S.
VIII.
Weitere Bemerkungen über die Abwehr-
Neuropsychosen 1)Als „Abwehr-Neuropsychosen‘" habe ich 1894 in
einem kleinen Aufsatze (Neurologisches Centralhlatt, Nr. 10
und 11) Hysterie, Zwangsvorstellungen sowie gewisse Fälle von
akuter halluzinatorischer Verworrenheit zusammengefaßt, weil
sich für diese Affektionen der gemeinsame Gesichtspunkt er
geben hatte, ihre Symptome entstünden durch den psychischen
Mechanismus der (unbewußten) Abwehr, d. h. bei dem
Versuche, eine unverträgliche Vorstellung zu verdrängen, die
in peinlichen Gegensatz zum Ich der Kranken getreten war.
An einzelnen Stellen eines seither erschienenen Buches „Studien
über Hysterie“ von Dr. J. Breuer und mir, habe ich dann
erläutern und an Krankenbeobachtungen darlegen können,
in welchem Sinne dieser psychische Vorgang der „Abwehr“
oder „Verdrängung“ zu verstehen ist. Ebendaselbst finden
sich auch Angaben über die mühselige, aber vollkommen ver-
läßliche Methode der Psychoanalyse, deren ich mich bei diesen
Untersuchungen, die gleichzeitig eine Therapie darstellen,
bediene.Meine Erfahrungen in den letzten beiden Arbeitsjahren
haben mich nun in der Neigung bestärkt, die Abwehr zum
Kernpunkt im psychischen Mechanismus der erwähnten Neu-
rosen zu machen, und haben mir anderseits gestattet, der
psychologischen Theorie eine klinische Grundlage zu geben.
Ich bin zu meiner eigenen Überraschung auf einige einfache,
aber eng umschriebene Lösungen der Neurosenprobleme ge-
stoßen, über die ich auf den nachfolgenden Seiten vorläufig1) „Neurologisches Centralblatt", 1896, Nr. 19.
S.
113
und in Kürze berichten will. Ich kann es mit dieser
Art der Mitteilung nicht vereinen, den Behauptungen die
Beweise anzufügen, deren sie bedürfen, hoffe aber, diese
Verpflichtung in einer ausführlichen Darstellung einlösen zu
können.I. Die „spezifische“ Ätiologie der Hysterie.
Daß die Symptome der Hysterie erst durch Zurück-
führung auf „traumetisch“ wirksame Erlebnisse verständlich
werden, und daß diese psychischen Trennen sich auf das
Sexualieben beziehen, ist von Breuer und mir bereits in
früheren Veröfl'entlichungen ausgesprochen werden. Was ich
heute als einförmiges Ergebnis meiner an 13 Fällen von
Hysterie durchgeführten Analysen hinzuzufügen habe, betrifft
einerseits die Natur dieser sexuellen Traumen, andererseits
die Lebensperiode‚ in der sie verfallen. Es reicht für die Ver—
nrsachung der Hysterie nicht hin, daß zu irgend einer Zeit
des Lebens ein Erlebnis auf trete, welches das Sexualleben
irgendwie streift und durch die Entbindung und Unterdrückung
eines peinlichen Afl'ektes pathogen wird. Es müssen vielmehr
diese sexuellen Traumen der frühen Kindheit (der
Lebenszeit vor der Pubertät) angehören, und ihr
Inhalt muß in wirklicher Irritation der Genitalien
(koitnsähnlichen Vorgängen) bestehen.Diese spezifische Bedingung der Hysterie — sexuelle
Passivität in vorsexuellen Zeiten — fand ich in allen
analysierten Fällen von Hysterie (darunter 2 Männer) erfüllt.
Wie sehr die Anforderung an hereditäre Disposition durch
solche Bedingtheit der accidentellen ätiologischen Momente
verringert wird, bedarf nur der Andentnng; ferner eröifnet
sich ein Verständnis für die ungleich größere Häufigkeit der
Hysterie beim weiblichen Geschlecht, da dieses auch im Kindes—
alter eher zu sexuellen Angrifl'en reizt.Die nächstliegendsten Einwendungen gegen dieses
Resultat dürften lauten, daß sexuelle Angrifi'e gegen kleine
Kinder zu häufig verfallen, als daß ihrer Konstatierung ein
ätiologischer Wert zu.käme‚ oder daß solche Erlebnisse gerade
darum wirkungslos bleiben müssen, Weil sie ein sexuell un-F re ud, Neuronenlehre. 8
S.
IM
entwickeltes Wesen betrefl'en; ferner daß man sich hüten
müsse, derlei angebliche Reminiszenzen den Kranken durchs
Examen aufzudrängen, oder an die Romane, die sie selbst
erdichten, zu glauben. Den letzteren Einwendungen ist die
Bitte entgegenzuhalten, daß doch niemand allzu sicher auf
diesem dunkeln Gebiete urteilen möge, der sich noch nicht
der einzigen Methode bedient hat, welche es zu erhellen ver-
mag (der Psychoanalyse zur Bewußtmachung des bisher Un—
bewußten.') Das Wesentliche an den ersteren Zweifeln erledigt
sich durch die Bemerkung, daß ja nicht die Erlebnisse selbst
traumatisch wirken, sondern deren Wiederbelebung als
Erinnerung, nachdem das Individuum in die sexuelle
Reifung eingetreten ist.Meine 18 Fälle von Hysterie waren durchwegs von
schwerer Art, alle mit vieljäliriger Krankheitsdauer, einige
nach längerer und erfolgloser Ansteltsbehandlung. Die Kinder-
traumen, Welche die Analyse für diese schweren Fälle auf—
deckte, mußten sämtlich als schwere sexuelle Schädigungen
bezeichnet werden; gelegentlich waren es geradezu abscheu—
liche Dinge. Unter den Personen, welche sich eines solchen
folgenschweren Abusus schuldig machten, stehen obenan
Kinderfrauen‚ Gouvernenten und andere Dienstboten‚ denen
man allzu sorglos die Kinder überläßt, ferner sind in be—
deuerlicher Häufigkeit lehrende Personen vertreten; in 7 von
jenen 13 Fällen handelte es sich aber auch um schuldlose
kindliche Attentäter, meist Brüder, die mit ihren um wenig
jüngeren Schwestern Jahre hindurch sexuelle Beziehungen
unterhalten hatten. Der Hergang war Wohl jedesmal ähnlich,
wie man ihn in einzelnen Fällen mit Sicherheit verfolgen
konnte, daß nämlich der Knabe von einer Person weiblichen
Geschlechts mißbraucht werden war, daß dadurch in ihm
vorzeitig die Libido geweckt wurde, und daß er dann einige
Jahre später in sexueller Aggression gegen seine Schwester
genau die nämlichen Prozeduren wiederholte, denen man
ihn selbst unterzogen hatte.1) Ich vermute selbst, daß die so häufigen Attentatsdichtungcn der
Hysterischen Zwangsdiuhtungen sind, die von der Erinnemngsspm' des
Kindertraumas ausgehen.S.
