Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität 1922-002/1922.2
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    Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia
    und Homosexualität.

    Von Sigm. Freud.

    A) Die Eifersucht gehört zu den Affektzuständen, die man
    ähnlich wie die Trauer als normal bezeichnen darf. Wo sie im
    Charakter und Benehmen eines Menschen zu fehlen scheint, ist
    der Schluß gerechtfertigt, daß sie einer starken Verdrängung
    erlegen ist und darum im unbewußten Seelenleben eine um so
    größere Rolle spielt, Die Fälle von abnorm verstärkter Bifersucht,
    mit denen die Analyse zu tun bekommt, erweisen sich als dreifach
    geschichtet. Die drei Schichten oder Stufen der Eifersucht ver-
    dienen die Namen der 1. konkurrierenden oder normalen,
    2. der projizierten, 3. der wahnhaften.

    Über die normale Eifersucht ist analytisch wenig zu sagen.
    Es ist leicht zu sehen, daß sie sich wesentlich zusammensetzt
    aus der Trauer, dem Schmerz um das verloren geglaubte Liebes-
    objekt, und der narzißtischen Kränkung, soweit sich diese vom
    anderen sondern läßt, ferner aus feindseligen Gefühlen gegen den
    bevorzugten Rivalen und aus einem mehr oder minder großen
    Beitrag von Selbstkritik, die das eigene Ich für den Liebesverlust
    verantwortlich machen will. Diese Eifersucht ist, wenn wir sie auch
    normal heißen, keineswegs durchaus rationell, d. h. aus aktuellen
    Beziehungen entsprungen, den wirklichen Verhältnissen proportional
    und restlos vom bewußten Ich beherrscht, denn sie wurzelt tief
    im Unbewußten, setzt früheste Regungen der kindlichen Affekti-
    vität fort und stammt aus dem Ödipus- oder aus dem Geschwister-
    komplex der ersten Sexualperiode. Es ist immerhin bemerkens-
    wert, daß sie von manchen Personen bisexuell erlebt wird, das
    heißt beim Manne wird außer dem Schmerz um das geliebte Weib
    und dem Haß gegen den männlichen Rivalen auch Trauer um den

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    unbewußt geliebten Mann und Haß gegen das Weib als Rivalin
    bei ihm zur Verstärkung wirksam. Ich weiß auch von einem Manne,
    der sehr arg unter seinen Eifersuchtsanfällen litt und die nach
    seinen Angaben ärgsten Qualen in der bewußten Versetzung in
    das ungetreue Weib durchmachte. Die Empfindung der Hilflosig-
    keit, die er dann verspürte, die Bilder, die er für seinen Zustand
    fand, als ob er wie Prometheus dem Geierfraß preisgegeben oder
    gefesselt in ein Schlangennest geworfen worden wäre, bezog er
    selbst auf den Eindruck mehrerer homosexueller Angriffe, die er
    als Knabe erlebt hatte.

    Die Eifersucht der zweiten Schicht oder die projizierte, geht
    beim Manne wie beim Weibe aus der eigenen im Leben betätigten
    Untreue oder aus Antrieben zur Untreue hervor, die der Ver-
    drängung verfallen sind. Es ist eine alltägliche Erfahrung, daß die
    Treue, zumal die in der Ehe geforderte, nur gegen beständige
    Versuchungen aufrecht erhalten werden kann. Wer dieselben in
    sich verleugnet, verspürt deren Andrängen doch so stark, daß er
    gerne einen unbewußten Mechanismus zu seiner Erleichterung in
    Anspruch nimmt. Eine solche Erleichterung, ja einen Freispruch
    vor seinem Gewissen, erreicht er, wenn er die eigenen Antriebe
    zur Untreue auf die andere Partei, welcher er die Treue schuldig
    ist, projiziert. Dieses starke Motiv kann sich dann des Wahr-
    nehmungsmaterials bedienen, welches die gleichartigen unbewußten
    Regunsen des anderen Teiles verrät, und könnte sich durch die
    Überlegung: rechtfertigen, daß der Partner oder die Partnerin
    wahrscheinlich auch nicht viel besser ist, als man selbst1.

