S.
328 Zur Dynamik
finger befremden oder irreführen mögen. Es sind dies die
sogenannten nachhinkenden oder beståtigenden Träume, die
der Deutung leicht zugänglich sind und als Übersetzung
nichts anderes ergeben, als was die Kur in den letzten Tagen
aus dem Material der Tageseinfille erschlossen hatte. Es
sieht dann so aus, als hätte der Patient die Liebenswürdig-
keit gehabt, gerade das in Traumform zu bringen, was man
ihm unmittelbar vorher „suggeriert“ hat. Der geübtere
Analytiker hat allerdings Schwierigkeiten, seinem Patienten
solche Liebenswürdigkeiten zuzumuten; er greift solche
Träume als erwiinschte Beståtigungen auf und konstatiert,
daß sie nur unter bestimmten Bedingungen der Beeinflussung
durch die Kur beobachtet werden. Die weitaus zahlreichsten
Träume eilen ja der Kur voran, so daß sich aus ihnen nach
Abzug von allem bereits Bekannten und Verståndlichen ein
mehr oder minder deutlicher Hinweis auf etwas, was bisherverborgen war, ergibt.
ZUR DYNAMIK DER UBERTRAGUNG
(1912)Das schwer zu erschópfende Thema der „Übertragung“ ist
kürzlich in diesem Zentralblatt von W. Stekel in deskrip-
tiver Weise behandelt worden Ich möchte nun hier einige
Bemerkungen anfiigen, die verstehen lassen sollen, wie die
Ubertragung wåhrend einer psychoanalytischen Kur notwen-
dig zustande kommt, und wie sie zu der bekannten Rolle
wåhrend der Behandlung gelangt.Machen wir uns klar, daß jeder Mensch durch das Zusam-
menwirken von mitgebrachter Anlage und von Einwirkungen
auf ihn wåhrend seiner Kinderjahre eine bestimmte Eigenart1) „Zentralblatt f. Psychoanalyse“, II. Jg., S. 26.
S.
der Ubertragung 329
erworben hat, wie er das Liebesleben ausiibt, also welche
Liebesbedingungen er stellt, welche Triebe er dabei befriedigt,
und welche Ziele er sich setzt Das ergibt sozusagen ein
Klischee (oder auch mehrere), welches im Laufe des Lebens
regelmäßig wiederholt, neu abgedruckt wird, insoweit die
äußeren Umstände und die Natur der zugänglichen Liebes-
objekte es gestatten, welches gewiß auch gegen rezente Ein-
drücke nicht völlig unveränderlich ist. Unsere Erfahrungen
haben nun ergeben, daß von diesen das Liebesleben bestim-
menden Regungen nur ein Anteil die volle psychische Ent-
wicklung durchgemacht hat; dieser Anteil ist der Realität
zugewendet, steht der bewußten Persönlichkeit zur Verfügung2) Verwahren wir uns an dieser Stelle gegen den mißverständ-
lichen Vorwurf, als hätten wir die Bedeutung der angeborenen
(konstitutionellen) Momente geleugnet, weil wir die der infantilen
Eindrücke hervorgehoben haben. Ein solcher Vorwurf stammt
aus der Enge des Kausalbedürfnisses der Menschen, welches sich
im Gegensatz zur gewöhnlichen Gestaltung der Realität mit
einem einzigen verursachenden Moment zufrieden geben will. Die
Psychoanalyse hat über die akzidentellen Faktoren der Atiologie
viel, über die konstitutionellen wenig geäußert, aber nur darum,
weil sie zu den ersteren etwas Neues beibringen konnte, über die
letzteren hingegen zunächst nicht mehr wußte, als man sonst
weiß, Wir lehnen es ab, einen prinzipiellen Gegensatz zwischen
beiden Reihen von ätiologischen Momenten zu statuieren; wir
nehmen vielmehr ein regelmäßiges Zusammenwirken beider zur
Hervorbringung des beobachteten Effekts an. Aotpwy vor Toy
bestimmen das Schicksal eines Menschen; selten, vielleicht niemals,
eine dieser Mächte allein. Die Aufteilung der ätiologischen Wirk-
samkeit zwischen den beiden wird sich nur individuell und im
einzelnen vollziehen lassen. Die Reihe, in welcher sich wechselnde
Größen der beiden Faktoren zusammensetzen, wird gewiß auch
ihre extremen Fälle haben. Je nach dem Stande unserer Erkennt-
nis werden. wir den Anteil der Konstitution oder des Erlebens im
Einzelfalle anders einschätzen und das Recht behalten, mit der
Veränderung unserer Einsichten unser Urteil zu modifizieren.