115
Aktive Masturbation muß ich aus der Liste der für
Hysterie pathogenen sexuellen Schädlichkeiten des frühen
Kindesalters ausschließen. Wenn diese doch so häufig neben
der Hysterie gefunden wird, so rührt dies von dem Umstande
her, daß die Masturbation selbst weit häufiger, als man meint,
die Folge des Mißbrauches oder der Verführung ist. Gar nicht
selten erkranken beide Teile des kindlichen Paares später an
Abwehrneurosen, der Bruder an Zwangsvorstellungen‚ die
Schwester an Hysterie, was natürlich den Anschein einer
familiären neurotischen Disposition ergibt. Diese Pseudohereditiit
löst sich aber mitunter auf überraschende Weise; in einer
meiner Beobachtungen waren Bruder, Schwester und ein
etwas älterer Vetter krank. Aus der Analyse, die ich mit dem
Bruder vornahm, erfuhr ich, daß er an Vorwürfen darüber
litt, daß er die Krankheit der Schwester verschuldet; ihn
selbst hatte der Vetter verführt, und von diesem war in
der Familie bekannt, daß er das Opfer seiner Kinderfrau
geworden war.Die obere Altersgrenze, bis zuwelcher sexuelle Schädigung
in die Ätiologie der Hysterie fällt, kann ich nicht sicher
angeben; ich zweifle aber, ob sexuelle Passivität nach dem
8, bis 104 Jahre Verdrängung ermöglichen kann, wenn sie nicht
durch vorherige Erlebnisse dazu befähigt wird. Die untere
Grenze reicht so weit als das Erinnern überhaupt, also bis
ins zarte Alter von 11], oder 2 Jahren! (2 Fälle). In einer
Anzahl meiner Fälle ist das sexuelle Trauma (oder die Reihe
von Traumen) im 3. und 4. Lebensjahre enthalten. Ich würde
diesen sonder-baren Funden selbst nicht Glauben schenken,
wenn sie sich nicht durch die Ausbildung der späteren
Neurose volle Vertrauenswiirdigkeit verschaffen Würden. In
jedem Falle ist eine Summe von krankhaften Symptomen,
Gewohnheiten und Phobien nur durch das Zurückgehen auf
jene Kindererlebnisse erklärlich, und das logische Gefüge
der neurotischen Äußerungen macht eine Ablehnung jener
aus dem Kinderleben auftauchenden, getreu bewahrten
Erinnerungen unmöglich. Es wäre freilich vergebens, diese
Kindertraumen einem Hysterischen außerhalb der Psycho-
analyse abfragen zu wollen; ihre Spur ist niemals im be—gs
S.
116
wußten Erinnern, nur in den Krankheitssymptomen auf—
zufinden,Alle die Erlebnisse und Erregungen, Welche in der
Lebensperiode nach der Pubertät den Ausbruch der Hysterie
vorbereiten oder veranlassen, Wirken nachweisbar nur
dadurch, daß sie die Erinnernngsspur jener Kindheitstraumen
erwecken, welche dann nicht bewußt wird, sondern zur
Afi‘ektentbindung und Verdrängung fiihrt. Es steht mit dieser
Rolle der späteren Träumen in gutem Einklange, daß sie
nicht der strengen Bedingtheit der Kindertraumen unter-
liegen, sondern nach Intensität und Beschafl'enheit variieren
können, von wirklicher sexueller Überwältigung bis zu bloßen
sexuellen Annäherungen und zur Sinneswahrnehmnng sexueller
Akte bei Anderen oder Aufnahme von Mitteilungen über
gescblechtliche Vorgänge.‘)In meiner ersten Mitteilung über die Abwehr-ueurosen
blieb es unanfgeklärt, wieso das Bestreben der bis dahin
Gesunden, ein solches traumatisehes Erlebnis zu vergessen,
den Erfolg haben könne, die beabsichtigte Verdrängung wirk—
lich zu erzielen und damit der Abwehrneurose das Tor zu
öffnen. An der Natur des Erlebnisses konnte es nicht liegen,
da andere Personen trotz der gleichen Anlässe gesund blieben
Es konnte also die Hysterie nicht aus der Wirkung des
Traumas voll erklärt werden; man mußte zugestehen, daß die
Fähigkeit zur hysterischen Reaktion schon vor dem Trauma
bestanden hatte.An Stelle dieser unbestimmten hysterischen Disposition
kann nun ganz oder teilweise die posthnme Wirkung des
sexuellen Kinderfiaumas treten. Die „Verdrängung“ der
Erinnerung an ein peinliches sexuelles Erlebnis reiferer Jahre!) In einem Aufsatze über die Angstneurose (Nenrolegisches Central-
blatt, 1895, Nn 2) erwähnte ich, daß „ein erstes Zusammentrefl'en mit dem
sexuellen Problem bei heranreifenden Mädchen eine Angstnsnrose her-
vormfen kann, die in fast typischer Weise mit Hysterie kombiniert ist“,
Ich Weiß heute, daß die Gelegenheit, bei welcher solche virginale
Angst ausbriclit, eben nicht dem ersten Zusammentrefl'en mit der
Sexualität entspricht, sondern dnß bei diesen Personen ein Erlebnis
sexueller Passivität in den Kinderjaln—en vorhergegangen ist, dessen
Erinnerung bei dem „ersten Zusammentrefl'en“ geweckt wird.S.
ll'l
gelingt nur solchen Personen, bei denen dies Erlebnis die
Erinnerungsspur eines Kindertreumes zur Wirkung bringen
kann!)Zwengsvorstellungen haben gleichfalls ein sexuelles
Kindererlebnis (anderer Natur als bei Hysterie) zur Voraus—
setzung. Die Ätiologie der beiden Abwehr—Neuropsychosen
bietet nun folgende Beziehung zur Ätiologie der beiden ein-
fachen Neurosen, Neurssthenie und Angstneurose. Die beiden
letzteren Afl'ektionen sind unmittelbare Wirkungen dersexuellen
Noxen selbst, wie ich es in einem Aufsetze über die Angst-
neurose 1895 dargelegt habe; die beiden Ahwehrneuroscn
sind mittelbare Folgen sexueller Schädlichkeiten, die vor
Eintritt der Geschlechtsreife eingewirkt haben, nämlich Folgen
der psychischen Erinnerungsspuren an diese Noxen. Die
aktuellen Ursachen, welche Nemesthenie und Angstneurose
erzeugen, spielen häufig gleichzeitig die Rolle von erweckenden
Ursachen für die Abwehrneurosen; anderseits können die
spezifischen Ursachen der Abwehrneurose, die Kindertraumen,
gleichzeitig den Grund fiir die später sich entwickelnde1) Eine psychologische Theorie der Verdrängung müßte auch Aus—
kunft darüber geben, warum nur Vorstellungen sexuellen Inhaltes ver-
drängt werden können. Sie darf von folgenden Andeutungen ausgehen:
Des Vorstellen sexuellen Inhaltes erzeugt bekanntlich ähnliche Erregungs
vorgiinge in den Genitalien wie das sexuelle Erleben selbst. Man darf
annehmen, daß diese somnm‘sche Erregung sich in psychische umsetzt.
In der Regel ist die diesbezügliche Wirkung beim Erlebnis viel stärker
als bei der Erinnerung daran. Wenn aber das sexuelle Erlebnis in die
Zeit sexueller Unreife fällt, die Erinnerung daran während oder nach
der Reife erweckt wird, dann wirkt die Erinnerung ungleich stärker
erregend als seinerzeit das Erlebnis, denn inzwischen hat die Pubertät
die Reaktionsfihigkeit des Sexuslepperates in unvergleichbarem Maße
gesteigert. Ein solches umgekehrtes Verhältnis zwischen realem Erlebnis
und Erinnerung scheint aber die psychologische Bedingung einer Ven
dringung zu enthalten. Das Sexuelleben bietet — durch die Verspätung
der Pubertitsreife gegen die psychischen Funktionen — die einzig vor»
kommende Möglichkeit für jene Umkehmng der relativen Wirksamkeit.