    Die gesellschaftlichen Sitten haben diesem allgemeinen Sach-
    verhalt in kluger Weise Rechnung getragen, indem sie der Gefall-
    sucht der verheirateten Frau und der Eroberungssucht des Ehe-
    mannes einen sewissen Spielraum gestatten m der Erwartung,
    die unabweisbare Neigung zur Untreue dadurch zu drainieren und
    unschädlich zu machen. Die Konvention setzt fest, daß beide Teile
    diese kleinen Schrittchen in der Richtung der Untreue einander
    nicht anzurechnen haben, und erreicht zumeist, daß die am fremden
    Objekt entzündete Begierde in einer gewissen Rückkehr zur Treue
    am eigenen Objekt befriedigt wird. Der Eifersüchtige will aber
    diese konventionelle Toleranz nicht anerkennen, er glaubt nicht,

    1 Vergl. die Strophe im Lied der Desdemona;
    I called him thou false one, what answered he then?
    If I court more women, you will couch with more men.
    (Ich nannt' ihn: Du Falscher. Was sagt er dazu?
    Schau ich nach den Mägdlein, nach den Büblein schielst du.)

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    daß es ein Stillhalten oder Umkehren auf dem einmal betretenen
    Weg gibt, daß der gesellschaftliche „Flirt“ auch eine Versicherung
    gegen wirkliche Untreue sein kann. In der Behandlung eines
    solchen Eifersüchtigen muß man es vermeiden, ihm das Material,
    auf das er sich stützt, zu bestreiten, man kann ihn nur zu einer
    anderen Einschätzung desselben bestimmen wollen.

    Die durch solche Projektion entstandene Eifersucht hat
    zwar fast wahnhaften Charakter, sie widersteht aber nicht der
    analytischen Arbeit, welche die unbewußten Phantasien der eigenen
    Untreue aufdeckt. Schlimmer ist es mit der Eifersucht der dritten
    Schicht, der eigentlich wahnhaften. Auch diese geht aus ver-
    drängten Untreuestrebungen hervor, aber die Objekte dieser Phan-
    tasien sind gleichgeschlechtlicher Art. Die wahnhafte Eifersucht
    entspricht einer vergorenen Homosexualität und behauptet mit
    Recht ihren Platz unter den klassischen Formen der Paranoia.
    Als Versuch zur Abwehr einer überstarken homosexuellen Regung
    wäre sie (beim Manne) durch die Formel zu umschreiben:

    Ich liebe ihn ja nicht, sie liebt ihn1.

    In einem Falle von Eifersuchtswahn wird man darauf vor-
    bereitet sein, die Eifersucht aus allen drei Schichten zu finden,
    niemals die aus der dritten allein.

    B) Paranoia. Aus bekannten Gründen entziehen sich (Fälle
    von Paranoia zumeist der analytischen Untersuchung. Indes konnte
    ich doch in letzter Zeit aus dem intensiven Studium zweier
    Paranoiker einiges, was mir neu war, entnehmen.

    Der erste Fall betraf einen jugendlichen Mann mit voll aus-
    gebildeter Eifersuchtsparanoia, deren Objekt seine tadellos getreue
    Frau war. Eine stürmische Periode, in der ihn der Wahn ohne
    Unterbrechung beherrscht hatte, lag bereits hinter ihm. Als ich
    ihn sah‚ produzierte er nur noch gut gesonderte Anfälle, die über
    mehrere Tage anhielten und interessanterweise regelmäßig am
    Tage nach einem, übrigens für beide Teile befriedigenden, Sexual-
    akt auftraten. Es ist der Schluß berechtigt, daß jedesmal nach der
    Sättigung der heterosexuellen Libido die mitgereizte homosexuelle
    Komponente sich ihren Ausdruck im Eifersuchtsanfall erzwang.

    Sein Material bezog der Anfall aus der Beobachtung der
    kleinsten Anzeichen, durch welche sich die völlig unbewußte
    Koketterie der Frau, einem anderen unmerklich, ihm verraten hatte.

    1 Vergl. die Ausführungen zum Falle Schreber in „Sammlung kleiner
    Schriften“, dritter Folge: Psychoanalytische Bemerkungen über einen auto-
    biographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides).

