 
    wiederholt.

    Zum Beispiel: Der Analysierte erzählt nicht, er erinnere sich, 
    daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern 
    gewesen sei, sondern er benimmt sich in solcher Weise gegen 
    den Arzt. Er erinnert nicht, daß er in seiner infantilen Sexual-
    forschung rat- und hilflos steckengeblieben ist, sondern er bringt 
    einen Haufen verworrener Träume und Einfälle vor, jammert, 
    daß ihm nichts gelinge, und stellt es als sein Schicksal hin, 
    niemals eine Unternehmung zu Ende zu führen. Er erinnert 
    nicht, daß er sich gewisser Sexualbetätigungen intensiv geschämt 

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    und ihre Entdeckung gefürchtet hat, sondern er zeigt, daß er 
    sich der Behandlung schämt, der er sich jetzt unterzogen hat, 
    und sucht diese vor allen geheimzuhalten usw.

    Vor allem beginnt er die Kur mit einer solchen Wiederholung. 
    Oft, wenn man einem Patienten mit wechselvoller Lebens-
    geschichte und langer Krankheitsgeschichte die psychoanalytische 
    Grundregel mitgeteilt und ihn dann aufgefordert hat zu sagen, 
    was ihm einfalle, und nun erwartet, daß sich seine Mitteilungen 
    im Strom ergießen werden, erfährt man zunächst, daß er nichts 
    zu sagen weiß. Er schweigt und behauptet, daß ihm nichts ein-
    fallen will. Das ist natürlich nichts anderes als die Wiederholung 
    einer homosexuellen Einstellung, die sich als Widerstand gegen 
    jedes Erinnern vordrängt. Solange er in Behandlung verbleibt, 
    wird er von diesem Zwange zur Wiederholung nicht mehr frei; 
    man versteht endlich, dies ist seine Art zu erinnern.

    Natürlich wird uns das Verhältnis dieses Wiederholungszwanges 
    zur Übertragung und zum Widerstande in erster Linie inter-
    essieren. Wir merken bald, die Übertragung ist selbst nur 
    ein Stück Wiederholung und die Wiederholung ist die Übertragung 
    der vergessenen Vergangenheit nicht nur auf den Arzt, sondern 
    auch auf alle anderen Gebiete der gegenwärtigen Situation. Wir 
    müssen also darauf gefaßt sein, daß der Analysierte sich dem 
    Zwange zur Wiederholung, der nun den Impuls zur Erinnerung 
    ersetzt, nicht nur im persönlichen Verhältnis zum Arzte hingibt, 
    sondern auch in allen anderen gleichzeitigen Tätigkeiten und 
    Beziehungen seines Lebens, zum Beispiel wenn er während der 
    Kur ein Liebesobjekt wählt, eine Aufgabe auf sich nimmt, eine 
    Unternehmung eingeht. Auch der Anteil des Widerstandes ist 
    leicht zu erkennen. Je größer der Widerstand ist, desto aus-
    giebiger wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) 
    ersetzt sein. Entspricht doch das ideale Erinnern des Vergessenen 
    in der Hypnose einem Zustande, in welchem der Widerstand 
    völlig beiseite geschoben ist. Beginnt die Kur unter der 

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    Patronanz einer milden und unausgesprochenen positiven Über-
    tragung, so gestattet sie zunächst ein Vertiefen in die Erinnerung 
    wie bei der Hypnose, während dessen selbst die Krankheits-
    symptome schweigen; wird aber im weiteren Verlaufe diese 
    Übertragung feindselig oder überstark und darum verdrängungs-
    bedürftig, so tritt sofort das Erinnern dem Agieren den Platz ab. 
    Von da an bestimmen dann die Widerstände die Reihenfolge des 
    zu Wiederholenden. Der Kranke holt aus dem Arsenale der Ver-
    gangenheit die Waffen hervor, mit denen er sich der Fortsetzung 
    der Kur erwehrt, und die wir ihm Stück für Stück entwinden 
    müssen. 

