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ZUR GEWINNUNG DES FEUERS
Zuerst erschienen in „Imago“, Bd. XVIII, 1932.
In einer Anmerkung meiner Schrift „Das Unbehagen in der
Kultur" (S. 57) habe ich eher beiläufig erwähnt, welche Ver-
mutung über die Gewinnung des Feuers durch den Urmenschen
man sich auf Grund des psychoanalytischen Materials bilden könnte.
Der Widerspruch von Albrecht Schaeffer („Die Psychoanalytische
Bewegung", Jahrgang II, 1930, S. 251) und der überraschende
Hinweis in vorstehender Mitteilung von Erlenmeyer' über das
mongolische Verbot, auf Asche zu pissen², veranlassen mich, das
Thema wieder aufzunehmen.³
Ich meine nämlich, daß meine Annahme, die Vorbedingung der
Bemächtigung des Feuers sei der Verzicht auf die homosexuell-
betonte Lust gewesen, es durch den Harnstrahl zu löschen, lasse
1) E. H. Erlenmeyer. Notiz zur Freudschen Hypothese über die Zähmung des
Feuers. Imago, XVIII, 1932.
2) Wohl auf heiße Asche, aus der man noch Feuer gewinnen kann, nicht auf
erloschene.
3) Der Widerspruch von Lorenz in Chaos und Ritus" (Imago XVII, 1931,
S. 435 ff.) geht von der Voraussetzung aus, daß die Zähmung des Feuers überhaupt
erst mit der Entdeckung begonnen habe, man sei imstande, es durch irgendeine
Manipulation willkürlich hervorzurufen. Dagegen verweist mich Dr. J. Hárnik
auf eine Äußerung von Dr. Richard Lasch (in Georg Buschans Sammelwerk
Illustrierte Völkerkunde", Stuttgart 1922, Bd. I, S. 24): „Vermutlich ist die Kunst
der Feuer erhaltung der Feuererzeugung lange vorausgegangen; einen entsprechenden
Beweis hiefür liefert die Tatsache, daß die heutigen pygmäenartigen Urbewohner der
Andamanen wohl das Feuer besitzen und bewahren, eine autochthone Methode der
Penererzeugung aber nicht kennen."
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sich durch die Deutung der griechischen Prometheussage bestätigen,
wenn man die zu erwartenden Entstellungen von der Tatsache
bis zum Inhalt des Mythus in Betracht zieht. Diese Entstellungen
sind von derselben Art und nicht ärger als jene, die wir alltäglich
anerkennen, wenn wir aus den Träumen von Patienten ihre ver-
drängten, doch so überaus bedeutsamen Kindheitserlebnisse rekon-
struieren. Die dabei verwendeten Mechanismen sind die Darstellung
durch Symbole und die Verwandlung ins Gegenteil. Ich kann es
nicht wagen, alle Züge des Mythus in solcher Art zu erklären; außer
dem ursprünglichen Sachverhalt mögen andere und spätere Vor-
gänge zu seinem Inhalt beigetragen haben. Aber die Elemente, die
eine analytische Deutung zulassen, sind doch die auffälligsten und
wichtigsten, nämlich die Art, wie Prometheus das Feuer transpor-
tiert, der Charakter der Tat (Frevel, Diebstahl, Betrug an den
Göttern) und der Sinn seiner Bestrafung.
Der Titane Prometheus, ein noch göttlicher Kulturheros," viel-
leicht selbst ursprünglich ein Demiurg und Menschenschöpfer, bringt
also den Menschen das Feuer, das er den Göttern entwendet hat,
versteckt in einem hohlen Stock, Fenchelrohr. Einen solchen Gegen-
stand würden wir in einer Traumdeutung gern als Penissymbol
verstehen wollen, wenngleich die nicht gewöhnliche Betonung der
Höhlung uns dabei stört. Aber wie bringen wir dieses Penisrohr
mit der Aufbewahrung des Feuers zusammen? Das scheint aussichts-
los, bis wir uns an den im Traum so häufigen Vorgang der Ver-
kehrung, Verwandlung ins Gegenteil, Umkehrung der Beziehungen
erinnern, der uns so oft den Sinn des Traumes verbirgt. Nicht das
Feuer beherbergt der Mensch in seinem Penisrohr, sondern im
Gegenteil das Mittel, um das Feuer zu löschen, das Wasser seines
Harnstrahls. An diese Beziehung zwischen Feuer und Wasser knüpft
dann reiches, wohlbekanntes analytisches Material an.
