S.
UBER TRIEBUMSETZUNGEN,
INSBESONDERE DER ANALEROTIK(1916)
Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psycho-
analytischen Beobachtung die Vermutung geschopft, daß das
konstante Zusammentreffen der drei Charaktereigenschaften:
ordentlich, sparsam und eigensinnig auf eine
Verstärkung der analerotischen Komponente in der Sexual-
konstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber im
Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Analerotik zur
Ausbildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen des Ichs ge-
kommen ist."Es lag mir damals daran, eine als tatsächlich erkannte Be-
ziehung bekanntzugeben; um ihre theoretische Würdigung
bekiimmerte ich mich wenig. Seither hat sich wohl allgemein
die Auffassung durchgesetzt, daß jede einzelne der drei Eigen-
schaften: Geiz, Pedanterie und Eigensinn aus den Triebquellen
der Analerotik hervorgeht oder — vorsichtiger und voll-
ständiger ausgedrückt — mächtige Zuschüsse aus diesen Quellen
bezieht. Die Fälle, denen die Vereinigung der erwähnten drei
Charakterfehler ein besonderes Gepräge aufdrückte (Anal-
charakter), waren eben nur die Extreme, an denen sich der uns1) Charakter und Analerotik, 1908 [enthalten in diesem Bande,
S. ⑥ E).S.
Uber Triebumsetzungen 117
interessierende Zusammenhang auch einer stumpfen Beob-
achtung verraten mußte.Einige Jahre später habe ich aus einer Fülle von Ein-
drücken, geleitet durch eine besonders zwingende analytische
Erfahrung, den Schluß gezogen, daß in der Entwicklung der
menschlichen Libido vor der Phase des Genitalprimats eine
„prägenitale Organisation" anzunehmen ist, in welcher der
Sadismus und die Analerotik die leitenden Rollen spielen.Die Frage nach dem weiteren Verbleib der analerotischen
Triebregungen war von da an unabweisbar. Welches wurde
ihr Schicksal, nachdem sie durch die Herstellung der end-
giiltigen Genitalorganisation ihre Bedeutung fiir das Sexual-
leben eingebüft hatten? Blieben sie als solche, aber nun im
Zustande der Verdrångung, fortbestehen, unterlagen sie der
Sublimierung oder der Aufzehrung unter Umsetzung in Eigen-
schaften des Charakters, oder fanden sie Aufnahme in die
neue, vom Primat der Genitalien bestimmte Gestaltung der
Sexualität? Oder besser, da wahrscheinlich keines dieser
Schicksale der Analerotik das ausschließliche sein dürfte, in
welchem Ausmaß und in welcher Weise teilen sich diese ver-
schiedenen Möglichkeiten in die Entscheidung über die Schick-
sale der Analerotik, deren organische Quellen ja durch das
Auftreten der Genitalorganisation nicht verschüttet werden
konnten?Man sollte meinen, es könnte an Material fiir die Beant-
wortung dieser Fragen nicht fehlen, da die betreffenden Vor-
ginge von Entwicklung und Umsetzung sich bei allen Per-
sonen vollzogen haben müssen, die Gegenstand der psycho-
analytischen Untersuchung werden. Allein dies Material ist so
undurchsichtig, die Fiille von immer wiederkehrenden Ein-
drücken wirkt so verwirrend, daß ich auch heute keine voll-2) Die Disposition zur Zwangsneurose. [Ges. Schriften, Bd. V.]
S.
118 Uber Triebumsetzungen
ständige Lösung des Problems, bloß Beiträge zur Lösung zu
geben vermag. Ich brauche dabei der Gelegenheit nicht aus
dem Wege zu gehen, wenn der Zusammenhang es gestattet,
einige andere Triebumsetzungen zu erwähnen, welche nicht die
Analerotik betreffen. Es bedarf endlich kaum der Hervor-
hebung daf die beschriebenen Entwicklungsvorginge — hier
wie anderwärts in der Psychoanalyse — aus den Regressionen
erschlossen worden sind, zu welchen sie durch die neurotischen
Prozesse genötigt wurden,Ausgangspunkt dieser Erörterungen kann der Anschein
werden, daß in den Produktionen des Unbewußten — Ein-
fällen, Phantasien und Symptomen — die Begriffe K o t (Geld,
Geschenk), Kind und Penis schlecht auseinandergehalten
und leicht. miteinander vertauscht werden. Wenn wir uns so
ausdrücken, wissen. wir natürlich, daß wir Bezeichnungen, die
für andere Gebiete des Seelenlebens gebräuchlich sind, mit
Unrecht auf das Unbewußte übertragen und uns durch den
Vorteil, welchen ein Vergleich mit sich bringt, verleiten lassen.