Übrigens könnte man es wagen, die Konstitution selbst aufzu-
fassen als den Niederschlag aus den akzidentellen Einwirkungen
auf die unendlich große Reihe der Ahnen,S.
330 Zur Dynamik
und macht ein Stück von ihr aus. Ein anderer Teil dieser
libidinésen Regungen ist in der Entwicklung aufgehalten
worden, er ist von der bewußten Persönlichkeit wie von der
Realität abgehalten, durfte sich entweder nur in der Phantasie
ausbreiten oder ist gänzlich im Unbewußten verblieben, so
daß er dem Bewußtsein der Persönlichkeit unbekannt ist.
Wessen Liebesbedürftigkeit nun von der Realität nicht restlos
befriedigt wird, der muß sich mit libidinösen Erwartungs-
vorstellungen jeder neu auftretenden Person zuwenden, und
es ist durchaus wahrscheinlich, daß beide Portionen seiner
Libido, die bewußtseinsfähige wie die unbewußte an dieser
Einstellung Anteil haben.Es ist also völlig normal und verständlich, wenn die er-
wartungsvoll bereitgehaltene Libidobesetzung des teilweise Un-
befriedigten sich auch der Person des Arztes zuwendet.
Unserer Voraussetzung gemäß, wird sich diese Besetzung an
Vorbilder halten, an eines der Klischees anknüpfen, die
bei der betreffenden Person vorhanden sind oder, wie wir
auch sagen können, sie wird den Arzt in eine der psychischen
„Reihen“ einfügen, die der Leidende bisher gebildet hat. Es
entspricht den realen Beziehungen zum Arzte, wenn für diese
Einreihung die Vater-Imago (nach Jungs glücklichem Aus-
druck)® maßgebend wird. Aber die Übertragung ist an dieses
Vorbild nicht gebunden, sie kann auch nach der Mutter- oder
Bruder-Imago usw. erfolgen. Die Besonderheiten der Über-
tragung auf den Arzt, durch welche sie über Maß und Art
dessen hinausgeht, was sich nüchtern und rationell recht-
fertigen läßt, werden durch die Erwägung verständlich, daß
eben nicht nur die bewußten Erwartungsvorstellungen, son-
dern auch die zurückgehaltenen oder unbewußten diese Über-
tragung hergestellt haben.3) Wandlungen und Symbole der Libido. Jahrbuch für Psycho-
analyse, III, S. 164.S.
der Übertragung 331
Uber dieses Verhalten der Übertragung wäre weiter nichts
zu sagen oder zu griibeln, wenn nicht dabei zwei Punkte
unerklärt blieben, die fiir den Psychoanalytiker von beson-
derem Interesse sind. Erstens verstehen wir nicht, daß die
Ubertragung bei neurotischen Personen in der Analyse soviel
intensiver ausfällt als bei anderen, nicht analysierten, und
zweitens bleibt es råtselhaft, weshalb uns bei der Analyse die
Ubertragung als der stårkste Widerstand gegen die
Behandlung entgegentritt, während wir sie außerhalb der
Analyse als Trågerin der Heilwirkung, als Bedingung des
guten Erfolges anerkennen miissen. Es ist doch eine beliebig
oft zu beståtigende Erfahrung, daß, wenn die freien Assozia-
tionen eines Patienten versagen‘, jedesmal die Stockung be-
seitigt werden kann durch die Versicherung, er stehe jetzt
unter der Herrschaft eines Einfalles, der sich mit der Person
des Arztes oder mit etwas zu ihm Gehôrigen beschäftigt.
