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GELEITWORT
zu „THE PSYCHOANALYTIC REVIEW“, Vol. XVII, 1930.
Dr. Feigenbaum hat mich aufgefordert, einige Worte für die von ihm
übernommene Review zu schreiben, und ich benütze den Anlaß, seiner
Tätigkeit besten Erfolg zu wünschen.
Ich höre oft, daß die Psychoanalyse in den U. S. sehr populär ist und
daß sie dort nicht auf den gleichen hartnäckigen Widerstand stößt wie in
Europa. Meine Befriedigung darüber wird aber durch mehrere Umstände
getrübt. Mir scheint, daß die Popularität des Namens der Psychoanalyse
in Amerika weder eine freundliche Einstellung zur Sache noch eine be-
sondere Verbreitung oder Vertiefung ihrer Kenntnis bedeutet. Als Beweis
fürs erste gilt mir, daß, obwohl in Amerika Geldmittel für alle wissen-
schaftlichen und pseudowissenschaftlichen Unternehmungen leicht und
reichlich zu haben sind, doch für unsere psychoanalytischen Institutionen
niemals eine Unterstützung erreicht werden konnte. Auch der zweite Satz
ist nicht schwer zu beweisen. Obwohl Amerika mehrere tüchtige Analy-
tiker und wenigstens eine Autorität wie Dr. A. A. Brill besitzt, sind die
Beiträge zu unserer Wissenschaft aus diesem weiten Land doch spärlich
und bringen wenig Neues. Psychiater und Neurologen bedienen sich häufig
der Psychoanalyse als einer therapeutischen Methode, aber sie zeigen in
der Regel wenig Interesse für ihre wissenschaftlichen Probleme und ihre
kulturelle Bedeutung. Ganz besonders häufig zeigt sich bei amerikanischen
Ärzten und Autoren eine sehr ungenügende Vertrautheit mit der Psycho-
analyse, so daß sie nur den Namen und etliche Schlagworte derselben
kennen, wodurch sie sich aber in der Sicherheit ihres Urteils nicht be-
irren lassen. Dieselben werfen auch die Psychoanalyse mit anderen Lehr-
systemen zusammen, die sich aus ihr entwickelt haben mögen, aber heute
mit ihr unverträglich sind. Oder sie schaffen sich einen Mischmasch ausS.
Geleitworte zu Büchern 387
Psychoanalyse und anderen Elementen und geben dieses Vorgehen als Be-
weis ihrer **broadmindedness** aus, während es nur ihr **lack of judgment** be-
weist.
Viele dieser von mir mit Bedauern erwähnten Übelstände leiten sich
gewiß davon ab, daß in Amerika die allgemeine Tendenz besteht, Studium
und Vorbereitung zu verkürzen und möglichst rasch zur praktischen Ver-
wendung zu kommen. Man zieht es auch vor, einen Gegenstand wie die
Psychoanalyse nicht aus den originellen Quellen, sondern aus sekundären,
oft minderwertigen Darstellungen zu studieren. Dabei muß die Gründlich-
keit Schaden leiden.
Es ist zu hoffen, daß Arbeiten, wie Dr. Feigenbaum sie in seiner Review
zu publizieren gedenkt, dem Interesse für die Psychoanalyse in Amerika
eine mächtige Förderung bringen werden.
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