Fetischismus 1927-003/1927.2
  • S.

    Fetischismus

    Von

    Sigm. Freud

    In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheit, eine An-
    zahl von Männern, deren Objektwahl von einem Fetisch
    beherrscht war, analytisch zu studieren. Man braucht nicht
    zu erwarten, daß diese Personen des Fetisch wegen die Analyse
    aufgesucht hatten, denn der Fetisch wird wohl von seinen An-
    hängern als eine Abnormität erkannt, aber nur selten als ein
    Lüdenssymptom empfunden; meist sind sie mit ihm recht
    zufrieden oder loben sogar die Erleichterungen, die er ihrem
    Liebesleben bietet. Der Fetisch spielte also in der Regel
    die Rolle eines Nebenbefundes.

    Die Einzelheiten dieser Fälle entziehen sich aus nahe-
    ]iegenden Gründen der Veröffentlichung. Ich kann darum
    auch nicht zeigen, in welcher Weise zufällige Umstände
    zur Auswahl des Fetisch beigetragen haben. Am merk—
    würdigsten erschien ein Fall, in dem ein junger Mann
    einen gewissen „Glanz auf der Nase“ zur fetischistischen
    Bedingung erhoben hatte. Das fand seine überraschende
    Aufklärung durch die Tatsache, daß der Patient eine eng—
    lische Kinderstube gehabt hatte, dann aber nach Deutsch-
    land gekommen war, wo er seine Muttersprache fast voll-
    kommen vergaß. Der aus den ersten Kinderzeiten stammende
    Fetisch war nicht deutsch, sondern englisch zu lesen, der
    „Glanz auf der Nase“ war eigentlich ein „Blick auf die
    Nase“ (glance=Blick), die Nase war also der Fetisch, dem
    er übrigens nach seinem Belieben jenes besondere Glanz-
    licht verlieh, das andere nicht wahrnehmen konnten.

    Die Auskunft, welche die Analyse über Sinn und Ab-
    sicht des Fetisch gab, war in allen Fällen die nämliche.
    Sie ergab sich so ungezwungen und erschien mir so zwingend,

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    daß ich bereit bin, dieselbe Lösung allgemein für alle Fälle
    von Fetischismus zu erwarten. Wenn ich nun mitteile, der
    Fetisch ist ein Penisersatz, so werde ich gewiß Enttäuschung
    hervorrufen. Ich beeile mich darum hinzuzufügen, nicht
    der Ersatz eines beliebigen, sondern eines bestimmten, ganz
    besonderen Penis, der in frühen Kinderjahren eine große
    Bedeutung hat, aber später verloren geht. Das heißt: er
    sollte normalerweise aufgegeben werden, aber gerade der
    Fetisch ist dazu bestimmt, ihn vor dem Untergang zu be-
    hiiten. Um es klarer zu sagen, der Fetisch ist der Ersatz
    für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein
    geglaubt hat und auf den es — wir wissen warum — nicht
    verzichten will.‘

    Der Hergang war also der, daß der Knabe sich geweigert
    hat, die Tatsache seiner Wahrnehmung, daß das Weib keinen
    Penis besitzt, zur Kenntnis zu nehmen. Nein, das kann nicht
    wahr sein, denn wenn das Weib kastriert ist, ist sein eigener
    Penisbesitz bedroht, und dagegen sträubt sich ein Stück
    Nanißmus, mit dem die Natur vorsorglich gerade dieses
    Organ ausgestattet hat. Eine ähnliche Panik wird vielleicht
    der Erwachsene später erleben, wenn der Schrei ausgegeben
    wird, Thron und Altar sind in Gefahr, und sie wird zu
    ähnlich unlogischen Konsequenzen führen. Wenn ich nicht
    irre, wiirde Laforgue in diesem Falle sagen, der Knabe
    „skotornisiert“ die Wahrnehmung des Penismangels beim
    Weihe.2 Ein neuer Terminus ist dann berechtigt, wenn
    er einen neuen Tatbestand beschreibt oder heraushebt. Das

    :) Diese Deutung in bereits 1910 in meiner Schrift „Eine Kindheitserinnenmg

    es Leonardo da Vinci“ ohne Begründung mitgeteilt worden.

    2) Ich berichtige mich aber selbst, indem ich hinzufüge, dal! ich die beste"
    Gründe habe anzunehmen. Laforgue würde die: überhaupt nicht sagen. NIC“
    seinen eigenen Ausführungen ist „Skotomisation“ ein Terminus, der aus der
    Deskript‘iori der Dementia praecox stammt, nicht durch die Übertragung P$th°'
    annlyflscher Auffassung auf die Psychosén entstanden ist und auf die Vom”!:
    der Entwicklung und Neurosenbildung keine Anwendung hat. Die Darstellung
    im Text bemüht sich, diese Unverträglichkeit deutlich zu machen.