Zweitens, der Erwerb des Feuers ist ein Frevel, es wird durch
1) Herakles ist dann halbgöttlich, Theseus ganz menschlich.
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Raub oder Diebstahl gewonnen. Dies ist ein konstanter Zug aller
Sagen über die Gewinnung des Feuers, er findet sich bei den ver-
schiedensten und entlegensten Völkern, nicht nur in der griechischen
Sage vom Feuerbringer Prometheus. Hier muß also der wesentliche
Inhalt der entstellten Menschheitsreminiszenz enthalten sein. Aber
warum ist die Feuergewinnung untrennbar mit der Vorstellung
eines Frevels verknüpft? Wer ist dabei der Geschädigte, Betrogene?
Die Sage bei Hesiod gibt eine direkte Antwort, indem sie in einer
anderen Erzählung, die nicht direkt mit dem Feuer zusammen-
hängt, Prometheus bei der Einrichtung der Opfer Zeus zugunsten
der Menschen übervorteilen läßt. Also die Götter sind die Betrogenen!
Den Göttern teilt der Mythus bekanntlich die Befriedigung aller
Gelüste zu, auf die das Menschenkind verzichten muß, wie wir es
vom Inzest her kennen. Wir würden in analytischer Ausdrucksweise
sagen, das Triebleben, das Es, sei der durch die Feuerlöschent-
sagung betrogene Gott, ein menschliches Gelüste ist in der Sage
in ein göttliches Vorrecht umgewandelt. Aber die Gottheit hat in
der Sage nichts vom Charakter eines Über-Ichs, sie ist noch Re-
präsentant des übermächtigen Trieblebens.
Die Umwandlung ins Gegenteil ist am gründlichsten in einem
dritten Zug der Sage, in der Bestrafung des Feuerbringers. Prome-
theus wird an einen Felsen geschmiedet, ein Geier frißt täglich an
seiner Leber. Auch in den Feuersagen anderer Völker spielt ein
Vogel eine Rolle, er muß etwas mit der Sache zu tun haben, ich
enthalte mich zunächst der Deutung. Dagegen fühlen wir uns auf
sicherem Boden, wenn es sich um die Erklärung handelt, warum
die Leber zum Ort der Bestrafung gewählt ist. Die Leber galt den
Alten als der Sitz aller Leidenschaften und Begierden; eine Strafe
wie die des Prometheus war also das Richtige für einen triebhaften
Verbrecher, der gefrevelt hatte unter dem Antrieb böser Gelüste.
Das genaue Gegenteil trifft aber für den Feuerbringer zu; er hatte
Triebverzicht geübt und gezeigt, wie wohltätig, aber auch wie
unerläßlich ein solcher Triebverzicht in kultureller Absicht ist. Und
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warum mußte eine solche kulturelle Wohltat überhaupt von der
Sage als strafwürdiges Verbrechen behandelt werden? Nun, wenn
sie durch alle Entstellungen durchschimmern läßt, daß die Ge-
winnung des Feuers einen Triebverzicht zur Voraussetzung hatte,
so drückt sie doch unverhohlen den Groll aus, den die triebhafte
Menschheit gegen den Kulturheros verspüren mußte. Und das stimmt
zu unseren Einsichten und Erwartungen. Wir wissen, daß die Auf-
forderung zum Triebverzicht und die Durchsetzung desselben Feind-
seligkeit und Aggressionslust hervorruft, die sich erst in einer späteren
Phase der psychischen Entwicklung in Schuldgefühl umsetzt.