Die Kindertrnurnen wirken nachträglich wie frische Ep
lebnisse, dann aber unbewußt. Weitergehende psychologische
Erörterungen mußte ich auf ein enderesmul verschieben. —Ich bemerke
noch, daß die hier in Betracht kommende Zeit der „sexuellen Reifung“
nicht mit der Pubertät zusammeni‘ällt, sondern vor dieselbe (El bis 10. Jahr),S.
118
Neuresthen.ie legen. Endlich ist auch der Fall nicht selten,
daß eine Neurasthenie oder Angstneurose anstatt durch aktuelle
sexuelle Schädlichkeiten nur durch fortwirkende Erinnerung an
Kindertreumen in ihrem Bestsnde erhalten wird.II. Wesen und Mechanismus der Zwangsneurose.
In der Ätiologie der Zwengsneurose haben sexuelle
Erlebnisse der frühen KinderZeit dieselbe Bedeutung wie bei
Hysterie, doeh handelt es sich hier nicht mehr um sexuelle
Pessivität, sondern um mit Lust ausgeführte Aggressionen
und mit Lust empfundene Teilnahme an sexuellen Akten, also
um sexuelle Aktivität. Mit dieser Difi'erenz der ätiolegisehen
Verhältnisse hängt es zusammen, daß bei der Zwengsneurose
das männliche Geschlecht bevorzugt erscheint.Ich habe übrigens in all meinen Fällen von Zwangs-
neurose einen Untergrund von hysterisehen Symp-
tomen gefunden, die sich auf eine der Lusthendlung vor-
hergehende Szene sexueller Passivität zurückfiihren ließen.
Ich vermute, daß dieses Zusemmentrefl'en ein gesetzmäßiges
ist, und daß vorzeitige sexuelle Aggression stets ein Erlebnis
von Verführung voraussetzt. Ich kann aber gerade von der
Ätiologie der Zwengsneurose noch keine abgeschlossene Dar—
stellung geben; es macht mir nur den Eindruck, als hinge
die Entscheidung darüber, ob auf Grund der Kindertreumen
Hysterie oder Zwangsneurose entstehen soll, mit den zeit—
lichen Verhältnissen der Entwicklung von Libido zusammen.Das Wesen der Zwengsneurose läßt sich in einer ein—
fachen Formel aussprechen: Zwangsvorstellungen sind
jedesmal verwandelte, aus der Verdrängung
wiederkehrende Vorwürfe, die sich immer auf eine
sexuelle, mit Lust ausgeführte Aktien der Kinder-
zeit beziehen. Zur Erläuterung dieses Satzes ist es not«
wendig, den typischen Verlauf einer Zwangsneurose zu be—
schreiben.In einer ersten Periode — Periode der kindlichen
Immoralität —— fallen die Ereignisse vor, welche den Keim
der späteren Neurose enthalten, Zuerst in frühester Kindheit
die Erlebnisse sexueller Verführung, Welche später die Ver-S.
119
drängung ermöglichen, sodann die Aktionen sexueller Aggression
gegen das andere Geschlecht, welche später als Vorwurfshand-
lungen erscheinen.Dieser Periode wird ein Ende bereitet durch den —
oft selbst verfrüliten — Eintritt der sexuellen „Reifung“.
Nun knüpft sich an die Erinnerung jener Lustaktionen ein
Vorwurf, und der Zusammenhang mit dem initialen Erlebnisse
von Passivität ermöglicht es —-— oft erst nach bewußter und
erinnerter Anstrengung — diesen zu verdrängen und durch
ein primäres Abwehrsymptom zu ersetzen. Gewissen-
hal'tigkeit, Scham, Selbstmifltrauen sind solche Symptome,
mit denen die dritte Periode, die der scheinbaren Gesundheit,
eigentlich der gelungenen Abwehr beginnt.Die nächste Periode, die der Krankheit, ist ausgezeichnet
durch dieWiederkehr der verdrängtenE-rinnerungen,
also durch das Mißglücken der Abwehr, wobei es unentschieden
bleibt, ob die Erweckung derselben häufiger zufällig und
spontan oder infolge aktueller sexueller Störungen gleichsam
als Nebenwirkung derselben erfolgt. Die Wiederbelebten Er-
innerungen und die aus ihnen gebildeten Vorwürfe treten
aber niemals unverändert ins Bewußtsein ein, sondern was
als Zwangsvorstellung und Zwangsafl'ekt bewußt wird, die
pathegene Erinnerung für das bewußte Leben substituiert,
sind Kompromißbildungen zwischen den verdrängten und.
den verdrängenden Vorstellungen.Um die Vorgänge der Verdrängung, der Wiederkehr des
Verdrängte‘n und der Bildung der pathologischen Kompromiß»
Vorstellungen anschaulich und wahrscheinlich zutrefl'end zu.
beschreiben, müßte man sich zu ganz bestimmten Annahmen
über das Substrat des psychischen Geschehens und des Be-
wußtseins entschließen. So lange man dies vermeiden will,
muß man sich mit folgenden, eher bildlich verstandenen
Bemerkungen bescheiden: Es gibt zwei Formen der Zwangs—
neurose, je nachdem allein der Erinnerungsinhalt der Vor
wu.rfshandlung sich den Eingang ins Bewußtsein erzwingt
oder auch der an sie geknüpfte Vorwufl‘safi'ekt. Der erstere
Fall ist der der typischen Zwangsvorstellungen, bei denen
der Inhalt die Aufmerksamkeit des Kranken auf sich zieht,S.
120
als Afl'ekt nur eine unbestimmte Unlust empfunden wird,
während zum Inhalte der Zwangsvorstellung nur der Afi‘ekt
des Vorwurfs passen würde. Der Inhalt der Zwangsvorstellung
ist gegen den der Zwangshandlung im Kindesalter in zwei-
facher Weise entstellt: erstens, indem etwas Aktuelles an
die Stelle des Vergangenen gesetzt ist, zweitens, indem das
Sexuelle durch Analoges, nicht Sexuelles substituiert wird.
Diese beiden Abänderungen sind die Wirkung der immer
noch in Kraft stehenden Verdrängungsneigung, die wir dem
„Ich“ zusehreiben wollen, Der Einfluß der Wiederbelebten
pathogenen Erinnerung zeigt sich darin, daß der Inhalt der
Zwangsvorstellung noch stüekweise mit dem verdrängten
identisch ist oder sich durch korrekte Gedankeni'olge von
ihm ableitet. Rekonstruiert man mit Hilfe der psychoanalytk
schen Methode die Entstehung einer einzelnen Zwangsvor-
stellung, so findet man, daß von einem aktuellen Eindrücke
aus zwei verschiedene Gedankengänge angeregt werden sind;
der eine davon, der über die verdrängte Erinnerung gegangen
ist, erweist sich als ebenso korrekt logisch gebildet wie der
andere, obwohl er bewußtseinsunfähig und unkorrigierba.r ist,
Stimmen die Resultate der beiden psychischen Operationen
nicht zusammen, so kommt es nicht etwa zur logischen Aus—
gleichung des Widerspruches zwischen beiden, sondern neben
dem normalen Denkergebnisse tritt als Kompromiß zwischen
dem Widerstande und dem pathologischen Denkresultate eine
absurd erscheinende Zwangsvorstellung ins Bewußtsein, Wenn
die beiden Gedankengänge den gleichen Schluß ergeben, ver-
stärken sie einander, so daß ein normal gewonnenes Denk-
resultat sich nun psychisch wie eine Zwangsvorstellung ver-
hält. Wo immer neurotischerZwang im Psychischen
auftritt, rührt er vonVerdrängung her. Die Zwangs—
vorstellungen haben sozusagen psychischen Zwangskur: nicht
wegen ihrer eigenen Geltung, sondern wegen der Quelle, aus
der sie stammen, oder die zu ihrer Geltung einen Beitrag
geliefert hat.Eine zweite Gestaltung der Zwangsneurose ergibt sich,
wenn nicht der verdrängte Erinnerungsinhalt, sondern der
gleichfalls verdrängte Vorwurf eine Vertretung im bewußtenS.
