Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität 1922-002/1924
  • S.

    UBER EINIGE NEUROTISCHE MECHANISMEN
    BEI EIFERSUCHT, PARANOIA UND
    HOMOSEXUALITAT

    Zuerst erschienen in der „Internationalen Zeit»
    schrift fiir Psychoanalyse“, Bd. VIII, 1922.

    A

    Die Eifersucht gehört zu den Affektzuständen, die man ähn-
    lich wie die Trauer als normal bezeichnen darf. Wo sie im
    Charakter und Benehmen eines Menschen zu fehlen scheint, ist
    der Schluß gerechtfertigt, daß sie einer starken Verdrängung
    erlegen ist und darum im unbewußten Seelenleben eine um so
    größere Rolle spielt. Die Fälle von abnorm verstärkter Eifersucht,
    mit denen die Analyse zu tun bekommt, erweisen sich als drei-
    fach geschichtet. Die drei Schichten oder Stufen der Eifersucht
    verdienen die Namen der ı.konkurrierenden oder normalen,
    2. der projizierten, z. der wahnhaften.

    Über die normale Eifersucht ist analytisch wenig zu sagen.
    Es ist leicht zu sehen, daß sie sich wesentlich zusammensetzt
    aus der Trauer, dem Schmerz um das verlorengeglaubte Liebes-
    objekt, und der narzißtischen Kränkung, soweit sich diese vom
    anderen sondern läßt, ferner aus feindseligen Gefühlen gegen den
    bevorzugten Rivalen und aus einem mehr oder minder großen
    Beitrag von Selbstkritik, die das eigene Ich für den Liebesverlust
    verantwortlich machen will. Diese Eifersucht ist, wenn wir sie
    auch normal heißen, keineswegs durchaus rationell, das heißt aus

    25"

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    388 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    aktuellen Beziehungen entsprungen, den wirklichen Verhåltnissen
    proportional und restlos vom bewuBten Ich beherrscht, denn sie
    wurzelt tief im UnbewuBten, setzt früheste Regungen der kind-
    lichen Affektivität fort und stammt aus dem Odipus- oder aus
    dem Geschwisterkomplex der ersten Sexualperiode. Es ist immerhin
    bemerkenswert, daB sie von manchen Personen bisexuell erlebt
    wird, das heiBt beim Manne wird auBer dem Schmerz um das
    geliebte Weib und dem Haß gegen den männlichen Rivalen
    auch Trauer um den unbewußt geliebten Mann und Haß gegen
    das Weib als Rivalin bei ihm zur Verstärkung wirksam. Ich
    weiß auch von einem Manne, der sehr arg unter seinen
    Eifersuchtsanfållen litt und die nach seinen Angaben ärgsten
    Qualen in der bewuBten Versetzung in das ungetreue Weib
    durchmachte. Die Empfindung der Hilflosigkeit, die er dann ver-
    spiirte, die Bilder, die er fiir seinen Zustand fand, als ob er wie
    Prometheus dem GeierfraB preisgegeben oder gefesselt in ein
    Schlangennest geworfen worden wire, bezog er selbst auf den
    Eindruck mehrerer homosexueller Angriffe, die er als Knabe
    erlebt hatte.

    Die Eifersucht der zweiten Schichte oder die projizierte
    geht beim Manne wie beim Weibe aus der eigenen, im Leben
    betätigten Untreue oder aus Antrieben zur Untreue hervor, die
    der Verdrängung verfallen sind. Es ist eine alltägliche Erfahrung,
    daß die Treue, zumal die in der Ehe geforderte, nur gegen
    beständige Versuchungen aufrechterhalten werden kann. Wer
    dieselben in sich verleugnet, verspürt deren Andrängen doch so
    stark, daß er gerne einen unbewußten Mechanismus zu seiner
    Erleichterung in Anspruch nimmt. Eine solche Erleichterung, ja
    einen Freispruch vor seinem Gewissen erreicht er, wenn er die
    eigenen Antriebe zur Untreue auf die andere Partei, welcher er
    die Treue schuldig ist, projiziert. Dieses starke Motiv kann sich
    dann des Wahrnehmungsmaterials bedienen, welches die gleich-
    artigen unbewußten Regungen des anderen Teiles verrät, und

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    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 389

    könnte sich durch die Überlegung rechtfertigen, daß der Partner
    oder die Partnerin wahrscheinlich auch nicht viel besser ist, als
    man selbst." .

