• S.

    PROF. DR. FREUD  WIEN IX., BERGGASSE 19.

    26 Jan 16

    Verehrter Freund

    Verkehr ist wirklich schwer in dieser Zeit. 
    Nach dem Beispiel von Prof. Holt’s Buch 
    zu urteilen, das nicht angekommen ist, 
    mag ich manche Zuschrift von Ihnen 
    die mich erfreut hätte, eingebüsst haben. 
    Um so froher bin ich, Ihre Versicherung 
    zu haben, dass Sie meiner noch in 
    Freundschaft gedenken und Ihr Interesse 
    für unsere Wissenschaft fortwährend 
    betätigen. Ihren Aufsatz über Adler werde 
    ich gewiss eines Tages lesen können.

    Ich leide hier ziemlich unter Vereinsam-
    ung. Meine besten Helfer, Rank, Abraham, 
    Ferenczi sind ferne und so beschäftigt, 
    dass wir nur selten von einander hören. 
    Alle Entfernungen sind ja durch den 
    Krieg ungemein vergrössert worden. 
    Mit dem Reste der hier anwesenden und 
    der Hilfe der noch erreichbaren Mitar-
    beiter halte ich die beiden Zeitschriften 
    aufrecht. Von der Internat. Zeitsch sind 
    1915 6 Hefte erschienen, von der Imago 
    3. Ich weiss nicht ob Sie etwas davon 
    bekommen haben. Auch meine Separata 
    habe ich in den letzten Monaten nicht 
    mehr verschickt.

  • S.

    Für großes körperliches Wolbefinden ist 
    es nicht die richtige Zeit; es liegt auch 
    zu wenig daran. Zwei meiner Söhne 
    sind im Krieg, beide bis jetzt wol und 
    beide haben sich ausgezeichnet. Sie sind 
    Offiziere, während mein Hamburger 
    Schwiegersohn als Kanonier in Flandern 
    dient. Wir sind mit Geduld gewappnet, 
    da die Hoffnungen auf nahe Beendigung 
    des Krieges uns getäuscht haben.

    Ich schreibe die Vorlesungen, die ich eben halte 
    als „Einführung in die ΨA“ für den 
    Druck nieder; sie sollen im Laufe dieses 
    Jahres bei H. Heller in Wien erscheinen, 
    können dem bereits Eingeführten nichts 
    Neues bringen. 

    Sie kennen meine Wünsche für ein langes 
    otium cum dignitate et studio für Sie 
    und Wolbefinden für die Ihrigen. 
    Gedenken Sie wieder einmal 
    Ihres
    herzlich ergebenen 
    Freud

    P.S.
    Ich habe die Buchstaben in 
    einer mir ungewohnten Schrift hinge-
    malt, damit Sie der Beihilfe von 
    E. Jones (oder besser Loo J.) entbehren 
    können.