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1. Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen.
Von Dr. Sigm. Freud, Privatdocent in Wien.
Als ,,Abwehr-Neuropsychosen" habe ich 1894 in einem kleinen Auf
satze (dieses Centralblatt, Nr. 10 u. 11) Hysterie, Zwangsvorstellungen, sowie
gewisse Fälle von acuter hallucinatorischer Verworrenheit zusammengefasst, weil
sich für diese Affectionen der gemeinsame Gesichtspunkt ergeben hatte, ihre
Symptome entstünden durch den psychischen Mechanismus der (unbewussten)
Abwehr, d. h. bei dem Versuche, eine unverträgliche Vorstellung zu ver
drängen, die in peinlichen Gegensatz zum Ich der Kranken getreten war.
An einzelnen Stellen eines seither erschienenen Buches ,,Studien über Hysterie"
von Dr. J. BREUER und mir, habe ich dann erläutern und an Kranken-
beobachtungen darlegen können, in welchem Sinne dieser psychische Vorgang
der ,,Abwehr" oder ,,Verdrängung" zu verstehen ist. Ebendaselbst finden sich
auch Angaben über die mühselige, aber vollkommen verlässliche Methode der
Psychoanalyse, deren ich mich bei diesen Untersuchungen, die gleichzeitig eine
Therapie darstellen, bediene.Meine Erfahrungen in den letzten beiden Arbeitsjahren haben mich nun
in der Neigung bestärkt, die Abwehr zum Kernpunkt im psychischen Mechanis-
mus der erwähnten Neurosen zu machen, und haben mir andererseits gestattet,
der psychologischen Theorie eine klinische Grundlage zu geben. Ich bin zu
meiner eigenen Ueberraschung auf einige einfache, aber eng umschriebene Lösungen
der Neurosenprobleme gestossen, über die ich auf den nachfolgenden Seiten
vorläufig und in Kürze berichten will. Ich kann es mit dieser Art der Mit-
theilung nicht vereinen, den Behauptungen die Beweise anzufügen, deren sie
bedürfen, hoffe aber, diese Verpflichtung in einer ausführlichen Darstellung
einlösen zu können.1. Die „specifische“ Aetiologie der Hysterie.
Dass die Symptome der Hysterie erst durch Zurückführung auf ,trauma-
tisch" wirksame Erlebnisse verständlich werden, und dass diese psychischen
Traumen sich auf das Sexualleben beziehen, ist von BREUER und mir bereite
in früheren Veröffentlichungen ausgesprochen worden. Was ich heute als ein-
förmiges Ergebniss meiner an 13 Fällen von Hysterie durchgeführten Analysen
hinzuzufügen habe, betrifft einerseits die Natur dieser sexuellen Traumen,
andererseits die Lebensperiode, in der sie vorfallen. Es reicht für die Ver-
ursachung der Hysterie nicht hin, dass zu irgend einer Zeit des Lebens ein
Erlebniss auftrete, welches das Sexualleben irgendwie streift und durch die
Entbindung und Unterdrückung eines peinlichen Affectes pathogen wird. Es
müssen vielmehr diese sexuellen Traumen der frühen Kindheit (der
Lebenszeit vor der Pubertät) angehören, und ihr Inhalt muss inS.
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wirklicher Irritation der Genitalien (coitusähnlichen Vorgängen)
bestehen.Diese specifische Bedingung der – sexuelle Passivität in
vorsexuellen Zeiten – fand ich in allen analysirten Fällen von Hysterie
(darunter 2 Männer) erfüllt. Wie sehr die Anforderung an hereditäre Disposition
durch solche Bedingtheit der accidentellen ätiologischen Momente verringerl
wird, bedarf nur der Andeutung, ferner eröffnet sich ein Verständniss für die
ungleich grössere Häufigkeit der Hysterie beim weiblichen Geschlecht, da dieses
auch im Kindesalter eher zu sexuellen Angriffen reizt.Die nächstlegendsten Einwendungen gegen dieses Resultat dürflen lauten,
dass sexuelle Angriffe gegen kleine Kinder zu häufig vorfallen, als dass ihrer
Constatirung ein ätiologischer Werth zukäme, oder dass solche Erlebnisse gerade
darum wirkungslos bleiben müssen, weil sie ein sexuell unentwickeltes Wesen
betreffen; ferner, dass man sich hüten müsse, derlei angebliche Reminiscenzen
den Kranken durch's Examen aufzudrängen, oder an die Romane, die sie selbst
erdichten, zu glauben. Den letzteren Einwendungen ist die Bitte entgegen-
zuhalten, dass doch Niemand allzu sicher auf diesem dunkeln Gebiete urtheilen
möge, der sich noch nicht der einzigen Methode bedient hat, welche es zu
erhellen vermag (der Psychoanalyse zur Bewusstmachung des bisher Unbewussten¹).
Das Wesentliche an den ersteren Zweifeln erledigt sich durch die Bemerkung,
dass ja nicht die Erlebnisse selbst traumatisch wirken, sondern deren Wieder-
belebung als Erinnerung, nachdem das Individuum in die sexuelle Reifung
eingetreten ist.Meine 13 Falle von Hysterie waren durchwegs von schwerer Art, alle mit
vieljähriger Krankheitsdauer, einige nach längerer und erfolgloser Anstalts-
behandlung. Die Kindertraumen, welche die Analyse für diese schweren Fälle
aufdeckte, mussten sämmtlich als schwere sexuelle Schädigungen bezeichnet
werden; gelegentlich waren es geradezu abscheuliche Dinge. Unter den Per-
sonen, welche sich eines solchen, folgenschweren Abusus schuldig machten,
stehen obenan Kinderfrauen, Gouvernanten und andere Dienstboten, denen man
allzu sorglos die Kinder überlässt, ferner sind in bedauerlicher Häufigkeit
lehrende Personen vertreten; in 7 von jenen 13 Fallen handelte es sich aber
auch um schuldlose kindliche Attentäter, meist Brüder, die mit ihren um wenig
jüngeren Schwestern Jahre hindurch sexuelle Beziehungen unterhalten hatten.
Der Hergang war wohl jedes Mal ähnlich, wie man ihn in einzelnen Fällen
mit Sicherheit verfolgen konnte, dass nämlich der Knabe von einer Person
weiblichen Geschlechts missbraucht worden war, dass dadurch in ihm vorzeitig
die Libido geweckt wurde, und dass er dann einige Jahre später in sexueller
Aggression gegen seine Schwester genau die nämlichen Proceduren wiederholte,
denen man ihn selbst unterzogen hatte.Active Masturbation muss ich aus der Liste der für Hysterie pathogenen
sexuellen Schädlichkeiten des frühen Kindesalters ausschliessen. Wenn diese1 Ich vermuthe selbst, dass die so häufigen Attentatsdichtungen der Hysterischen Zwangs-
dichtungen sind, die von der Erinnerungsspur des Kindertraumas ausgeben.S.
