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S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
11. 7. 1928
Lieber Herr Doktor
Es ist mir eine außerordentliche Be-
ruhigung authentisch zu erfahren, daß
Sie nun durch den Trip nach New York
der Wiener Bettelwirtschaft entkom-
men werden. Je geringer mein
persönlicher Einfluß geworden ist,
die Lage meiner jüngeren Freunde
zu bessern desto schwerer fühlte
ich durch sie bedrückt. Ihren
Vorsatz auch anderen Mitgliedern
der Gesellschaft den Weg zu ähnlichen
Berufungen zu bahnen rechne ich
Ihnen hoch an; hoffentlich richten Sie
etwas in diesem Sinne aus.Ich glaube ich habe die Situation
din
NY durch Berichte gut kennen ge-
lernt und will Ihnen gerne sagen,
was ich für zweckmässig halte.
Verwundern Sie sich nicht, wenn
mein Rat etwas anders lautet
als vorher.Ich höre sehr gerne, daß Sie meine Ansicht
über den relativen Wert der
Analyse für ärztliche Therapie und
für Erziehung und allgemeine
kulturelle Beeinflußung ohne
Einschränkung teilen. Aber wenn
Sie dort mit dem Programm zu
Gunsten der Laienanalyse auftreten,
ziehen Sie sich die erbitterte Feind-
schaft der ärztlichen Analytiker
zu und steigern deren Mistrauen
gegen spätere Besucher aus unserem
Kreis. In diesem Punkt ist in
Amerika nichts durchzusetzen.
Hingegen lohnt es sich sehr, gegen die
Adlerei aufzutreten, die durch
seine wiederholten Gastspiele
rasch an Verbreitung gewonnen -
S.
hat, und dabei sind Sie auch der Unterstütz-
ung der Gruppe sicher, die sich in diesem
Punkt als durchaus verläßlich be-
währt hat. Ich meine natürlich nicht, daß
Sie Ihre Stellung in der Laienfrage
verleugnen oder verschweigen sollen,
nur machen Sie keine Plattform
daraus. Diese Wilden haben für
Wissenschaft, die sich nicht unmittelbar
in Praxis umsetzt wenig übrig.Das Ärgste am amerikanischen Betrieb
ist ihre sog. broadmindedness, bei der
sie sich noch großartig und uns
engherzigen Europaeern überlegen
vorkommen, in Wirklichkeit nur
eine bequeme Verschleierung
ihrer vollkommenen Urteilslosigkeit.
So machen Sie sich, fast nach Art unbewußter
Geistestätigkeit ein Kompromiß oder
ein Gemisch von Analyse Jung’scher
Mystik und Adlerei zurecht, das
natürlich ein schandbarer Unsinn
ist, und wol verdient daß Sie Ihren
Spott daran üben. – Erleichtert wird
ihnen diese Leistung durch den Umstand,
daß sie soviel wie nichts von den
Originalschriften gelesen haben,
weder Zeit dazu hatten noch das
Bedürfnis verspürt haben. Aber
Sie werden ja selbst sehen und sich
danach einrichten.Meine besten Wünsche für den
äußeren und inneren Erfolg
Ihrer Unternehmung reisen
mit Ihnen.Herzlich
Ihr
Freud
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Wien 1090
Österreich
Hohenstaufengasse 9
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