    Die gesellschaftlichen Sitten haben diesem allgemeinen Sach-
    verhalt in kluger Weise Rechnung getragen, indem sie der Gefall
    sucht der verheirateten Frau und der Eroberungssucht des Ehe-
    mannes einen gewissen Spielraum gestatten in der Erwartung,
    die unabweisbare Neigung zur Untreue dadurch zu drainieren und
    unschådlich zu machen. Die Konvention setzt fest, daB beide Teile
    diese kleinen Schrittchen in der Richtung der Untreue einander
    nicht anzurechnen haben, und erreicht zumeist, daB die am fremden
    Objekt entziindete Begierde in einer gewissen Riickkehr zur Treue
    am eigenen Objekt befriedigt wird. Der Eifersüchtige will aber
    diese konventionelle Toleranz nicht anerkennen, er glaubt nicht,
    daB es ein Stillhalten oder Umkehren auf dem einmal betretenen
    Weg gibt, daB der gesellschaftliche „Flirt“ auch eine Ver-
    sicherung gegen wirkliche Untreue sein kann. In der Behandlung
    eines solchen Eifersüchtigen muß man es vermeiden, ihm das
    Material, auf das er sich stiitzt, zu bestreiten, man kann ihn
    nur zu einer anderen Einschåtzung desselben bestimmen wollen.

    Die durch solche Projektion entstandene Eifersucht hat zwar
    fast wahnhaften Charakter, sie widersteht aber nicht der analyti-
    schen Arbeit, welche die unbewuBten Phantasien der eigenen
    Untreue aufdeckt. Schlimmer ist es mit der Eifersucht der dritten
    Schicht, der eigentlich wahnhaften. Auch diese geht aus ver-
    drångten Untreuestrebungen hervor, aber die Objekte dieser Phan-
    tasien sind gleichgeschlechtlicher Art. Die wahnhafte Eifersucht
    entspricht einer vergorenen Homosexualität und behauptet mit
    Recht ihren Platz unter den klassischen Formen der Paranoia.

    1) Vergl. die Strophe im Liede der Desdemona:

    1 called him thou false one, what answered he then?

    If I court more women, you will couch with more men.

    (Ich nannt’ ihn: Du Falscher. Was sagt er dazu?

    Schau ich nach den Mågdlein, nach den Biiblein schielst du.)

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    390 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    Als Versuch zur Abwehr einer iiberstarken homosexuellen Regung
    wåre sie (beim Manne) durch die Formel zu umschreiben:

    Ich liebe ihn ja nicht, sie liebt ihn.

    In einem Falle von Eifersuchtswahn wird man darauf vorbereitet
    sein, die Eifersucht aus allen drei Schichten zu finden, niemals

    die aus der dritten allein.

    B

    Paranoia. Aus bekannten Griinden entziehen sich Fille von
    Paranoia zumeist der analytischen Untersuchung. Indes konnte ich
    doch in letzter Zeit aus dem intensiven Studium zweier Paranoiker
    einiges, was mir neu war, entnehmen.

    Der erste Fall betraf einen jugendlichen Mann mit voll aus-
    gebildeter Eifersuchtsparanoia, deren Objekt seine tadellos getreue
    Frau war. Eine stiirmische Periode, in der ihn der Wahn ohne
    Unterbrechung beherrscht hatte, lag bereits hinter ihm. Als ich
    ihn sah, produzierte er nur noch gut gesonderte Anfålle, die
    über mehrere Tage anhielten und interessanterweise regelmäßig
    am Tage nach einem, übrigens fiir beide Teile befriedigenden,
    Sexualakt auftraten. Es ist der SchluB berechtigt, daB jedesmal
    nach der Såttigung der heterosexuellen Libido die mitgereizte
    homosexuelle Komponente sich ihren Ausdruck im Eifersuchts-
    anfall erzwang.

