• S.

    Budapest, den 10./II.08.                                  

    Sehr geehrter Herr Professor!

    Im Laufe des morgigen Ta-
    ges wird Sie eine Frau Marton 
    aus Tapolcza (Ungarn) aufsuchen. 
    Ich untersuchte sie vor mehreren 
    Tagen und constatierte eine noch 
    ziemlich frische Paranoia 
    mit Bevorzugung des Eifersuchts-
    wahns. Ein längeres Gespräch 
    überzeugte mich, daß die Pa-
    tientin der Übertragung noch 
    fähig ist, und glaube ich, daß 
    dies ein Fall wäre, wo man 
    die Analyse mit einiger Aus-
    sicht versuchen könnte. Be-
    vor ich mich aber hierzu 
    entschloß, wollte ich auch

  • S.

    Ihre Meinung kennen und 
    veranlaßte die Patientin, 
    nach Wien zu reisen. 
    Die Behandlung müßte 
    meines Erachtens – in einer 
    Anstalt durchgeführt werden. 
    Oder halten Sie die An-
    staltsbehandlung für ent-
    behrlich?

    Der vorige Sonntag, den 
    ich in Ihrer Gesellschaft 
    verbringen durfte, beschäftigt 
    mich unausgesetzt, und kann 
    ich Ihnen für Ihre entgegen-
    kommende Liebenswürdigkeit 
    und die unzähligen Anregungen 
    nicht genug danken.

  • S.

    Seit einigen Tagen durchstöbere 
    ich Sammlungen von ungari-
    schen Sprichwörtern, Volksliedern, 
    Rätsel‑Erzählungen“ etc. 
    Die Rätsel‑Deutung ist ganz 
    der Traumdeutung analog. 
    Jedes Rätsel hat enthält – wie ich glau-
    be – ein sadistisches Element: 
    das Weiden an der Qual des 
    Rätsel‑Auflösers. Leute, die 
    gerne Rätsel auflösen, dürften 
    auch sonst masochistische Züge 
    aufweisen. Merkwürdig zahl-
    reich sind die sexuellen An-
    spielungen in den volkstüm-
    lichen Rätseln, und auch alle so-
    nstigen von Ihnen entdeckten Motive 
    und Darstellungsmittel des 
    Witzes finden in den Rätseln 
    Verwendung.

  • S.

    Ihre Theorie von der Entstehung 
    der Phobien (die übrigens nicht 
    mehr Theorie genannt werden 
    darf) findet sein Analogon 
    im ungarischen Sprichwort: 
    „Es ist besser, sich zu 
    fürchten, als zu erschrecken.“

    Ich glaube, daß die Beschäf-
    tigung mit Rätseln den 
    Sinn für die Traumdeutung*) schärft.

    Es grüßt Sie herzlichst

    Ihr sehr ergebener
    Dr. Ferenczi
    Bpest Elisabethring 54.

    *)und Symptomdeutung