Fetischismus 1927-003/1931
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    Helene Deutsch (Psychoanalyse der weiblichen Sexualfunk-
    tionen, Neue Arb. 2. årztl. PsA., Nr. М) findet sich vieles, was
    nahe an meine Darstellung rührt, nichts, was sich ganz mit
    ihr deckt, so daß ich diese Veröffentlichung auch in dieser
    Hinsicht rechtfertigen möchte.

    FETISCHISMUS
    (1927)

    In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, eine Anzahl von
    Männern, deren Objektwahl von einem Fetisch beherrscht war,
    analytisch zu studieren. Man braucht nicht zu erwarten, daß
    diese Personen des Fetisch wegen die Analyse aufgesucht hatten,
    denn der Fetisch wird wohl von seinen Anhängern als eine
    Abnormität erkannt, aber nur selten als ein Leidenssymptom
    empfunden; meist sind sie mit ihm recht zufrieden oder loben
    sogar die Erleichterungen, die er ihrem Liebesleben bietet. Der
    Fetisch spielte also in der Regel die Rolle eines Nebenbefundes.

    Die Einzelheiten dieser Fälle entziehen sich aus nahe-
    liegenden Gründen der Veröffentlichung. Ich kann darum auch
    nicht zeigen, in welcher Weise zufällige Umstände zur Aus-
    wahl des Fetisch beigetragen haben. Am merkwürdigsten er-
    schien ein Fall, in dem ein junger Mann einen gewissen „Glanz
    auf der Nase" zur fetischistischen Bedingung erhoben hatte.
    Das fand seine überraschende Aufklärung durch die Tatsache,
    daß der Patient eine englische Kinderstube gehabt hatte, dann
    aber nach Deutschland gekommen war, wo er seine Mutter-
    sprache fast vollkommen vergaß. Der aus den ersten Kinder-
    zeiten stammende Fetisch war nicht deutsch, sondern englisch
    zu lesen, der „Glanz auf der Nase“ war eigentlich ein „Blick
    auf die Nase“ (glance — Blick), die Nase war also der Fetisch,
    dem er übrigens nach seinem Belieben jenes besondere Glanz-
    licht verlieh, das andere nicht wahrnehmen konnten.

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    Die Auskunft, welche die Analyse iiber Sinn und Absicht des
    Fetisch gab, war in allen Fällen die nåmliche. Sie ergab sich
    so ungezwungen und erschien mir so zwingend, daß ich bereit
    bin, dieselbe Lösung allgemein fiir alle Fille von Fetischismus
    zu erwarten. Wenn ich nun mitteile, der Fetisch ist ein Penis-
    ersatz, so werde ich gewiß Enttäuschung hervorrufen. Ich
    beeile mich darum hinzuzufügen, nicht der Ersatz eines be-
    liebigen, sondern eines bestimmten, ganz besonderen Penis, der
    in frühen Kinderjahren eine große Bedeutung hat, aber später
    verlorengeht. Das heißt: er sollte normalerweise aufgegeben
    werden, aber gerade der Fetisch ist dazu bestimmt, ihn vor
    dem Untergang zu behiiten. Um es klarer zu sagen, der Fetisch
    ist der Ersatz fiir den Phallus des Weibes (der Mutter), an
    den das Kniblein geglaubt hat und auf den es — wir wissen
    warum — nicht verzichten will.*

    Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert
    hat, die Tatsache seiner Wahrnehmung, daß das Weib keinen
    Penis besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht
    wahr sein, denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener
    Penisbesitz bedroht, und dagegen sträubt sich das Stück Nar-
    zißmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade dieses Organ
    ausgestattet hat. Eine ähnliche Panik wird vielleicht der Er-
    wachsene später erleben, wenn der Schrei ausgegeben wird,
    Thron und Altar sind in Gefahr, und sie wird zu ähnlich un-
    logischen Konsequenzen führen. Wenn ich nicht irre, würde
    Laforgue in diesem Falle sagen, der Knabe ,,skotomisiert
    die Wahrnehmung des Penismangels beim Weibe.? Ein neuer

    1) Diese Deutung ist bereits 1910 in meiner Schrift „Eine Kind-
    heitserinnerung des Leonardo da Vinci“ ohne Begründung mit-
    geteilt worden.

