• S.

    PROF. DR. FREUD          WIEN IX., BERGGASSE 19

    (Villa Schüler) Semmering

    31. Juli 1927

    Lieber Herr Doktor

    Sie werden sich vielleicht 
    wundern, dass ich Sie um eine 
    literarische Gefälligkeit bitte, 
    aber Sie werden mich gewiß 
    bald verstanden haben. 
    Ich habe in diesen letzten 
    Jahren mehrere Analysen 
    von Fetischismus anstellen 
    können u dabei jedesmal 
    eine überraschend einfache 
    Lösung gefunden. Diese will 
    ich nun zum Gegenstand 
    einer kleinen Mitteilung 
    machen. Es giebt aber jemand, 
    der ein dickes Buch über 
    den Gegenstand geschrieben 
    hat. Nach allen Regeln des 
    wissenschaftlichen Betriebs 
    sollte ich das Buch lesen 
    u mir wenigstens die 
    Sicherheit holen, daß der 
    findige Jemand nicht schon 
    meine Lösung gefunden 
    hat. So wenig wahrscheinlich 
    dies auch sein mag. Allein 
    – ich bringe mich nicht dazu, 
    kann einen inneren 
    Widerstand von der 

  • S.

    Art eines Reinlichkeitsinstinkts 
    nicht überwinden. Ich weiß 
    schon, daß dies nicht recht 
    ist, aber im Alter wird man 
    leicht absonderlich und 
    sucht seinen Eigensinn 
    festzuhalten.

    Was ich an Ihrer Vergangen-
    heit sonst so bedauere, 
    wird mir diesmal verwert-
    bar. Sie kennen gewiß 
    das Buch von Stekel über 
    den Fetischismus. Läßt es 
    sich machen, daß Sie mir 
    in wenigen Sätzen angeben 
    zu welchem Ergebnis dieser 
    Autor über die Natur 
    u Absicht des Fetisch kom̄t? 
    Die Bitte besteht natürlich 
    nur für den Fall, daß er 
    ein solches Ergebnis ausspricht 
    und daß es Ihnen nicht 
    zu beschwerlich wird, es 
    herauszuschälen, im anderen 
    Falle sagen Sie mir auf 
    einer Postkarte ab; in 
    jedem Falle schweigen Sie 
    aber gefälligst über dies 
    Eingeständnis meiner 
    Idiosynkrasie, die ich 
    mir schwer erworben habe.

    Mit herzlichem Gruß 
    Ihr 
    Freud