Wiederholen wir also in einwandfreier Form, daß diese Ele-
mente im Unbewußten häufig behandelt werden, als wären
sie einander åquivalent und dürften einander unbedenklich
ersetzen.Für die Beziehungen von „Kind“ und , Penis ist dies am
leichtesten zu sehen. Es kann nicht gleichgültig sein, daß beide
in der Symbolsprache des Traumes wie in der des täglichen
Lebens durch ein gemeinsames Symbol ersetzt werden können.
Das Kind heißt wie der Penis das „Kleine“. Es ist bekannt,
daß die Symbolsprache sich oft über den Geschlechtsunterschied
hinaussetzt. Das „Kleine“, das ursprünglich das männliche
Glied meinte, mag also sekundär zur Bezeichnung des weib-
lichen Genitales gelangt sein.Forscht man tief genug in der Neurose einer Frau, so
stößt man nicht selten auf den verdrängten Wunsch, einenS.
insbesondere der Analerotik 119
Penis wie der Mann zu besitzen. Akzidentelles Mifigeschids
im Frauenleben, oft genug selbst Folge einer stark månnlichen
Anlage, hat diesen Kinderwunsch, den wir als ,,Penisneid““
dem Kastrationskomplex einordnen, wieder aktiviert und ihn
durch die Riickstromung der Libido zum Haupttråger der
neurotischen Symptome werden lassen. Bei anderen Frauen
läßt sich von diesem Wunsch nach dem Penis nichts nachweisen;
seine Stelle nimmt der Wunsch nach dem Kind ein, dessen
Versagung im Leben dann die Neurose auslåsen kann. Es ist
so, als ob diese Frauen begriffen håtten, — was als Motiv
doch unmöglich gewesen sein kann, — daß die Natur dem
Weibe das Kind zum Ersatz fiir das andere gegeben hat, was
sie ihm versagen mußte. Bei noch anderen Frauen erfährt man,
daß beide Wünsche in der Kindheit vorhanden waren und
einander abgelöst haben. Zuerst wollten sie einen Penis haben
wie der Mann, und in einer späteren, immer noch infantilen
Epoche trat der Wunsch nach einem Kind an die Stelle. Man
kann den Eindruck nicht abweisen, daß akzidentelle Momente
des Kinderlebens, die Anwesenheit oder das Fehlen von
Briidern, das Erleben der Geburt eines neuen Kindes zu
günstiger Lebenszeit, die Schuld an dieser Mannigfaltigkeit
tragen, so daß der Wunsch nach dem Penis doch im Grunde
identisch wåre mit dem nach dem Kinde.Wir kénnen angeben, welches Schicksal der infantile Wunsch
nach dem Penis erfährt, wenn die Bedingungen der Neurose
im späteren Leben ausbleiben. Er verwandelt sich dann in den
Wunsch nach dem Mann, er läßt sich also den Mann als
Anhängsel an den Penis gefallen. Durch diese Wandlung wird
eine gegen die weibliche Sexualfunktion gerichtete Regung zu
einer ihr günstigen. Diesen Frauen wird hiemit ein Liebesleben
nach dem männlichen Typus der Objektliebe ermöglicht,
welches sich neben dem eigentlich weiblichen, vom NarziBmus
abgeleiteten behaupten kann. Wir haben schon gehört, daßS.
120 Uber Triebumsetzungen
es in anderen Fillen erst das Kind ist, welches den Ubergang
von der narzifitischen Selbstliebe zur Objektliebe herbeiführt.