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doch so häufig neben der Hystery gefunden wird, so rührt dies von dem Um-
stande her, dass die Masturbation selbst weit häufiger, als man meint, die
Folge des Missbrauches oder der Verführung ist. Gar nicht selten erkranken
beide Theile des kindlichen Paares später an Abwehr-Neurosen, der Bruder an
Zwangsvorstellungen, die Schwester an Hysterie, was natürlich den Anschein
einer familiären neurotischen Disposition ergiebt. Diese Pseudoheredität löst
sich aber mitunter auf überraschende Weise; in einer meiner Beobachtungen
waren Bruder, Schwester und ein etwas älterer Vetter krank. Aus der Analyse,
die ich mit dem Bruder vornahm, erfuhr ich, dass er an Vorwürfen darüber
litt, dass er die Krankheit der Schwester verschuldet; ihn selbst hatte der
Vetter verführt, und von diesem war in der Familie bekannt, dass er das Opfer
seiner Kinderfrau geworden war.Die obere Altersgrenze, bis zu welcher sexuelle Schädigung in die Aetiologie
der Hysterie fällt, kann ich nicht sicher angeben; ich zweifle aber, ob sexuelle
Passivität nach dem 8.-10. Jahre Verdrängung ermöglichen kann, wenn sie
nicht durch vorherige Erlebnisse dazu befähigt wird. Die untere Grenze reicht
so weit, als das Erinnern überhaupt, also bis in's zarte Alter von 1½, oder
2 Jahren! (2 Fälle). In einer Anzahl meiner Fälle ist das sexuelle Trauma
(oder die Reihe von Traumen) im 3. und 4. Lebensjahre enthalten. Ich würde
diesen sonderbaren Funden selbst nicht Glauben schenken, wenn sie sich nicht
durch die Ausbildung der späteren Neurose volle Vertrauenswürdigkeit ver-
schaffen würden. In jedem Falle ist eine Summe von krankhaften Symptomen,
Gewohnheiten und Phobien nur durch das Zurückgehen auf jene Kindererleb-
nisse erklärlich, und das logische Gefüge der neurotischen Aeusserungen macht
eine Ablehnung jener aus dem Kinderleben auftauchenden, getreu bewahrten
Erinnerungen unmöglich. Es wäre freilich vergebens, diese Kindertraumen einem
Hysterischen ausserhalb der Psychoanalyse abfragen zu wollen, ihre Spur ist
niemals im bewussten Erinnern, nur in den Krankheitssymptomen aufzufinden.Alle die Erlebnisse und Erregungen, welche in der Lebensperiode nach
der Pubertät den Ausbruch der Hysterie vorbereiten oder veranlassen, wirken
nachweisbar nur dadurch, dass sie die Erinnerungsspur jener Kindheits-
traumen erwecken, welche dann nicht bewusst wird, sondern zur Affectentbin-
dung und Verdrängung führt. Es steht mit dieser Rolle der späteren Traumen
in gutem Einklange, dass sie nicht der strengen Bedingtheit der Kindertraumen
unterliegen, sondern nach Intensität und Beschaffenheit variiren können, von
wirklicher sexueller Ueberwältigung bis zu blossen sexuellen Annäherungen und
zur Sinneswahrnehmung sexueller Acte bei Anderen oder Aufnahme von Mit-
theilungen über geschlechtliche Vorgänge.11 In einem Aufsatze aber die Angstneurose (dieses Centralblatt, 189.. Nr. 2) erwähnte
ich, dass „ein erstes Zusammentreffen mit dem sexuellen Problem bei heranreifenden Mädchen
eine Angstneurose hervorrufen kann, die in fast typischer Weise mit Hysterie combinirt ist.“
Ich weiss heute, dass die Gelegenheit, bei welcher solche virginale Angst ausbricht, eben
nicht dem ersten Zusammentreffen mit der Sexualität entspricht, sondern dass bei diesen
Personen ein Erlebniss sexueller Passivität in den Kinderjahren vorhergegangen ist, dessen
Erinnerung bei dem „ersten Zusammentreffen“ geweckt wird.S.
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In meiner ersten Mittheilung über die Abwehr-Neurosen blieb es unauf-
geklärt, wieso das Bestreben der bis dahin Gesunden ein solches traumatisches
Erlebnis zu vergessen, den Erfolg haben könne, die beabsichtigte Verdrängung
wirklich zu erzielen und damit der Abwehr-Neurose des Thor zu öffnen. An
der Natur dm Erlebnisse konnte es nicht liegen, da andere Personen trotz der
gleichen Anlässe gesund blieben. Es konnte also die Hysterie nicht aus der
Wirkung des Traumas voll erklärt werden; man musste zugestehen‚ dass die
Fähigkeit zur hysterischen Reaction schon vor dem Trauma bestanden hatte.An Stelle dieser unbestimmten hysterischen Disposition kann nun ganz oder teilweise die posthume Wirkung des sexuellen Kindertraumas treten. Die “Verdrängung” der Erinnerung an ein peinliches sexuelles Erlebnis reiferer Jahre gelingt nur solchen Personen, bei denen dies Erlebnis die Erinnerungsspur eines Kindertraumas zur Wirkung bringen kann.1
Zwangsvorstellungen haben gleichfalls ein sexuelles Kindererlebnis (anderer Natur als bei Hysterie) zur Voraussetzung. Die Ätiologie der beiden Abwehr-Neuropsychosen bietet nun folgende Beziehung zur Ätiologie der beiden einfachen Neurosen, Neurasthenie und Angstneurose. Die beiden letzteren Affektionen sind unmittelbare Wirkungen der sexuellen Noxen selbst, wie ich es in einem Aufsatze über die Angstneurose 1895 dargelegt habe; die beiden Abwehrneurosen sind mittelbare Folgen sexueller Schädlichkeiten, die vor Eintritt der Geschlechtsreife eingewirkt haben, nämlich Folgen der psychischen Erinnerungsspuren an diese Noxen. Die aktuellen Ursachen, welche Neurasthenie und Angstneurose erzeugen, spielen häufig gleichzeitig die Rolle von erweckenden Ursachen für die Abwehrneurosen; anderseits können die spezifischen Ursachen der Abwehrneurose, die Kindertraumen, gleichzeitig den Grund für die später sich entwickelnde Neurasthenie legen. Endlich ist auch der Fall nicht selten, daß eine Neurasthenie oder Angstneurose anstatt durch aktuelle sexuelle Schädlichkeiten nur durch fortwirkende Erinnerung an Kindertraumen in ihrem Bestande erhalten wird.1
1 Eine psychologische Theorie der Verdrängung müßte auch Auskunft darüber geben, warum nur Vorstellungen sexuellen Inhaltes verdrängt werden können. Sie darf von folgenden Andeutungen ausgehen: Das Vorstellen sexuellen Inhaltes erzeugt bekanntlich ähnliche Erregungsvorgänge in den Genitalien wie das sexuelle Erleben selbst. Man darf annehmen, daß diese somatische Erregung sich in psychische umsetzt. In der Regel ist die diesbezügliche Wirkung beim Erlebnisse viel stärker als bei der Erinnerung daran. Wenn aber das sexuelle Erlebnis in die Zeit sexueller Unreife fällt, die Erinnerung daran während oder nach der Reife erweckt wird, dann wirkt die Erinnerung ungleich stärker erregend als seinerzeit das Erlebnis, denn inzwischen hat die Pubertät die Reaktionsfähigkeit des Sexualapparats in unvergleichbarem Maße gesteigert. Ein solches umgekehrtes Verhältnis zwischen realem Erlebnis und Erinnerung scheint aber die psychologische Bedingung einer Verdrängung zu enthalten. Das Sexualleben bietet—durch die Verspätung der Pubertätsreife gegen die psychischen Funktionen—die einzig vorkommende Möglichkeit für jene Umkehrung der relativen Wirksamkeit. Die Kindertraumen wirken nachträglich wie frische Erlebnisse, dann aber unbewußt. Weitergehende psychologische Erörterungen müßte ich auf ein anderes Mal verschieben.—Ich bemerke noch, daß die hier in Betracht kommende Zeit der “sexuellen Reifung” nicht mit der Pubertät zusammenfällt, sondern vor dieselbe (achtes bis zehntes Jahr).