Sobald man diese Aufklirung gegeben hat, ist die Stockung
beseitigt, oder man hat die Situation des Versagens in die des
Verschweigens der Einfille verwandelt.Es scheint auf den ersten Blick ein riesiger methodischer
Nachteil der Psychoanalyse zu sein, daß sich in ihr die Uber-
tragung, sonst der michtigste Hebel des Erfolgs, in das
stärkste Mittel des Widerstandes verwandelt. Bei näherem
Zusehen wird aber wenigstens das erste der beiden Probleme
weggeräumt, Es ist nicht richtig, daß die Übertragung wäh-
rend der Psychoanalyse intensiver und ungezügelter auftritt
als außerhalb derselben. Man beobachtet in Anstalten, in
denen Nervöse nicht analytisch behandelt werden, die höch-
sten Intensitäten und die unwürdigsten Formen einer bis zur
Hörigkeit gehenden Übertragung, auch die unzweideutigste4) Ich meine, wenn sie wirklich ausbleiben, und nicht etwa
infolge eines banalen Unlustgefühles von ihm verschwiegen
werden.S.
332 Zur Dynamik
erotische Färbung derselben. Eine feinsinnige Beobachterin wie
die Gabriele Reuter hat dies zur Zeit, als es noch kaum
eine Psychoanalyse gab, in einem merkwürdigen Buche ge-
schildert, welches überhaupt die besten Einsichten in das
Wesen und die Entstehung der Neurosen verrät.” Diese Cha-
raktere der Übertragung sind also nicht auf Rechnung der
Psychoanalyse zu setzen, sondern der Neurose selbst zuzu-
schreiben. Das zweite Problem bleibt vorläufig unangetastet.Diesem Problem, der Frage, warum die Übertragung uns
in der Psychoanalyse als Widerstand entgegentritt, müssen
wir nun näher rücken. Vergegenwärtigen wir uns die psycho-
logische Situation der Behandlung: Eine regelmäßige und
unentbehrliche Vorbedingung jeder Erkrankung an einer
Psychoneurose ist der Vorgang, den Jung treffend als
Introversion der Libido bezeichnet hat." Das heißt: Der
Anteil der bewußtseinsfähigen, der Realität zugewendeten
Libido wird verringert, der Anteil der von der Realität ab-
gewendeten, unbewußten, welche etwa noch die Phantasien
der Person speisen darf, aber dem Unbewußten angehört, um
so viel vermehrt. Die Libido hat sich (ganz oder teilweise)
in die Regression begeben und die infantilen Imagines wieder-
belebt.” Dorthin folgt ihr nun die analytische Kur nach,5) Aus guter Familie, 1895.
6) Wenngleich manche Außerungen Jungs den Eindruck
machen, als sehe er in dieser Introversion etwas für die Dementia
praecox Charakteristisches, was bei anderen Neurosen nicht
ebenso in Betracht Кате,7) Es wäre bequem zu sagen: Sie hat die infantilen „Komplexe“
wieder besetzt. Aber das wäre unrichtig; einzig zu rechtfertigen
wäre die Aussage: Die unbewußten Anteile dieser Komplexe. —
Die außerordentliche Verschlungenheit des in dieser Arbeit be-
handelten Themas legt die Versuchung nahe, auf eine Anzahl von
anstoßenden Problemen einzugehen, deren Klärung eigentlich er-
forderlich wäre, ehe man von den hier zu beschreibenden psychi-
schen Vorgängen in unzweideutigen Worten reden könnte. Solche
Probleme sind: Die Abgrenzung der Introversion und der Re-S.
der Ubertragung 333
welche die Libido aufsuchen, wieder dem Bewußtsein zugäng-
lich und endlich der Realität dienstbar machen will. Wo die
analytische Forschung auf die in ihre Verstecke zurückge-
zogene Libido stößt, muß ein Kampf ausbrechen; alle die
Krifte, welche die Regression der Libido verursacht haben,
werden sich als „Widerstände“ gegen die Arbeit erheben, um
diesen neuen Zustand zu konservieren. Wenn nämlich die
Introversion oder Regression der Libido nicht durch eine be-
stimmte Relation zur Außenwelt (im allgemeinsten: durch die
Versagung der Befriedigung) berechtigt und selbst fiir den
Augenblick zweckmäßig gewesen wäre, hätte sie überhaupt
nicht zustande kommen können. Die Widerstände dieser Her-
kunft sind aber nicht die einzigen, nicht einmal die stärksten.