121
psychischen Leben erzwingt. Der Vorwufsafi‘ekt kann sich durch
einen psychischen Zusatz in einen beliebigen anderen Unlust-
sfl'ekt verwandeln; ist dies geschehen, so steht dem Bewußt-
werden des substituierenden Affekts nichts mehr im Wege.
So verwandelt sich Vorwurf (die sexuelle Aktion im Kindes-
alter vollfü.hrt zu haben) mit Leichtigkeit in Scham (wenn
ein Anderer davon erführe), in hyp o chondrische Angst
(vor den körperlich schädigenden Folgen jener Vorwurfshand»
lung), in s 0 z i ale An g s t (vor der gesellschaftlichen Ahndung
jenes Vergehens), in religiös e Angst, in Beachtungs-
Wahn (Furcht, daß man jene Handlung Anderen verrate), in
Ve r s u chu n g s un g s t (berechtigtes Mißtrauen in die eigene
moralische Widerstandskraft) u. dgL Dabei kann der Er-
innerungsinhelt der Vorwurfshsndlung im Bewußtsein mit-
vertreten sein oder gänzlich zurückstehen, Was die diagnostische
Erkennung sehr erschwert. Viele Fälle, die man bei ober-
flächlicher Untersuchung für gemeine (neurasthenische) Hypo-
ehondrie hält, gehören zu dieser Gruppe der Zwangs-
affekte insbesondere die sogenannte „periodische Neure-
sthenie“ oder „periodische Melancholie“ scheint in ungeahnter
Häufigkeit sich in Zwangssfl”ekte nnd Zwangsvorstellungen
eufzulösen, eine Erkennung, die therapeutisch nicht gleich-
giltig ist.Neben diesen Kompromißsymptomen, welche die Wieder-
kehr des Verdrängten und somit ein Scheitern der ursprünglich
erzielten Abwehr bedeuten, bildet die Zwangsneurose eine
Reihe weiterer Symptome von ganz anderer Herkunft. Das
Ich sucht sich nämlich jener Abkömmlinge der initial ver—
drängten Erinnerung zu erwehrcn und schaft in diesem Ab—
wehrkampfe Symptome, die man als „s e kun där e Abw e hr“
zusammenfassen könnte. Es sind dies durchwegs „Schutz-
maß regeln“, die bei der Bekämpfung der Zwengsvor-
stellungen und Zwangsafl'ekte gute Dienste geleistet haben.
Gelingt es diesen Hilfen im Ahwehrkampfe wirklich, die
dem Ich aufgedrängten Symptome der Wiederkehr neuer-
dings zu verdrängen, so überträgt sich der Zwang auf die
Schntzmeßregeln selbst und schefi't eine dritte Gestaltung der
„Zwangsneurose“, die Z w an g sh an dlu n g e n. Niemals sindS.
122
diese primär, niemals enthalten sie etwas anderes als eine
Abwehr, nie eine Aggression; die psychische Analyse weist
von ihnen nach, daß sie — trotz ihrer Sonderbarkeit — durch
Zurückführung auf die Zwangserinnerung‚ die sie bekämpfen,
jedesmal voll aufzuklä.ren sind.‘)Die sekundäre Abwehr der Zwangsvorstellungen kann
erfolgen durch gewaltsame Ablenkung auf andere Gedanken,
möglichst konträren Inhalts; daher im Falle des Gelingens
der Gtübelzwang, regelmäßig über abstrakte, über-inn-
liche Dinge, weil die verdrängten Vorstellungen immer sich
mit der Sinnlichkeit beschäftigten. Oder der Kranke ver—
sucht, jeder einzelnen Zwangsidee durch logische Arbeitnnd
Berufung auf seine bewußten Erinnerungen Herr zu werden;
dies führt zum Denk— und Prüfungszwang und zur
Zweifelsucht. Der Vorzug der Wahrnehmung vor der Er—
innerung bei diesen Prüfungen veranlaßt den Kranken zuerst‘) Ein Beispiel anstatt vieler: Ein 11j'a'hriger Knabe hatte sich
folgendes Zermoniell vor dem Zubettgehen zwangsartig eingerichtet: Er
schlief nicht eher ein, als bis er seiner Mutter alle Erlebnisse des Tages
haarklein vor-erzählt hstts; auf dem Teppich des Schlai'ziinmers durfte
abends kein Papierschnitzelclien und kein anderer Unrat zu finden sein;
das Bett mußte ganz ‚in die Wand engerückt werden, drei Stühle davor—
stehen, die Polster in ganz bestimmter Weise liegen. Er selbst mußte,
um einzuschlsfcn, susrrteinc gewisse Anzahl vonMalen mitbeidcn Beinen
stoßen und sich dann auf die Seite legen, — Das klärte sich folgender—
maßen auf: Jahre vorher hatte es sich zugetragen, daB ein Dienstmäi
chen, welches den schönen Knaben zu Ratte bringen sollte, die Gelegen-
heit benutzte, um sich dann über ihn zu legen und ihn sexuell zu miß-
brauchen. Als dann später einmal diese Erinnerung durch ein rezentes
Erlebnis geweckt wurde, gab sie sich dem Bewußtsein durch den Zwang
zu obigem Zermoniel.l hund, dessen Sinn leicht zu ernten war und im
einzelnen durch dis Psychoanalyse festgestellt wurde: Sessel vor dem
Bett und dieses an die Wand gerückt — damit niemand mehr zum
Bett Zugang haben könne; Polster in einer gewissen Weise geordnet
— damit sie anders geordnet seien als un jenem Abend; die Bewegungen
mit den Beinen _. Wegstnßen der auf ihm liegenden Person; Schlafen
auf der Seite — weil er bei der Szene auf dem Rücken gelegen; die
ausführliche Beichte vor der Mutter — weil er diese und andere sexuelle
Erlebnisse infolge von Verbot der Verführerin ihr verschwiegen hatte;
endlich Rsinhaltung des Bodens im Schlafzimmer — weil dies der
Hauptverwurt" war, den er bis dahin von der Mutter hatte hinnehmen
müssen.S.
123
und zwingt ihn später, alle Objekte, mit denen er in Be-
rührung getreten ist, zu sammeln und aufzubewahren Die
sekundäre Abwehr gegen die Zwangsafl'ekte ergibt eine noch
größere Reihe von Schutzmaßregeln‚ die der Verwandlung
in Zwengshandlungen fähig sind. Man kann dieselben nach
ihrer Tendenz gruppieren: Maßregeln der Buße (lästiges
Zermoniell, Zahlenbeobachtung), der Vorbeugung (allerlei
Phobien, Aber-glauben, Pedanterie, Steigerung des Primär-
symptoms der Gewissenhaftigkeit), der Furcht vor Verrat
(Papiersammeln, Menschenscheu), der Betäubung (Dipso—
manie). Unter diesen Zwengshendlnngen und «impulsen spielen
die Phobien als Existenzbesehränkungen des Kranken die
größte Rolle,Es gibt Fälle, in welchen man beobachten kann, wie
sich der Zwang von der Vorstellung oder vom Afi‘ekt auf
die Maßregel überträgt; andere, in denen der Zwang periodisch
zwischen dem Wiederkehrsyrnptorne und dem Symptome der
sekundären Abwehr oszilliert; aber daneben noch Fälle, in
denen überhaupt keine Zwangsvorstellung gebildet, sondern
die verdrängte Erinnerung sogleich durch die scheinbar
primäre Abwehrmeßregel vertreten wird. Hier wird mit einem
Sprünge jenes Stadium erreicht, welches sonst erst nach dem
Abwehrkampfe den. Verlauf der Zwangsneurose abschließt.