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2.Wesen und Mechanismus der Zwangsneurose
In der Ätiologie der Zwangsneurose haben sexuelle Erlebnisse der frühen Kinderzeit dieselbe Bedeutung wie bei Hysterie, doch handelt es sich hier nicht mehr um sexuelle Passivität, sondern um mit Lust ausgeführte Aggressionen und mit Lust empfundene Teilnahme an sexuellen Akten, also um sexuelle Aktivität. Mit dieser Differenz der ätiologischen Verhältnisse hängt es zusammen, daß bei der Zwangsneurose das männliche Geschlecht bevorzugt erscheint.
Ich habe übrigens in all meinen Fällen von Zwangsneurose einen Untergrund von hysterischen Symptomen gefunden, die sich auf eine der Lusthandlung vorhergehende Szene sexueller Passivität zurückführen ließen. Ich vermute, daß dieses Zusammentreffen ein gesetzmäßiges ist, und daß vorzeitige sexuelle Aggression stets ein Erlebnis von Verführung voraussetzt. Ich kann aber gerade von der Ätiologie der Zwangsneurose noch keine abgeschlossene Darstellung geben; es macht mir nur den Eindruck, als hinge die Entscheidung darüber, ob auf Grund der Kindertraumen Hysterie oder Zwangsneurose entstehen soll, mit den zeitlichen Verhältnissen der Entwicklung von Libido zusammen.
Das Wesen der Zwangsneurose läßt sich in einer einfachen Formel aussprechen: Zwangsvorstellungen sind jedesmal verwandelte, aus der Verdrängung wiederkehrende Vorwürfe, die sich immer auf eine sexuelle, mit Lust ausgeführte Aktion der Kinderzeit beziehen. Zur Erläuterung dieses Satzes ist es notwendig, den typischen Verlauf einer Zwangsneurose zu beschreiben.
In einer ersten Periode—Periode der kindlichen Immoralität—fallen die Ereignisse vor, welche den Keim der späteren Neurose enthalten. Zuerst in frühester Kindheit die Erlebnisse sexueller Verführung, welche später die Verdrängung ermöglichen, sodann die Aktionen sexueller Aggression gegen das andere Geschlecht, welche später als Vorwurfshandlungen erscheinen.
Dieser Periode wird ein Ende bereitet durch den—oft selbst verfrühten—Eintritt der sexuellen “Reifung”. Nun knüpft sich an die Erinnerung jener Lustaktionen ein Vorwurf, und der Zusammenhang mit dem initialen Erlebnisse von Passivität ermöglicht es—oft erst nach bewußter und erinnerter Anstrengung— diesen zu verdrängen und durch ein primäres Abwehrsymptom zu ersetzen. Gewissenhaftigkeit, Scham, Selbstmißtrauen sind solche Symptome, mit denen die dritte Periode, die der scheinbaren Gesundheit, eigentlich der gelungenen Abwehr, beginnt.
Die nächste Periode, die der Krankheit, ist ausgezeichnet durch die Wiederkehr der verdrängten Erinnerungen, also durch das Mißglücken der Abwehr, wobei es unentschieden bleibt, ob die Erweckung derselben häufiger zufällig und spontan oder infolge aktueller sexueller Störungen gleichsam als Nebenwirkung derselben erfolgt. Die wiederbelebten Erinnerungen und die aus ihnen gebildeten Vorwürfe treten aber niemals unverändert ins Bewußtsein ein, sondern was als Zwangsvorstellung und Zwangsaffekt bewußt wird, die pathogene Erinnerung für das bewußte Leben substituiert, sind Kompromißbildungen zwischen den verdrängten und den verdrängenden Vorstellungen.
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Um die Vorgänge der Verdrängung, der Wiederkehr des Verdrängten und der Bildung der pathologischen Kompromißvorstellungen anschaulich und wahrscheinlich zutreffend zu beschreiben, müßte man sich zu ganz bestimmten Annahmen über das Substrat des psychischen Geschehens und des Bewußtseins entschließen. So lange man dies vermeiden will, muß man sich mit folgenden, eher bildlich verstandenen Bemerkungen bescheiden: Es gibt zwei Formen der Zwangsneurose, je nachdem allein der Erinnerungsinhalt der Vorwurfshandlung sich den Eingang ins Bewußtsein erzwingt oder auch der an sie geknüpfte Vorwurfsaffekt. Der erstere Fall ist der der typischen Zwangsvorstellungen, bei denen der Inhalt die Aufmerksamkeit des Kranken auf sich zieht, als Affekt nur eine unbestimmte Unlust empfunden wird, während zum Inhalt der Zwangsvorstellung nur der Affekt des Vorwurfs passen würde. Der Inhalt der Zwangsvorstellung ist gegen den der Zwangshandlung im Kindesalter in zweifacher Weise entstellt: erstens, indem etwas Aktuelles an die Stelle des Vergangenen gesetzt ist, zweitens, indem das Sexuelle durch Analoges, nicht Sexuelles, substituiert wird. Diese beiden Abänderungen sind die Wirkung der immer noch in Kraft stehenden Verdrängungsneigung, die wir dem “Ich” zuschreiben wollen. Der Einfluß der wiederbelebten pathogenen Erinnerung zeigt sich darin, daß der Inhalt der Zwangsvorstellung noch stückweise mit dem Verdrängten identisch ist oder sich durch korrekte Gedankenfolge von ihm ableitet. Rekonstruiert man mit Hilfe der psychoanalyti-schen Methode die Entstehung einer einzelnen Zwangsvorstellung, so findet man, daß von einem aktuellen Eindrucke aus zwei verschiedene Gedankengänge angeregt worden sind; der eine davon, der über die verdrängte Erinnerung gegangen ist, erweist sich als ebenso korrekt logisch gebildet wie der andere, obwohl er bewußtseinsunfähig und unkorrigierbar ist. Stimmen die Resultate der beiden psychischen Operationen nicht zusammen, so kommt es nicht etwa zur logischen Ausgleichung des Widerspruches zwischen beiden, sondern neben dem normalen Denkergebnisse tritt als Kompromiß zwischen dem Widerstande und dem pathologischen Denkresultate eine absurd erscheinende Zwangsvorstellung ins Bewußtsein. Wenn die beiden Gedankengänge den gleichen Schluß ergeben, verstärken sie einander, so daß ein normal gewonnenes Denkresultat sich nun psychologisch wie eine Zwangsvorstellung verhält. Wo immer neurotischer Zwang im Psychischen auftritt, rührt er von Verdrängung her. Die Zwangsvorstellungen haben sozusagen psychischen Zwangskurs nicht wegen ihrer eigenen Geltung, sondern wegen der Quelle, aus der sie stammen, oder die zu ihrer Geltung einen Beitrag geliefert hat.