    2) Ich berichtige mich aber selbst, indem ich hinzufüge, daß ich
    die besten Gründe habe, anzunehmen, Laforgue würde dies
    überhaupt nicht sagen. Nach seinen eigenen Ausführungen ist
    „Skotomisation“ ein Terminus, der aus der Deskription der

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    Terminus ist dann berechtigt, wenn er einen neuen Tatbestand
    beschreibt oder heraushebt. Das liegt hier nicht vor; das älteste
    Stück unserer psychoanalytischen Terminologie, das Wort
    „Verdrängung“, bezicht sich bereits auf diesen pathologischen
    Vorgang. Will man in ihm das Schicksal der Vorstellung von
    dem des Affekts schärfer trennen, den Ausdruck ,,Verdrån-
    gung“ fiir den Affekt reservieren, so wire fiir das Schicksal der
    Vorstellung „Verleugnung” die richtige deutsche Bezeichnung.
    ヵ Skotomisation“ scheint mir besonders ungeeignet, denn es
    weckt die Idee, als wire die Wahrnehmung glatt weggewischt
    worden, so daß das Ergebnis dasselbe wire, wie wenn ein
    Gesichtseindruck auf den blinden Fleck der Netzhaut fiele. Aber
    unsere Situation zeigt im Gegenteil, daß die Wahrnehmung
    geblieben ist und daf cine sehr energische Aktion unternommen
    wurde, ihre Verleugnung aufrecht zu halten. Es ist nicht
    richtig, daß das Kind sich nach seiner Beobachtung am Weibe
    den Glauben an den Phallus des Weibes unverändert gerettet
    hat. Es hat ihn bewahrt, aber auch aufgegeben; im Konflikt
    zwischen dem Gewicht der unerwiinschten Wahrnehmung und
    der Stärke des Gegenwunsches ist es zu einem Kompromiß
    gekommen, wie es nur unter der Herrschaft der unbewußten
    Denkgesetze — der Primärvorgänge — möglich ist, Ja, das
    Weib hat im Psychischen dennoch einen Penis, aber dieser
    Penis ist nicht mehr dasselbe, das er früher war. Etwas anderes
    ist an seine Stelle getreten, ist sozusagen zu seinem Ersatz
    ernannt worden und ist nun der Erbe des Interesses, das sich
    dem früheren zugewendet hatte. Dies Interesse erfährt aber
    noch eine außerordentliche Steigerung, weil der Abscheu vor
    der Kastration sich in der Schaffung dieses Ersatzes ein Denk-

    Dementia praecox stammt, nicht durch die Übertragung psycho-
    analytischer Auffassung auf die Psychosen entstanden ist und auf
    die Vorgänge der Entwicklung und Neurosenbildung keine An-
    wendung hat. Die Darstellung im Text bemüht sich, diese Unver-
    träglichkeit deutlich zu machen.

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    mal gesetzt hat. Als stigma indelebile der stattgehabten Ver-
    dringung bleibt auch die Entfremdung gegen das wirkliche
    weibliche Genitale, die man bei keinem Fetischisten vermifit.
    Man überblickt jetzt, was der Fetisch leistet und wodurch er
    gehalten wird. Er bleibt das Zeichen des Triumphes über die
    Kastrationsdrohung und der Schutz gegen sie, er erspart es
    dem Fetischisten auch, ein Homosexueller zu werden, indem
    er dem Weib jenen Charakter verleiht, durch den es als
    Sexualobjekt erträglich wird. Im späteren Leben glaubt der
    Fetischist noch einen anderen Vorteil seines Genitalersatzes zu
    genießen. Der Fetisch wird von anderen nicht in seiner Be-
    deutung erkannt, darum auch nicht verweigert, er ist leicht zu-
    ginglich, die an ihn gebundene sexuelle Befriedigung ist be-
    quem zu haben. Um was andere Männer werben und sich
    mühen müssen, das macht dem Fetischisten keine Beschwerde.

    Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen Geni-
    tales bleibt wahrscheinlich keinem männlichen: Wesen erspart.
    Warum die einen infolge dieses Eindruckes homosexuell werden,
    die anderen ihn durch die Schöpfung eines Fetisch abwehren und
    die übergroße Mehrzahl ihn überwindet, das wissen wir freilich
    nicht zu erklären. Möglich, daß wir unter der Anzahl der
    zusammenwirkenden Bedingungen diejenigen noch nicht kennen,
    welche für die seltenen pathologischen Ausgänge maßgebend
    sind; im übrigen müssen wir zufrieden sein, wenn wir erklären
    können, was geschehen ist, und dürfen die Aufgabe, zu er-
    klären, warum etwas nicht geschehen ist, vorläufig von uns
    weisen.

