• S.

    Wien 12.XI.19

    Lieber Herr Doktor u Frau 
    Collega

    Ich möchte Ihnen gerne glaub-
    würdig versichern, daß ich 
    die freundschaftlichsten Ge-
    füle für Sie beide hege, 
    aber Ihre Woltaten machen 
    jede solche Versicherung 
    unglaubwürdig, weil sie un-
    abweisbare Motive anderer 
    Art zu nahe legen.  Auch 
    kann ich Ihnen keine baldige 
    Hungersnot in Zürich als 
    willkom̄ene Gelegenheit 
    zur Vergeltung wünschen.

    Unser Pfarrer Pfister hat 
    uns gestern abends durch 
    seinen Besuch (mit neuer-
    lichen Gaben von Ihnen) 
    eine grose Freude gemacht 

  • S.

    u uns heute viel von Ihnen 
    u den Vorgängen in Ihrer 
    Stadt erzält. Ich erfahre, 
    daß ich Sie, Frau Doktor, 
    bald hier werde be-
    grüßen können. Auch, 
    daß Sie Besprechungen mit 
    mir zu haben wünschen. 
    Ich habe allerdings gar 
    keine freie Zeit, aber 
    wenn Sie da sind, wird sie 
    sich irgendwie finden 
    müßen.

    Ich grüße Sie beide
    herzlich
    Ihr
    Freud

  • S.

    Wien 10. Nov.
    1919

    Verehrte, liebe Freunde,

    lassen Sie mich mit tausend 
    Dank Ihre herrliche Sendung 
    bestätigen.  Der Inhalt bedeutet 
    für uns lauter Kostbarkeiten, 
    die hier nur schwer, oder gar nicht 
    aufzutreiben sind und die uns 
    nun für eine Weile die köstlichsten 
    Frühstücke gestattet - wie in se-
    ligen Friedenszeiten.  Alles ist hoch-
    willkommen, alles von erlesener 
    Qualität und wir sind Ihnen 
    für die viele Mühe, die es Sie wol 
    gekostet haben mag, unendlich 
    dankbar!

    Soll ich nun noch so unbescheiden 
    sein, Ihnen zu verrathen, was uns 

  • S.

    am meisten fehlt?  Es sind das 
    Fett und Zucker. Aber beinahe 
    möchte ich glauben, dass diese 
    beiden Dinge unter Ausfuhrverbot 
    sind, machen Sie sich also weiter 
    keine zu grossen Sorgen um uns; 
    am ärgsten vor allem ist doch 
    unsere Kohlennot - und dagegen 
    ist auch die hilfsbereiteste Freund-
    schaft machtlos!  Wenn wir diesen 
    Winter nur erst gesund über-
    standen hätten!  Mein Mann ar-
    beitet wacker 9 Stunden im 
    Tag - unsere Arbeiter begnügen 
    sich mit weniger.

    Nun möchte ich aber wünschen, 
    dass mir der kommende Sommer 
    doch vielleicht eine persönliche Be-
    kanntschaft mit Ihnen ermöglicht 
    und bleibe in dieser Erwartung
    Ihre dankbare
    Martha Freud