Schwere Fälle dieser Afiektion enden mit der Fixirung von
Zermoniellhandlnngen, allgemeiner Zweifelsucht oder einer
durch Phobien bedingten Sonderlingsexistenz‚Daß die Zwangsvorstellung und alles von ihr Abgeleitete
keinen Glauben findet, rührt wohl daher, daß bei der ersten
Verdrängung das Abwehrsymptom der Gewissenhaftig—
keit gebildet werden ist, das gleichfalls Zwangsgeltung ge-
wonnen hat. Die Sicherheit, in der ganzen Periode der ge-
lungenen Abwehr moralisch gelebt zu haben, macht es un—
möglich, dem Vorwurfe, welchen ja die Zwangsvorstellung
involviert, Glauben zu schenken. Nur vorübergehend beim Auf-
treten einer neuen Zwangsvorstellnng und hie und da bei
melancholischen Erschöpfungszuständen des Ichs erzwingen
die krankhaften Symptome der Wiederkehr auch den Glauben,
Der „Zwang“ der hier beschriebenen psychischen BildungenS.
124
hat ganz allgemein mit der Anerkennung durch den Glauben
nichts zu tun, und ist auch mit jenem Momente, das man als
„Stärke“ oder „Intensität“ einer Vorstellung bezeichnet, nicht
zu verwechseln. Sein wesentlicher Charakter ist vielmehr die
Unaui'lösbarkeit durch die bewußtseinsfähige psychische Tätig—
keit, und dieser Charakter erfährt keine Änderung, ob nun
die Vorstellung, an der der Zwang haftet, stärker oder
schwächer, intensiver oder geringer „beleuchtet“, „mit Energie
besetzt“ u, dgl. wird.Ursache dieser Unangreif'barkeit der Zwangsvorstellung
oder ihrer Derivate ist aber nur ihr Zusammenhang mit der
ver-drängten Erinnerung aus früher Kindheit, denn wenn es
gelungen ist, diesen bewußt zu machen, wofür die psycho-
therapeutischen Methoden bereits auszureichen scheinen, dann
ist auch der Zwang gelöst.III. Analyse eines Falles von chronischer Paranoia.
Seit längerer Zeit schon hege ich die Vermutung, daß
auch die Paranoia — oder Gruppen von Fällen, die zur Paranoia
gehörenveine Abwehr-Psychose ist, d. h. daß sie wie Hysterie
und Zwangsvorstellungen hervorgeht aus der Verdrängung
peinlicher Erinnerungen, und daß ihre Symptome durch den
Inhalt des Verdrängten in ihrer Form determiniert werden.
Eigentümlich müsse der Paranoia ein besonderer Weg oder
Mechanismus der Verdrängung sein, etwa wie die Hysterie die
Verdrängung auf dem Wege der Konversion in die Körper-
innervation, die Zwangsneurose durch Substitution (Ver-
schiebungllängs gewisser assoziativer Kategorien) bewerkstelligt.
Ich beobachtete mehrere Fälle, die dieser Deutung günstig
waren, hatte aber keinen gefunden, der sie erwies, bis mir
durch die Güte des Herrn Dr. J. Breuer vor einigen Monaten
ermöglicht wurde, den Fall einer intelligenten 32jiihrigen
Frau, dem man die Bezeichnung als chronische Paranoia
nicht wird versaan können, in therapeutischer Absicht einer
Psychoanalyse zu unterziehen. Ich berichte schon hier über
einige bei dieser Arbeit gewonnene Aufklärungen, weil ich
keine Aussicht habe, die Paranoia anders als in sehr ver-
einzelten Beispielen zu studieren, und weil ich es für möglichS.
125
halte, daß diese Bemerkungen einen hierin günstiger gestellten
Psychiater veranlassen könnten, in der jetzt so regen Diskussion
über Natur und psychischen Mechanismus der Paranoia das
Moment der „Abwehr“ zu seinem Rechte zu bringen. Natürlich
liegt er mir fern, mit der nachstehenden einzigen Beobachtung
etwas anderes sagen zu wollen, als: dieser Fall ist eine Ab-
wehr—Psychose, und es dürfte in der Gruppe „Paranoia“ noch
andere geben, die es gleichfalls sind.Frau R, 52 Jahre alt, seit 3 Jahren verheiratet, Mutter eines
2jä.hrigen Kindes, stammt von nicht nervösen Eltern; ihre beiden Ge—
schwister kenne ich aber als gleichfalls„neurotisch. Es ist zweifelhaft, ob
sie nicht einmal in der Mitte der 20er Jahre vorübergehend depriiniert
und in ihrem Urteile bein-t war; in den letzten Jahren war sie gesund
und leistungsfähig, bis sie ‘], Jahr nach der Geburt ihres Kindes die
ersten Anzeichen der gegenwärtigen Erkrankung erkennen ließ. Sie
wurde verschlossen und mißtranisch, zeigte Abneigung gegen den Ver-
kehr mit den Geschwistern ihres Mannes, und klagte, daß die Nachbarn
in der kleinen Stadt sich anders als früher, unhöflich und rücksiahtsles
gegen sie benähmsn. Allmählich steigerten sich diese Klagen an Intensität,
wenn auch nicht an Bestimmtheit: man habe etwas gegen sie, obwohl
sie keine Ahnung habe, was es sein könne. Aber es sei kein Zweifel, alle
— Verwandte wie Freunde — ver-sagten ihr die Achtung, taten alles,
sie zu kränken. Sie zerbreche sich den Kopf, woher das komme; wisse
es nicht. Einige Zeit später klagte sie, daß sie beobachtet werde, man
ihre Gedanken errate, alles wisse, Was bei ihr im Hause vergehe. Eines
Nachmittags kam ihr plötzlich der Gedanke, man beobachte sie abends
beim Auskleiden. Von nun an wendete sie beim Auskleiden die kam—
pliziertcsten Vorsichtsmaßregeln an, schlupfte im Dunkeln ins Bett und
und entkleidete sich erst unter der Decke. Da sie jedem Verkehr aus-
wich, sich schlecht nährte und sehr veretimmt war, wurde sie im
Sommer 1895 in eine Wasserheilanstalt geschickt. Dort traten neue
Symptome auf und verstärkten sich schon vorhandene. Schon im Früh—
jahr hatte sie plötzlich eines Tages, als sie mit ihrem Stuheninädchen
allein war, eine Empfindung im Schoße bekommen und sich dabei gedacht,
das Mädchen habe jetzt einen unanständigen Gedanken, Diese Empfindung
wurde im Sommer häufiger, nahezu kontinuierlich, sie spürte ihre Genitalien,
„wie man eine schwere Hand spürt“. Dann fing sie an, Bilder zu sehen,
über die sie sich entsetzte, Halluzinationen von weiblichen Nacktheiten,
besonders einen enthlöflten weiblichen Schoß mit Behearung; gelegentlich
auch männliche Genitalien. Das Bild des behaarten Schoßes und die
Organempfindung im Schcße kamen meist gemeinsam, Die Bilder wurden
sehr quälend fll.r sie, da sie dieselben regelmäßig bekam, wenn sie in
Gesellschaft einer Frau war und daran die Deutung sich anschloß, sie
sehe jetzt die Frau in ummstiindigster Blöfle, aber im selben MomentS.