    Sein Material bezog der Anfall aus der Beobachtung der kleinsten
    Anzeichen, durch welche sich die völlig unbewuBte Koketterie
    der Frau, einem anderen unmerklich, ihm verraten hatte. Bald
    hatte sie den Herrn, der neben ihr saB, unabsichtlich mit ihrer
    Hand gestreift, bald ihr Gesicht zu sehr gegen ihn geneigt oder
    ein freundlicheres Låcheln aufgesetzt, als wenn sie mit ihrem
    Mann allein war. Für all diese Äußerungen ihres UnbewuBten
    zeigte er eine auBerordentliche Aufmerksamkeit und verstand sie

    1) Vergl. die Ausführungen zum Falle Schreber: Psychoanalytische Bemerkungen
    liber einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides)
    [enthalten in Band VIII dieser Gesamtausgabe].

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    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 391

    immer richtig zu deuten, so daB er eigentlich immer Recht
    hatte und die Analyse noch zur Rechtfertigung seiner Eifer-
    sucht anrufen konnte, Eigentlich reduzierte sich seine Abnormität
    darauf, daß er das UnbewuBte seiner Frau schärfer beobachtete
    und dann weit höher einschåtzte, als einem anderen eingefallen
    wäre.

    Wir erinnern uns daran, daß auch die verfolgten Paranoiker
    sich ganz ähnlich benehmen. Auch sie anerkennen bei Anderen
    nichts Indifferentes und verwerten in ihrem „Beziehungswahn“
    die kleinsten Anzeichen, die ihnen diese Anderen, Fremden geben,
    Der Sinn ihres Beziehungswahnes ist nämlich, daß sie von allen
    Fremden etwas wie Liebe erwarten; diese Anderen zeigen ihnen
    aber nichts dergleichen, sie lachen vor sich hin, fuchteln mit
    ihren Stöcken oder spucken sogar auf den Boden, wenn sie
    vorbeigehen, und das tut man wirklich nicht, wenn man an der
    Person, die in der Nähe ist, irgendein freundliches Interesse
    nimmt. Man tut es nur dann, wenn einem diese Person ganz
    gleichgültig ist, wenn man sie als Luft behandeln kann, und
    der Paranoiker hat bei der Grundverwandtschaft der Begriffe
    „fremd“ und „feindlich“ nicht so unrecht, wenn er solche In-
    differenz im Verhältnis zu seiner Liebesforderung als Feindseligkeit
    empfindet.

    Es ahnt uns nun, daß wir das Verhalten des eifersüchtigen
    wie des verfolgten Paranoikers sehr ungenügend beschreiben, wenn
    wir sagen, sie projizieren nach außen‘ auf Andere hin, was sie im
    eigenen Innern nicht wahrnehmen wollen,

    Gewiß tun sie das, aber sie projizieren sozusagen nicht ins
    Blaue hinaus, nicht dorthin, wo sich nichts Ähnliches findet,
    sondern sie lassen sich von ihrer Kenntnis des Unbewußten leiten
    und verschieben auf das Unbewußte der Anderen die Aufmerk-
    samkeit, die sie dem eigenen Unbewußten entziehen. Unser Eifer-
    süchtiger erkennt die Untreue seiner Frau an Stelle seiner eigenen ;
    indem er die seiner Frau sich in riesiger Vergrößerung bewußt

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    392 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    macht, gelingt es ihm, die eigene unbewuBt zu erhalten. Wenn
    wir sein Beispiel får maßgebend erachten, dürfen wir schließen,
    daß auch die Feindseligkeit, die der Verfolgte bei Anderen findet,
    der Widerschein der eigenen feindseligen Gefühle gegen diese
    Anderen ist. Da wir wissen, daß beim Paranoiker gerade die
    geliebteste Person des gleichen Geschlechts zum Verfolger wird,
    entsteht die Frage, woher diese Affektumkehrung rührt, und die
    naheliegende Antwort wäre, daß die stets vorhandene Gefühls-
    ambivalenz die Grundlage für den Haß abgibt und die Nicht-
    erfüllung der Liebesansprüche ihn verstärkt. So leistet die Gefühls-
    ambivalenz dem Verfolgten denselben Dienst zur Abwehr der
    Homosexualität wie unserem Patienten die Eifersucht.

    Die Träume meines Eifersüchtigen bereiteten mir eine große
    Überraschung. Sie zeigten sich zwar nicht gleichzeitig mit dem
    Ausbruch des Anfalls, aber doch noch unter der Herrschaft
    des Wahns, waren vollkommen wahnfrei und ließen die
    zugrundeliegenden homosexuellen Regungen in nicht stärkerer
    Verkleidung als sonst gewöhnlich erkennen. Bei meiner geringen
    Erfahrung über die Träume von Paranoikern lag es mir damals
    nahe, allgemein anzunehmen, die Paranoia dringe nicht in den
    Traum.