Die Undurchsichtigkeit der Prometheussage wie anderer Feuer-
mythen wird durch den Umstand gesteigert, daß das Feuer dem
Primitiven als etwas der verliebten Leidenschaft Analoges wir
würden sagen: als Symbol der Libido erscheinen mußte. Die
Wärme, die das Feuer ausstrahlt, ruft dieselbe Empfindung hervor,
die den Zustand sexueller Erregtheit begleitet, und die Flamme
mahnt in Form und Bewegungen an den tätigen Phallus. Daß die
Flamme dem mythischen Sinn als Phallus erschien, kann nicht
zweifelhaft sein, noch die Abkunftsage des römischen Königs Servius
Tullius zeugt dafür. Wenn wir selbst von dem zehrenden Feuer
der Leidenschaft und von den züngelnden Flammen reden, also
die Flamme einer Zunge vergleichen, haben wir uns vom Denken
unserer primitiven Ahnen nicht so sehr weit entfernt. In unserer
Herleitung der Feuergewinnung war ja auch die Voraussetzung ent-
halten, daß dem Urmenschen der Versuch, das Feuer durch sein
eigenes Wasser zu löschen, ein lustvolles Ringen mit einem anderen
Phallus bedeutete.
Auf dem Wege dieser symbolischen Angleichung mögen also
auch andere, rein phantastische Elemente in den Mythus einge-
drungen und in ihm mit den historischen verwebt worden sein.
Man kann sich ja kaum der Idee erwehren, daß, wenn die Leber
der Sitz der Leidenschaft ist, sie symbolisch dasselbe bedeutet wie
das Feuer selbst und daß dann ihre tägliche Aufzehrung und Er-
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neuerung eine zutreffende Schilderung von dem Verhalten der
Liebesgeluste ist, die, täglich befriedigt, sich täglich wiederher-
stellen. Dem Vogel, der sich an der Leber sättigt, fiele dabei die
Bedeutung des Penis zu, die ihm auch sonst nicht fremd ist, wie
Sagen, Träume, Sprachgebrauch und plastische Darstellungen aus
dem Altertum erkennen lassen. Ein kleiner Schritt weiter führt
zum Vogel Phönix, der aus jedem seiner Feuertode neu verjüngt
hervorgeht, und der wahrscheinlich eher und früher den nach seiner
Erschlaffung neu belebten Phallus gemeint hat als die im Abendrot
untergehende und dann wieder aufgehende Sonne.
Man darf die Frage aufwerfen, ob man es der mythenbildenden
Tätigkeit zumuten darf, sich gleichsam spielerisch - in der
verkleideten Darstellung allgemeinbekannter, wenn auch höchst
interessanter seelischer Vorgänge mit körperlicher Äußerung zu ver-
suchen ohne anderes Motiv als bloße Darstellungslust. Darauf kann
man gewiß keine sichere Antwort geben, ohne das Wesen des
Mythus verstanden zu haben, aber für unsere beiden Fälle ist es
leicht, den nämlichen Inhalt und damit eine bestimmte Tendenz zu
erkennen. Sie beschreiben die Wiederherstellung der libidinösen
Gelüste nach ihrem Erlöschen durch eine Sättigung, also ihre Un-
zerstörbarkeit, und diese Hervorhebung ist als Trost durchaus an
ihrem Platz, wenn der historische Kern des Mythus eine Nieder-
lage des Trieblebens, einen notwendig gewordenen Triebverzicht
behandelt. Es ist wie das zweite Stück der begreiflichen Reaktion
des in seinem Triebleben gekränkten Urmenschen; nach der Be-
strafung des Frevlers die Versicherung, daß er im Grunde doch
nichts ausgerichtet hat.