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    Bald hatte sie den Herrn, der neben ihr saß, unabsichtlich mit
    ihrer Hand gestreift, bald ihr Gesicht zu sehr gegen ihn geneigt
    oder ein freundlicheres Lächeln aufgesetzt, als wenn sie mit ihrem
    Mann allein war, Für all diese Äußerungen ihres Unbewußten
    zeigte er eine außerordentliche Aufmerksamkeit und verstand sie
    immer richtig zu deuten, so daß er eigentlich immer Recht hatte
    und die Analyse noch zur Rechtfertigung seiner Eifersucht anrufen
    konnte. Eigentlich reduzierte sich seine Abnormität darauf, daß er
    das Unbewußte seiner Frau schärfer beobachtete und dann weit
    höher einschätzte, als einem anderen eingefallen wäre.

    Wir erinnern uns daran, daß auch die verfolgten Paranoiker
    sich ganz ähnlich benehmen. Auch sie anerkennen bei Anderen
    nichts Indifferentes und verwerten in ihrem „Beziehungswahn“ die
    kleinsten Anzeichen, die ihnen diese Anderen, Fremden geben. Der
    Sinn ihres Beziehüngswahnes ist nämlich, daß sie von allen Fremden
    etwas wie Liebe erwarten; diese: Anderen zeigen ihnen aber nichts
    dergleichen, sie lachen vor sich hin, fuchteln mit ihren Stöcken
    oder spucken sogar auf den Boden, wenn sie vorbeigehen, und das
    tut man wirklich nicht, wenn man an der Person, die in der Nähe
    ist, irgend ein freundliches Interesse nimmt. Man tut es nur dann,
    wenn einem diese Person ganz gleichgültig ist, wenn man sie als
    Luft behandeln kann, und der Paranoiker hat bei der Grundver-
    wandtschaft der Begriffe „fremd“ und „feindlich“ nicht so unrecht,
    wenn er solche Indifferenz im Verhältnis zu seiner Liebesforderung
    als Feindseligkeit empfindet.

    Es ahnt uns nun, daß wir das Verhalten des eifersüchtigen
    wie des verfoleten Paranoikers sehr ungenügend beschreiben,
    wenn wir sagen, sie projizieren nach außen auf Andere hin, was
    sie im eigenen Inneren nicht wahrnehmen wollen.

    Gewiß tun sie das, aber sie projizieren sozusagen nicht ins
    Blaue hinaus, nicht dorthin, wo sich nichts Ähnliches findet, sondern
    sie lassen sich von ihrer Kenntnis des Unbewußten leiten und
    verschieben auf das Unbewußte der Anderen die Aufmerksamkeit,
    die sie dem eigenen Unbewußten entziehen. Unser Eifersüchtiger
    erkennt die Untreue seiner Frau an Stelle seiner eigenen; indem
    er die seiner Frau sich in riesiger Vergrößerung bewußt macht,
    gelingt es ihm, die eigene unbewußt zu erhalten. Wenn wir sein
    Beispiel für maßgebend erachten, dürfen wir schließen, daß auch
    die Feindseligkeit, die der Verfolgte bei Anderen findet, der Wieder-
    schein der eigenen feindseligen Gefühle gegen diese Anderen ist.
    Da wir wissen, daß beim Paranoiker gerade die geliebteste Person
    des gleichen Geschlechts zum Verfolger wird, entsteht die Frage,

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    woher diese Affektumkehrung rührt, und die naheliegende Antwort
    wäre, daß die stets vorhandene Gefühlsambivalenz die Grundlage
    für den Haß abgibt und die Nichterfüllung der Liebesansprüche
    ihn verstärkt. So leistet die Gefühlsambivalenz dem Verfolgten
    denselben Dienst zur Abwehr der Homosexualität, wie unserem
    Patienten die Eifersucht.

    Die Träume meines Eifersüchtigen bereiteten mir eine große
    Überraschung. Sie zeigten sich zwar nicht gleichzeitig mit dem
    Ausbruch des Anfalls, aber doch noch unter der Herrschaft des
    Wahns, waren vollkommen wahnfrei und ließen die zugrunde
    liegenden homosexuellen Regungen in nicht stärkerer Verkleidung
    als sonst gewöhnlich erkennen. Bei meiner geringen Erfahrung
    über die Träume von Paranoikern lag es mir damals nahe, allge-
    mein anzunehmen, die Paranoia dringe nicht in den Traum.

