Über einige neurotische Mechanismen Bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität 1922-002/1931
  • S.

    Gedanleennnoziarion einer einjährigen Kinder 173

    der kleinen verläßt den Zusammenhang nicht. Wir können
    nur annehmen, daß das Kind als ein weiteres Stück seines
    Wissens über die Herkunft der Kinder mitteilen wollte: Ich
    weiß auch, das ist alles das Werk des Vaters. Aber diesmal
    ersetzt sie den direkten Gedanken durch die dazugehörige
    Sublimierung, daß der liebe Gott die Welt schaflt.

    ÜBER EINIGE NEUROTISCHE
    MECHANISMEN BEI EIFERSUCHT,
    PARANOIA UND HOMOSEXUALITÄT

    (l9fl)
    A

    Die Eifersucht gehört zu den Aifektzuseänden, die man
    ähnlich wie die Trauer als normal bezeichnen darf. Wo sie '
    im Charakter und Benehmen eines Mensehen zu fehlen
    scheint, ist der Schluß gerechtfertigt, daß sie einer starken
    Verdrängung erlegen ist und darum im unhewußten Seelen-
    leben eine um so größere Rolle spielt. Die Fälle von abnorm
    verstärkter Eifersucht, mit denen die Analyse zu tun be—
    kommt, erweisen sich als dreifach geschichtet. Die drei
    Schichten oder Stufen der Eifersucht verdienen die Namen
    1) der konkurrierenden oder normalen, :) der pro-
    jizierten, 3) der wahnhaften.

    Uber die normale Eifersucht ist analytisch wenig zu
    sagen. Es ist leicht zu sehen, daß sie sich wesentlich zu-
    sammensetzt aus der Trauer, dem Schmerz um das verloren-
    geglaubte Liebesobjekt, und der narzißtischen Kränkung, so-

  • S.

    174 Über einige neuiotixcbe Mechanirmen

    weit sich diese vom anderen sondern läßt, ferner aus feind-
    seligen Gefühlen gegen den bevorzugten Rivalen und aus
    einem mehr oder minder großen Beitrag von Selbstkritik, die
    das eigene Ich für den Liebesverlust verantwortlich machen
    will. Diese Eifersucht ist, wenn wir sie auch normal heißen,
    keineswegs durchaus rationell, das heißt aus aktuellen Be-
    ziehungen entsprungen, den wirklichen Verhältnissen pro-
    portional und restlos vom bewußten Ich beherrscht, denn sie
    wurzelt tief im Unbewußten, setzt früheste Regungen der
    kindlichen AEektivität fort und stammt aus dem Ödipus-
    oder aus dem Geschwisterkomplex der ersten Sexualperiode.
    Es ist immerhin bemerkenswert, daß sie von manchen
    Personen bisexuell erlebt wird, das heißt beim Marine wird
    außer dem Schmerz um das geliebte Weib und dem Haß
    gegen den männlichen Rivalen auch Trauer um den unbewußt
    geliebten Mann und Haß gegen das Weib als Rivalin bei
    ihm zur Verstärkung wirksam. Ich weiß auch von einem
    Manne, der sehr arg unter seinen Eifersud1tsanfällen litt und
    die nach seinen Angaben ärgsten Qualen in der bewußten
    Versetzung in das ungetreue Weib durchmaehte. Die Emp-
    findung der Hilflosigkeit, die er dann verspürte‚ die Bilder,
    die er für seinen Zustand fand, als ob er wie Prometheus dem
    Geierfraß preisgegeben oder gefesselt in ein Schlangennest
    geworfen werden wäre, bezog er selbst auf den Eindruck
    mehrerer homosexueller Angriffe, die er als Knabe erlebt
    hatte.