Eine zweite Gestaltung der Zwangsneurose ergibt sich, wenn nicht der verdrängte Erinnerungsinhalt, sondern der gleichfalls verdrängte Vorwurf eine Vertretung im bewußten psychischen Leben erzwingt. Der Vorwurfsaffekt kann sich durch einen psychischen Zusatz in einen beliebigen anderen Unlustaffekt verwandeln; ist dies geschehen, so steht dem Bewußtwerden des substituierenden Affekts nichts mehr im Wege. So verwandelt sich Vorwurf (die sexuelle Aktion im Kindesalter vollführt zu haben) mit Leichtigkeit in Scham (wenn ein anderer davon erführe), in hypochondrische Angst (vor den körperlich schädigenden
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Folgen jener Vorwurfshandlung), in soziale Angst (vor der gesellschaftlichen Ahndung jenes Vergehens), in religiöse Angst, in Beachtungswahn (Furcht, daß man jene Handlung anderen verrate), in Versuchungsangst (berechtigtes Mißtrauen in die eigene moralische Widerstandskraft) u. dgl. Dabei kann der Erinnerungsinhalt der Vorwurfshandlung im Bewußtsein mitvertreten sein oder gänzlich zurückstehen, was die diagnostische Erkennung sehr erschwert. Viele Fälle, die man bei oberflächlicher Untersuchung für gemeine (neurasthenische) Hypochondrie hält, gehören zu dieser Gruppe der Zwangsaffekte, insbesondere die sogenannte “periodische Neurasthenie” oder “periodische Melan-cholie” scheint in ungeahnter Häufigkeit sich in Zwangsaffekte und Zwangsvorstellungen aufzulösen, eine Erkennung, die therapeutisch nicht gleichgültig ist.
Neben diesen Kompromißsymptomen, welche die Wiederkehr des Verdrängten und somit ein Scheitern der ursprünglich erzielten Abwehr bedeuten, bildet die Zwangsneurose eine Reihe weiterer Symptome von ganz anderer Herkunft. Das Ich sucht sich nämlich jener Abkömmlinge der initial verdrängten Erinnerung zu erwehren und schafft in diesem Abwehrkampfe Symptome, die man als “sekundäre Abwehr” zusammenfassen könnte. Es sind dies durchwegs “Schutzmaßregeln”, die bei der Bekämpfung der Zwangsvorstellungen und Zwangsaffekte gute Dienste geleistet haben. Gelingt es diesen Hilfen im Abwehrkampfe wirklich, die dem Ich aufgedrängten Symptome der Wiederkehr neuerdings zu verdrängen, so überträgt sich der Zwang auf die Schutzmaßregeln selbst und schafft eine dritte Gestaltung der “Zwangsneurose”, die Zwangshandlungen. Niemals sind diese primär, niemals enthalten sie etwas anderes als eine Abwehr, nie eine Aggression; die psychische Analyse weist von ihnen nach,
daß sie—trotz ihrer Sonderbarkeit—durch Zurückführung auf die Zwangserinnerung, die sie bekämpfen, jedesmal voll aufzuklären sind.11 Ein Beispiel anstatt vieler: Ein elfjähriger Knabe hatte sich folgendes Zeremoniell vor dem Zubettgehen zwangsartig eingerichtet: Er schlief nicht eher ein, als bis er seiner Mutter alle Erlebnisse des Tages haarklein vorerzählt hatte; auf dem Teppich des Schlafzimmers durfte abends kein Papierschnitzelchen und kein anderer Unrat zu finden sein; das Bett mußte ganz an die Wand angerückt werden, drei Stühle davorstehen, die Polster in ganz bestimmter Weise liegen. Er selbst mußte, um einzuschlafen, zuerst eine gewisse Anzahl von Malen mit beiden Beinen stoßen und sich dann auf die Seite legen.—Das klärte sich folgendermaßen auf: Jahre vorher hatte es sich zugetragen, daß ein Dienstmädchen, welches den schönen Knaben zu Bette bringen sollte, die Gelegenheit benützte, um sich dann über ihn zu legen und ihn sexuell zu mißbrauchen. Als dann später einmal diese Erinnerung durch ein rezentes Erlebnis geweckt wurde, gab sie sich dem Bewußtsein durch den Zwang zu obigem Zeremoniell kund, dessen Sinn leicht zu erraten war und im einzelnen durch die Psychoanalyse festgestellt wurde: Sessel vor dem Bett und dieses an die Wand gerückt—damit niemand mehr zum Bett Zugang haben könne; Polster in einer gewissen Weise geordnet—damit sie anders geordnet seien als an jenem Abend; die Bewegungen mit den Beinen—Wegstoßen der auf ihm liegenden Person; Schlafen auf der Seite—weil er bei der Szene auf dem Rücken gelegen; die ausführliche Beichte vor der Mutter—weil er diese und andere sexuelle Erlebnisse infolge von Verbot der Verführerin ihr verschwiegen hatte; endlich Reinhaltung des Bodens im Schlafzimmer—weil dies der Hauptvorwurf war, den er bis dahin von der Mutter hatte hinnehmen müssen.
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Die sekundäre Abwehr der Zwangsvorstellungen kann erfolgen durch gewaltsame Ablenkung auf andere Gedanken möglichst konträren Inhaltes; daher im Falle des Gelingens der Grübelzwang, regelmäßig über abstrakte, übersinnliche Dinge, weil die verdrängten Vorstellungen sich immer mit der Sinnlichkeit beschäftigten. Oder der Kranke versucht, jeder einzelnen Zwangsidee durch logische Arbeit und Berufung auf seine bewußten Erinnerungen Herr zu werden; dies führt zum Denk- und Prüfungszwange und zur Zweifelsucht. Der Vorzug der Wahrnehmung vor der Erinnerung bei diesen Prüfungen veranlaßt den Kranken zuerst und zwingt ihn später, alle Objekte, mit denen er in Berührung getreten ist, zu sammeln und aufzubewahren. Die sekundäre Abwehr gegen die Zwangsaffekte ergibt eine noch größere Reihe von Schutzmaßregeln, die der Verwandlung in Zwangshandlungen fähig sind. Man kann dieselben nach ihrer
Tendenz gruppieren: Maßregeln der Buße (lästiges Zeremoniell, Zahlenbeobachtung), der Vorbeugung (allerlei Phobien, Aberglauben, Pedanterie, Steigerung des Primärsymptoms der Gewissenhaftigkeit), der Furcht vor Verrat (Papiersammeln, Menschenscheu), der Betäubung (Dipsomanie). Unter diesen Zwangshandlungen und -impulsen spielen die Phobien als Existenzbeschränkungen des Kranken die größte Rolle.Es gibt Fälle, in welchen man beobachten kann, wie sich der Zwang von der Vorstellung oder vom Affekt auf die Maßregel überträgt; andere, in denen der Zwang periodisch zwischen dem Wiederkehrsymptome und dem Symptom der sekundären Abwehr oszilliert; aber daneben noch Fälle, in denen überhaupt keine Zwangsvorstellung gebildet, sondern die verdrängte Erinnerung sogleich durch die scheinbar primäre Abwehrmaßregel vertreten wird. Hier wird mit einem Sprunge jenes Stadium erreicht, welches sonst erst nach dem Abwehrkampf den Verlauf der Zwangsneurose abschließt. Schwere Fälle dieser Affektion enden mit der Fixierung von Zeremoniellhandlungen, allgemeiner Zweifelsucht oder einer durch Phobien bedingten Sonderlingsexistenz.