Es kann also auch in diesem Punkte das Kind durch den
Penis vertreten werden.Ich hatte einigemal Gelegenheit, Tráume von Frauen nach
den ersten Kohabitationen zu erfahren. Diese deckten unver-
kennbar den Wunsch auf, den Penis, den sie verspiirt hatten,
bei sich zu behalten, entsprachen also, von der libidinčsen
Begriindung abgeschen, einer fliichtigen Regression vom Manne
auf den Penis als Wunschobjekt. Man wird gewiß geneigt
sein, den Wunsch nach dem Manne in rein rationalistischer
Weise auf den Wunsch nach dem Kinde zurückzuführen, da
ja irgendeinmal verstanden wird, daß man ohne Dazutun
des Mannes ein Kind nicht bekommen kann. Es diirfte aber
eher so zugehen, daß der Wunsch nach dem Manne unabhängig
vom Kindwunsch entsteht und daß, wenn er aus begreiflichen
Motiven, die durchaus der Ichpsychologie angehören, auf-
taucht, der alte Wunsch nach dem Penis sich ihm als un-
bewufte libidinóse Verstärkung beigesellt.Die Bedeutung des beschriebenen Vorganges liegt darin, daß
er ein Stück der narzifitischen Männlichkeit des jungen Weibes
in Weiblichkeit überführt und somit fiir die weibliche Sexual-
funktion unschädlich macht. Auf einem anderen Wege wird
nun auch ein Anteil der Erotik der prägenitalen Phase für die
Verwendung in der Phase des Genitalprimats tauglich. Das
Kind wird doch als „Lumpf“ betrachtet (siehe die Analyse des
kleinen Hans), als etwas, was sich durch den Darm vom
Körper löst; somit kann ein Betrag libidinöser Besetzung,
welcher dem Darminhalt gegolten hat, auf das durch den
Darm geborene Kind ausgedehnt werden. Ein sprachliches
Zeugnis dieser Identität von Kind und Kot ist in der Redens-
art: ein Kind schenken erhalten. Der Kot ist nämlich
das erste Geschenk, ein Teil seines Körpers, von dem sichS.
insbesondere der Analerotik 121
der Säugling nur auf Zureden der geliebten Person trennt,
mit dem er ihr auch unaufgefordert seine Zärtlichkeit bezeigt,
da er fremde Personen in der Regel nicht beschmutzt. (Ahn-
liche, wenn auch nicht so intensive Reaktionen mit dem Urin.)
Bei der Defåkation ergibt sich fiir das Kind eine erste Ent-
scheidung zwischen narziftischer und objektliebender Ein-
stellung. Es gibt entweder den Kot gefügig ab, 。opfert“ ihn
der Liebe, oder hilt ihn zur autoerotischen Befriedigung, später
zur Behauptung seines eigenen Willens zurück. Mit letzterer
Entscheidung ist der Trotz (Eigensinn) konstituiert, der
also einem narzißtischen Beharren bei der Analerotik ent-
springt.Es ist wahrscheinlich, daß nicht Gold— Geld, sondern
Geschenk die nächste Bedeutung ist, zu welcher das Kot-
interesse fortschreitet. Das Kind kennt kein anderes Geld, als
was ihm geschenkt wird, kein erworbenes und auch kein
eigenes, ererbtes. Da Kot sein erstes Geschenk ist, überträgt
es leicht sein Interesse von diesem Stoff auf jenen neuen, der
ihm als wichtigstes Geschenk im Leben entgegentritt. Wer an
dieser Herleitung des Geschenkes zweifelt, möge seine Er-
fahrung in der psychoanalytischen Behandlung zu Rate ziehen,
die Geschenke studieren, die er als Arzt vom Kranken erhält,
und die Übertragungsstürme beachten, welche er durch ein
Geschenk an den Patienten hervorrufen kann.Das Kotinteresse wird also zum Teil als Geldinteresse fort-
gesetzt, zum anderen Teil in den Wunsch nach dem Kinde
übergeführt. In diesem Kindwunsch treffen nun eine anal-
erotische und eine genitale Regung (Penisneid) zusammen. Der
Penis hat aber auch eine vom Kindinteresse unabhängige anal-
erotische Bedeutung. Das Verhältnis zwischen dem Penis und
dem von ihm ausgefüllten und erregten Schleimhautrohr findet
sich nämlich schon in der prägenitalen, sadistisch-analen Phase
vorgebildet. Der Kotballen 一 oder die ,,Kotstange“ nach demS.