    Wir haben nun gehört, der Analysierte wiederholt, anstatt zu 
    erinnern, er wiederholt unter den Bedingungen des Widerstandes; 
    wir dürfen jetzt fragen, was wiederholt oder agiert er eigentlich? 
    Die Antwort lautet, er wiederholt alles, was sich aus den Quellen 
    seines Verdrängten bereits in seinem offenkundigen Wesen durch-
    gesetzt hat, seine Hemmungen und unbrauchbaren Einstellungen, 
    seine pathologischen Charakterzüge. Er wiederholt ja auch 
    während der Behandlung alle seine Symptome. Und nun können 
    wir merken, daß wir mit der Hervorhebung des Zwanges zur 
    Wiederholung keine neue Tatsache, sondern nur eine einheitlichere 
    Auffassung gewonnen haben. Wir machen uns nun klar, daß das 
    Kranksein des Analysierten nicht mit dem Beginne seiner Analyse 
    aufhören kann, daß wir seine Krankheit nicht als eine histor-
    ische Angelegenheit, sondern als eine aktuelle Macht zu behandeln 
    haben. Stück für Stück dieses Krankseins wird nun in den 
    Horizont und in den Wirkungsbereich der Kur gerückt, und 
    während der Kranke es als etwas Reales und Aktuelles erlebt, 
    haben wir daran die therapeutische Arbeit zu leisten, die zum 
    guten Teile in der Zurückführung auf die Vergangenheit besteht.

    Das Erinnernlassen in der Hypnose mußte den Eindruck eines 
    Experiments im Laboratorium machen. Das Wiederholenlassen 
    während der analytischen Behandlung nach der neueren Technik

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    heißt ein Stück realen Lebens heraufbeschwören und kann darum 
    nicht in allen Fällen harmlos und unbedenklich sein. Das ganze 
    Problem der oft unausweichlichen „Verschlimmerung während 
    der Kur“ schließt hier an.

    Vor allem bringt es schon die Einleitung der Behandlung mit 
    sich, daß der Kranke seine bewußte Einstellung zur Krankheit 
    ändere. Er hat sich gewöhnlich damit begnügt, sie zu bejammern, 
    sie als Unsinn zu verachten, in ihrer Bedeutung zu unterschätzen, 
    hat aber sonst das verdrängende Verhalten, die Vogel-Strauß-Politik, 
    die er gegen ihre Ursprünge übte, auf ihre Äußerungen fort-
    gesetzt. So kann es kommen, daß er die Bedingungen seiner 
    Phobie nicht ordentlich kennt, den richtigen Wortlaut seiner 
    Zwangsideen nicht anhört oder die eigentliche Absicht seines 
    Zwangsimpulses nicht erfaßt. Das kann die Kur natürlich nicht 
    brauchen. Er muß den Mut erwerben, seine Aufmerksamkeit mit 
    den Erscheinungen seiner Krankheit zu beschäftigen. Die Krank-
    heit selbst darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, vielmehr 
    ein würdiger Gegner werden, ein Stück seines Wesens, das sich 
    auf gute Motive stützt, aus dem es Wertvolles für sein späteres 
    Leben zu holen gilt. Die Versöhnung mit dem Verdrängten, 
    welches sich in den Symptomen äußert, wird so von Anfang an 
    vorbereitet, aber es wird auch eine gewisse Toleranz fürs Krank-
    sein eingeräumt. Werden nun durch dies neue Verhältnis zur 
    Krankheit Konflikte verschärft und Symptome hervorgedrängt, die 
    früher noch undeutlich waren, so kann man den Patienten dar-
    über leicht durch die Bemerkung trösten, daß dies nur not-
    wendige, aber vorübergehende Verschlechterungen sind, und daß 
    man keinen Feind umbringen kann, der abwesend oder nicht 
    nahe genug ist. Der Widerstand kann aber die Situation für 
    seine Absichten ausbeuten und die Erlaubnis, krank zu sein, 
    mißbrauchen wollen. Er scheint dann zu demonstrieren: Schau 
    her, was dabei herauskommt, wenn ich mich wirklich auf diese 
    Dinge einlasse. Hab' ich nicht recht getan, sie der Verdrängung 

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    zu überlassen? Besonders jugendliche und kindliche Personen 
    pflegen die in der Kur erforderliche Einlenkung auf das Krank-
    sein gern zu einem Schwelgen in den Krankheitssymptomen zu 
    benützen.