    Der Zustand der Homosexualität war bei diesem Patienten
    leicht zu überblicken. Er hatte keine Freundschaft und keine
    sozialen Interessen gebildet; man mußte den Eindruck bekommen,
    als ob erst der Wahn die weitere Entwicklung seiner Beziehungen
    zum Manne übernommen hätte, wie um ein Stück des Versäumten
    nachzuholen. Die geringe Bedeutung des Vaters in seiner Familie
    und ein beschåmendes homosexuelles Trauma in frühen Knaben-
    jahren hatten zusammengewirkt, um seine Homosexualitåt in die
    Verdrängung zu treiben und ihr den Weg zur Sublimierung zu
    verlegen. Seine ganze Jugendzeit war von einer starken Mutter-
    bindung beherrscht. Unter vielen Söhnen war er der erklärte
    Liebling der Mutter und entwickelte auf sie bezüglich eine starke

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    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 595

    Eifersucht von normalem Typus. Als er später eine Ehewahl traf,
    wesentlich unter der Herrschaft des Motivs, die Mutter reich zu
    machen, äußerte sich sein Bedürfnis nach einer virginalen Mutter
    in zwanghaften Zweifeln an der Virginitåt seiner Braut. Die ersten
    Jahre seiner Ehe waren von Eifersucht frei. Er wurde dann seiner
    Frau untreu und ging ein langdauerndes Verhåltnis mit einer
    anderen ein. Erst als er diese Liebesbeziehung, durch einen
    bestimmten Verdacht geschreckt, aufgegeben hatte, brach bei ihm
    eine Eifersucht vom zweiten, vom Projektionstypus, los, mit
    welcher er die Vorwürfe wegen seiner Untreue beschwichtigen
    konnte. Sie komplizierte sich bald durch das Hinzutreten der
    homosexuellen Regungen, deren Objekt der Schwiegervater war,
    zur vollen Eifersuchtsparanoia.

    Mein zweiter Fall wire wahrscheinlich ohne Analyse nicht
    als Paranoia persecutoria klassifiziert worden, aber ich mußte den
    jungen Mann als einen Kandidaten fiir diesen Krankheitsausgang
    auffassen. Es bestand bei ihm eine Ambivalenz im Verhåltnis zum
    Vater von ganz auBerordentlicher Spannweite. Er war einerseits
    der ausgesprochenste Rebell, der sich manifest in allen Stiicken
    von den Wiinschen und Idealen des Vaters weg entwickelt hatte,
    anderseits in tieferer Schicht noch immer der unterwürfigste
    Sohn, der nach dem Tode des Vaters sich in zårtlichem Schuld-
    bewuBtsein den Genuß des Weibes versagte. Seine realen Beziehungen
    zu Männern standen offenbar unter dem Zeichen des MiBtrauens ;
    mit seinem starken Intellekte wußte er diese Einstellung zu
    rationalisieren und verstand es so einzurichten, daß er von
    Bekannten und Freunden betrogen und ausgebeutet wurde. Was
    ich Neues an ihm lernte, war, daß klassische Verfolgungs-
    gedanken vorhanden sein können, ohne Glauben und Anwert zu
    finden. Sie blitzten während seiner Analyse gelegentlich auf, aber
    er legte ihnen keine Bedeutung bei und bespóttelte sie regel-
    mäßig. Dies mag in vielen Fällen von Paranoia ähnlich vor-
    kommen, und wenn eine solche Erkrankung losbricht, halten

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    394 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    wir vielleicht die geäußerten Wahnideen für Neuproduktionen,
    während sie längst bestanden haben mögen.