    Der Zustand der Homosexualität war bei diesem Patienten
    leicht zu überblicken. Er hatte keine Freundschaft und keine
    sozialen Interessen gebildet, man mußte den Eindruck bekommen,
    als ob erst der Wahn die weitere Entwicklung seiner Beziehungen
    zum Manne übernommen hätte, wie um ein Stück des Versäumten
    nachzuholen. Die geringe Bedeutung des Vaters in seiner Familie
    und ein beschämendes homosexuelles Trauma in frühen Knaben-
    jahren hatten zusammengewirkt, um seine Homosexualität in die
    Verdrängung zu treiben und ihr den Weg zur Sublimierung zu
    verlegen. Seine ganze Jugendzeit war von einer starken Mutter-
    Bindung beherrscht. Unter vielen Söhnen war er der erklärte
    Liebling der Mutter und entwickelte auf sie bezüglich eine starke
    Eifersucht von normalem Typus. Als er später eine Ehewahl traf,
    wesentlich unter der Herrschaft des Motivs, die Mutter reich zu
    machen, äußerte sich sein Bedürfnis nach einer virginalen Mutter
    in zwanghaften Zweifeln an der Virginität seiner Braut. Die ersten
    Jahre seiner Ehe waren von Eifersucht frei. Er wurde dann seiner
    Frau untreu und ging ein langdauerndes Verhältnis mit einer
    anderen ein. Erst als er diese Liebesbeziehung, durch einen
    bestimmten Verdacht geschreckt, aufgegeben hatte, brach bei ihm
    eine Eifersucht vom zweiten, vom Projektionstypus, los, mit
    welcher er die Vorwürfe wegen seiner Untreue beschwichtigen
    konnte. Sie komplizierte sich bald durch das Hinzutreten der
    homosexuellen Regungen, deren Objekt der Schwiegervater war,
    zur vollen Eifersuchtsparanoia.

    Mein zweiter Fall wäre wahrscheinlich ohne Analyse nicht
    als Paranoia persecutoria klassifiziert worden, aber ich mußte den
    jungen Mann als einen Kandidaten für diesen Krankheitsausgang

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    auflassen. Es bestand bei ihm eine Ambivalenz im Verhältnis zum
    Vater von ganz außerordentlicher Spannweite. Er war einerseits
    der ausgesprochenste Rebell, der sich manifest in.allen Stücken
    von den Wünschen und Idealen des Vaters weg entwickelt hatte,
    andererseits in tieferer Schieht noch immer der unterwürfigste
    Sohn, der nach dem Tode des Vaters sich in zärtlichem Schuld-
    bewußtsein den Genuß des Weibes versagte. Seine realen Beziehungen
    zu Männern standen offenbar unter dem Zeichen des Mißtrauens;
    mit seinem starken Intellekte wußte er diese Einstellung zu
    rationalisieren und verstand es so einzurichten, daß er von
    Bekannten und Freunden betrogen und ausgebeutet wurde. Was ich
    Neues an ihm lernte, war, daß klassische Verfolgungsgedanken
    vorhanden sein können, ohne Glauben und Anwert zu finden. Sie
    blitzten während seiner Analyse gelegentlich auf, aber er legte ihnen
    Keine Bedeutung; bei und bespöttelte sie regelmäßig. Dies mag in
    vielen Fällen von Paranoia ähnlich vorkommen, und wenn eine solche
    Erkrankung losbricht, halten wir vielleicht die geäußerten Wahnideen
    für Neuproduktionen, während sie längst bestanden haben mögen.