126
habe die Frau dasselbe Bild von ihr (1). Gleichzeitig mit diesen Gesichts»
hallueinet‘ionen —- die nach ihrem ersten Auftreten in der Heilanetalt
für mehrere Monate wieder verschwanden — fingen Stimmen an, sie zu
belästigen, die sie nicht erkannte und sich nicht zu erklären wußte.
Wenn sie auf“ der Straße wu, hieß es: Das ist die Frau P. — Da geht
Sie Wo geht sie hin? _ Mm kommentierte jede ihrer Bewegungen und
Handlungen, gelegentlich hörte sie Drohungen und Vorwürfe. Alle diese
Symptome wurden ärger, wenn sie in Gesellschah oder gar auf der Straße
war; sie verweigerte dumm auszugehen, erklärte dann, sie habe Ekel vor
dem Essen und kam rasch herunter.Dies erfuhr ich von ihr, als sie im Winter 1895 nach
Wien in meine Behandlung kam Ich habe es ausführlich
dargestellt, um den Eindruck zu erwecken, daß es sich hier
wirklich um eine recht häufige Form von chronischer Para-
noia handle, zu welchem Urteil die noch später anzufiihrenden
Details der Symptome und ihres Verhaltens stimmen werden.
Wahnbildungen zur Deutung der Halluzinationen verbarg sie
mir damals oder sie waren wirklich noch nicht vorgefallen;
ihre Intelligenz war unvermindert; als aufi'ä.llig wurde mir
nur berichtet, daß sie ihrem in der Nachbarschaft lebenden
Bruder wiederholt Rendez-vous gegeben, um ihm etwas anzu-
vertrauen, ihm aber nie etwas mitgeteilt habe. Sie sprach nie
über ihre Halluzinationen und zuletzt auch nicht mehr viel
über die Kränkungen und Verfolgungen, unter denen sie litt.Was ich nun von dieser Kranken zu berichten habe, betrifft
die Ätiologie des Falles und den Mechanismus der Heilu-
zinationen. Ich fand die Ätiologie, als ich ganz wie bei einer
Hysterie die Breuer’sche Methode zunächst zur Erforschung
und Beseitigung der Halluzinationen in Anwendung brachte.
Ich ging dabei von der Voraussetzung aus, es müsse bei
dieser Paranoia, wie bei den zwei anderen mir bekannten
Ahwehrneurosen unbewußte Gedanken und verdrängte Er-
innerungen geben, die auf dieselbe Weise, wie dort, ins
Bewußtsein zu bringen seien, unter Überwindung eines ge—
wissen Widerstandes, und die Kranke bestätigte sofort diese
Erwartung, indem sie sich bei der Analyse ganz wie zum
Beispiel eine Hysterica benahm und unter Aufmerksamkeit
auf den Druck meiner Hand (vergleiche die „Studien über
Hysterie“) Gedanken verbrachte, die gehabt zu haben sie sichS.
— "“tzfik“
127
nicht erinnerte, die sie zunächst nicht verstand, und die
ihrer Erwartung widersprachen. Es war also das Vorkommen
bedeutsamer unbewußter Vorstellungen auch für einen Fall
von Paranoia erwiesen, und ich durfte hoffen, auch den Zwang
der Paranoia auf Verdrängung zurückzuführen. Eigentümlich
war nur, daß sie die aus dem Unbewußten stammenden An»
gaben zumeist wie ihre Stimmen innerlich hörte oder hallu-
zinierte.Über die Herkunft der Gesichtshalluzinationen oder
Wenigstens der lebhaften Bilder erfuhr ich folgendes: Das
Bild des weiblichen Schoßes kam fast immer mit der Organ-
empfindung im Schoße zusammen, letztere war aber viel
konstanter und sehr oft ohne das Bild.Die ersten Bilder von weiblichen Schößen Waren auf—
getreten in der Wasserheilanstalt, wenige Stunden, nachdem
sie eine Anzahl von Frauen tatsächlich im Baderaum entblößt
gesehen hatte, erwiesen sich also als einfache Reproduktionen
eines realen Eindrucks. Man durfte nun voraussetzen, daß
diese Eindrücke nur darum wiederholt worden seien, weil
sich ein großes Interesse an sie geknüpft habe. Sie gab die
Auskunft, sie habe sich damals für jene Frauen geschämt;
sie schä.me sich selbst, nackt gesehen zu werden, seitdem sie
sich erinnere. Da ich nun diese Scham für etwas Zwanghaftes
ansehen mußte, schloß ich nach dem Mechanismus der Ab-
wehr, es müsse hier ein Erlebnis verdrängt werden sein, bei
dem sie sich nicht geschämt, und forderte sie auf, die Er-
innerungen auftauchen zu lassen, Welche zu dem Thema des
Sehämens gehörten. Sie reproduzierte mir prompt eine Reihe
von Szenen vom 17. Jahre bis zum S., in denen sie sich im
Bade vor der Mutter, der Schwester, dem Arzte ihrer Nackt-
heit geschämt hatte; die Reihe lief aber in eine Szene mit.
6 Jahren aus, wo sie sich im Kinderzimmer zum Schlafen—
gehen entkleidete, ohne sich vor dem anwesenden Bruder
zu schämen. Auf mein Befi'agen kam heraus, daß es solcher
Szenen viele gegeben habe, und daß die Geschwister Jahre
hindurch die Gewohnheit geübt hätten, sich einander vor dem
Schlafengehen nackt zu zeigen, Ich verstand nun, was der
plötzliche Einfall bedeutet hatte, man beobachte sie beimS.
128
Schlafengehen. Es war ein unverändertes Stück der alten
Vorwurfseriunerung, und sie holte jetzt an Schämen nach,
was sie als Kind versäumt hatte.Die Vermutung, daß es sich hier um ein Kinderverhältnis
handle, wie auch in der Ätiologie der Hysterie so häufig,
wurde durch weitere Fortschritte der Analyse bekräftigt,
bei denen sich gleichzeitig Lösungen für einzelne im Bilde
der Paranoia häufig wiederkehrende Details ergaben. Der
Anfang ihrer Verstimmung fiel zusammen mit einem Zwiste
zwischen ihrem Mannes und ihrem Bruder, infolgedessen der
letztere ihr Haus nicht mehr betrst. Sie hatte diesen Bruder
immer sehr geliebt und enthehrte ihn um diese Zeit sehr.
Sie sprach aber außerdem von einem Moment ihrer Kranken-
geschichte, in dem ihr zuerst „alles klar wurde“, das heißt
in dem sie zur Überzeugung gelangte, daß ihre Vermutung,
allgemein miliaehtet und mit Absicht gekränkt zu werden,
Wahrheit sei. Diese Sicherheit gewann sie durch den Besuch
einer Schwägerin, welche im Verlaufe des Gespräches die
Worte fallen ließ: „Wenn mir etwas derartiges passiert, nehme
ich es auf die leichte Achsel!“ Frau P. nahm diese Außerung
zunächst arglos hin; nachdem aber ihr Besuch sie verlassen
hatte, kam es ihr vor, als sei in diesen Worten ein Vorwurf
fiir sie enthalten gewesen, als ob sie gewohnt sei, ernste
Dinge leicht zu nehmen, und von dieser Stunde an war sie
sicher, daß sie ein Opfer der allgemeinen Nachrede sei, Als
ich sie examinierte, wodurch sie sich berechtigt gefühlt, jene
Worte auf sich zu beziehen, antwortete sie, der Ton, in dem
die Schwägerin gesprochen, habe sie —— allerdings nach-
träglich — davon überzeugt, was doch ein für Paranoia
charakteristisches Detail ist, Ich zwang sie nun, sich an
die Reden der Schwägerin vor der angeschuldigten Äußerung
zu erinnern, und es ergab sich, daß diese erzählt hatte, im
Vaterhause habe es mit den Brüdern allerlei Schwierigkeiten
gegeben, und daran die weise Bemerkung geknüpft: „In jeder
Familie gehe allerlei vor, worüber man gerne eine Decke
breite, Wenn ihr aber derartiges passierte, dann nehme sie
es leicht.“ Frau P. mußte nun bekennen, daß an diese
Sätze vor der letzten Äußerung ihre Verstimmung angeknüpftS.