    Die Eifersucht der zweiten Schichte oder die 1;- ro ] i z i :: rt e
    geht beim Manne wie beim Weihe aus der eigenen, im
    Leben betätigten Untreue oder aus Antrieben zur Untreue
    hervor, die der Verdrängung verfallen sind. Es ist eine
    alltägliche Erfahrung, daß die Treue, zumal die in der Ehe
    geforderte, nur gegen beständige Versuehungen aufrecht-
    erhalten werden kann. Wer dieselben in sich verleugnet, ver-

  • S.

    bei Eifermcbr, Pnranoia und Homosexualität x7s

    spürt deren Andrängen doch so stark, daß er gerne einen
    unbewußten Mechanismus zu seiner Erleichterung in An-
    spruch nimmt. Eine solche Erleichterung, in einen Freisprueh
    vor seinem Gewissen erreicht er, wenn er die eigenen Antriebe
    zur Untreue auf die andere Partei, welcher er die Treue
    schuldig ist, projiziert. Dieses starke Motiv kann sich denn
    des Wahrnehmungsmaterials bedienen, welches die gleich-
    artiger: unbewußten Regungm des anderen Teiles verrät, und
    könnte sich durch die Überlegung rechtfertigen, daß der
    Partner oder die Partnerin wahrscheinlich auch nicht viel
    besser ist, als man selbst.‘

    Die gesellschaftlichen Sitten haben diesem allgemeinen
    Sachverhalt in kluger Weise Rechnung getragen, indem sie
    der Gefailsucht der verheirateten Frau und der Eroberungs-
    sucht des Ehemannes einen gewissen Spielraum gestatten in
    der Erwartung, die unabweisbare ‘Nu'guug zur Untreue
    dadurch zu drainieren und unschädlich zu machen. 'Die
    Konvention setzt fest, daß beide Teile diese kleinen Sebritte'hen
    in der Richtung der Untreue einander nicht anzurecbnen
    haben, und erreicht zumeist, daß die am fremden Objekt
    entzündete Begierde in einer gewissen Rückkehr zur Treue
    am eigenen Objekt befriedigt wird. Der Eifersüchtige will
    aber diese konventionelle Toleranz nicht anerkennen, er
    glaubt nicht, daß es ein Stillhalten oder Umkehren auf dem
    einmal betretenen Weg gibt, daß der gesellschaftliche „Fiir-t"
    auch eine Versicherung gegen wirkliche Untreue sein kann.
    In der Behandlung eines solchen Eifersiichtigen muß man es
    vermeiden, ihm das Material, auf das er sich stützt, zu be-

    I) Vergl. die Strophe im Liede der Desdemonn:

    I called him tbau fnl:e one, what mmred be tbem'

    If I can" more women, you will touch with man nun.
    (Ich nannt’ ihn: Du Falscher. Was sagt er dazu?

    Schau ich nach den Mägdlein, nach den Bühlein schielst du.)

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    176 Über Einige neuroti.vcbe Mechanismen

    streiten, man kann ihn nur zu einer anderen Einschäuung
    desselben bestimmen wollen.

    Die durch solche Projektion entstandene Eifersucht hat
    zwar fast wahnhaften Charakter, sie Widerstebt aber nicht
    der analytischen Arbeit, welche die unbewußten Phantasien
    der eigenen Untreue aufdeckt. Schlimmer ist es mit der Eifer-
    sucht der dritten Schicht, der eigentlich wahnhahen.
    Auch diese geht aus verdrängten Untrenestrebungen hervor,
    aber die Objekte dieser Phantasien sind gleichgeschlechtlicher
    Art. Die wahnhafte Eifersucht entspricht einer vergorenen
    Homosexualität und behauptet mit Recht ihren Platz unter
    den klassischen Formen der Paranoia. Als Versuch zur Ab-
    wehr einer überstarken homosexuellen Regung wäre sie (beim
    Marine) durch die Formel zu umschreiben:

    Ich liebe ihn ja nicht, sie liebt ihn.”

    In einem Falle von Eifersuchtswahn wird man darauf
    vorbereitet sein, die Eifersucht aus allen drei Schichten zu
    finden, niemals die aus der dritten allein.

    B

    P a 1 an 0 i a. Aus bekannten Gründen entziehen sich Fälle
    von Paranoia zumeist der analytischen Untersuchung. Indes
    konnte ich doch in letzter Zeit aus dem intensiven Studium
    zweier Paranoiker einiges, was mir neu war, entnehmen.