    Es scheint mir eine wichtige Einsicht, daß ein qualitatives
    Moment, das Vorhandensein gewisser neurotischer Bildungen,
    praktisch weniger bedeutet als das quantitative Moment, welchen
    Grad von Aufmerksamkeit, richtiger, welches Maß von Besetzung
    diese Gebilde an sich ziehen können. Die Erörterung unseres ersten
    Falles, der Eifersuchtsparanoia, hatte uns zur gleichen Wert-
    schätzung des quantitativen Moments aufgefordert, indem sie uns
    zeigte, daß dort die Abnormität wesentlich in der Überbesetzung
    der Deutungen des fremden Unbewußten bestand. Aus der Analyse
    der Hysterie kennen wir längst eine analoge Tatsache. Die patho-
    genen Phantasien, Abkömmlinge verdrängter Triebregungen, wer-
    den lange Zeit neben dem normalen Seelenleben geduldet und
    wirken nicht eher pathogen, als bis sie aus einem Umschwung;
    der Libidoökonomie eine Überbesetzung erhalten; erst dann bricht
    der Konflikt los, der zur Symptombildung führt. Wir werden so
    im Fortschritt unserer Erkenntnis immer mehr dazu gedrängt,
    den ökonomischen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu
    rücken. Ich möchte auch die Rrage aufwerfen, ob das hier betonte
    quantitative Moment nicht hinreicht, um die Phänomene zu decken,
    für die Bleuler und andere neuerdings den Begriff der „Schaltung“
    einführen wollen. Man müßte nur annehmen, daß eine Widerstands-
    Steigerung in einer Richtung des psychischen Ablaufs eine Über-
    besetzung eines anderen Weges und damit die Einschaltung des-
    selben in den Ablauf zur Folge hat.

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    Ein lehrreicher Gegensatzzeigte sich bei meinen zwei Fällen
    von Paranoia im Verhalten der Träumer. Während im ersten Fall
    die Träume, wie, erwähnt, wahnfrei waren, produzierte der andere
    Patient in großer Zahl Verfolgungsträume, die man als Vorläufer
    oder Ersatzhildungen für die Wahnideen gleichen Inhalts ansehen
    Kann. Das Verfolgende,. dem er sich nur mit großer Angst ent-
    ziehen konnte, war in der Regel ein starker Stier oder ein anderes
    Symbol der Männlichkeit, das er manchmal noch im Traum selbst
    als Vatervertretung erkannte. Einmal berichtete er einen sehr
    charakteristischen paranoischen Übertragungstraum. Er sah, daß
    ich mich in seiner Gegenwart rasierte, und merkte am Geruche,
    daß ich dabei dieselbe Seife wie sein Vater gebrauchte. Das tat
    ich, um ihn zur Vaterübertragung auf meine Person zu nötigen.
    In der Wahl der geträumten Situation erwies sich unverkennbar
    die Geringschätzung des Patienten für seine paranoischen Phanta-
    sion und sein Unglaube gegen sie, denn der tägliche Augen-
    schein konnte ihn belehren, daß ich überhaupt nicht in die Lage
    komme, mich einer Rasierseife zu bedienen und also in diesem
    Punkte der Vaterübertragung keinen Anhalt biete.

    Der Vergleich der Träume bei unseren beiden Patienten
    belehrt uns aber, daß unsere Fragestellung, ob die Paranoia (oder
    eine andere Psychoneurose) auch in den Traum dringen könne,
    nur auf einer unrichtigen Auffassung des Traumes beruht. Der
    Traum unterscheidet sich vom Wachdenken darin, daß er Inhalte
    (aus dem Bereich des Verdrängten) aufnehmen kann, die im Wach-
    denken nicht vorkommen dürfen. Davon abgesehen ist er nur eine
    Form des Denkens, eine Umformung des vorbewußten Denk-
    Stoffes durch (die Traumarbeit und ihre Bedingungen). Auf das Ver-
    drängte ist unsere Terminologie der Neurosen nicht anwendbar,
    es kann weder hysterisch, noch zwangsneurotisch, noch paranoisch
    genannt werden. Dagesen kann der andere Anteil des Stoffes,
    welcher der Traumbildung unterliegt, die vorbewußten Gedanken,
    normal sein oder den Charakter irgend einer Neurose an sich
    tragen. Die vorbewußten Gedanken mögen Ergebnisse all jener
    pathogenen Prozesse sein, in denen wir das Wesen einer Neurose
    erkennen. Es ist nicht einzusehen, warum nicht jede solche krank-
    hafte Idee die Umformung in einen Traum erfahren sollte, Ein
    Traum kann also ohne weiteres einer hysterischen Phantasie,
    einer Zwangsvorstellung, einer Wahnidee entsprechen, d. h. bei
    seiner Deutung eine solche ergeben. In unserer Beobachtung an
    zwei Paranoikern finden wir, daß der Traum des einen normal ist,
    während sich der Mann im Anfall befindet, und daß der des anderen

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    einen paranoischen Inhalt hat, während der Mann noch über seine
    Wahnideen spottet. Der Traum hat also in beiden Fällen auf-
    genommen, was im Wachleben derzeit zurückgedrängt war. Aber
    auch das braucht nicht die Regel zu sein.