129
hatte. Da sie diese beiden Sätze, die eine Erinnerung an ihr
Verhältnis zum Bruder wecken konnte, verdrängt hatte und
nur den bedeutungslosen letzten Satz behalten, mußte sie die
Empfindung, als mache ihr die Schwägerin einen Vorwurf,
an diesen knüpfen, und du der Inhalt desselben keine An-
lehnung hierfür but, warf sie sich vom Inhalt auf den Ton,
mit dem diese Worte gesprochen worden waren. Ein wahr-
scheinlich typischer Beleg dafiir, daß die Mißdeutungen der
Paranoia auf einer Verdrängung beruhen.In überresehender Weise löste sich auch ihr sonderbares
Verfahren, ihren Bruder zu Zusammenkünften zu bestellen,
bei denen sie ihm dann nichts zu sagen hatte. Ihre Erklärung
lautete, sie habe gemeint, er müsse ihr Leiden verstehen, wenn
sie ihn bloß ensehe, da er um die Ursache desselben wisse, Da
nun dieser Bruder tatsächlich die einzige Person war, die um
die Ätiologie ihrer Krankheit wissen konnte, ergab sich, daß sie
nach einem Motiv gehandelt hatte, das sie bewußt zwar selbst
nicht verstand, des aber vollkommen gerechtfertigt erschien,
sohsld man ihm einen Sinn aus dem. Unbewußten unterlegte.Es gelang mir dann, sie zur Reproduktion der ver-
schiedenen Szenen zu veranlassen, in denen der sexuelle Ver—
kehr mit dem Bruder (mindestens vom 6. bis zum 10. Jahre)
gegipfelt hatte. Während dieser Reproduktionsarheit sprach
die Organempfindung im Schoße mit, wie es bei der Analyse
hysterischer Erinnerungsreste regelmäßig beobachtet wird.
Das Bild eines nackten weiblichen Schoßes (jetzt aber auf
ländliche Proportionen reduziert und ohne Behaarung) stellte
sich dabei gleichfalls ein oder blieb weg, je nachdem die
betreffende Szene bei hellem Lichte oder im Dunkeln vor-
gefallen war. Auch der Eß<Ekel fand in einem abstofienden
Detail dieser Vorgänge seine Erklärung. Nachdem wir die
Reihe dieser Szenen durchgemaeht hatten, waren die hallu—
zinatorischen Empfindungen und Bilder verschwunden, um
(Wenigstens bis heute) nicht wiederzukehren.‘)1) Als späterhin eine Exacerbation die ohnehin spärlieheu Erfolge
der Behandlung nut'hob, sah sie die snstüßigen Bilder fremder Genitalien
nicht wieder, sondern hatte die Idee, die Fremden sahen ihre Genitalieu,
sobald sie sich hinter ihr befinden.F rend, Neuroseulehrs. 9
S.
130
Ich hatte also gelernt, daß diese Helluzinationen nichts
anderes als Stücke aus dem Inhalte der verdrängten Kinder—
erlebnisse waren, Symptome der Wiederkehr des Verdrängten.Nun wandte ich mich an die Analyse der Stimmen. Hier
war vor allem zu erklären, daß ein so gleichgiltiger Inhalt
„Hier geht die Frau P,“ — „Sie sucht jetzt Wohnung“ u, dgl.
von ihr so peinlich empfunden werden konnte; sodann, auf
welchem Wege gerade diese harmlosen Sätze es dazu brachten,
durch halluzinatorische Verstärkung ausgezeichnet zn werden.
Von vornherein war klar, daß diese „Stimmen“ nicht hallo-
zinatoriseh reproduzierte Erinnerungen sein konnten wie die
Bilder und Empfindungen, sondern vielmehr „laut gewordene“
Gedanken.Das erstemal, als sie Stimmen hörte, geschah es unter
folgenden Umständen, Sie hatte mit großer Spannung die
schöne Erzählung von 0. Ludwig, Die Heiterethei,gelesen
und bemerkt, daß sie bei der Lektüre von aufsteigenden
Gedanken in Anspruch genommen wurde. Unmittelbar darauf
ging sie auf der Landstraße spazieren, und nun sagten ihr
plötzlich die Stimmen, als sie an einem Bauernhäuschen vor-
überging: „So hat das Haus der Heiterethei ausgesehen! Da
ist. der Brunnen, und da der Strauch! Wie glücklich war sie
doch bei all ihrer Armut!“ Dann wiederholten ihr die Stimmen
ganze Abschnitte, die sie eben gelesen hatte; aber es blieb
unverständlich, warum Haus, Strauch und Brunnen der
Heiterethei und gerade die belang- und beziehungslosesten
Stellen der Dichtung sich ihrer Aufmerksamkeit mit patho-
logischer Stärke aufdrängen mußten. Indes war die Lösung
des Rätsels nicht schwer. Die Analyse ergab, daß sie während
der Lektüre auch andere Gedanken gehabt hatte und durch
ganz andere Stellen des Buches angeregt werden war. Gegen
dieses Material — Analogien zwischen dem Paare der Dich-
tung und ihr und ihrem Marine, Erinnerungen an Intimitäten
ihres Ehelebens und an Familiengeheimnisse — gegen dies
alles hatte sich ein verdrängender Widerstand erhoben, weil
es auf leicht nachweisbaren Gedankenwegen mit ihrer sexuellen
Scheu zusammenhing und so in letzter Linie auf die Er—
weckung der alten Kindererlebnisse hinauskam. Infolge dieserS.
%
131
von der Verdrängung geübten Zensur gewannen die harm-
losen und idyllischen Stellen, die mit den beanstandeten
durch Kontrast und auch durch Vizinität verknüpft waren,
die Verstärkung für das Bewußtsein, die ihnen das Leutwerden
ermöglichte, Der erste der verdrängten Einfälle bezog sich
zum Beispiel auf die Nachrede, der die vereinsamt lebende
Heldin von seiten der Nachbarn ausgesetzt war. Die Analogie
mit ihrer eigenen Person wurde von ihr leicht gefunden.
