• S.

    PROF. DR. FREUD          WIEN IX., BERGGASSE 19

    5. X. 27

    Lieber Herr Doktor

    Ihr kleines Büchlein, für das 
    ich Ihnen sehr danke, ist 
    wiederum recht gut und 
    enthält manches, was vortrefflich 
    ist.  Ihre Klagen über den 
    gegenwärtigen Stand Ihrer 
    Praxis thun mir sehr leid, 
    aber ich kann mich an ähnliche 
    Lakunen in früheren Zeiten 
    erinnern u möchte Ihnen 
    darum nahe legen, die Flinte 
    nicht voreilig in's Korn zu 
    werfen. Das kann sich bald 
    ändern. Ich aber möchte 
    weder Ihre Person noch 
    Ihre Feder bei unserer 
    Sache vermissen. Wäre 
    die Tartarennachricht von 
    den $ 100,000, die mir alle 
    Sorgen nehmen sollen, in 
    irgend einem Ausmaß wahr, 
    so würde ich auch Ihre Sorgen 
    erleichtern können. So kann 
    ich nichts anderes thun, als 
    Ihren Namen am Telephon 
    nennen lassen, wenn 
    Leute einen Vertreter 
    verlangen. Sie wissen, ich 

  • S.

    sehe selbst keine Patienten 
    mehr – was meine Person 
    sehr entwertet.

    In Ihrer Kritik der Adler’-
    schen Therapie haben Sie 
    natürlich den springenden 
    Punkt richtig getroffen. 
    Daß Sie ihn einen „reizenden 
    Menschen“ nennen, macht sich 
    sehr schön, läßt mich aber 
    vermuten, dass Sie die 
    Maske der Biedermeierei 
    bei ihm nicht durchschaut 
    haben. In Wirklichkeit 
    ist er, was man in Wien 
    einen „Giftnickel“ heisst. 
    Vielleicht überzeugen Sie 
    sich bald von beidem, 
    vom wirklichen Charakter 
    Adler’s wie von den besseren 
    Aussichten der analytischen 
    Praxis.

    Mit herzl Gruss 
    Ihr 
    Freud