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    liegt hier nicht vor; das älteste Stück unserer psycho-
    analytischen Terminologie, das Wort „Verdrängung“ bezieht
    Sich bereits auf diesen pathologischen Vorgang. Will man
    in ihm das Schicksal der Vorstellung von dem des Affekts
    schärfer trennen, den Ausdruck „Verdrängung“ für den
    Affekt reservieren, so wäre für das Schicksal der Vor-
    stellung „Verleugnung“ die richtige deutsche Bezeichnung.
    „Skotomisation“ scheint mir besonders ungeeignet, denn
    es weckt die Idee, als wäre die Wahrnehmung glatt weg-
    gewischt werden, so daß das Ergebnis dasselbe wäre, wie
    wenn ein Gesichtseindruck auf den blinden Fleck der
    Netzhaut fiele. Aber unsere Situation zeigt im Gegenteil,
    daß die Wahrnehmung geblieben ist und daß eine sehr
    energische Aktion unternommen wurde, ihre Verleugnung
    aufrecht zu halten. Es ist nicht richtig, daß das Kind sich
    nach seiner Beobachtung am Weihe den Glauben an den
    Pballus des Weibes unverändert gerettet hat. Es hat ihn
    bewahrt, aber auch aufgegeben; im Konflikt zwischen dem
    Gewicht der unerwünschten Wahrnehmung und der Stärke
    des Gegenwunsches ist es zu einem Kompromiß gekommen,
    wie es nur unter der Herrschaft der unbewußten Denk—
    gesetze — der Primärvorgänge — möglich ist. Ja, das Weib
    hat im Psychischen dennoch einen Penis. aber dieser Penis
    ist nicht mehr dasselbe, das er früher war. Etwas anderes
    ist an seine Stelle getreten, ist sozusagen zu seinem Ersatz
    ernannt werden und ist nun der Erbe des Interesses, das
    sich dem früheren angewendet hatte. Dies Interesse erfährt
    aber noch eine außerordentliche Steigerung, weil der Ab-
    scheu vor der Kastration sich in der Schaffung dieses Er-
    satzes ein Denkmal gesetzt hat. Als stigma indelibile der
    stattgehabten Verdrängung bleibt auch die Entfremdung
    gegen das wirkliche weibli6he Genitale, die man bei keinem
    Fetischisten vermißt. Man überblickt jetzt, was der Fetisch
    leistet und wodurch er gehalten wird. Er bleibt das Zeichen

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    2.

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    des ’l'riumphes über die Kastrationsdrohung und der Schutz
    gegen sie, er erspart es dem Fetischisten auch, ein Homo-
    sexueller zu werden, indem er dem Weib jenen Charakter
    verleiht, durch den es als Sexualobjekt erträglich wird. Im
    späteren Leben glaubt der Fetischist noch einen anderen
    Vorteil seines Genitalersatzes zu genießen. Der Fetisch wird
    von anderen nicht in seiner Bedeutung erkannt, darum
    auch nicht verweigert. er ist leicht zugänglich. die an
    ihn gebundene sexuelle Befriedigung ist bequem zu haben.
    Um was andere Männer werben und sich mühen müssen,
    das macht dem Fetischisten keine Beschwerde.

    Der Kastrationsschreck beim Anblick des weiblichen
    Genitales bleibt wahrscheinlich keinem männlichen Wesen
    erspart. Warum die einen infolge dieses Eindruckes homo-
    sexuell werden. die anderen ihn durch die Schöpfung eines
    Fetisch abwehren und die übergroße Mehrzahl ihn über-
    windet, das wissen wir freilich nieht zu erklären. Möglich,
    daß wir unter der Anzahl der zusammenwirkenden Be-
    dingungen diejenigen noch nicht kennen, welche für die
    seltenen pathologischen Ausgänge maßgebend sind; im
    übrigen müssen wir zufrieden sein, Wenn wir erklären
    können, was geschehen ist, und dürfen die Aufgabe, zu
    erklären, warum etwas nicht geschehen ist, vorläufig von
    uns weisen.