    Es liegt nahe, zu erwarten, daß zum Ersatz des vermißten
    weiblichen Phallus solche Organe oder Objekte ‚gewählt
    werden, die auch sonst als Symbole den Penis vertreten. Das
    mag oft genug stattfinden, ist aber gewiß nicht entscheidend.
    Bei der Einsetzung des Fetisch scheint vielmehr ein Vorgang
    eingehalten zu werden, der an das Haltmachen der Erinnerung

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    bei traumatischer Amnesie gemahnt. Auch hier bleibt das Inter-
    esse wie unterwegs stehen, wird etwa der letzte Eindruck vor
    dem unheimlichen, traumatischen, als Fetisch festgehalten. So
    verdankt der Fuß oder Schuh seine Bevorzugung als Fetisch
    — oder ein Stück derselben — dem Umstand, daß die Neu-
    gierde des Knaben von unten, von den Beinen her nach dem
    weiblichen Genitale gespäht hat; Pelz und Samt fixieren — wie
    längst vermutet wurde — den Anblick der Genitalbehaarung,
    auf den der ersehnte des weiblichen Gliedes håtte folgen sollen;
    die so häufig zum Fetisch erkorenen Wäschestücke halten den
    Moment der Entkleidung fest, den letzten, in dem man das
    Weib noch fiir phallisch halten durfte. Ich will aber nicht
    behaupten, daf man die Determinierung des Fetisch jedesmal
    mit Sicherheit durchschaut. Die Untersuchung des Fetischismus
    ist all denen dringend zu empfehlen, die noch an der Existenz
    des Kastrationskomplexes zweifeln oder die meinen können,
    der Schreck vor dem weiblichen Genitale habe einen anderen
    Grund, leite sich z. B. von der supponierten Erinnerung an das
    Trauma der Geburt ab. Fiir mich hatte die Aufklirung des
    Fetisch noch ein anderes theoretisches Interesse.

    Ich habe kiirzlich auf rein spekulativem Wege den Satz
    gefunden, der wesentliche Unterschied zwischen Neurose und
    Psychose liege darin, daß bei ersterer das Ich im Dienste der
    Realität ein Stück des Es unterdriicke, während es sich bei der
    Psychose vom Es fortreifsen lasse, sich von einem Stück der
    Realität zu lösen; ich bin auch später noch einmal auf dasselbe
    Thema zurückgekommen.® Aber bald darauf bekam ich Anlaß,
    zu bedauern, daß ich mich so weit vorgewagt hatte. Aus der
    Analyse zweier junger Månner erfuhr ich, daf sie beide den
    Tod des geliebten Vaters im zweiten und im zehnten Jahr
    nicht zur Kenntnis genommen, ,skotomisiert" hatten 一 und

    3) »Neurose und Psychose“ (1924) und „Der Realitätsverlust bei
    Neurose und Psychose“ (1924). [In Ges. Schriften, Bd. V, bzw. VI.)

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    doch hatte keiner von beiden eine Psychose entwickelt. Da war
    also ein gewiß bedeutsames Stück der Realität vom Ich ver-
    leugnet worden, ähnlich wie beim Fetischisten die unliebsame
    Tatsache der Kastration des Weibes. Ich begann auch zu ahnen,
    daß analoge Vorkommnisse im Kinderleben keineswegs selten
    sind, und konnte mich des Irrtums in der Charakteristik von
    Neurose und Psychose für überführt halten. Es blieb zwar eine
    Auskunft offen; meine Formel brauchte sich erst bei einem
    höheren Grad von Differenzierung im psychischen Apparat zu
    bewähren; dem Kind konnte gestattet sein, was sich beim
    Erwachsenen durch schwere Schädigung strafen mußte. Aber
    weitere Untersuchungen führten zu einer anderen Lösung des
    Widerspruchs.