    Weitere Gefahren entstehen dadurch, daß im Fortgange der 
    Kur auch neue, tiefer liegende Triebregungen, die sich noch 
    nicht durchgesetzt hatten, zur Wiederholung gelangen können. 
    Endlich können die Aktionen des Patienten außerhalb der Über-
    tragung vorübergehende Lebensschädigungen mit sich bringen 
    oder sogar so gewählt sein, daß sie die zu erreichende Gesund-
    heit dauernd entwerten.

    Die Taktik, welche der Arzt in dieser Situation einzuschlagen 
    hat, ist leicht zu rechtfertigen. Für ihn bleibt das Erinnern 
    nach alter Manier, das Reproduzieren auf psychischem Gebiete, 
    das Ziel, an welchem er festhält, wenn er auch weiß, daß es 
    bei der neuen Technik nicht zu erreichen ist. Er richtet sich 
    auf einen beständigen Kampf mit dem Patienten ein, um alle 
    Impulse auf psychischem Gebiete zurückzuhalten, welche dieser 
    aufs Motorische lenken möchte, und feiert es als einen Triumph 
    der Kur, wenn es gelingt, etwas durch die Erinnerungsarbeit zu 
    erledigen, was der Patient durch eine Aktion abführen möchte. 
    Wenn die Bindung durch die Übertragung eine irgend brauch-
    bare geworden ist, so bringt es die Behandlung zustande, den 
    Kranken an allen bedeutungsvolleren Wiederholungsaktionen zu 
    hindern und den Vorsatz dazu in statu nascendi als Material für 
    die therapeutische Arbeit zu verwenden. Vor der Schädigung 
    durch die Ausführung seiner Impulse behütet man den Kranken 
    am besten, wenn man ihn dazu verpflichtet, während der Dauer 
    der Kur keine lebenswichtigen Entscheidungen zu treffen, etwa 
    keinen Beruf, kein definitives Liebesobjekt zu wählen, sondern 
    für alle diese Absichten den Zeitpunkt der Genesung abzuwarten.

    Man schont dabei gern, was von der persönlichen Freiheit 
    des Analysierten mit diesen Vorsichten vereinbar ist, hindert ihn 

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    nicht an der Durchsetzung belangloser, wenn auch törichter 
    Absichten und vergißt nicht daran, daß der Mensch eigentlich 
    nur durch Schaden und eigene Erfahrung klug werden kann. 
    Es gibt wohl auch Fälle, die man nicht abhalten kann, sich 
    während der Behandlung in irgendeine ganz unzweckmäßige 
    Unternehmung einzulassen, und die erst nachher mürbe und für 
    die analytische Bearbeitung zugänglich werden. Gelegentlich muß 
    es auch vorkommen, daß man nicht die Zeit hat, den wilden 
    Trieben den Zügel der Übertragung anzulegen, oder daß der 
    Patient in einer Wiederholungsaktion das Band zerreißt, das ihn 
    an die Behandlung knüpft. Ich kann als extremes Beispiel den 
    Fall einer älteren Dame wählen, die wiederholt in Dämmer-
    zuständen ihr Haus und ihren Mann verlassen hatte und irgend-
    wohin geflüchtet war, ohne sich je eines Motives für dieses 
    »Durchgehen« bewußt zu werden. Sie kam mit einer gut aus-
    gebildeten zärtlichen Übertragung in meine Behandlung, steigerte 
    dieselbe in unheimlich rascher Weise in den ersten Tagen und 
    war am Ende einer Woche auch von mir »durchgegangen«, ehe 
    ich noch Zeit gehabt hatte, ihr etwas zu sagen, was sie an dieser 
    Wiederholung hätte hindern können.