Daß die Zwangsvorstellung und alles von ihr Abgeleitete keinen Glauben findet, rührt wohl daher, daß bei der ersten Verdrängung das Abwehrsymptom der Gewissenhaftigkeit gebildet worden ist, das gleichfalls Zwangsgeltung gewonnen hat. Die Sicherheit, in der ganzen Periode der gelungenen Abwehr moralisch gelebt zu haben, macht es unmöglich, dem Vorwurfe, welchen ja die Zwangsvorstellung involviert, Glauben zu schenken. Nur vorübergehend beim Auftreten einer neuen Zwangsvorstellung und hie und da bei melancholischen Erschöpfungszuständen des Ichs erzwingen die krankhaften Symptome der Wiederkehr auch den Glauben. Der “Zwang” der hier beschriebenen psychischen Bildungen hat ganz allgemein mit der Anerkennung durch den Glauben nichts zu tun, und ist auch mit jenem Moment, das man als “Stärke” oder “Intensität” einer Vorstellung bezeichnet, nicht zu verwechseln. Sein wesentlicher Charakter ist vielmehr die Unauflösbarkeit durch die bewußtseinsfähige psychische Tätigkeit, und dieser Charakter erfährt keine Änderung, ob nun die Vorstellung, an der der Zwang haftet, stärker oder schwächer, intensiver oder geringer “beleuchtet”, “mit Energie besetzt”u. dgl. wird
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Ursache dieser Unangreifbarkeit der Zwangsvorstellung oder ihrer Derivate ist aber nur ihr Zusammenhang mit der verdrängten Erinnerung aus früher Kindheit, denn wenn es gelungen ist, diesen bewußt zu machen, wofür die psychotherapeutischen Methoden bereits auszureichen scheinen, dann ist auch der Zwang gelöst.
3.Analyse eines Falles von chronischer Paranoia
Seit längerer Zeit schon hege ich die Vermutung, daß auch die Paranoia—oder Gruppen von Fällen, die zur Paranoia gehören—eine Abwehrpsychose ist, d. h. daß sie wie Hysterie und Zwangsvorstellungen hervorgeht aus der Verdrängung peinlicher Erinnerungen, und daß ihre Symptome durch den Inhalt des Verdrängten in ihrer Form determiniert werden. Eigentümlich müsse der Paranoia ein besonderer Weg oder Mechanismus der Verdrängung sein, etwa wie die Hysterie die Verdrängung auf dem Wege der Konversion in die Körperinnervation, die Zwangsneurose durch Substitution (Verschiebung längs gewisser assoziativer Kategorien) bewerkstelligt. Ich beobachtete mehrere Fälle, die dieser Deutung günstig waren, hatte aber keinen gefunden, der sie erwies, bis mir durch die Güte des Herrn Dr. J. Breuer vor einigen Monaten ermöglicht wurde, den Fall einer intelligenten zweiunddreißigjährigen Frau, dem man die Bezeichnung als chronische Paranoia nicht wird versagen können, in therapeutischer Absicht einer Psychoanalyse zu unterziehen. Ich berichte schon hier über einige bei dieser Arbeit gewonnene Aufklärungen, weil ich keine Aussicht habe, die Paranoia anders als in sehr vereinzelten Beispielen zu studieren, und weil ich es für möglich halte, daß diese Bemerkungen einen hierin günstiger gestellten Psychiater veranlassen könnten, in der jetzt so regen Diskussion über Natur und psychischen Mechanismus der Paranoia das Moment der “Abwehr” zu seinem Rechte zu bringen. Natürlich liegt es mir fern, mit der nachstehenden einzigen Beobachtung etwas anderes sagen zu wollen, als: dieser Fall ist eine Abwehrpsychose, und es dürfte in der Gruppe “Paranoia” noch andere geben, die es gleichfalls sind.
Frau P., zweiunddreißig Jahre alt, seit drei Jahren verheiratet, Mutter eines zweijährigen Kindes, stammt von nicht nervösen Eltern; ihre beiden Geschwister kenne ich aber als gleichfalls neurotisch. Es ist zweifelhaft, ob sie nicht einmal in der Mitte der Zwanzigerjahre vorübergehend deprimiert und in ihrem Urteile beirrt war; in den letzten Jahren war sie gesund und leistungsfähig, bis sie ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Kindes die ersten Anzeichen der gegenwärtigen Erkrankung erkennen ließ. Sie wurde verschlossen und mißtrauisch, zeigte Abneigung gegen den Verkehr mit den Geschwistern ihres Mannes und klagte, daß die Nachbarn in der kleinen Stadt sich anders als früher, unhöflich und rücksichtslos gegen sie benähmen. Allmählich steigerten sich diese Klagen an Intensität, wenn auch nicht an Bestimmtheit: man habe etwas gegen sie, obwohl sie keine Ahnung habe, was es sein könne. Aber es sei kein Zweifel, alle — Verwandte wie Freunde — versagten ihr die Achtung, täten alles, sie zu kränken. Sie zerbreche sich den Kopf, woher das komme; wisse es nicht. Einige Zeit später klagte sie, daß sie beobachtet werde, man ihre Gedanken errate, alles wisse, was bei ihr im Hause vorgehe. Eines Nachmittags kam ihr plötzlich der Gedanke, man beobachte sie abends beim Auskleiden. Von nun an wendete sie beim Auskleiden die kompliziertesten Vorsichtsmaßregeln an: schlüpfte im Dunkeln
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ins Bett und entkleidete sich erst unter der Decke. Da sie jedem Verkehr auswich, sich schlecht nährte und sehr verstimmt war, wurde sie im Sommer 1895 in eine Wasserheilanstalt geschickt. Dort traten neue Symptome auf und verstärkten sich schon vorhandene. Schon im Frühjahr hatte sie plötzlich eines Tages, als sie mit ihrem Stubenmädchen allein war, eine Empfindung im Schoße bekommen und sich dabei gedacht, das Mädchen habe jetzt einen unanständigen Gedanken. Diese Empfindung wurde im Sommer häufiger, nahezu kontinuierlich, sie spürte ihre Genitalien, “wie man eine schwere Hand spürt”. Dann fing sie an, Bilder zu sehen, über die sie sich entsetzte, Halluzinationen von weiblichen Nacktheiten, besonders einen entblößten weiblichen Schoß mit Behaarung; gelegentlich auch männliche Genitalien. Das Bild des behaarten Schoßes und die Organempfindung im Schoße kamen meist gemeinsam. Die Bilder wurden sehr quälend für sie, da sie dieselben regelmäßig bekam, wenn sie in Gesellschaft einer Frau war und daran die Deutung sich anschloß, sie sehe jetzt die Frau in unanständigster Blöße, aber im selben Moment habe die Frau dasselbe Bild von ihr (!). Gleichzeitig mit diesen Gesichtshalluzinationen — die nach ihrem ersten Auftreten in der Heilanstalt für mehrere Monate wieder verschwanden — fingen Stimmen an, sie zu belästigen, die sie nicht erkannte und sich nicht zu erklären wußte. Wenn sie auf der Straße war, hieß es: Das ist die Frau P. — Da geht sie. Wo geht sie hin? — Man kommentierte jede ihrer Bewegungen und Handlungen, gelegentlich hörte sie Drohungen und Vorwürfe. Alle diese Symptome wurden ärger, wenn sie in Gesellschaft oder gar auf der Straße war; sie verweigerte darum auszugehen, erklärte dann, sie habe Ekel vor dem Essen und kam rasch herunter.