Die der Persönlichkeit verfügbare Libido hatte immer unter
der Anziehung der unbewußten Komplexe (richtiger der dem
Unbewußten angehörenden Anteile dieser Komplexe) gestan-
den und war in die Regression geraten, weil die Anziehung
der Realität nachgelassen hatte. Um sie frei zu machen, muß
nun diese Anziehung des Unbewußten überwunden, also die
seither in dem Individuum konstituierte Verdrängung der un-
bewußten Triebe und ihrer Produktionen aufgehoben werden.
Dies ergibt den bei weitem großartigeren Anteil des Wider-
standes, der ja so häufig die Krankheit fortbestehen läßt, auch
wenn die Abwendung von der Realität die zeitweilige Begrün-
dung wieder verloren hat. Mit den Widerständen aus beiden
Quellen hat die Analyse zu kämpfen. Der Widerstand be-
gleitet die Behandlung auf jedem Schritt; jeder einzelne Ein-
fall, jeder Akt des Behandelten muß dem Widerstande Rech-gression gegeneinander, die Einfügung der Komplexlehre in die
Libidotheorie, die Beziehungen des Phantasierens zum Bewufiten
und Unbewuften wie zur Realitåt u. a. Es bedarf keiner Entschul-digung, wenn ich an dieser Stelle diesen Versuchungen widerstan-
den habe.S.
334 Zur Dynamik
nung tragen, stellt sich als ein Kompromif aus den zur Ge-
nesung zielenden Kräften und den angeführten, ihr wider-
strebenden, dar.Verfolgt man nun einen pathogenen Komplex von seiner
(entweder als Symptom auffilligen oder auch ganz unschein-
baren) Vertretung im Bewuften gegen seine Wurzel im Un-
bewuften hin, so wird man bald in eine Region kommen, wo
der Widerstand sich so deutlich geltend macht, daß der
nächste Einfall ihm Rechnung tragen und als Kompromiß
zwischen seinen Anforderungen und denen der Forschungs-
arbeit erscheinen muß. Hier tritt nun nach dem Zeugnisse der
Erfahrung die Übertragung ein. Wenn irgend etwas aus dem
Komplexstoff (dem Inhalt des Komplexes) sich dazu eignet,
auf die Person des Arztes übertragen zu werden, so stellt sich
diese Übertragung her, ergibt den nächsten Einfall und kündigt
sich durch die Anzeichen eines Widerstandes, etwa durch eine
Stockung, an. Wir schließen aus dieser Erfahrung, daß diese
Übertragungsidee darum vor allen anderen Einfallsmöglich-
keiten zum Bewußtsein durchgedrungen ist, weil sie auch
dem Widerstande Genüge tut. Ein solcher Vorgang wiederholt
sich im Verlaufe einer Analyse ungezählte Male. Immer wie-
der wird, wenn man sich einem pathogenen Komplexe an-
nähert, zuerst der zur Übertragung befähigte Anteil des Kom-
plexes ins Bewußtsein vorgeschoben und mit der größten
Hartnäckigkeit verteidigt.®Nach seiner Überwindung macht die der anderen Komplex-
8) Woraus man aber nicht allgemein auf eine besondere patho-
gene Bedeutsamkeit des zum Übertragungswiderstand gewählten
Elementes schließen darf. Wenn in einer Schlacht um den Besitz
eines gewissen Kirchleins oder eines einzelnen Gehöfts mit beson-
derer Erbitterung gestritten wird, braucht man nicht anzunehmen,
daß die Kirche etwa ein Nationalheiligtum sei, oder daß das Haus
den Armeeschatz berge. Der Wert der Objekte kann ein bloß tak-
tischer sein, vielleicht nur in dieser einen Schlacht zur Geltung
kommen.S.
