Ernest Jones zum 50. Geburtstag 1929-051/1934
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    Ernest Jones zum 50. Geburtstag

    Zuerst veröffentlicht in „Internationale Zeitschrift 
    für Psychoanalyse“, Bd. XV, 1929 (Festnummer für 
    Ernest Jones).

    Der Psychoanalyse fiel als erste Aufgabe zu, jene Triebregungen aufzu-
    decken, die allen heute lebenden Menschen gemeinsam sind, ja die die heute
    Lebenden mit den Menschen der Vorzeit und der Urzeit gemeinsam haben.
    Es kostete sie also keine Anstrengung, sich über die Verschiedenheiten
    hinauszusetzen, die durch die Mehrheit der Rassen, der Sprachen, der Länder
    unter den Bewohnern der Erde hervorgerufen wurden. Sie war von Anfang
    an international, und es ist bekannt, daß ihre Anhänger eher als alle
    anderen die trennenden Einwirkungen des großen Krieges überwunden
    haben.

    Unter den Männern, die sich im Frühjahr 1908 in Salzburg zum ersten
    psychoanalytischen Kongreß zusammenfanden, tat sich ein junger englischer
    Arzt hervor, der einen kleinen Aufsatz „Rationalisation in Everyday Life
    zur Verlesung brachte. Der Inhalt dieser Erstlingsarbeit ist noch heute auf-
    recht; unsere junge Wissenschaft war durch sie um einen wichtigen Begriff
    und einen unentbehrlichen Terminus bereichert worden.

    Von da an hat Ernest Jones nicht mehr gerastet. Zuerst in seiner Stellung
    als Professor in Toronto, dann als Arzt in London, als Gründer und Lehrer
    einer Ortsgruppe, als Leiter eines Verlags, Herausgeber einer Zeitschrift,
    Haupt eines Lehrinstituts hat er unermüdlich für die Psychoanalyse gewirkt,
    durch öffentliche Vorträge ihren jeweiligen Besitzstand zur allgemeinen
    Kenntnis gebracht, durch glänzende, strenge, aber gerechte Kritiken sie gegen
    Angriffe und Mißverständnisse ihrer Gegner verteidigt, mit Geschick und
    Mäßigung ihre schwierige Stellung in England gegen die Ansprüche der
    Profession behauptet und bei all dieser nach außen gerichteten Tätigkeit 

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    in treuer Mitarbeiterschaft an der Entwicklung der Psychoanalyse auf dem 
    Kontinent jene wissenschaftliche Leistung vollbracht, von der – unter
    anderem – seine „Papers on Psycho-analysis“ und „Essays in Applied 
    Psycho-Analysis“ Zeugnis ablegen. Jetzt, auf der Höhe des Lebens, ist er
    nicht nur als der unbestritten führende Mann unter den Analytikern des
    englischen Sprachgebiets, sondern auch als einer der hervorragendsten
    Vertreter der Psychoanalyse überhaupt anerkannt, eine Stütze seiner Freunde
    und noch immer eine Zukunftshoffnung unserer Wissenschaft.

    Wenn der Herausgeber dieser Zeitschrift das Schweigen, zu dem ihn
    sein Alter verurteilt – oder berechtigt, durchbrochen hat, um den Freund
    zu begrüßen, so sei ihm gestattet, nicht mit einem Wunsch zu schließen, –
    wir glauben nicht an die Allmacht der Gedanken, – sondern mit dem
    Geständnis, daß er sich Ernest Jones auch nach seinem 50. Geburtstag nicht
    anders denken kann als vorher: eifrig und tatkräftig, streitbar und der
    Sache ergeben.