    Der erste Fall betraf einen jugendlichen Mann mit voll
    ausgebildeter Eifersuchtsparanoia, deren Objekt seine tadellos
    getreue Frau war. Eine stürmische Periode, in der ihn der
    Wahn ohne Unterbrechung beherrscht hatte, lag bereits hinter
    ihm. Als ich ihn sah, produzierte er nur noch gut gesonderte

    ;.) Vergl. die Ausführungen zum Falle Schreher: Psychoanalyli—
    sche Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall
    von Paranoia (Dementia pmnoides) [enthalten in Band VIII der
    Ges. Schriften].

  • S.

    bei Eifermcbt, Paranoia und Homosexualität 177

    Anfälle, die über mehrere Tage anhielten und interessanter-
    weise regelmäßig am Tage nach einem, übrigens für beide
    Teile befriedigenden, Sexualakt auftreten. Es ist der Schluß
    berechtigt, daß jedesmal nach der, Sättigung der hetero-
    sexuellen Libido die mitgeteizte homosexuelle Komponente
    sich ihren Ausdruck im Eifersuchtsanfall erzwang.

    Sein Material bezog der Anfall aus der Beobachtung der
    kleinsten Anzeichen, durch welche sich die völlig unhewußt:
    Kokeuerie der Frau, einem anderen unmerklich, ihm verraten
    hatte. Bald hatte sie den Herrn, der neben ihr saß, unab-
    sichtlich mit ihrer Hand gestreift, bald ihr Gesicht zu sehr
    gegen ihn geneigt oder ein freundlicheres Lächeln aufgesetzt,
    als wenn sie mit ihrem Mann allein war. Für all diese
    Äußerungen ihres Unhewußten»zeigte er eine außerordent-
    liche Aufmerksamkeit und verstand sie immer richtig zu
    deuten, so daß er eigentlich immer recht hatte und die
    Analyse noch zur Rechtfertigung seiner Eifersucht anrufen
    konnte. Eigentlich reduzierte sich seine Abnormitit darauf,
    daß er das Unhewußte seiner Frau schärfer beobachtete und
    dann weit höher einschätete, als einem anderen eingefallen
    wäre.

    Wir erinnern uns daran, daß auch die verfolgten Paranoiker
    sich ganz ähnlich benehmen. Auch sie anerkennen bei
    Anderen nichts Indifierentee und verwerten in ihrem „Be-
    ziehungswahn" die kleinsten Anzeichen, die ihnen diese
    Anderen, Fremden geben. Der Sinn ihres Beziehungswuhnes
    ist nämlich, daß sie von allen Fremden etwas wie Liebe er-
    warten; diese Anderen zeigen ihnen aber nichts dergleichen,
    sie lachen vor sich hin, fuchteln mit ihren Stöcken oder
    spueken sogar auf den Boden, wenn sie vorbeigehen, und das
    tut man wirklich nicht, wenn man an der Person, die in der
    Nähe ist, irgendein freundliches Interesse nimmt. Man tut es
    nur dann, wenn einem diese Person ganz gleichgültig ist,

    u Freud. Sdn‘ifun zur Neurunen‘drre

  • S.

    178 Über einige neuroti:cbe Mechanismen

    wenn man sie als Luft behandeln kann, und der Paranoiker
    hat bei der Grundverwandtschaft der Begrifie „fremd“ und
    „feindlich“ nicht so unrecht, wenn er solche Indifferenz im
    Verhältnis zu seiner Liebesforderung als Feindseligkeit
    empfindet.

    Es ahnt uns nun, daß wir das Verhalten des eifersüchtigen
    wie des verfolgten Paranoikers sehr ungenügend beschreiben,
    wenn wir sagen, sie projizieren nach außen auf Andere hin,
    Was sie im eigenen Innern nicht wahmebmen wollen.