der Ubertragung 335
bestandteile wenig Schwierigkeiten mehr. Je linger eine ana-
lytische Kur dauert, und je deutlicher der Kranke erkannt
hat, daß Entstellungen des pathogenen Materials allein keinen
Schutz gegen die Aufdeckung bieten, desto konsequenter be-
dient er sich der einen Art von Entstellung, die ihm offenbar
die größten Vorteile bringt, der Entstellung durch Uber-
tragung. Diese Verhältnisse nehmen die Richtung nach einer
Situation, in welcher schließlich alle Konflikte auf dem Ge-
biete der Ubertragung ausgefochten werden miissen.So erscheint uns die Übertragung in der analytischen Kur
zunåchst immer nur als die stårkste Waffe des Widerstandes,
und wir dürfen den Schluß ziehen, daß die Intensität und
Ausdauer der Ubertragung eine Wirkung und ein Ausdruck
des Widerstandes seien. Der Mechanismus der Ubertragung
ist zwar durch ihre Zurückführung auf die Bereitschaft der
Libido erledigt, die im Besitze infantiler Imagines geblieben
ist; die Aufklårung ihrer Rolle in der Kur gelingt aber nur,
wenn man auf ihre Beziehungen zum Widerstande eingeht.Woher kommt es, daß sich die Übertragung so vorzüglich
zum Mittel des Widerstandes eignet? Man sollte meinen, diese
Antwort wäre nicht schwer zu geben. Es ist ja klar, daß das
Geständnis einer jeden verpönten Wunschregung besonders
erschwert wird, wenn es vor jener Person abgelegt werden
soll, der die Regung selbst gilt. Diese Nötigung ergibt Situa-
tionen, die in der Wirklichkeit als kaum durchführbar er-
scheinen. Gerade das will nun der Analysierte erzielen, wenn
er das Objekt seiner Gefühlsregungen mit dem Arzte zusam-
menfallen läßt. Eine nähere Überlegung zeigt aber, daß dieser
scheinbare Gewinn nicht die Lösung des Problems ergeben
kann. Eine Beziehung von zärtlicher, hingebungsvoller An-
hänglichkeit kann ja anderseits über alle Schwierigkeiten des
Geständnisses hinweghelfen. Man pflegt ja unter analogen
realen Verhältnissen zu sagen: Vor dir schäme ich mich nicht,S.
336 Zur Dynamik
dir kann ich alles sagen. Die Ubertragung auf den Arzt
könnte also ebensowohl zur Erleichterung des Geståndnisses
dienen, und man verstiinde nicht, warum sie eine Erschwerung
hervorruft.Die Antwort auf diese hier wiederholt gestellte Frage wird
nicht durch weitere Uberlegung gewonnen, sondern durch die
Erfahrung gegeben, die man bei der Untersuchung der einzel-
nen Ubertragungswiderstånde in der Kur macht. Man merkt
endlich, daß man die Verwendung der Übertragung zum
Widerstande nicht verstehen kann, solange man an ,,Ubertra-
gung“ schlechtweg denkt. Man muß sich entschließen, eine
„positive“ Übertragung von einer „negativen“ zu sondern, die
Übertragung zårtlicher Gefühle von der feindseliger, und
beide Arten der Ubertragung auf den Arzt gesondert zu be-
handeln. Die positive Ubertragung zerlegt sich dann noch in
die solcher freundlicher oder zårtlicher Gefiihle, welche be-
wuftseinsfåhig sind, und in die ihrer Fortsetzungen ins Un-
bewufite. Von den letzteren weist die Analyse nach, daß sie
regelmäßig auf erotische Quellen zurückgehen, so daß wir zur
Einsicht gelangen müssen, alle unsere im Leben verwertbaren
Gefühlsbeziehungen von Sympathie, Freundschaft, Zutrauen
und dergleichen seien genetisch mit der Sexualität verknüpft
und haben sich durch Abschwächung des Sexualzieles aus rein
sexuellen Begehrungen entwickelt, so rein und unsinnlich sie
sich auch unserer bewußten Selbtwahrnehmung darstellen
mögen. Ursprünglich haben wir nur Sexualobjekte gekannt;
die Psychoanalyse zeigt uns, daß die bloß geschätzten oder
verehrten Personen unserer Realität für das Unbewußte in uns
immer noch Sexualobjekte sein können.Die Lösung des Rätsels ist also, daß die Übertragung auf
den Arzt sich nur insofern zum Widerstande in der Kur
eignet, als sie negative Übertragung oder positive von ver-
drängten erotischen Regungen ist. Wenn wir durch Bewußt-S.
der Ubertragung 337
machen die Übertragung „aufheben“, so lösen wir nur diese
beiden Komponenten des Gefiihlsaktes von der Person des
Arztes ab; die andere bewuftseinsfähige und unanstößige
Komponente bleibt bestehen und ist in der Psychoanalyse
genau ebenso die Trägerin des Erfolges wie bei anderen Be-
handlungsmethoden. Insofern gestehen wir gerne zu, die Re-
sultate der Psychoanalyse beruhten auf Suggestion; nur muß
man unter Suggestion das verstehen, was wir mit Ferenczi?
