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S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
Salzberg bei Berchtesgaden
Pension Moritz10. Aug 22
Lieber Herr Doktor
Ihr Brief vom 13 Juli hat mich infolge zweimaligen
Ortswechsels noch später als sonst erreicht, erst am
4 Aug. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Vermitt-
lung bei Dr Asch, sein Kabel kam an, ich
habe ihn angenommen.Auch mein Interesse wendet sich ihrer jungen
Schwägerin zu. Ich möchte sie zuerst allein
studiren, in Abwesenheit Ihres Bruders
der vielleicht später nachkommen kann.Mrs. P. hat sich bei mir in Berchtesgaden
angekündigt. Ich antwortete, ich wäre bereit
sie zu sehen, da ich sicher wäre, daß sie
weder einen Rat noch eine Auskunft
über Ihre Analyse verlangen wird. Sie wird
trotz dieser Einschränkung wahrscheinlich
kommen u ich werde aus persönlichem
Interesse für Sie gerne sehen, obwol der
Besuch sonst nicht viel Sinn hat. Daß sie
selbst Analyse ausüben will, halte ich nicht
für eine gute Idee.Ihre Geständniße habe ich mit Interesse ge-
lesen. Es ist merkwürdig, dass bei Ihnen
allen die Reaktion auf die Analyse
so nachhaltig ist u so spät kommt. Bei Stern
und Frink ist es ja ebenso. Es muss eine
amerikanische Eigentümlichkeit sein. Meyer
ist vielleicht nicht dazu zu rechnen, denn
er ist ein schwer Kranker, den ich nicht
so leicht angenom̄en hätte, wäre er nicht
ohne Anmeldung mit Frink gekom̄en.
Doch ist auch über ihn nicht das letzte
Wort gesprochen. -
S.
[Das zugehörige Faksimile findet sich beim Brief vom 28.11.1922.]
Vier Monate Analyse ist freilich nicht viel
für einen Mann von 40 Jahren, doch sah
es zu Ende unserer Analyse aus, als ob
sich nichts mehr ergeben sollte, und
eine direkte Fortsetzung schien nicht
sehr aussichtsreich. Ich bin neugierig, was
sich bei Ames zeigen wird, der sich
von vorne herein eine lange Zeit ge-
nom̄en hat. Leider werde ich ihn nicht
selbst behandenl können, sondern zu
Rank schicken müßen, wobei er nichts
verlieren wird. Ich will an meiner Absicht,
die neun Arbeitsstunden zu reduziren,
festhalten, aber es geht sehr schwer. Von
den früheren sind einige geblieben, die
neuen drängen nach, die Notwendigkeit
des Erwerbs wird umso gebieterischer,
je mehr die Verhältniße in Oesterreich
einer Katastrophe zuzueilen scheinen.
Und doch fühle ich in diesen Ferien, wie
sehr mich die Arbeit ermüdet hat,
u kann mir deren Wiederbeginn
noch nicht vorstellen.Ich schreibe Ihnen wieder nach dem
Besuch von Mrs P. und grüße Sie
herzlich
Ihr
FreudP.S. Kaplan’s Bücher sind
weder gut noch schlecht,
eher seicht, in schlechtem
Stil geschrieben, neigen
zum Eclecticismus.Über Ihre Neigung zum Behaviorism kann
ich jetzt nicht milder urteilen als in Wien.[Transkription des fälschlich hier eingespeisten Faksimiles:]
da sie so freundlich sin, sich anch meinem
Befinden zu erkundigen, antworte ich,
daß ich im Sommer meine volle Arbeits-
tätigkeit wiedergewonnen habe, durch
die unerwartete Rückkehr und längerem
Darbleiben vorhehriger Patienten bin
bin ich zu einer ungünstigen Zeiteinteilung
gekommen. Aber im Dezember gehen
zwei Überzälige ab und diese werden
dann nicht ersetzt.Vielen Dank auch für Ihre rosigen
Nachrichten aus der Literatur. Mit
Aristoteles habe ich doch wenig Berührgs-
punkte. Im Ganzen hat sich mein Ver-
trauen zur Entwicklung der ΨΑ in
Ihrem Lande nicht gesteigert. Ichsehe
höre mehr schmähende Stim̄en als
preisende, vor allem aber wenig
verständnisvolle.Mit herzichen Grüßen
und Wünschen Ihr
Freud