    Das Hauptmittel aber, den Wiederholungszwang des Patienten 
    zu bändigen und ihn zu einem Motiv fürs Erinnern umzu-
    schaffen, liegt in der Handhabung der Übertragung. Wir machen 
    ihn unschädlich, ja vielmehr nutzbar, indem wir ihm sein Recht 
    einräumen, ihn auf einem bestimmten Gebiete gewähren lassen. 
    Wir eröffnen ihm die Übertragung als den Tummelplatz, auf 
    dem ihm gestattet wird, sich in fast völliger Freiheit zu ent-
    falten, und auferlegt ist, uns alles vorzuführen, was sich an patho-
    genen Trieben im Seelenleben des Analysierten verborgen hat. 
    Wenn der Patient nur so viel Entgegenkommen zeigt, daß er 
    die Existenzbedingungen der Behandlung respektiert, gelingt es 
    uns regelmäßig, allen Symptomen der Krankheit eine neue Über-
    tragungsbedeutung zu geben, seine gemeine Neurose durch 

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    eine Übertragungsneurose zu ersetzen, von der er durch die 
    therapeutische Arbeit geheilt werden kann. Die Übertragung 
    schafft so ein Zwischenreich zwischen der Krankheit und dem 
    Leben, durch welches sich der Übergang von der ersteren zum 
    letzteren vollzieht. Der neue Zustand hat alle Charaktere der 
    Krankheit übernommen, aber er stellt eine artifizielle Krankheit 
    dar, die überall unseren Eingriffen zugänglich ist. Er ist gleich-
    zeitig ein Stück des realen Erlebens, aber durch besonders 
    günstige Bedingungen ermöglicht und von der Natur eines 
    Provisoriums. Von den Wiederholungsreaktionen, die sich in der 
    Übertragung zeigen, führen dann die bekannten Wege zur 
    Erweckung der Erinnerungen, die sich nach Überwindung der 
    Widerstände wie mühelos einstellen.

    Ich könnte hier abbrechen, wenn nicht die Überschrift dieses
    Aufsatzes mich verpflichten würde, ein weiteres Stück der analy-
    tischen Technik in die Darstellung zu ziehen. Die Überwindung
    der Widerstände wird bekanntlich dadurch eingeleitet, daß der
    Arzt den vom Analysierten niemals erkannten Widerstand auf-
    deckt und ihn dem Patienten mitteilt. Es scheint nun, daß
    Anfänger in der Analyse geneigt sind, diese Einleitung für die
    ganze Arbeit zu halten. Ich bin oft in Fällen zu Rate gezogen
    werden, in denen der Arzt darüber klagte, er habe dem Kranken
    seinen Widerstand vorgestellt, und doch habe sich nichts geändert,
    ja der Widerstand sei erst recht erstarkt und die ganze Situation
    sei noch undurchsichtiger geworden. Die Kur scheine nicht
    weiter zu gehen. Diese Lrübe Erwartung erwies sich dann immer
    als irrig. Die Kur war in der Regel im besten Fortgange; der
    Arzt hatte nur vergessen, daß das Benennen des Widerstandes
    nicht das unmittelbare Aufhören desselben zur Folge haben kann.
    Man muß dem Kranken die Zeit lassen, sich in den ihm unbe-
    kannten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, ihn
    zu überwinden, indem er ihm zum Trotze die Arbeit nach der
    analytischen Grundregel fortsetzt. Erst auf der Höhe desselben

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    findet man dann in gemeinsamer Arbeit mit dem Analysierten 
    die verdrängten Triebregungen auf, welche den Widerstand speisen 
    und von deren Existenz und Mächtigkeit sich der Patient durch 
    solches Erleben überzeugt. Der Arzt hat dabei nichts anderes 
    zu tun, als zuzuwarten und einen Ablauf zuzulassen, der nicht 
    vermieden, auch nicht immer beschleunigt werden kann. Hält er 
    an dieser Einsicht fest, so wird er sich oftmals die Täuschung, 
    gescheitert zu sein, ersparen, wo er doch die Behandlung längs 
    der richtigen Linie fortführt.

    Dieses Durcharbeiten der Widerstände mag in der Praxis zu 
    einer beschwerlichen Aufgabe für den Analysierten und zu einer 
    Geduldsprobe für den Arzt werden. Es ist aber jenes Stück der 
    Arbeit, welches die größte verändernde Einwirkung auf den 
    Patienten hat und das die analytische Behandlung von jeder 
    Suggestionsbeeinflussung unterscheidet. Theoretisch kann man es 
    dem „Abreagieren“ der durch die Verdrängung eingeklemmten 
    Affektbeträge gleichstellen, ohne welches die hypnotische Behand-
    lung einflußlos blieb.