    C) Homosexualität. Die Anerkennung des organischen
    Faktors der Homosexualität überhebt uns nicht der Verpflichtung,
    die psychischen Vorgänge bei ihrer Entstehung zu studieren. Der
    typische, bereits bei einer Unzahl von Fällen festgestellte Vorgang
    besteht darin, daß der bis dahin intensiv an die Mutter fixierte
    junge Mann einige Jahre nach abgelaufener Pubertät eine Wendung
    vornimmt, sich selbst mit der Mutter identifiziert und nach Liebes-
    objekten ausschaut, in denen er sich selbst wiederfinden kann, die
    er dann lieben möchte, wie die Mutter ihn geliebt hat. Als Merk-
    zeichen dieses Prozesses stellt sich gewöhnlich für viele Jahre
    die Liebesbedingung her, daß die männlichen Objekte das Alter
    haben müssen, in dem bei ihm die Umwandlung erfolgt ist. Wir
    haben verschiedene Faktoren kennen gelernt, die wahrscheinlich
    in wechselnder Stärke zu diesem Ergebnis beitragen. Zunächst die
    Mutterfixierung, die den Übergang, zu einem anderen Weibobjekt
    erschwert. Die Identifizierung mit der Mutter ist ein Ausgang
    dieser Objektbindung und ermöglicht es gleichzeitig, diesem ersten
    Objekt in gewissem Sinne treu zu bleiben, Sodann die Neigung
    zur narzißtischen Objektwahl, die im allgemeinen näher liest und
    leichter auszuführen ist, als die Wendung zum änderen Geschlecht.
    Hinter diesem Moment verbirgt sich ein anderes von ganz beson-
    derer Stärke oder es fällt vielleicht mit ihm zusammen: die Hoch-
    schätzung des männlichen Organs und die Unfähigkeit, auf dessen
    Vorhandensein beim Liebesobjekt zu verzichten. Die Geringschätzung
    des Weibes, die Abneigung gegen dasselbe, ja der Abscheu vor
    ihm, leiten sich in der Regel von der früh gemachten Entdeckung
    ab, daß das Weib keinen Penis besitzt. Später haben wir noch als
    mächtiges Motiv für die homosexuelle Objektwahl die Rücksicht
    auf den Vater oder die Angst vor ihm kennen gelernt, da der
    Verzicht auf das Weib die Bedeutung hat, daß man der Konkur-
    renz mit ihm (oder allen männlichen Personen, die für ihn ein-
    treten) ausweicht. Die beiden letzten. Motive, das Festhalten an
    der Penisbedingung sowie das Ausweichen, können dem Kastrations-
    komplex zugezählt werden. Mutterbindung — Narzißmus —
    Kastrationsangst, diese übrigens in keiner Weise spezifischen
    Momente hatten wir bisher in der psychischen Ätiologie der
    Homosexualität aufgefunden, und zu ihnen gesellten sich noch der
    Einfluß der Verführung, welche eine frühzeitige Fixierung der

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    Libido verschuldet, sowie der des organischen Faktors, der die
    passive Rolle im Liebesleben begünstigt.