122 Uber Triebumsetzungen
Ausdruck eines Patienten — ist sozusagen der erste Penis, die
von ihm gereizte Schleimhaut die des Enddarmes. Es gibt
Personen, deren Analerotik bis zur Zeit der Vorpubertät (zehn
bis zwölf Jahre) stark und unverändert geblieben ist; von
ihnen erfihrt man, daf sie schon wihrend dieser prigenitalen
Phase in Phantasien und perversen Spielereien eine der geni- ・
talen analoge Organisation entwickelt hatten, in welcher Penis
und Vagina durch die Kotstange und den Darm vertreten
waren. Bei anderen — Zwangsneurotikern — kann man das
Ergebnis einer regressiven Erniedrigung der Genitalorganisa-
tion kennenlernen. Es äußert sich darin, daß alle ursprünglich
genital konzipierten Phantasien ins Anale versetzt, der Penis
durch die Kotstange, die Vagina durch den Darm ersetzt
werden.Wenn das Kotinteresse in normaler Weise zurückgeht, so
wirkt die hier dargelegte organische Analogie dahin, daß es
sich auf den Penis überträgt. Erfährt man später in der
Sexualforschung, daß das Kind aus dem Darm geboren wird,
so wird dieses zum Haupterben der Analerotik, aber der Vor-
gänger des Kindes war der Penis gewesen, in diesem wie in
einem anderen Sinne.Ich bin überzeugt, daß die vielfältigen Beziehungen in der
Reihe Kot—Penis—Kind nun völlig unübersichtlich geworden
sind, und will darum versuchen, dem Mangel durch eine
graphische Darstellung abzuhelfen, in deren Diskussion das-
selbe Material nochmals, aber in anderer Folge gewürdigt
werden kann. Leider ist dieses technische Mittel nicht
schmiegsam genug für unsere Absichten, oder wir haben noch
nicht gelernt, es in geeigneter Weise zu gebrauchen. Ich bitte
jedenfalls, an das beistehende Schema keine strengen Anforde-
rungen zu stellen.Aus der Analerotik geht in narzißtischer Verwendung der
Trotz hervor als eine bedeutsame Reaktion des Ichs gegenS.
insbesondere der Analerotik 123
Anforderungen der anderen; das dem Kot zugewendete Inter-
esse übergeht in Interesse fiir das Geschenk und dann fiir das
Geld. Mit dem Auftreten des Penis entsteht beim Mädchen
der Penisneid, der sich spiter in den Wunsch nach dem Mann
als Träger eines Penis umsetzt. Vorher noch hat sich der
Wunsch nach dem Penis in den Wunsch nach dem Kind ver-
wandelt oder der Kindwunsch ist an die Stelle des Penis-Mærztssmus
HastrationKomplerObjektstufe
wunsches getreten. Eine organische Analogie zwischen Penis
und Kind (punktierte Linie) drückt sich durch den Besitz eines
beiden gemeinsamen Symbols aus („das Kleine“). Vom Kind-
wunsch fiihrt dann ein rationeller Weg (doppelte Linie) zum
Wunsch nach dem Mann. Die Bedeutung dieser Triebumsetzung
haben wir bereits gewiirdigt.Ein anderes Stiick des Zusammenhanges ist weit deutlicher
beim Manne zu erkennen; Es stellt sich her, wenn die Sexual-
forschung des Kindes das Fehlen des Penis beim Weibe in Er-
fahrung gebracht hat. Der Penis wird somit als etwas vom
Körper Ablösbares erkannt und tritt in Analogie zum Kot,
welcher das erste Stück Leiblichkeit war, auf das man ver-
zichten mußte. Der alte Analtrotz tritt so in die KonstitutionS.
124 Uber Triebumsetzungen
des Kastrationskomplexes ein. Die organische Analogie, der-
zufolge der Darminhalt den Vorläufer des Penis während der
prägenitalen Phase darstellte, kann als Motiv nicht in Betracht
kommen; sie findet aber durch die Sexualforschung einen
psychischen Ersatz.Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexualforschung
als ,,Lumpf* erkannt und mit mächtigem, analerotischem Inter-
esse besetzt. Einen zweiten Zuzug aus gleicher Quelle erhält
der Kindwunsch, wenn die soziale Erfahrung lehrt, daß das
Kind als Liebesbeweis, als Geschenk aufgefaßt werden kann.
Alle drei, Kotsäule, Penis und Kind, sind feste Körper, welche
ein Schleimhautrohr (den Enddarm und die ihm nach einem
guten Worte von Lou Andreas-Salomé gleichsam
abgemietete Vagina)? bei ihrem Eindringen oder Herausdringen
erregen. Der infantilen Sexualforschung kann von diesem Sach-
verhalt nur bekannt werden, daß das Kind denselben Weg
nimmt wie die Kotsäule; die Funktion des Penis wird von der
kindlichen Forschung in der Regel nicht aufgedeckt. Doch ist
es interessant zu sehen, daß eine organische Übereinstimmung
nach so vielen Umwegen wieder im Psychischen als eine un-
bewußte Identität zum Vorschein kommt.„EIN KIND WIRD GESCHLAGEN“
Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversionen
(1919)1
Die Phantasievorstellung: „ein Kind wird geschlagen“ wird
mit überraschender Häufigkeit von Personen eingestanden, die
wegen einer Hysterie oder einer Zwangsneurose die analytische3) „Anal“ und „Sexual“, Imago IV, 5. 1916.
freud-1931-sexualtheorie
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