    Gewiß tun sie dasjaher sie projizieren sozusagen nicht ins
    Blaue hinaus, nicht dorthin, wo sich nichts Ähnliches findet,
    sondern sie lassen sich von ihrer Kenntnis des Unbewußten
    leiten und verschieben auf das Unbewußte der Anderen die
    Aufmerksamkeit, die sie dem eigenen Ünbewußten entziehen.
    Unser Eifersüchtiger erkennt die Untreue seiner Frau an Stelle
    seiner eigenen; indem er die seiner Frau sich in riesiger Ver-
    größerung bewußt macht, gelingt es ihm, die eigene unbewußt
    zu erhalten. Wenn wir sein Beispiel für maßgebend erachten,
    dürfen wir schließen, daß auch die Feindseligkeit, die der
    Verfolgte bei Anderen findet, der Widerschein' der eigenen
    feiudseligen Gefühle gegen diese Anderen ist. Da wir wissen,
    daß beim Paranoiker gerade die geliebteste Person des gleichen
    Geschlechtes zum Verfolger wird, entsteht die Frage, woher
    diese Aflekturnkehrung rührt, und die naheliegende Antwort
    wäre, daß die stets vorhandene Gefühlsambivalenz die Grund—
    lage fiir den Hall abgibt und die Nichterfüllung der Liebes-
    :nsprüche ihn verstärkt. So leistet die Gefühlsnmbivalenz dem
    Verfolgten denselben Dienst zur Abwehr der Homosexualität
    wie unsere- Patienten die Eifersucht.

    Die Träume meines Eifersüchtigen bereiteten mir eine große
    Überraschung. Sie zeigten sich zwar nicht gleichzeitig mit
    dem Ausbruch des Anfalls, aber doch noch unter der Herr-
    schaft des Wahns, waren vollkommen wahnfrei und ließen

  • S.

    bei Eifersucht. Paranoia und Homorexualizäl 179

    die zugrundeliegenden homosexuellen Regungen in nicht
    stärkerer Verkleidung als sonst gewöhnlich erkennen. Bei
    meiner geringen Erfahrung über die Träume von Paranoikem
    lag es mir damals nahe, allgemein anzunehmen, die Paranoia
    dringe nicht in den Traum.

    Der Zustand der Homosexualität war bei diesem Patienten
    leicht zu überblicken. Er hatte keine Freundschaft und keine
    sozialen Interessen gebildet; man mußte den Eindruck be-
    kommen, als ob erst der Wahn die weitere Entwicklung seiner
    Beziehungen zum Manne übernommen hätte, wie um ein
    Stück des Versäumten nachzuholen. Die geringe Bedeutung
    des Vaters in seiner Familie und ein beschämendes homo-
    sexuelles Trauma in frühen Knabenjahren hatten zusammen-
    gewirkt, um seine Homosexualität in die Verdrängung zu
    treiben und ihr den Weg zur Suhlimierung zu verlegen. Seine
    ganze ]ugendzeit war von einer starken Mottflhindung be-
    herrscht. Unter vielen Söhnen war er der erklärte fiehling
    der Mutter und entwickelte auf sie bezüglich eine starke
    Eifersucht von normalem Typus. Als er später eine Ehewahl
    traf, wesentlich unter der Herrschaft des Motive, die Mutter
    reich zu machen, äußerte sich sein Bedürfnis nach einer
    virginalen Mutter in zwanghaften Zweifeln an der Virginität
    seiner Braut. Die ersten Jahre seiner Ehe waren von Eifer-
    sucht frei. Er wurde dann seiner Frau untreu und ging ein
    langdauerndes Verhältnis mit einer anderen ein. Erst als er
    diese Liebesbeziehung, durch einen bestimmten Verdacht
    gesch.reckt, aufgegeben hatte, brach bei ihm eine Eifersucht
    vom zweiten, vom Projektionstypus, los, mit welcher er die
    Vorwürfe wegen seiner Untreue beschwichtigen konnte. Sie
    komplizierte sich bald durch das Hinzutreten der homo-
    sexuellen Regungen, deren Objekt der Schwiegervater war,
    zur vollen Eifersuchtsparanoia.

    Mein zweiter Fall wäre wahrscheinlich ohne Analyse nicht

    „'

  • S.