darin finden: die Beeinflussung eines Menschen vermittels der
bei ihm möglichen Ubertragungsphånomene. Für die endliche
Selbständigkeit des Kranken sorgen wir, indem wir die Sug-
gestion dazu beniitzen, ihn eine psychische Arbeit vollziehen
zu lassen, die eine dauernde Verbesserung seiner psychischen
Situation zur notwendigen Folge hat.Es kann noch gefragt werden, warum die Widerstands-
phånomene der Übertragung nur in der Psychoanalyse, nicht
auch bei indifferenter Behandlung, z. B. in Anstalten zum
Vorschein kommen. Die Antwort lautet: sie zeigen sich auch
dort, nur miissen sie als solche gewiirdigt werden. Das Her-
vorbrechen der negativen Ubertragung ist in Anstalten sogar
recht häufig. Der Kranke verläßt eben die Anstalt ungeåndert
oder rückfällig, sobald er unter die Herrschaft der negativen
Ubertragung geråt. Die erotische Ubertragung wirkt in An-
stalten nicht so hemmend, da sie dort wie im Leben beschó-
nigt, anstatt aufgedeckt wird; sie äußert sich aber ganz deut-
lich als Widerstand gegen die Genesung, zwar nicht, indem
sie den Kranken aus der Anstalt treibt, — sie hilt ihn im
Gegenteil in der Anstalt zurück, — wohl aber dadurch, daß
sie ihn vom Leben ferne hilt. Für die Genesung ist es nämlich
recht gleichgiiltig, ob der Kranke in der Anstalt diese oder jene9) Ferenczi, Intrøjektion und Ubertragung, Jahrbuch fiir
Psychoanalyse, Bd. I, 1909. (Auch in „Bausteine zur Psycho-
analyse", Bd.L, S.9 ff.)22 Freud, Schriften zur Neurosenlehre
S.
338 Zur Dynamik
Angst oder Hemmung überwindet; es kommt vielmehr
darauf an, daß er auch in der Realität seines Lebens davon
frei wird.Die negative Übertragung verdiente eine eingehende
Würdigung, die ihr im Rahmen dieser Ausführungen nicht
zuteil werden kann. Bei den heilbaren Formen von Psycho-
neurosen findet sie sich neben der zärtlichen Übertragung,
oft gleichzeitig auf die nämliche Person gerichtet, für welchen
Sachverhalt Bleuler den guten Ausdruck Ambivalenz
geprägt hat." Eine solche Ambivalenz der Gefühle scheint
bis zu einem gewissen Maße normal zu sein, aber ein hoher
Grad von Ambivalenz der Gefühle ist gewiß eine besondere
Auszeichnung neurotischer Personen. Bei der Zwangsneurose
scheint eine frühzeitige „Trennung der Gegensatzpaare“ für
das Triebleben charakteristisch zu sein und eine ihrer kon-
stitutionellen Bedingungen darzustellen. Die Ambivalenz der
Gefiihlsrichtungen erklärt uns am besten die Fähigkeit der
Neurotiker, ihre Ubertragungen in den Dienst des Wider-
standes zu stellen. Wo die Ubertragungsfåhigkeit im wesent-
lichen negativ geworden ist, wie bei den Paranoiden, da hört
die Möglichkeit der Beeinflussung und der Heilung auf.Mit allen diesen Erórterungen haben wir aber bisher nur
eine Seite des Ubertragungsphånomens gewürdigt; es wird
erfordert, unsere Aufmerksamkeit einem anderen Aspekt der-
selben Sache zuzuwenden. Wer sich den richtigen Eindruck
davon geholt hat, wie der Analysierte aus seinen realen Be-
ziehungen zum Arzte herausgeschleudert wird, sobald er
unter die Herrschaft eines ausgiebigen Ubertragungswider-10) E. Bleuler, Dementia praecox oder Gruppe der Schizo-
phrenien in Aschaffenburgs Handbuch der Psychiatrie,
1911. — Vortrag iiber Ambivalenz in Bern 1910, referiert in
Zentralblatt f. PsA. I, p. 266. — Für die gleichen Phänomene
hatte №. Stekel vorher die Bezeichnung ,Bipolaritär*
vorgeschlagen.S.
