• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19

    28.I.26.

    Lieber Herr Doktor!

    Ihre Absicht, das Abraham‑Heft auf den Dezember zu verschieben, war 
    mir nicht sympathisch und Ihre Motivierung erschien mir undurchsichtig. 
    Ich stellte dann Storfer zur Rede und erhielt von ihm die Lösung, die 
    ich nicht selbst erraten hatte, dass die Redaktionen beider Zeitschriften 
    die Absicht haben, meinen rundzahligen Geburtstag durch je ein Heft 
    gesammelter Beiträge zu feiern. Prinzipiell gegen alle Feierlichkeiten 
    eingestellt, kann ich mich doch diesem Plane nicht widersetzen und hoffe 
    nur, dass Ihr Takt darüber wachen wird, dass die Begrüssungsaufsätze so 
    knapp und zurückhaltend als möglich ausfallen werden, damit die Welt 
    nicht das Schauspiel erhalte, wie der Herausgeber sich in seinen eigenen 
    Organen feiern lässt. Darüber darf ich wohl beruhigt sein.

    Umso dringender erscheint es mir aber, die Huldigung für Abraham 
    nicht länger aufzuschieben, wenn ich selbst das Hindernis für ihre 
    Erledigung sein soll. Man kann keine Feste feiern, solange man die 
    Trauerpflicht nicht erfüllt hat. Es scheint mir unausweichlich, dass die 
    Nachrufe für Abraham früher erscheinen als die Festnummern und ich habe 
    mit Storfer darin folgende Lösung ausgearbeitet, die ich Ihnen hier 
    vortrage. Da das Datum der Festnummern determiniert ist, so soll das zwei-
    te Heft der Zeitschrift möglichst bald nach dem ersten, jedenfalls einige 
    Wochen vor der Mainummer erscheinen. Es braucht nichts anderes zu ent-
    halten als die Protokolle der Trauersitzungen und die gehaltenen Nach-
    rufe, den von Jones etwa als offiziellen vorangestellt.  Dieses Heft wird 
    nach Storfers Schätzung etwa drei Boden enthalten, der Ueberschuss kann 
    auf die folgenden, das dritte und vierte Heft verteilt werden.  Es scheint 
    mir auch unzweckmässig, Arbeiten aus dem Gebiet des Verstorbenen bei sei-
    nen Schülern für eine Sondernummer zu bestellen, denn diese Bedingungen

  • S.

    vertragen sich schlecht mit der wissenschaftlichen Arbeit und sind bekanntlich nicht imstande, Leistungen hervorzurufen, durch die sich der Verstorbene geehrt fühlen könnte.  Diese Kritik gilt natürlich auch für die Beiträge, die für mich bestimmt sind.  Aber bei diesen fällt immerhin die Einengung auf bestimmte Themata weg und die Zeitschriften bringen eben, was sie haben und womit sie auch sonst den Raum gefüllt hätten.

    Ich hoffe, dass Sie meinen Wünschen zugänglich sein werden.  Wenn es wirklich ein Festtag sein soll, dass ich bereits so alt geworden bin, so soll unsere Stimmung keinen Moment durch die Erwägung gestört werden, dass wir die dringende Pflicht der Ehrung des früh Dahingeschiedenen darum aufgeschoben haben.

    Mit herzlichem Gruss
    Ihr
    Freud