    Es liegt nahe zu erwarten, daß zum Ersatz des ver-
    mißten weiblichen Phallus solche Organe oder Objekte
    gewählt werden, die auch sonst als Symbole den Penis
    vertreten. Das mag gelegentlich stattfinden, ist aber gewiß
    nicht entscheidend. Bei der Einsetzung des Fetisch scheint .
    vielmehr ein Vorgang eingehalten zu werden, der an das
    Haltmachen der Erinnerung bei traumatischer Amnesie
    gemahnt. Auch hier bleibt das Interesse wie unterwegs
    stehen, wird etwa der letzte Eindruck vor dem unheim-
    lichen, traumatischen, als Fetisch festgehalten. So verdankt

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  • S.

    der Fuß oder Schuh seine Bevorzugung als Fetisch — oder
    ein Stück derselben — dem Umstand, daß die Neugierde

    des Knaben von unten, von den Beinen her nach dem,

    weiblichen Genitale gespäht hat; Pelz und Samt fixieren .—'
    wie längst vermutet wurde -— den Anblick der Genital—
    behaarung, auf den der ersehnte des weiblichen Gliedes
    hätte folgen sollen; die so häufig zum Fetisch erkorenen
    Wäschestiicke halten den Moment der Entkleidung fest,
    den letzten, in dem man das Weib noch für phallisch
    halten durfte. Ich will aber nicht behaupten, daß man
    die Determinierung des Fetisch jedesmal mit Sicherheit
    durchschaut. Die Untersuchung des Fetischismus ist all
    denen dringend zu empfehlen, die noch an der Existenz
    des Kastrationskomplexes zweifeln oder die meinen können.
    der Schreck vor dem weiblichen Genitale habe einen
    anderen Grund. leite sich z. B. von der supponierten Er-
    innerung an das Trauma der Geburt ab. Für mich hatte
    die Aufklärung des Fetisch noch ein anderes theoretisches
    Interesse.

    Ich habe kürzlich auf rein spekulativem Wege den Satz
    gefunden, der wesentliche Unterschied zwischen Neurose
    und Psychose liege darin, daß bei ersterer das Ich im
    Dienste der Realität ein Stück des Es unterdrücke, wäh-
    rend es sich bei der Psychose vom Es fortreißen lasse, sich
    von einem Stück der Realität zu lösen, bin auch später
    noch einmal auf dasselbe Thema zurückgekommen.‘ Aber
    bald darauf bekam ich Anlaß zu bedauern, daß ich mich
    so weit vorgewagt hatte. Aus der Analyse zweier junger
    Männer erfuhr ich, daß sie beide den Tod des geliebten
    Vaters im zweiten und im zehnten Jahr nicht zur Kenntnis
    genommen, „skotomisiert“ hatten — und doch hatte keiner

    \) ..Neurose iind Psychose" und der ‚.Realitiitsverlust bei Neurone und
    Psychose", beides in der „Internaüonalen Zeitschrift für Psychoanalyse“, X, 094).
    [In Ges. Schriften, Bd. V, bezw. VI.]

    !

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    von beiden eine Psychose entwickelt. Da war also ein
    gewiß bedeutsames Stück der Realität vom Ich verleugnet
    werden, ähnlich wie beim Fetischisten die unliebsame
    Tatsache der Kastration des Weibes. Ich begann auch zu
    ahnen, daß analoge Vorkommnisse im Kinderleben keines—
    wegs selten sind, und konnte mich des Irrtums in der
    Charakteristik von Neurose und Psychose für überführt
    halten. Es blieb zwar eine Auskunft offen; meine Formel
    brauchte sich erst bei einem höheren Grad von Differen-
    zierung im psychischen Apparat zu bewähren; dem Kind
    konnte gestattet sein, was sich beim Erwachsenen durch
    schwere Schädigung strafen mußte. Aber weitere Unter-
    suchungen führten zu einer anderen Lösung des Wider—
    spruchs. '

    Es stellte sich nämlich heraus, daß die beiden jungen
    Männer den Tod des Vaters ebensowenig „skotomisiert“
    hatten wie die Fetischisten die Kastration des Weibes. Es
    war nur eine Strömung in ihrem Seelenleben, welche den
    Tod des Vaters nicht anerkannt hatte; es gab auch eine
    andere, die dieser Tatsache vollkommen Rechnung trug;
    die wunschgefechte wie die realitätsgerechte Einstellung
    bestanden nebeneinander. Bei dem einen meiner beiden
    Fälle war diese Spaltung die Grundlage einer mittelschweren
    Zwangsneurose geworden; in allen Lebenslagen schwankte
    er zwischen zwei Voraussetzungen, der einen, daß der
    Vater noch am Leben sei und seine Tätigkeit behindere,
    und der entgegengesetzten, daß er das Recht habe, sich
    als den Nachfolger des verstorbenen Vaters zu betrachten.
    Ich kann also die Erwartung festhalten, daß im Fall der
    Psychose die eine, die realitätsgerechte Strömung, wirklich
    vermißt werden würde.“

    Wenn ich zur Beschreibung des Fetischismus zurück-
    kehre, habe ich anzuführen, daß es noch zahlreiche und
    gewichtige Beweise für die zwiespältige Einstellung des

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  • S.