Dies erfuhr ich von ihr, als sie im Winter 1895 nach Wien in meine Behandlung kam. Ich habe es ausführlich dargestellt, um den Eindruck zu erwecken, daß es sich hier wirklich um eine recht häufige Form von chronischer Paranoia handle, zu welchem Urteil die noch später anzuführenden Details der Symptome und ihres Verhaltens stimmen werden. Wahnbildungen zur Deutung der Halluzinationen verbarg sie mir damals oder sie waren wirklich noch nicht vorgefallen; ihre Intelligenz war unvermindert; als auffällig wurde mir nur berichtet, daß sie ihrem in der Nachbarschaft lebenden Bruder wiederholt Rendezvous gegeben, um ihm etwas anzuvertrauen, ihm aber nie etwas mitgeteilt habe. Sie sprach nie über ihre Halluzinationen und zuletzt auch nicht mehr viel über die Kränkungen und Verfolgungen, unter denen sie litt.
Was ich nun von dieser Kranken zu berichten habe, betrifft die Ätiologie des Falles und den Mechanismus der Halluzinationen. Ich fand die Ätiologie, als ich ganz wie bei einer Hysterie die Breuersche Methode zunächst zur Erforschung und Beseitigung der Halluzinationen in Anwendung brachte. Ich ging dabei von der Voraussetzung aus, es müsse bei dieser Paranoia wie bei den zwei anderen mir bekannten Abwehrneurosen unbewußte Gedanken und verdrängte Erinnerungen geben, die auf dieselbe Weise wie dort ins Bewußtsein zu bringen seien, unter Überwindung eines gewissen Widerstandes, und die Kranke bestätigte sofort diese Erwartung, indem sie sich bei der Analyse ganz wie zum Beispiel eine Hysterica benahm und unter Aufmerksamkeit auf den Druck meiner Hand (vergleiche die “Studien über Hysterie”) Gedanken vorbrachte, die gehabt zu haben sie sich nicht erinnerte, die sie zunächst nicht verstand, und die ihrer Erwartung widersprachen. Es war also das Vorkommen bedeutsamer unbewußter Vorstellungen auch für einen Fall von Paranoia erwiesen, und ich
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durfte hoffen, auch den Zwang der Paranoia auf Verdrängung zurückzuführen. Eigentümlich war nur, daß sie die aus dem Unbewußten stammenden Angaben zumeist wie ihre Stimmen innerlich hörte oder halluzinierte.
Über die Herkunft der Gesichtshallucinationen oder wenigstens der leb-
haften Bilder erfuhr ich Folgendes: Das Bild des weiblichen Schosses kam fast immer mit er Organempfindung im Schosse zusammen, letztere war aber viel konstanter und sehr oft ohne das Bild.Die ersten Bilder von weiblichen Schößen waren aufgetreten in der Wasserheilanstalt, wenige Stunden, nachdem sie eine Anzahl von Frauen tatsächlich im Baderaum entblößt gesehen hatte, erwiesen sich also als einfache Reproduktionen eines realen Eindruckes. Man durfte nun voraussetzen, daß diese Eindrücke nur darum wiederholt worden seien, weil sich ein großes Interesse an sie geknüpft habe. Sie gab die Auskunft, sie habe sich damals für jene Frauen geschämt; sie schäme sich selbst, nackt gesehen zu werden, seitdem sie sich erinnere. Da ich nun diese Scham für etwas Zwanghaftes ansehen mußte, schloß ich nach dem Mechanismus der Abwehr, es müsse hier ein Erlebnis verdrängt worden sein, bei dem sie sich nicht geschämt, und forderte sie auf, die Erinnerungen auftauchen zu lassen, welche zu dem Thema des Schämens gehörten. Sie reproduzierte mir prompt eine Reihe von Szenen vom siebzehnten Jahre bis zum achten, in denen sie sich im Bade vor der Mutter, der Schwester, dem Arzte ihrer Nacktheit geschamt hatte; die Reihe lief aber in eine Szene mit sechs Jahren aus, wo sie sich im Kinderzimmer zum Schlafengehen entkleidete, ohne sich vor dem anwesenden Bruder zu schämen. Auf mein Befragen kam heraus, daß es solcher Szenen viele gegeben habe, und daß die Geschwister Jahre hindurch die Gewohnheit geübt hätten, sich einander vor dem Schlafengehen nackt zu zeigen. Ich verstand nun, was der plötzliche Einfall bedeutet hatte, man beobachte sie beim Schlafengehen. Es war ein unverändertes Stück der alten Vorwurfserinnerung, und sie holte jetzt an Schämen nach, was sie als Kind versäumt hatte.
Die Vermutung, daß es sich hier um ein Kinderverhältnis handle, wie auch in der Ätiologie der Hysterie so häufig, wurde durch weitere Fortschritte der Analyse bekräftigt, bei denen sich gleichzeitig Lösungen für einzelne im Bild der Paranoia häufig wiederkehrende Details ergaben. Der Anfang ihrer Verstimmung fiel zusammen mit einem Zwiste zwischen ihrem Manne und ihrem Bruder, infolgedessen der letztere ihr Haus nicht mehr betrat. Sie hatte diesen Bruder immer sehr geliebt und entbehrte ihn um diese Zeit sehr. Sie sprach aber außerdem von einem Moment ihrer Krankengeschichte, in dem ihr zuerst “alles klar wurde”, d. h. in dem sie zur Überzeugung gelangte, daß ihre Vermutung, allgemein mißachtet und mit Absicht gekränkt zu werden, Wahrheit sei. Diese Sicherheit gewann sie durch den Besuch einer Schwägerin, welche im Verlauf des Gesprächs die Worte fallen ließ: “Wenn mir etwas Derartiges passiert, nehme ich es auf die leichte Achsel!” Frau P. nahm diese Äußerung zunächst arglos hin; nachdem aber ihr Besuch sie verlassen hatte, kam es ihr vor, als sei in diesen Worten ein Vorwurf für sie enthalten gewesen, als
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ob sie gewohnt sei, ernste Dinge leicht zu nehmen, und von dieser Stunde an war sie sicher, daß sie ein Opfer der allgemeinen Nachrede sei. Als ich sie examinierte, wodurch sie sich berechtigt gefühlt, jene Worte auf sich zu beziehen, antwortete sie, der Ton, in dem die Schwägerin gesprochen, habe sie — allerdings nachträglich — davon überzeugt, was doch ein für Paranoia charakteristisches Detail ist. Ich zwang sie nun, sich an die Reden der Schwägerin vor der angeschuldigten Äußerung zu erinnern, und es ergab sich, daß diese erzählt hatte, im Vaterhause habe es mit den Brüdern allerlei Schwierigkeiten gegeben, und daran die weise Bemerkung geknüpft: “In jeder Familie gehe allerlei vor, worüber man gerne eine Decke breite. Wenn ihr aber Derartiges passiere, dann nehme sie es leicht.” Frau P. mußte nun bekennen, daß an diese Sätze vor der letzten Äußerung ihre Verstimmung angeknüpft hatte. Da sie diese beiden Sätze, die eine Erinnerung an ihr Verhältnis zum Bruder wecken konnten, verdrängt hatte und nur den bedeutungslosen letzten Satz behalten, mußte sie die Empfindung, als mache ihr die Schwägerin einen Vorwurf, an diesen knüpfen, und da der Inhalt desselben keine Anlehnung hiefür bot, warf sie sich vom Inhalte auf den Ton, mit dem diese Worte gesprochen worden waren. Ein wahrscheinlich typischer Beleg dafür, daß die Mißdeutungen der Paranoia auf einer Verdrängung beruhen.