    Es stellte sich nämlich heraus, daß die beiden jungen Männer
    den Tod des Vaters ebensowenig ,,skotomisiert“ hatten wie
    die Fetischisten die Kastration des Weibes. Es war nur eine
    Strömung in ihrem Seelenleben, welche den Tod des Vaters
    nicht anerkannt hatte; es gab auch eine andere, die dieser Tat-
    sache vollkommen Rechnung trug; die wunschgerechte wie die
    realitätsgerechte Einstellung bestanden nebeneinander. Bei dem
    cinen meiner beiden Fille war diese Spaltung die Grundlage
    einer mittelschweren Zwangsneurose geworden; in allen Lebens-
    lagen schwankte er zwischen zwei Voraussetzungen, der einen,
    daß der Vater noch am Leben sei und seine Tätigkeit behindere,
    und der entgegengesetzten, daß er das Recht habe, sich als den
    Nachfolger des verstorbenen Vaters zu betrachten. Ich kann
    also die Erwartung festhalten, daß im Fall der Psychose die
    eine, die realitåtsgerechte Strömung, wirklich vermifit werden
    würde,

    Wenn ich zur Beschreibung des Fetischismus zurückkehre,
    habe ich anzuführen, daß es noch zahlreiche und gewichtige
    Beweise für die zwiespältige Einstellung des Fetischisten zur
    Frage der Kastration des Weibes gibt. In ganz raffinierten

    Freud, Kleine Schriften zur Sexualtheorie 15

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    226 Fetischismus

    Fällen ist es der Fetisch selbst, in dessen Aufbau sowohl die
    Verleugnung wie die Behauptung der Kastration Eingang ge-
    funden haben. So war es bei einem Manne, dessen Fetisch in
    einem Schamgiirtel bestand, wie er auch als Schwimmhose ge-
    tragen werden kann. Dieses Gewandstiick verdeckte iiberhaupt
    die Genitalien und den Unterschied der Genitalien. Nach dem
    Ausweis der Analyse bedeutete es sowohl, daß das Weib
    kastriert sei, als auch, daß es nicht kastriert sei, und ließ iiber-
    dies die Annahme der Kastration des Mannes zu, denn alle
    diese Möglichkeiten konnten sich hinter dem Gürtel, dessen
    erster Ansatz in der Kindheit das Feigenblatt einer Statue ge-
    wesen war, gleich gut verbergen. Ein solcher Fetisch, aus Gegen-
    sätzen doppelt geknüpft, hält natürlich besonders gut. In
    anderen zeigt sich die Zwiespältigkeit an dem, was der Feti-
    schist — in der Wirklichkeit oder in der Phantasie — an seinem
    Fetisch vornimmt. Es ist nicht erschöpfend, wenn man hervor-
    hebt, daß er den Fetisch verehrt; in vielen Fällen behandelt
    er ihn in einer Weise, die offenbar einer Darstellung der
    Kastration gleichkommt. Dies geschieht besonders dann, wenn
    sich eine starke Vateridentifizierung entwickelt hat, in der
    Rolle des Vaters, denn diesem hatte das Kind die Kastration
    des Weibes zugeschrieben. Die Zärtlichkeit und die Feindselig-
    keit in der Behandlung des Fetisch, die der Verleugnung und
    der Anerkennung der Kastration gleichlaufen, vermengen sich
    bei verschiedenen Fällen in ungleichem Maße, so daß das eine
    oder das andere deutlicher kenntlich wird. Von hier aus glaubt
    man, wenn auch aus der Ferne, das Benehmen des Zopf-
    abschneiders zu verstehen, bei dem sich das Bedürfnis, die ge-
    leugnete Kastration auszuführen, vorgedrängt hat. Seine Hand-
    lung vereinigt in sich die beiden miteinander unverträglichen
    Behauptungen: das Weib hat seinen Penis behalten und der
    Vater hat das Weib kastriert. Eine andere Variante, aber auch
    eine vôlkerpsychologische Parallele zum Fetischismus möchte

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    Fetischismus 227

    man in der Sitte der Chinesen erblicken, den weiblichen Fuß
    zuerst zu verstiimmeln und den verstümmelten dann wie einen
    Fetisch zu verehren. Man könnte meinen, der chinesische Mann
    will es dem Weibe danken, daß es sich der Kastration unter-
    worfen hat.

    Schließlich darf man es aussprechen, das Normalvorbild
    des Fetisch ist der Penis des Mannes, wie das des minder-

    wertigen Organs der reale kleine Penis des Weibes, die
    Klitoris.