der Ubertragung 339
standes gerät, wie er sich dann die Freiheit herausnimmt, die
psychoanalytische Grundregel zu vernachlässigen, daß man
ohne Kritik alles mitteilen solle, was einem in den Sinn
kommt, wie er die Vorsitze vergißt, mit denen er in die
Behandlung getreten war, und wie ihm logische Zusammen-
hinge und Schliisse nun gleichgültig werden, die ihm kurz
vorher den größten Eindruck gemacht hatten, der wird das
Bediirfnis haben, sich diesen Eindruck noch aus anderen als
den bisher angeführten Momenten zu erklären, und solche
liegen in der Tat nicht ferne; sie ergeben sich wiederum aus
der psychologischen Situation, in welche die Kur den
Analysierten versetzt hat.In der Aufspürung der dem Bewußten abhanden ge-
kommenen Libido ist man in den Bereich des Unbewußten
eingedrungen. Die Reaktionen, die man erzielt, bringen nun
manches von den Charakteren unbewußter Vorgänge mit
ans Licht, wie wir sie durch das Studium der Träume kennen
gelernt haben. Die unbewußten Regungen wollen nicht er-
innert werden, wie die Kur es wünscht, sondern sie streben
danach, sich zu reproduzieren, entsprechend der Zeitlosigkeit
und der Halluzinationsfähigkeit des Unbewußten. Der
Kranke spricht ähnlich wie im Traume den Ergebnissen der
Erweckung seiner unbewuften Regungen Gegenwärtigkeit
und Realität zu; er will seine Leidenschaften agieren, ohne
auf die reale Situation Rücksicht zu nehmen. Der Arzt will
ihn dazu nätigen, diese Gefühlsregungen in den Zusammen-
hang der Behandlung und in den seiner Lebensgeschichte
einzureihen, sie der denkenden Betrachtung unterzuordnen
und nach ihrem psychischen Werte zu erkennen. Dieser
Kampf zwischen Arzt und Patienten, zwischen Intellekt und
Triebleben, zwischen Erkennen und Agierenwollen spielt sich
fast ausschlieBlich an den Ubertragungsphånomenen ab. Auf
diesem Felde muß der Sieg gewonnen werden, dessen Aus-22%
S.
340 Ratschläge für den Arzt
druck die dauernde Genesung von der Neurose ist. Es ist
unleugbar, daß die Bezwingung der Übertragungsphänomene
dem Psychoanalytiker die größten Schwierigkeiten bereitet,
aber man darf nicht vergessen, daß gerade sie uns den un-
schätzbaren Dienst erweisen, die verborgenen und ver-
gessenen Liebesregungen der Kranken aktuell und manifest
zu machen, denn schlieflich kann niemand in absentia oder
in effigie erschlagen werden.RATSCHLAGE FUR DEN ARZT
BEI DER PSYCHOANALYTISCHEN
BEHANDLUNG
(1912)Die technischen Regeln, die ich hier in Vorschlag bringe,
haben sich mir aus der langjåhrigen eigenen Erfahrung er-
geben, nachdem ich durch eigenen Schaden von der Ver-
folgung anderer Wege zurückgekommen war. Man wird
leicht bemerken, daf sie sich, wenigstens viele von ihnen,
zu einer einzigen Vorschrift zusammensetzen. Ich hoffe, daß
ihre Berücksichtigung den analytisch tätigen Arzten viel
unniitzen Aufwand ersparen und sie vor manchem Uber-
sehen behüten wird; aber ich muß ausdrücklich sagen, diese
Technik hat sich als die einzig zweckmäfige fiir meine
Individualitit ergeben; ich wage es nicht in Abrede zu
stellen, daß eine ganz anders konstituierte ärztliche Persön-
lichkeit dazu gedringt werden kann, eine andere Einstellung
gegen den Kranken und gegen die zu lósende Aufgabe zu
bevorzugen.a) Die nächste Aufgabe, vor die sich der Analytiker ge-
stellt sieht, der mehr als einen Kranken im Tage so behandelt,
freud-1931-neurosenlehre
328
–340