An unerwarteter Stelle begegnen wir der Verkehrung ins Ge-
genteil in einem anderen Mythus, der anscheinend sehr wenig
mit dem Feuermythus zu tun hat. Die lernäische Hydra mit ihren
zahllosen züngelnden Schlangenköpfen
unter ihnen ein un-
sterblicher ist nach dem Zeugnis ihres Namens ein Wasser-
drache. Der Kulturheros Herakles bekämpft sie, indem er ihre
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Köpfe abhaut, aber die wachsen immer nach, und er wird des
Untiers erst Herr, nachdem er den unsterblichen Kopf mit Feuer
ausgebrannt hat. Ein Wasserdrache, der durch das Feuer gebändigt
wird das ergibt doch keinen Sinn. Wohl aber, wie in so vielen
Träumen, die Umkehrung des manifesten Inhalts. Dann ist die
Hydra ein Brand, die züngelnden Schlangenköpfe sind die Flammen
des Brandes, und als Beweis ihrer libidinösen Natur zeigen sie wie
die Leber des Prometheus wieder das Phänomen des Nachwachsens,
der Erneuerung nach der versuchten Zerstörung. Herakles löscht
nun diesen Brand durch Wasser. (Der unsterbliche Kopf ist
wohl der Phallus selbst, seine Vernichtung die Kastration.) Herakles
ist aber auch der Befreier des Prometheus, der den an der Leber
fressenden Vogel tötet. Sollte man nicht einen tieferen Zusammen-
hang zwischen beiden Mythen erraten? Es ist ja so, als ob die
Tat des einen Heros durch den anderen gutgemacht würde. Pro-
metheus hatte die Löschung des Feuers verboten, wie das
Gesetz des Mongolen, Herakles sie für den Fall des Unheil
drohenden Brandes freigegeben. Der zweite Mythus scheint der
Reaktion einer späteren Kulturzeit auf den Anlaß der Feuerge-
winnung zu entsprechen. Man gewinnt den Eindruck, daß inan
von hier aus ein ganzes Stück weit in die Geheimnisse des Mythus
eindringen könnte, aber freilich wird man nur für eine kurze
Strecke vom Gefühl der Sicherheit begleitet.
Für den Gegensatz von Feuer und Wasser, der das ganze Ge-
biet dieser Mythen beherrscht, ist außer dem historischen und dem
symbolisch-phantastischen noch ein drittes Moment aufzeigbar, eine
physiologische Tatsache, die der Dichter in den Zeilen beschreibt:
Was dem Menschen dient zum Seichen,
Damit schafft er Seinesgleichen.“
"
(Heine).
Das Glied des Mannes hat zwei Funktionen, deren Beisammen-
sein manchem ein Ärgernis ist. Es besorgt die Entleerung des
Harnes und es führt den Liebesakt aus, der das Sehnen der ge-
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nitalen Libido stillt. Das Kind glaubt noch, die beiden Funktionen
vereinen zu können; nach seiner Theorie kommen die Kinder
dadurch zustande, daß der Mann in den Leib des Weibes uriniert.
Aber der Ewachsene weiß, daß die beiden Akte in Wirklichkeit
unverträglich miteinander sind so unverträglich wie Feuer und
Wasser. Wenn das Glied in jenen Zustand von Erregung gerät,
der ihm die Gleichstellung mit dem Vogel eingetragen hat, und
während jene Empfindungen verspürt werden, die an die Wärme
des Feuers mahnen, ist das Urinieren unmöglich; und umgekehrt,
wenn das Glied der Entleerung des Körperwassers dient, scheinen
alle seinen Beziehungen zur Genitalfunktion erloschen. Der Gegen-
satz der beiden Funktionen könnte uns veranlassen zu sagen, daß
der Mensch sein eigenes Feuer durch sein eigenes Wasser löscht,
Und der Urmensch, der darauf angewiesen war, die Außenwelt
mit Hilfe seiner eigenen Körperempfindungen und Körperverhält-
nisse zu begreifen, dürfte die Analogien, die ihm das Verhalten.
des Feuers zeigte, nicht unbemerkt und ungenützt gelassen haben.
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