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    PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19

    5 Dez 09

    Dear Dr Putnam

    Gestatten Sie mir, deutsch fortzusetzen.  Der Aufenthalt in Ihrem Camp war vielleicht das Interessante [sic], was wir von dem grossen Amerika gesehen haben, und der Gedankenaustausch mit Ihnen trotz seiner Kürze dasjenige, was meine Hoffnung auf eine Zukunft der Psychoanalyse in Ihrem Lande am meisten bestärkt hat.  Ich habe bei Ihnen ein Mass von ehrlicher Bereitwilligkeit und vorurteilsfreiem Verständnis gefunden, an das ich in Europa nicht gewöhnt worden bin, und wenn ich in Betracht ziehe, dass Sie der wahrscheinlich um ein Dezennium Ältere sind, kann ich nur den Respekt vor Ihrer Person zur Grundlage unserer Beziehungen nehmen.  Es handelt sich gar nicht darum, ob Sie mir in allen Einzelheiten beistimmen können; meine Arbeiten wollen nichts anderes, als den Leser veranlassen, sich selbst die Erfahrungen zu holen, von denen ich spreche, und bis jetzt hat mich die Hoffnung nicht getäuscht, dass, wer diess thut, in den wichtigen Punkten zu den gleichen Ergebnissen kommen wird wie ich.  Ich verlange und erwarte gar nicht, dass mir ein Leser vollkommenen Glauben schenke, ohne und ehe er selbst zu den Quellen der Beobachtung herabgestiegen ist.  Die meisten Menschen beweisen freilich, dass sie überhaupt nicht 

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    die Absicht haben, etwas Neues anzunehmen und billigen 
    oder verwerfen, was ich vorbringe, je nach 
    dem jeweiligen Stand ihrer frühren Anschau-
    ungen. Von diesem Denkfehler weiß ich Sie 
    frei, u darum erwarte ich, dass Sie sich all-
    mälig auch von dem überzeugen werden, 
    was Ihnen derzeit noch unglaubwürdig 
    erscheint.

    Sie finden ganz richtig heraus, dasß die Dar-
    stellungen unsystematisch und lückenhaft sind.  
    Dafür sind auch unsere Erkenntniße noch 
    sehr unvollständig, das Ganze ist erst im Werden, 
    und es ist sehr viel Raum für die Beiträge 
    anderer Arbeiter übrig.

    Unter „Geldkomplex“ ist die Stellung der 
    Individuen zum Geld verstanden, der selb-
    ständige Wert, den sie darauf legen, ihre 
    Fähigkeit, mit diesem Stoff ungehindert 
    durch unbewußte Komplexe umzugehen. 
    Das Geldverhalten der Individuen müßte 
    gerade in Amerika, wo die Analerotik 
    sehr interessante Umwandlungen erfahren 
    hat, sehr lehrreich sein. Übrigens ist die 
    Beziehung des Geldkomplexes zur Anal-
    erotik ein sehr später Fund gewesen.

    Bei uns hier sind die Menschen in Bezug 
    auf das Geld genau so unaufrichtig und 
    gehemmt wie in sexuellen Dingen, und 
    rechtfertigen so die Zurechnung des Geldes 
    zur Sexualität.

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    Jede Verwendung, die Sie von einer meiner 
    Arbeiten machen wollen, wird mir recht 
    sein. Für Übersetzungen hat Dr Brill das aus-
    schließliche Vorrecht erhalten; er wird gewiß 
    nichts dagegen haben, es Ihnen im betreffenden 
    Falle abzutreten, wenn Sie es von ihm 
    wünschen.

    Daß seine Übersetzung eher gewissenhaft als schön 
    zu nennen ist, vermutete ich selbst. Er ist übrigens 
    nicht als Ausländer zu bezeichnen; ich glaube, 
    daß er in so früher Kindheit über das große 
    Wasser gekommen ist, daß man Englisch als 
    seine Muttersprache gelten lassen muß.

    Ich glaube, Ihre Klage über unsere Unfähigkeit 
    neurotische Patienten für das Aufgeben 
    Iihrer Krankheit zu entschädigen, ist voll berecht-
    igt, aber die Schuld scheint mir nicht an der 
    Therapie sondern an den sozialen Institut-
    ionen zu liegen. Was wollen Sie, das wir thun, 
    wenn eine Frau über ihr verlorenes Leben 
    klagt, wenn sie nach dem Schwinden ihrer Jugend 
    merkt, daß sie sich um das Glück der Liebe 
    aus konventionellen Gründen hat betrügen 
    lassen? Sie hat Recht und wir stehen ohnmächtig 
    vor ihr, denn wir können sie nicht mehr jung 
    machen. Aber die Einsicht in unsere therapeut-
    ische Beschränkung mag unseren Entschluß 
    bestärken, an anderer Stelle, im sozialen 
    Leben, dahin zu wirken, daß die Menschen 

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    nicht in so hoffnungslose Positionen gedrängt 
    werden. Aus der therapeutischen Ohnmacht muß 
    Prophylaxe der Neurosen hervorgehen. Je energischer 
    man übrigens in solchen Fällen das sexuelle 
    Problem angreift, desto eher kann man 
    wenigstens lindern. Wo es nicht so trostlos aus-
    sieht, da ergeben sich durch Sublimirung neue 
    Lebensziele von selbst, sobald die Verdräng-
    ungen gelöst sind.

    Die 3 Abhandlungen zur Sexualtheorie sind ver-
    griffen. Die zweite Auflage kann nicht vor 
    Februar auf den Markt kommen.

    Ich freue mich auf die in Aussicht gestellten 
    Photographien aus den Adirondacks 
    und bin so unbescheiden, mir auch Ihren 
    kürzlich veröffentlichten Aufsatz über 
    Psychoanalyse zu erbitten, von dem Sie beim 
    Abschied sprachen u dessen Erscheinen mir 
    von anderer Seite berichtet worden ist. 
    Ferner bitte ich um eine Zeile Nachricht, 
    wenn die Sam̄lung von „Schriften z. ange-
    wandten Seelenkunde“ [6 Hefte] Sie erreicht 
    hat. Sie ist längst bestellt worden, aber der 
    Verleger behauptet, solche Sendungen nach 
    Amerika giengen oft verloren [die gleiche 
    Sendung an Stanley Hall ist angekom̄en].

    Mit der Bitte mich Ihrem Bruder und 
    den liebenswürdigen Damen der Familie 
    zu empfehlen begrüße ich Sie 
    Ihr herzlich u hochachtgsvoll 
    ergebener 
    Freud