In überraschender Weise löste sich auch ihr sonderbares Verfahren, ihren Bruder zu Zusammenkünften zu bestellen, bei denen sie ihm dann nichts zu sagen hatte. Ihre Erklärung lautete, sie habe gemeint, er müsse ihr Leiden verstehen, wenn sie ihn bloß ansehe, da er um die Ursache desselben wisse. Da nun dieser Bruder tatsächlich die einzige Person war, die um die Ätiologie ihrer Krankheit wissen konnte, ergab sich, daß sie nach einem Motiv gehandelt hatte, das sie bewußt zwar selbst nicht verstand, das aber vollkommen gerechtfertigt erschien, sobald man ihm einen Sinn aus dem Unbewußten unterlegte.
Es gelang mir dann, sie zur Reproduktion der verschiedenen Szenen zu veranlassen, in denen der sexuelle Verkehr mit dem Bruder (mindestens vom sechsten bis zum zehnten Jahre) gegipfelt hatte. Während dieser Reproduktionsarbeit sprach die Organempfindung im Schoße mit, wie es bei der Analyse hysterischer Erinnerungsreste regelmäßig beobachtet wird. Das Bild eines nackten weiblichen Schoßes (jetzt aber auf kindliche Proportionen reduziert und ohne Behaarung) stellte sich dabei gleichfalls ein oder blieb weg, je nachdem die betreffende Szene bei hellem Lichte oder im Dunkeln vorgefallen war. Auch der Eßekel fand in einem abstoßenden Detail dieser Vorgänge eine Erklärung. Nachdem wir die Reihe dieser Szenen durchgemacht hatten, waren die hallu-zinatorischen Empfindungen und Bilder verschwunden, um (wenigstens bis heute) nicht wiederzukehren.1
Ich hatte also gelernt, dass diese Halluzinationen nichts Anderes als Stücke
1 Als späterhin eine Exazerbation die ohnehin spärlichen Erfolge der Behandlung aufhob, sah sie die anstößigen Bilder fremder Genitalien nicht wieder, sondern hatte die Idee, die Fremden sähen ihre Genitalien, sobald sie sich hinter ihr befänden.
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nur dem Inhalte der verdrängten Kindererlebnisse waren, Symptome der Wieder-
kehr des Verdrängten.Nun wandte ich mich an die Analyse der Stimmen. Hier war vor allem zu erklären, daß ein so gleichgültiger Inhalt: “Hier geht die Frau P.” — “Sie sucht jetzt Wohnung” u. dgl. von ihr so peinlich empfunden werden konnte; sodann, auf welchem Wege gerade diese harmlosen Sätze es dazu brachten, durch halluzina-torische Verstärkung ausgezeichnet zu werden. Von vornherein war klar, daß diese “Stimmen” nicht halluzinatorisch reproduzierte Erinnerungen sein konnten wie die Bilder und Empfindungen, sondern vielmehr “laut gewordene” Gedanken.
Das erstemal, als sie Stimmen hörte, geschah es unter folgenden Umständen: Sie hatte mit großer Spannung die schöne Erzählung von O. Ludwig, “Die Heiterethei” gelesen und bemerkt, daß sie bei der Lektüre von aufsteigenden Gedanken in Anspruch genommen wurde. Unmittelbar darauf ging sie auf der Landstraße spazieren, und nun sagten ihr plötzlich die Stimmen, als sie an einem Bauernhäuschen vorüberging: “So hat das Haus der Heiterethei ausgesehen! Da ist der Brunnen und da der Strauch! Wie glücklich war sie doch bei all ihrer Armut!” Dann wiederholten ihr die Stimmen ganze Abschnitte, die sie eben gelesen hatte; aber es blieb unverständlich, warum Haus, Strauch und Brunnen der Heiterethei und gerade die belang- und beziehungslosesten Stellen der Dichtung sich ihrer Aufmerksamkeit mit pathologischer Stärke aufdrängen mußten. Indes war die Lösung des Rätsels nicht schwer. Die Analyse ergab, daß sie während der Lektüre auch andere Gedanken gehabt hatte und durch ganz andere Stellen des Buches angeregt worden war. Gegen dieses Material — Analogien zwischen dem Paare der Dichtung und ihr und ihrem Manne, Erinnerungen an Intimitäten ihres Ehelebens und an Familiengeheimnisse — gegen dies alles hatte sich ein verdrängender Widerstand erhoben, weil es auf leicht nachweisbaren Gedankenwegen mit ihrer sexuellen Scheu zusammenhing und so in letzter Linie auf die Erweckung der alten Kindererlebnisse hinauskam. Infolge dieser von der Verdrängung geübten Zensur gewannen die harmlosen und idyllischen Stellen, die mit den beanstandeten durch Kontrast und auch durch Vizinität verknüpft waren, die Verstärkung für das Bewußtsein, die ihnen das Lautwerden ermöglichte. Der erste der verdrängten Einfälle bezog sich z. B. auf die Nachrede, der die vereinsamt lebende Heldin von seiten der Nachbarn ausgesetzt war. Die Analogie mit ihrer eigenen Person wurde von ihr leicht gefunden. Auch sie lebte in einem kleinen Orte, verkehrte mit niemand und glaubte sich von den Nachbarn mißachtet. Dies Mißtrauen gegen ihre Nachbarn hatte seinen wirklichen Grund darin, daß sie anfangs genötigt war, sich mit einer kleinen Wohnung zu begnügen, in welcher die Schlafzimmerwand, an der die Ehebetten des jungen Paares standen, an ein Zimmer der Nachbarn stieß. Mit dem Beginn ihrer Ehe erwachte in ihr — offenbar durch unbewußte Erweckung ihres Kinderverhältnisses, in dem sie Mann und Frau gespielt hatten — eine große sexuelle Scheu; sie besorgte beständig, daß die Nachbarn Worte und Geräusche durch die trennende Wand
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vernehmen könnten, und diese Scham verwandelte sich bei ihr in Argwohn gegen die Nachbarn.