    180 Über einige neurotiscbe Mechanismen

    als Paranoia persecutoria klassifiziert worden, aber ich mußte
    den jungen Mann als einen Kandidaten für diesen Krankheits-
    ausgang auffassen. Es bestand bei ihm eine Ambivalenz im
    Verhältnis zum Vater von ganz außerordentliche: Spannweite.
    Er war einerseits der ausgesprochenste Rebell, der sich manifest
    in allen Stücken von den Wünschen und Idealen des Vaters
    weg entwickelt hatte, anderseits in tieferer Schicht noch
    immer der unterwüri'igste Sohn, der nach dem Tode des
    Vaters sich in zärtlichem Schuldbewußtsein den Genuß des
    Weibes ven-sagte. Seine realen Beziehungen zu Männern
    standen offenbar unter dem Zeichen des Mißtrauens; mit
    seinem starken Intellekre wußte er diese Einstellung zu
    rationalisieren und verstand es so einzurichten, daß er von
    Bekannten und Freunden betrogen und ausgeheutet wurde.
    Was ich Neues an ihm lernte, war, daß klassische Verfolgungs-
    gedanken vorhanden sein können, ohne Glauben und Anwert
    zu finden. Sie blitzten während seiner Analyse gelegentlich
    auf, aber er legte ihnen keine Bedeutung bei und bespöttelte
    sie regelmäßig. Dies mag in vielen Fällen von Paranoia ähn-
    lich vorkommen, und wenn eine solche Erkrankung losbricht,
    halten wir vielleicht die geäußerten Wahnideen für Neu-
    produktionen, während sie längst? bestanden haben mögen.

    Es scheint mit eine wichtige Einsicht, daß ein qualitatich
    Moment, das Vorhandensein gewisser neurotischer Bildungen,
    praktisch weniger bedeutet als das quantitative Moment,
    welchen Grad von Aufmerksamkeit, richtiger, welches Maß
    von Besetzung diese Gebilde an sich ziehen können. Die Er-
    örterung unseres ersten Falles, der Eifersuchtsparanoia, hatte
    uns zur gleichen Wertschätzung des quantitativen Moments
    aufgefordert, indem sie uns zeigte, daß dort die Abnormität
    wes'entlich in der Überhesetzung der Deutungen des fremden
    Unbewußten bestand. Aus der Analyse der Hysterie kennen
    wir längst eine analoge Tauache. Die pathogenen Phantasien,

  • S.

    bei Eifenucbr‚ Paranoia und Homoxexualitiit 181

    Abkömmlinge verdrängter Triebregungen, werden lange Zeit
    neben dem normalen Seelenieben geduldet und wirken nicht
    eher pathogen, als bis sie aus einem Umsehwung der Libido-
    ökonomie eine Überbesetzung erhalten; erst dann bricht der
    Konflikt los, der zur Symptombildung fiihrt. Wir werden so
    im Fortschritt unserer Erkenntnis immer mehr dazu gedrängt,
    den 6 k onomischen Gesichtspunkt in den Vordergrund
    zu rücken. Ich möchte auch die Frage aufwerfen, ob das hier
    betonte quantitative Moment nicht him-sich:, um die
    Phänomene zu decken, fiir die B leuler und andere neuer-
    dings den Begriff der „Schaltung“ einführen wollen. Man
    müßte nur annehmen, daß eine Widerstandssteigerung in einer
    Richtung des psyohisehen Ablaufes eine Uberbeserzung eines
    anderen Weges und damit die Einschaltung desselben in den
    Ablauf zur Folge hat.