    Wir haben aber niemals geglaubt, daß diese Analyse der Ent-
    stehung der Homosexualität vollständig ist. Ich kann heute auf
    einen neuen Mechanismus hinweisen, der zur homosexuellen
    Objektwahl führt, wenngleich ich nicht angeben kann, wie groß
    seine Rolle bei der Gestaltung der extremen, der manifesten und
    ausschließlichen Homosexualität anzuschlagen ist. Die Beobachtung.
    machte mich auf mehrere Fälle aufmerksam, bei denen in früher
    Kindheit besonders starker eifersüchtige Regungen aus dem Mutter-
    Komplex gegen Rivalen, meist ältere Brüder, aufgetreten waren.
    Diese Eifersucht führte zu intensiv feindseligen und aggressiven
    Einstellungen gegen die Geschwister, die sich bis zum Todes-
    wunsch steigern konnten, aber der Entwicklung nicht standhielten.
    Unter den Einflüssen der Erziehung, gewiß auch infolge der an-
    haltenden Ohnmacht dieser Regungen, kam es zur Verdrängung
    derselben und zu einer Gefühlsumwandlung, so daß die früheren
    Rivalen nun die ersten homosexuellen Liebesobjekte wurden. Bin
    solcher Ausgang der Mutterbindung zeigt mehrfache interessante
    Beziehungen zu anderen uns bekannten Prozessen. Er ist zunächst
    das volle Gegenstück zur Entwicklung der Paranoia persecutoria,
    bei welcher die zuerst geliebten Personen zu den gehaßten Ver-
    folgern werden, während hier die gehaßten Rivalen sich in Liebes-
    objekte umwandeln. Er stellt sich ferner als eine Übertreibung
    des Vorgangs dar, welcher nach meiner Anschauung zur indivi-
    duellen Genese der sozialen Triebe führt1. Hier wie dort sind
    zunächst eifersüchtige und feindselige Regungen vorhanden, die es
    nicht zur Befriedigung bringen können, und die zärtlichen wie die
    sozialen Identifizierungsgefühle entstehen als Reaktionsbildungen
    gegen die verdrängten Agressionsimpulse.

    Dieser neue Mechanismus der homosexuellen Objektwahl, die
    Entstehung aus überwundener Rivalität und verdrängter Aggres-
    sionsneigung, mengt sich in manchen Fällen den ums bekannten
    typischen Bedingungen bei. Man erfährt nicht selten aus der
    Lebensgeschichte Homosexueller, daß ihre Wendung eintrat, nach-
    dem die Mutter einen anderen Knaben gelobt und als Vorbild
    angepriesen hatte, Dadurch wurde die Tendenz zur narzißtischen
    Objektwahl gereizt, und nach einer kurzen Phase scharfer Eifer-
    sucht war der Rivale zum Liebesobjekt geworden. Sonst aber
    sondert sich der neue Mechanismus dadurch ab, daß bei ihm die

    1 Siehe Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921.

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    Umwandlung in viel früheren Jahren vor sieh geht und die Mutter-
    identifizierung in den Hintergrund tritt, Auch führte er in den
    von mir beobachteten Fällen nur zu homosexuellen Einstellungen,
    welehe. die Heterosexualität nicht ausschlossen und keinen horror
    feminae mit sich brachten.

    Es ist bekannt, daß eine ziemliche Anzahl homosexueller
    Personen sich durch besondere Entwicklung der sozialen Trieb-
    regungen und durch Hingabe an gemeinnützige Interessenauszeichnet,
    Man wäre versucht, dafür die theoretische Erklärung zu geben, daß
    ein Mann, der in anderen Männern mögliche Liebesobjekte sieht,
    sich gegen die Gemeinschaft der Männer anders benehmen muß,
    als ein anderer, der genötigt ist, im Mann zunächst den Rivalen
    beim Weibe zu erblicken. Dem steht nur die Erwägung entgegen,
    daß es auch bei homosexueller Liebe Eifersucht und Rivalität gibt,
    und daß die Gemeinschaft der Männer auch diese möglichen Rivalen
    umschließt. Aber auch, wenn man von dieser spekulativen Begründung
    absieht, kann die Tatsache für den Zusammenhang von Homo-
    sexualität und sozialem Empfinden nicht gleichgültig sein, daß die
    homosexuelle Objektwahl nicht selten aus frühzeitiger Überwindung
    der Rivalität mit dem Manne hervorgeht.

    In der psychoanalytischen Betrachtung sind wir gewöhnt
    die sozialen Gefühle als Sublimierungen homosexueller Objektein-
    stellungen aufzufassen. Bei den sozial gesinnten Homosexuellen
    wäre die Ablösung der sozialen Gefühle von der Objektwahl nicht
    voll geglückt.