    Es scheint mir eine wichtige Einsicht, daß ein qualitatives
    Moment, das Vorhandensein gewisser neurotischer Bildungen,
    praktisch weniger bedeutet als das quantitative Moment, welchen
    Grad von Aufmerksamkeit, richtiger, welches Maß von Besetzung
    diese Gebilde an sich ziehen können, Die Erörterung unseres
    ersten Falles, der Eifersuchtsparanoia, hatte uns zur gleichen
    Wertschätzung des quantitativen Moments aufgefordert, indem
    sie uns zeigte, daß dort die Abnormität wesentlich in der Über-
    besetzung der Deutungen des fremden Unbewußten bestand. Aus
    der Analyse der Hysterie kennen wir längst eine analoge Tat-
    sache. Die pathogenen Phantasien, Abkömmlinge verdrängter
    Triebregungen, werden lange Zeit neben dem normalen Seelen-
    leben geduldet und wirken nicht eher pathogen, als bis sie aus
    einem Umschwung der Libidoökonomie eine Uberbesetzung erhalten ;
    erst dann bricht der Konflikt los, der zur Symptombildung führt.
    Wir werden so im Fortschritt unserer Erkenntnis immer mehr
    dazu gedrängt, den ökonomischen Gesichtspunkt in den
    Vordergrund zu rücken. Ich möchte auch die Frage aufwerfen,
    ob das hier betonte quantitative Moment nicht hinreicht, um
    die Phänomene zu decken, für die Bleuler und andere neuer-
    dings den Begriff der „Schaltung“ einführen wollen. Man müßte
    nur annehmen, daß eine Widerstandssteigerung in einer
    Richtung des psychischen Ablaufs eine Überbesetzung eines anderen
    Weges und damit die Einschaltung desselben in den Ablauf zur
    Folge hat.

    Ein lehrreicher Gegensatz zeigte sich bei meinen zwei Fällen
    von Paranoia im Verhalten der Träume. Während im ersten Fall
    die Träume, wie erwähnt, wahnfrei waren, produzierte der andere
    Patient in großer Zahl Verfolgungsträume, die man als Vorläufer
    oder Ersatzbildungen für die Wahnideen gleichen Inhalts ansehen
    kann. Das Verfolgende, dem er sich nur mit großer Angst ent-

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    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 395

    ziehen konnte, war in der Regel ein starker Stier oder ein
    anderes Symbol der Männlichkeit, das er manchmal noch im
    Traum selbst als Vatervertretung erkannte. Einmal berichtete er
    einen sehr charakteristischen paranoischen Übertragungstraum. Er
    sah, daB ich mich in seiner Gegenwart rasierte, und merkte am
    Geruche, daß ich dabei dieselbe Seife wie sein Vater gebrauchte.
    Das tat ich, um ihn zur Vaterübertragung auf meine Person zu
    nötigen. In der Wahl der getråumten Situation erwies sich
    unverkennbar die Geringschätzung des Patienten für seine
    paranoischen Phantasien und sein Unglaube gegen sie, denn der
    tägliche Augenschein konnte ihn belehren, daß ich überhaupt
    nicht in die Lage komme, mich einer Rasierseife zu bedienen
    und also in diesem Punkte der Vaterübertragung keinen Anhalt
    biete.

    Der Vergleich der Träume bei unseren beiden Patienten
    belehrt uns aber, daß unsere Fragestellung, ob die Paranoia (oder
    eine andere Psychoneurose) auch in den Traum dringen könne,
    nur auf einer unrichtigen Auffassung des Traumes beruht. Der
    Traum unterscheidet sich vom Wachdenken darin, daß er Inhalte
    (aus dem Bereich des Verdrängten) aufnehmen kann, die im
    Wachdenken nicht vorkommen dürfen. Davon abgesehen ist er
    nur eine Form des Denkens, eine Umformung des vorbe-
    wußten Denkstoffes durch die Traumarbeit und ihre Bedingungen.
    Auf das Verdrängte ist unsere Terminologie der Neurosen nicht
    anwendbar, es kann weder hysterisch, noch zwangsneurotisch,
    noch paranoisch genannt werden. Dagegen kann der andere
    Anteil des Stoffes, welcher der Traumbildung unterliegt, die
    vorbewußten Gedanken, normal sein oder den Charakter irgend-
    einer Neurose an sich tragen. Die vorbewußten Gedanken mögen
    Ergebnisse all jener pathogenen Prozesse sein, in denen wir das
    Wesen einer Neurose erkennen. Es ist nicht einzusehen, warum
    nicht jede solche krankhafte Idee die Umformung in einen
    Traum erfahren sollte. Ein Traum kann also ohne weiteres einer

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    396 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    hysterischen Phantasie, einer Zwangsvorstellung, einer Wahnidee
    entsprechen, das heiBt bei seiner Deutung eine solche ergeben.
    In unserer Beobachtung an zwei Paranoikern finden wir, daB
    der Traum des einen normal ist, wåhrend sich der Mann im
    Anfall befindet, und daß der des anderen einen paranoischen
    Inhalt hat, wåhrend der Mann noch iiber seine Wahnideen
    spottet. Der Traum hat also in beiden Fållen aufgenommen, was
    im Wachleben derzeit zurückgedrängt war. Aber auch das braucht
    nicht die Regel zu sein.