    Ein lehneieher Gegensatz zeigte sich bei meinen zwei
    Fällen von Paranoia im Verhalten der Träume. Während
    im ersten Fall die Träume, wie erwähnt, wahnfrei wären,
    produzierte der andere Patient in großer Zahl Verfolgungs—
    träume, die man als Vorläufer oder Ersatzbildungen fiir die
    Wahnideen gleichen Inhalts ansehen kann. Das Verfolgende,
    dem er sich nur mit großer Angst entziehen konnte, war in
    der Regel ein starker Stier oder ein anderes Symbol der
    Männlichkeit, das er manchmal noch im Traum selbst als
    Vatervertretung erkannte. Einmal berichtete er einen sehr
    charakteristischen paranoisehen Übertragungstraum. Er sah,
    daß ich mich in seiner Gegenwart rasierte, und merkte am
    Geruche, daß ich dabei dieselbe Seife wie sein Vater ge—
    brauchte. Das tat ich, um ihn zur Vateriibertragung auf meine
    Person zu nötigen. In der Wahl der geträumten Situation
    erwies sich unverkennbar die Geringschätzung des Patienten
    für seine paranoischen Phantasien und sein Unglatibe gegen
    sie, denn der tägliche Augenschein konnte ihn belebten. daß

  • S.

    181 Über einige newetl'scbe Mechanismen

    ich überhaupt nicht in die Lage komme, mich einer Rasier-
    seife zu bedienen und also in diesem Punkte der Vaterübeb
    tragung keinen Anhalt biete.

    Der Vergleich der Träume bei unseren beiden Patienten
    belehrt uns aber, daß unsere Fragestellung, ob die Paranoia
    (oder eine andere Psychoneurose) auch in den Traum dringen
    könne, nur auf einer unrichtigen Auffassung des Traumes
    beruht. Der Traum unterscheidet sich vom Wachdenkm
    darin, daß er Inhalte (aus dem Bereich des Verdrängten) auf-
    nehmen kann, die im Wachdenken nicht vorkommen dürfen.
    Davon abgesehen ist er nur eine Form des Denkens,
    eine Umformung des vorbewußten Denkstofl'es durch die
    Traumarbeit und ihre Bedingungen. Auf das Verdrängte ist
    unsere Terminologie der Neurosen nicht anwendbar, es kann
    weder hysterisch, noch zwangsneurotisch, noch paranoisch
    genannt werden. Dagegen kann der andere Anteil des Stofles‚
    welcher der Traumbildung unterliegt, die vorbewußten Ge-
    danken, normal sein oder den Charakter irgendeiner
    Neurose an sich tragen. Die vorbewußten Gedanken mögen
    Ergebnisse all jener pathogenen Prozesse sein, in denen wir
    das Wesen einer Neurose erkennen. Es ist nicht einzusehen,
    warum nicht jede solche krankhafte Idee die Umformung in
    einen Traum erfahren sollte. Ein Traum kann also ohne
    weiteres einer hysterischen Phantasie, einer Zwangsvorstellung
    einer Wahnidee entsprechen, das heißt bei seiner Deutung
    eine solche ergeben. In unserer Beobachtung an zwei
    Paranoilsern finden wir, daß der Traum des einen normal ist,
    während sich der Mann im Anfall befindet, und daß der des
    anderen einen paranoischen Inhalt hat, während der Mann
    nor]: über seine Wahnideen spottet. Der Traum hat also in
    beiden Fällen aufgenommen, was im Wachleben derzeit zu-
    rückgedrängt .war.‘ Aber auch des braucht nicht die Regel
    :u.sein.r ‚.

  • S.

    bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität 183

    C

    Homosexualität: Die Anerkennung des organischen
    Faktors der Homosexualität iiberhebt uns nicht der Ver
    pflichtung, die psychischen Vorgänge bei ihrer Entstehung
    zu studieren. Der typische, bereits bei einer Unzahl von
    Fällen festgestellte Vorgang besteht darin, daß der bis dahin
    intensiv an die Mutter fixierte junge Mann einige Jahre
    nach abgelaufener Pubertät eine Wendung vornimmt, sich
    selbst mit der Mutter identifiziert und nach Liebesobiekten
    aussehaut, in denen er sich selbst wiederfinden kann, die er
    dann lieben möchte, wie die Mutter ihn geliebt hat. Als Merk-
    zeichen dieses Prozesses stellt sich gewöhnlich für viele Jahre
    die Liebesbedingung her, daß die männlichen Objekte das
    Alter haben müssen, in dem bei ihm die Umwandlung erfolgt
    ist. Wir haben verschiedene Faktoren kennen gelernt, die
    wahrscheinlich in wechselnder Stärke zu diesem Ergebnis bei-
    tragen. 'Zunächst die Mutterfixierung, die den Übergang zu
    einem anderen Weibobjekt erschwert. Die Identifizierung mit
    der Mutter ist ein Ausgang dieser Objektbindung und er-
    möglicht es gleichzeitig, diesem ersten Objekt in gewissem
    Sinne treu zu bleiben. Sodann die Neigung zur narzißtischen
    Objektwahl, die im allgemeinen näher liegt und leichter
    auszuführen ist als die Wendung zum anderen Geschlecht.
    Hinter diesem Moment verbirgt sich ein anderes von ganz
    besonderer Stärke oder es fällt vielleicht mit ihm zusammen:
    die Hochschätzung da männlichen Organs und die Unfähig-
    keit, auf dessen Vorhandensein beim Liebe.mbjekt zu ver-
    lichten. Die Geringschätzung des Weibes, die Abneigung
    gegen dasselbe, ja der Abscheu vor ihm, leiten sich in der
    Regel von der früh gemachten Entdeckung ab, daß das Weib
    keinen Penis besitzt. Später haben wir noch als mächtiges
    Motiv range homosexuelle.0bjektwahl d."; Rücksicht auf

  • S.

    184 Über einige neurotiacbe Mecbminnen

    den Vater oder die Angst vor ihm kennen gelernt, da der
    Verzicht auf das Weib die Bedeutung hat, daß man der
    Konkurrenz mit ihm (oder allen männlichen Personen, die
    für ihn eintreten) ausweieht. Die beiden letzten Motive, das
    Festhalten an der Penisbedingung sowie das Ausweichen,
    können dem Kastrationskomplex zug-aß: werden. Mutter-
    bindung — Narzißmus —— Kastradonsangst, diese übrigens
    in keiner Weise spezifischen Momente hatten wir bisher in
    der psychischen Ätiologie der Homosexualität aufgefunden,
    und zu ihnen gesellten sich noch der Einfluß de: Verführung,
    welche eine frühzeitige Fixierung der Libido verschuldet,
    sowie der des organischen Faktors, der die passive Rolle im
    liebesleben begünstigt.

    Wir haben aber niemals geglaubt, daß diese Analyse der
    Entstehung der Homosexualität vollständig ist. Ich kann
    heute auf einen neuen Mechanismus hinweisen, der zur homo-
    sexuellen Objektwahl führt, wenngleich ich nicht angeben
    kann, wie groß seine Rolle bei der Gestaltung der extremen,
    der manifesten und ausschließlichen Homosexualität anzu—
    schlagen ist. Die Beobachtung machte mich auf mehrae Fälle
    aufmerksam. bei denen in früher Kindheit besonders starke
    eifersüchtigc Regungen aus dem Mutterkomplex gegen
    Rivalen, meist ältere Brüdei', aufgetreten waren. Diese Eifer-
    sucht führtc zu intensiv feindseligen und aggressiven Ein-
    stellungen gegen die Geschwister, die sich bis zum Todes—
    wunsch steigern konnten, aber der Entwicklung nicht stand-
    hielten. Unter den Einflüssen der Erziehung, gewiß auch in-
    folge der anhaltenden Ohnmacht dieser Regungen, kam es
    zur Verdrängung derselben und zu einer Gdühkumwandlung,
    so daß die früheren Rivalen nun die ersten homosexuellen
    Liebesobjekte wurden. Ein solcher Ausgang der Mutterbindung
    zeigt mehrfache intaessante Beziehungen zu anderen uns be-
    kannten Prozessen. Er ist zunächst das volle Gegenstück zur

  • S.

    bei Eifersucht, Parmaia und Homoxexuulität r85

    Entwicklung der Paranoia persecntoria, bei. welcher die
    zuerst geliebten Personen zu den gehaßten Verfolgern werden,
    während hier die gehaßten Rivalen sich in Liebesobjekte um-
    wandeln. Er stellt sich ferner als eine Überueibung des Vor-
    ganges dar, welcher nach meiner Anschauung zur in-
    dividuellen Genese der sozialen Triebe fiihrt.‘ Hier wie dort
    sind zunächst eifersiichtige und feindselige Regungen vorhan-
    den, die es nicht zur Befriedigung bringen können, und die
    zärtlichen wie die sozialen Identifizierungsgefiihle entstehen als
    Reaktionsbildungen gegen die verdrängten Aggressionsimpulse.

