Zur Einleitung der Onanie-Diskussion 1912-061/1925
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    ZUR EINLEITUNG
    DER ONANIE—DISKUSSION

    Die Diskussionen in der „Wiener Psychoanalytischen Ver—
    einigung“ verfolgen niemals die Absicht, Gegensätze aufzuhehen
    oder Entscheidungen zu gewinnen. Durch die gleichartige Grund-
    aulfassung der männlichen Tatsachen zusammengehalten, getrauen
    sich die einzelnen Redner der schärfsten Ausprägung ihrer indivi»
    duellen Variationen ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit7
    den anders denkenden Hörer zu ihrer Meinung zu bekehren. Es
    mag dabei viel vorbeigeredet und vorbeigehört werden; die End-
    wirkung ist doch, daß jeder einzelne den klarsten Eindruck von
    abweichenden Anschauungen empfangen und selbst anderen vera
    mittelt hat.

    Die Diskussion über Onanie, von der hier eigentlich nur
    Bruchstücke veröffentlicht werden, dauerte mehrere Monate und
    spielte sich in der Weise ab, daß jeder Redner ein Referat
    erstattete, an welches sich eine ausführliche Debatte anschloß. In
    diese Publikation sind nur die Referate aufgenommen werden,
    nicht auch die an Anregung reichen Debatten, in denen die
    Gegensätze ausgesprochen und verfochten wurden. Dies Heft hätte
    sonst einen Umfang annehmen müssen, der seiner Verbreitung
    und Wirkung sicherlich im Wege gestanden wäre.

    Die Wahl des Themas bedarf in unserer Zeit, in der endlich
    der Versuch gemacht wird, auch die Probleme des menschlichen
    Sexuallehens wissenschaftlicher Ergründung zu unterziehen, keiner

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    Entschuldigung. Mehrfache Wiederholungen derselben Gedanken
    und Behauptungen waren unvermeidlich; sie entsprechen ja Über-
    einstimmungen. Die vielen Widersprüche zwischen den Auf-
    fassungen der Vox-tragenden zu lösen, konnte ebensowenig eine
    Aufgabe der Redaktion sein wie ein Versuch, sie zu verheixn-
    lichen. Wir hoffen, daß weder die Wiederholungen noch die
    Widersprüche das Interesse der Leser abstoßen werden.

    Unsere Absicht war, diesmal zu zeigen, auf welche Wege die
    Forschung über die Probleme der Onanie durch das Aufieucheu
    der psychoanalytischen Arbeitsweise gedrängt werden ist. Wieweit
    uns diese Absicht gelungen ist, wird sich aus dem Beifall und
    vielleicht noch deutlicher aus dem Tadel der Leser ergeben.

    Wien, im Sommer 1919.