    0

    Homosexualität. Die Anerkennung des organischen Faktors
    der Homosexualität überhebt uns nicht der Verpflichtung, die
    psychischen Vorgänge bei ihrer Entstehung zu studieren. Der
    typische, bereits bei einer Unzahl von Fällen festgestellte Vorgang
    besteht darin, daB der bis dahin intensiv an die Mutter fixierte
    junge Mann einige Jahre nach abgelaufener Pubertät eine
    Wendung vornimmt, sich selbst mit der Mutter identifiziert und
    nach Liebesobjekten ausschaut, in denen er sich selbst wieder-
    finden kann, die er dann lieben möchte, wie die Mutter ihn
    geliebt hat. Als Merkzeichen dieses Prozesses stellt sich gewöhnlich
    fur viele Jahre die Liebesbedingung her, daß die männlichen
    Objekte das Alter haben miissen, in dem bei ihm die Umwandlung
    erfolgt ist. Wir haben verschiedene Faktoren kennen gelernt, die
    wahrscheinlich in wechselnder Stärke zu diesem Ergebnis beitragen.
    Zunächst die Mutterfixierung, die den Übergang zu einem anderen
    Weibobjekt erschwert. Die Identifizierung mit der Mutter ist ein
    Ausgang dieser Objektbindung und ermöglicht es gleichzeitig,
    diesem ersten Objekt in gewissem Sinne treu zu bleiben. Sodann
    die Neigung zur narziBtischen Objektwahl, die im allgemeinen
    näher liegt und leichter auszuführen ist als die Wendung zum
    anderen Geschlecht. Hinter diesem Moment verbirgt sich ein
    anderes von ganz besonderer Stårke oder es fållt vielleicht mit

  • S.

    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 397

    ihm zusammen: die Hochschåtzung des männlichen Organs und
    die Unfähigkeit, auf dessen Vorhandensein beim Liebesobjekt zu
    verzichten. Die Geringschätzung des Weibes, die Abneigung gegen
    dasselbe, ja der Abscheu vor ihm, leiten sich in der Regel von
    der früh gemachten Entdeckung ab, daß das Weib keinen Penis
    besitzt. Später haben wir noch als mächtiges Motiv für die
    homosexuelle Objektwahl die Rücksicht auf den Vater oder die
    Angst vor ihm kennen gelernt, da der Verzicht auf das Weib
    die Bedeutung hat, daß man der Konkurrenz mit ihm (oder
    allen männlichen Personen, die für ihn eintreten) ausweicht. Die
    beiden letzten Motive, das Festhalten an der Penisbedingung
    sowie das Ausweichen, können dem Kastrationskomplex zugezählt
    werden. Mutterbindung — Narzißmus — Kastrationsangst, diese
    übrigens in keiner Weise spezifischen Momente hatten wir bisher
    in der psychischen Ätiologie der Homosexualität aufgefunden,
    und zu ihnen gesellten sich noch der Einfluß der Verführung,
    welche eine frühzeitige Fixierung der Libido verschuldet, sowie
    der des organischen Faktors, der die passive Rolle im Liebesleben
    begünstigt.

    Wir haben aber niemals geglaubt, daß diese Analyse der Entstehung
    der Homosexualität vollständig ist. Ich kann heute auf einen
    neuen Mechanismus hinweisen, der zur homosexuellen Objektwahl
    führt, wenngleich ich nicht angeben kann, wie groß seine Rolle
    bei der Gestaltung der extremen, der manifesten und ausschlieB-
    lichen Homosexualität anzuschlagen ist. Die Beobachtung machte
    mich auf mehrere Fille aufmerksam, bei denen in früher Kindheit
    besonders starke eifersüchtige Regungen aus dem Mutterkomplex
    gegen Rivalen, meist áltere Brüder, aufgetreten waren. Diese
    Eifersucht führte zu intensiv feindseligen und aggressiven Ein-
    stellungen gegen die Geschwister, die sich bis zum Todeswunsch
    steigern konnten, aber der Entwicklung nicht standhielten. Unter
    den Einflüssen der Erziehung, gewiß auch infolge der anhaltenden
    Ohnmacht dieser Regungen, kam es zur Verdrüngung derselben

  • S.