    Dieser neue Mechanismus der homosexuellen Objektwah],
    die Entstehung 108 überwundener Rival.ität und verdränth
    Aggressionsneigung, mengt sich in manchen Fällen den uns
    bekannten typischen Bedingungen bei. Man erfährt nicht
    selten aus der Iebensgeschiehne Homosexueller, daß ihre
    Wendung eintrat, nachdem die Mutter einen anderen Knaben
    gelobt und als Vorbild angepriesen hatte. Dadurch wurde
    die Tendenz zur narzißtisehen Objektwahl gereizt, und nach
    einer kurzen Phase scharfer Eifersucht war der Rivale zum
    Liebesobjekt geworden. Sonst aber senden sich der neue
    Mechanismus dadurch ab, daß bei ihm die Umwandlung in
    viel früheren Jahren vor sich geht und die Mutteridentifi-
    zierung in den Hintergrund tritt. Aueh führte er in den
    von mir beobachteten Fällen nur zu homosexuellen Einstellun-
    gen, welche die Heterosexualität nicht aussehloss‘en und
    keinen horror feminae mit sich brachten.

    Es ist bekannt, daß eine ziemliche Anzahl homosexuelle:
    Personen sich durch besondere Entwicklung der sozialen
    Triebregungen und durch Hingabe an gemeinnützige Inter—
    essen auszeichnet. Man wäre versucht, dafür die theoretische
    Erklärung zu geben, daß ein Mann, der in anderen Männern

    }) Siehe Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1911. ‘[Band V!
    der Ges. Schriften.]

  • S.

    186 Eifermrbt, Paranoia und Homosexualität

    mögliche Liebesobjekte sieht, sich gegen die Gemeinschaft
    der Männer anders benehmen muß, als ein anderer, der
    genötigt ist, im Mann zunächst den Rivalen beim Weibe zu
    erblicken. Dem steht nur die Erwägung entgegen, daß es
    auch bei homosexueller Liebe Eifersucht und Rivalität gibt,
    und daß die Gemeinschaft der Männer auch diese möglichen
    Rivalen umschließt. Aber auch, wenn man von dieser
    spekulativeu Begründung absicht, kann die Tatsache für den
    Zusammenhang von Homosexualität und sozialem Empfinden
    nicht gleichgültig sein, daß die homosexuelle Objektwahl nicht
    selten aus frühzeitige: Überwindung der Rivalität mit dem
    Marine hervorgeht.

    In der psychoanalyn'schen Betrachtung sind wir gewöhnt,
    die sozialen Gefühle als Sublimierungen homosexueller Objekt-
    einstellungcn aufzufassen. Bei den sozial gesinnten Homo-
    sexuellen wäre die Ablösung der sozialen Gefühle von der
    Objektwahl nicht voll gegliickt.

    NEUROSE UN D PSYCHOSE
    (UM)

    In meiner kürzlich erschienenen Schrift „Das Ich und das
    Es“ habe ich eine Gliederung des seelischen Apparates ange-
    geben, auf deren Grund sich eine Reihe von Beziehungen
    in einfacher und übersichtlicher Weise darstellen läßt. In
    anderen Punkten, zum Beispiel was die Herkunft und Rolle
    des Über-Ichs betrifft. bleibt genug des Dunkeln und Un—
    erledigten. Man darf nun fordern, daß eine solche Auf-
    stellung sich auch für andere Dinge als brauchbar und förder-
    lich erweise, wäre es auch nur, um bereits Bekanntes in neuer
    Aufl‘asung zu sehen, es anders zu gruppiereu und über-