Auch sie lebte in einem kleinen Orte, verkehrte mit Niemand
und glaubte sich von den Nachbarn mißachtet. Dies Milltrauen
gegen ihre Nachbarn hatte seinen wirklichen Grund darin,
daß sie anfangs genötigt war, sich mit einer kleinen Wohnung
zu begnügen, in welcher die Sehlafzimmerwand, an der die
Ehebetten des jungen Paares standen, an ein Zimmer der
Nachbarn stieß. Mit dem Beginn ihrer Ehe erwachte in ihr
A offenbar durch unhewußte Erweckung ihres Kinderver-
hältnisses, in dem sie Mann und Frau gespielt hatten A eine
große sexuelle Scheu; sie besorgte beständig, daß die Nach-
barn Worte und Geräusche durch die trennende Wand ver-
nehmen könnten, und diese Scham verwandelte sich bei ihr
in Argwohn gegen die Nachbarn.Die Stimmen verdankten also ihre Entstehung der Ver—
drängung von Gedanken, die in letzter Auflösung eigentlich
Vorwürfe anläßlich eines dem Kindertrauma analogen Erleb—
nisses bedeuteten; sie waren demnach Symptome der Wieder-
kehr des Verdrängten, aber gleichzeitig Folgen eines Kompro»
misses zwischen Widerstand des Ich und Macht des Wieder—
kehrenden, der in diesem Falle eine Entstellung bis zur
Unkenntlichkeit herbeigeführt hatte. In anderen Fällen, in
denen ich Stimmen bei Frau P. zu analysieren Gelegenheit
hatte, war die Entstellung minder groß; doch hatten die
gehörten Worte immer einen Charakter von diplomatischer
Unbestimmtheit; die kränkende Anspielung war meist tief
versteckt, der Zusammenhang der einzelnen Sätze durch
fremdartigen Ausdruck, ungewöhnliche Sprachformen u. dgl.
verkleidet: Charaktere, die den Gehörshalluzinationen der
Paranoiker allgemein eigen sind, und in denen ich die Spur
der Kompromißentstellung erblicke. Die Rede: ”Da geht die9‘
S.
132
Frau P., sie sucht Wohnung in der Straße“, bedeutete zum
Beispiel die Drohung, daß sie nie genesen Werde, denn ich
hatte ihr zugesagt, daß sie nach der Behandlung imstande
sein werde, in die kleine Stadt, wo ihr Mann beschäftigt
war, zurückzukehren; sie hatte für einige Monate in Wien
provisorisch Wohnung gemietet.In einzelnen Fällen vernahm Frau P. auch deutlichere
Drohungen, zum Beispiel in betrefl' der Verwandten ihres
Mannes, deren zurückhaltender Ausdruck aber immer noch
mit der Qual kontrastierte, welche ihr solche Stimmen be«
reiteten. Nach dem, was man sonst von Paranoikern weiß,
bin ich geneigt, ein allmähliches Erlahmen jenes die Vorwürfe
abschwächenden Widerstandes anzunehmen, so daß endlich
die Abwehr voll mißlingt, und der ursprüngliche Vorwurf,
das Schimpfwort, welches man sich ersparen wollte, in um
veränderter Form zurückkehrt. Indes weiß ich nicht, ob dies
ein konstanter Ablauf ist, ob die Zensur der Verwur£sreden
nicht von Anfang an ausbleiben oder bis zum Ende aus-
harren kann.Es erübrigt mir nur noch, die an diesem Falle von Panaroia
gewonnenen Aufklärungen für eine Vergleiohung der Paranoia
mit der Zwangsneurose zu verwerten. Die Verdrängung als Kern
des psychischen Mechanismus ist hier wie dort nachgewiesen,
das Verdrängte ist in beiden Fällen ein sexuelles Kindererlebnis.
Jeder Zwang rührt auch bei dieser Paranoia von Verdrängung
her; die Symptome der Paranoia lassen eine ähnliche Klassi-
fizierung zu, wie sie sich für die Zwangsneurose als berechtigt
erwiesen hat Ein Teil der Symptome entspringt wieder der
primären Abwehr, nämlich alle Wahnideen des Mißtrauens,
Argwohns, der Verfolgung durch Andere. Bei der Zwangs-
neurose ist der initiale Vorwurf verdrängt werden durch die
Bildung des primären Abwehrsymptoms : S elb s tmiß traue 11.
Dabei ist der Vorwurf als berechtigt anerkannt werden, und
zur Ausgleichung schützt nun die Geltung, welche sich die
Gewissenhaftigkeit im gesunden Intervall erworben hat, davor,
dem als Zwangsvorstellung wiederkehrenden Vorwurf Glauben
zu schenken. Bei Paranoia wird der Vorwurf auf einem Wege,
den man als Projektion bezeichnen kann, verdrängt, indemS.
133
das Abwehrsymptom des Mißtrauens gegen Andere
errichtet wird; dabei wird dem Vorwurfe die Anerkennung
entzogen, und wie zur Vergeltung fehlt es dann an einem
Schutze gegen die in den Wohnideen wiederkehrenden Vorwürfe.Andere Symptome meines Falles von Paranoia sind als
Symptome der Wiederkehr des Verdrängten zu bezeichnen
und tragen auch, wie die der Zwangsneurose, die Spuren des
Kompromisses an sich, der ihnen allein den Eintritt ins
Bewußtsein gestattet. So die Wahnidee, beim Auskleiden
beobachtet zu werden, die visuellen, die Empfindungshallu-
zinationen und das Stimmenhören. Nahezu unveränderten, nur
durch Auslassung unbestimmt gewordener Erinnerungsinhalt
findet sich in der erwähnten Wahnidee vor. Die Wiederkehr
des Verdrängten in visuellen Bildern nähert sich eher dem
Charakter der Hysterie als dem der Zwangsneurose, doch
pflegt die Hysterie ihre Erinnerungssymhole ohne Modifikation
zu wiederholen, während die paranoische Erinnerungshallu-
zinaln'on eine Entstehung erfährt, wie sie der Zwangsneurese
zukommt; ein analoges modernes Bild setzt sich an die Stelle
des verdrängten (Schoß einer erwachsenen Frau anstatt eines
Kindes; daran sogar die Behaarung besonders deutlich, Weil
diese dem ursprünglichen Eindruck fehlte). Ganz der Paranoia
eigentümlich und in dieser Vergleiehung weiter nicht zu be-
leuchten ist der Umstand, daß die verdrängten Vorwürfe als
lautgewordene Gedanken wiederkehren, wobei sie sich eine
zweifache Entstehung gefallen lassen müssen, eine Zensur, die
zur Ersetzu.ng durch andere assoziierte Gedanken oder zur
Verhüllung durch unbestimmte Ausdrucksweise führt, und die
Beziehung auf moderne, den alten bloß analoge Erlebnisse.Die dritte Gruppe der bei Zwangsneurose gefundenen
Symptome, die Symptome der sekundären Abwehr, kann bei
der Paranoia. nicht als solche vor-kunden sein, da sich gegen
die wiederkehrenden Symptome, die ja Glauben finden, keine
Abwehr geltend macht. Zum Ersatze hierfür findet sich bei
Paranoia eine andere Quelle für Symptombildung; die durch
das Kompromiß ins Bewußtsein gelangten Wahnideen (Symp-
tome der Wiederkehr) stellen Anforderungen an die Denkarbeit
des Ich, bis daß sie Widerspruchsfrei angenommen werdenS.
134
können. Da sie selbst unbeeinflußhar wird, muß das Ich sich
ihnen anpassen, und somit entspricht den Symptomen der
sekundären Abwehr bei der Zwangsneurose hier die kombi-
natorische Wahnbildung, der Deutungswahn‚ der in die
Iehveränderung ausläui't. Mein Fall war in dieser Hinsicht
unvollständig; er zeigte damals noch nichts von Deutungs-
versuchen, die sich erst später einstellteu. Ich zweier aber
nicht daran, daß man noch ein wichtiges Resultat wird fest-
stellen kölmen, wenn man die Psychoanalyse auch auf dieses
Stadium der Paranoia anwendet. Es dürfte sich ergeben, daß
auch die sogenannte Er inn erung s s chw Siehe der Paranoiker
eine tendenziöse, das heißt auf Verdrängung beruhende
und ihren Absichten dienende ist. Es werden nachträglich
jene gar nicht pathogenen Erinnerungen verdrängt und er-
setzt, die mit der Ichvetändenmg in Widerspruch stehen,
welche die Symptome der Wiederkehr gebieterisoh erfordern
sksn1
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–134