    308 Arbeiten zum Sexualleben und zur Neurosenlehre

    und zu einer Gefühlsumwandlung, so daß die früheren Rivalen
    nun die ersten homosexuellen Liebesobjekte wurden. Ein solcher
    Ausgang der Mutterbindung zeigt mehrfache interessante Beziehungen
    zu anderen uns bekannten Prozessen. Er ist zunächst das volle
    Gegenstück zur Entwicklung der Paranoia persecutoria, bei welcher
    die zuerst geliebten Personen zu den gehaBten Verfolgern werden,
    wührend hier die gehaBten Rivalen sich in Liebesobjekte umwandeln.
    Er stellt sich ferner als eine Übertreibung des Vorganges dar,
    welcher nach meiner Anschauung zur individuellen Genese der
    sozialen Triebe führt' Hier wie dort sind zunächst eifersüchtige
    und feindselige Regungen vorhanden, die es nicht zur Befriedigung
    bringen können, und die zårtlichen wie die sozialen Identifizierungs-
    gefühle entstehen als Reaktionsbildungen gegen die verdrüngten
    Aggressionsimpulse.

    Dieser neue Mechanismus der homosexuellen Objektwahl, die
    Entstehung aus überwundener Rivalitåt und verdrångter Aggressions-
    neigung, mengt sich in manchen Fällen den uns bekannten
    typischen Bedingungen bei. Man erfährt nicht selten aus der
    Lebensgeschichte Homosexueller, daB ihre Wendung eintrat, nach-
    dem die Mutter einen anderen Knaben gelobt und als Vorbild
    angepriesen hatte. Dadurch wurde die Tendenz zur narziBtischen
    Objektwahl gereizt, und nach einer kurzen Phase scharfer Eifer-
    sucht war der Rivale zum Liebesobjekt geworden. Sonst aber
    sondert sich der neue Mechanismus dadurch ab, daD bei ihm die
    Umwandlung in viel früheren Jahren vor sich geht und die Mutter-
    identifizierung in den Hintergrund tritt. Auch führte er in den
    von mir beobachteten Fállen nur zu homosexuellen Einstellungen,
    welche die Heterosexualitåt nicht ausschlossen und keinen horror
    feminae mit sich brachten.

    Es ist bekannt, daB eine ziemliche Anzahl homosexueller

    、 Personen sich durch besondere Entwicklung der sozialen Trieb-
    regungen und durch Hingabe an gemeinnützige Interessen aus-

    1) Siehe Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921. [Band VI der Gesamtausgabe.]

  • S.

    Uber einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht usw. 399

    zeichnet. Man wire versucht, dafür die theoretische Erklärung zu
    geben, daß ein Mann, der in anderen Männern mögliche Liebes-
    objekte sieht, sich gegen die Gemeinschaft der Männer anders
    benehmen muß, als ein anderer, der genötigt ist, im Mann
    zunächst den Rivalen beim Weibe zu erblicken. Dem steht nur
    die Erwägung entgegen, daß es auch bei homosexueller Liebe
    Eifersucht und Rivalität gibt, und daß die Gemeinschaft der
    Männer auch diese möglichen Rivalen umschließt. Aber auch,
    wenn man von dieser spekulativen Begründung absieht, kann die
    Tatsache für den Zusammenhang von Homosexualität und
    sozialem Empfinden nicht gleichgültig sein, daß die homosexuelle
    Objektwahl nicht selten aus frühzeitiger Überwindung der Rivalität
    mit dem Manne hervorgeht.

    In der psychoanalytischen Betrachtung sind wir gewöhnt, die
    sozialen Gefühle als Sublimierungen homosexueller Objektein-
    stellungen aufzufassen. Bei den sozial gesinnten Homosexuellen

    wäre die Ablösung der sozialen Gefühle von der Objektwahl nicht
    voll geglückt.