Die Stimmen verdankten also ihre Entstehung der Verdrängung von Gedanken, die in letzter Auflösung eigentlich Vorwürfe anläßlich eines dem Kindertrauma analogen Erlebnisses bedeuteten; sie waren demnach Symptome der Wiederkehr des Verdrängten, aber gleichzeitig Folgen eines Kompromisses zwischen Widerstand des Ichs und Macht des Wiederkehrenden, der in diesem Falle eine Entstellung bis zur Unkenntlichkeit herbeigeführt hatte. In anderen Fällen, in denen ich Stimmen bei Frau P. zu analysieren Gelegenheit hatte, war die Entstellung minder groß; doch hatten die gehörten Worte immer einen Charakter von diplomatischer Unbestimmheit; die kränkende Anspielung war meist tief versteckt, der Zusammenhang der einzelnen Sätze durch fremdartigen Ausdruck, ungewöhnliche Sprachformen u. dgl. verkleidet: Charaktere, die den Gehörshalluzinationen der Paranoiker allgemein eigen sind, und in denen ich die Spur der Kompromißentstellung erblicke. Die Rede: “Da geht die Frau P., sie sucht Wohnung in der Straße”, bedeutete z. B. die Drohung, daß sie nie genesen werde, denn ich hatte ihr zugesagt, daß sie nach der Behandlung imstande sein werde, in die kleine Stadt, wo ihr Mann beschäftigt war, zurückzukehren; sie hatte für einige Monate in Wien provisorisch Wohnung gemietet.
In einzelnen Fällen vernahm Frau P. auch deutlichere Drohungen, z. B. in betreff der Verwandten ihres Mannes, deren zurückhaltender Ausdruck aber immer noch mit der Qual kontrastierte, welche ihr solche Stimmen bereiteten. Nach dem, was man sonst von Paranoikern weiß, bin ich geneigt, ein allmähliches Erlahmen jenes die Vorwürfe abschwächenden Widerstandes anzunehmen, so daß endlich die Abwehr voll mißlingt, und der ursprüngliche Vorwurf, das Schimpfwort, welches man sich ersparen wollte, in unveränderter Form zurückkehrt. Indes weiß ich nicht, ob dies ein konstanter Ablauf ist, ob die Zensur der Vorwurfsreden nicht von Anfang an ausbleiben oder bis zum Ende ausharren kann.
Es erübrigt mir nur noch, die an diesem Falle von Paranoia gewonnenen Aufklärungen für eine Vergleichung der Paranoia mit der Zwangsneurose zu verwerten. Die Verdrängung als Kern des psychischen Mechanismus ist hier wie dort nachgewiesen, das Verdrängte ist in beiden Fällen ein sexuelles Kindererlebnis. Jeder Zwang rührt auch bei dieser Paranoia von Verdrängung her; die Symptome der Paranoia lassen eine ähnliche Klassifizierung zu, wie sie sich für die Zwangsneurose als berechtigt erwiesen hat. Ein Teil der Symptome entspringt wieder der primären Abwehr, nämlich alle Wahnideen des Mißtrauens, Argwohns, der Verfolgung durch andere. Bei der Zwangsneurose ist der initiale Vorwurf verdrängt worden durch die Bildung des primären Abwehrsymptoms: Selbstmißtrauen. Dabei ist der Vorwurf als berechtigt anerkannt worden, und zur Ausgleichung schützt nun die Geltung, welche sich die Gewissenhaftigkeit im gesunden Intervall erworben hat, davor, dem als Zwangsvorstellung wiederkehrenden Vorwurfe Glauben zu schenken. Bei Paranoia wird der Vorwurf auf einem Wege, den man als Projektion bezeichnen kann, verdrängt, indem das
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Abwehrsymptom des Mißtrauens gegen andere errichtet wird; dabei wird dem Vorwurfe die Anerkennung entzogen, und wie zur Vergeltung fehlt es dann an einem Schutze gegen die in den Wahnideen wiederkehrenden Vorwürfe.
Andere Symptome meines Falles von Paranoia sind als Symptome der Wiederkehr des Verdrängten zu bezeichnen und tragen auch, wie die der Zwangsneurose, die Spuren des Kompromisses an sich, der ihnen allein den Eintritt ins Bewußtsein gestattet. So die Wahnidee, beim Auskleiden beobachtet zu werden, die visuellen, die Empfindungshalluzinationen und das Stimmenhören. Nahezu unveränderter, nur durch Auslassung unbestimmt gewordener Erinnerungsinhalt findet sich in der erwähnten Wahnidee vor. Die Wiederkehr des Verdrängten in visuellen Bildern nähert sich eher dem Charakter der Hysterie als dem der Zwangsneurose, doch pflegt die Hysterie ihre Erinnerungssymbole ohne Modifikation zu wiederholen, während die paranoische Erinnerungshalluzination eine Entstellung erfährt, wie sie der Zwangsneurose zukommt; ein analoges modernes Bild setzt sich an die Stelle des verdrängten (Schoß einer erwachsenen Frau anstatt des eines Kindes; daran sogar die Behaarung besonders deutlich, weil diese dem ursprünglichen Eindruck fehlte). Ganz der Paranoia eigentümlich und in dieser Vergleichung weiter nicht zu beleuchten ist der Umstand, daß die verdrängten Vorwürfe als lautgewordene Gedanken wiederkehren, wobei sie sich eine zweifache Entstellung gefallen lassen müssen, eine Zensur, die zur Ersetzung durch andere assoziierte Gedanken oder zur Verhüllung durch unbestimmte Ausdrucksweise führt, und die Beziehung auf rezente, den alten bloß analoge Erlebnisse.
Die dritte Gruppe der bei Zwangsneurose gefundenen Symptome, die Symptome der sekundären Abwehr, kann bei der Paranoia nicht als solche vorhanden sein, da sich gegen die wiederkehrenden Symptome, die ja Glauben finden, keine Abwehr geltend macht. Zum Ersatze hiefür findet sich bei Paranoia eine andere Quelle für Symptombildung; die durch das Kompromiß ins Bewußtsein gelangten Wahnideen (Symptome der Wiederkehr) stellen Anforderungen an die Denkarbeit des Ichs, bis daß sie widerspruchsfrei angenommen werden können. Da sie selbst unbeeinflußbar sind, muß das Ich sich ihnen anpassen und somit entspricht den Symptomen der sekundären Abwehr bei der Zwangsneurose hier die kombinatorische Wahnbildung, der Deutungswahn, der in die Ich-Veränderung ausläuft. Mein Fall war in
dieser Hinsicht unvollständig; er zeigte damals noch nichts von Deutungsversuchen, die sich erst später einstellten. Ich zweifle aber nicht daran, daß man noch ein wichtiges Resultat wird feststellen können, wenn man die Psychoanalyse auch auf dieses Stadium der Paranoia anwendet. Es dürfte sich ergeben, daß auch die sogenannte Erinnerungsschwäche der Paranoiker eine tendenziöse, d. h. auf Verdrängung beruhende und ihren Absichten dienende ist. Es werden nachträglich jene gar nicht pathogenen Erinnerungen verdrängt und ersetzt, die mit der Ich-Veränderung in Widerspruch stehen, welche die Symptome der Wiederkehr gebieterisch erfordern.
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