    Fetischisten zur Frage der Kastration des Weibes gibt. In
    ganz raffinierten Fällen ist es der Fetisch selbst, in dessen
    Aufbau sowohl die Verleugnung wie die Behauptung der
    Kastration Eingang gefunden hat. So war es bei einem
    Marine, dessen Fetisch in einem Schamgiirtel bestand, wie
    er auch als Schwimmhose getragen werden kann. Dieses
    Gewandstiick-verdecltte überhaupt die Genitalien und den
    Unterschied der Genitalien. Nach dem Ausweis der Ana—
    lyse bedeutete“ es sowohl, daß, das Weib kastriert sei, als
    auch, daß es nicht kastrier.t sei, und ließ überdies die
    Annahme der Kastration des Mannes zu, denn alle diese
    Möglichkeiten konnten sich hinter dem Gürtel, dessen
    erster Ansatz in der Kindheit das Feigenblatt einer Statue
    gewesen war, gleich gut verbergen. Ein solcher Fetisch,
    aus Gegensätzen doppelt geknüpft, hält natürlich be-
    sonders gut. In anderen zeigt sich die Zwiespältigkeit
    an dem, was der Fetischist —— in der Wirklichkeit

    oder in der Phantasie — an seinem Fetisch vornimmt.
    Es ist nicht erschöpfend, wenn man hervorhebt, daß er
    den Fetisch verehrt, in vielen Fällen behandelt er ihn in
    einer Weise, die offenbar einer Darstellung der Kastration
    gleichkommt. Dies geschieht besonders dann, wenn sich
    eine starke Vateridentifizierung entwickelt hat, in der Rolle
    des Vaters, denn diesem hatte das Kind die Kastration des
    Weibes zugeschrieben. Die Zärtlichkeit und die Feindselig-
    keit in der Behandlung des Fetisch, die der Verleugnung
    und der Anerkennung der Kastration gleichlaufen, ver-
    mengen sich bei verschiedenen Fällen in ungleichem Maße,
    so daß das eine oder das andere deutlicher kenntlich wird.
    Von hier aus glaubt man, wenn auch aus der Ferne, das
    Benehmen des Zopfabschneiders zu verstehen, bei dem
    sich das Bedürfnis, die geleugnete Kastration auszuführen,
    vorgedrängt hat. Seine Handlung vereinigt in sich die
    beiden miteinander unverträglichen'Behauptungen: das

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  • S.

    Weib hat seinen Penis behalten und der Vater hat das
    Weib kastriert. Eine andere Variante, aber auch eine
    völkerpsychologische Parallele zum Fetischismus möchte
    man in der Sitte der Chinesen erblicken. den weiblichen
    Fuß zuerst zu verstümmeln und den verstiimmelten dann
    wie einen Fetisch zu verehren. Man könnte meinen, der
    chinesische Mann will es dem Weihe danken, daß es sich
    der Kastration unterworfen hat.

    Schließlich darf man es aussprechen, das Normalvor
    bild des Fetisch ist der Penis des Mannes, wie das des
    minderwertigen Organs der reale kleine Penis des Weibes,
    die Klitoris.

    lllllllllllllIlllllllllllllllllllllllllllllll[|IllullIll!IlllllllllllllllllllIllIllll|llllllllllllllllllllll|llll|tl||lIIIIIll|llllllllllllllllllllllllllllllll

    PSYCHOANALYTISCHES LESEBUCH

    Namißmus und Dichter

    Wilhelm Schlegel: „Dichter sind doch immer Narzisse.“

    0 s (: ar Wild e: „Selbstliebe ist der Anfang zu einem Iebmslängliclun
    Roman.“

    Thomas Mann: „Liebe zu sich selbst ist immer der Anfang eines
    romanhaften Lebens . . . denn nur wo das Ich eine Aufgabe ist, hat er
    einen Sinn zu schreiben.“

    Aufgabe des Nanißmus in der Liebe

    Hebbel: „Lieben hei , in dem Anderen sich selbst erobern.“

    Strindberg: „Wir beginnen ein Weib zu lieben, indem wir bei ihr
    Stück für Stück unserer Seele niederlegen. Wir verdoppeln unsere Persön-
    lichkeit und die Geliebte, die bisher gleichgültig, neutral war, beginnt sich
    in unser anderes Ich zu kleiden und sie sind unser Dappelgänger.“

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