• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19

    5. 6. 21.

    Liebe Frau Doktor

    Stellen wir pro u contra gegeneinander 
    auf.  Für Frl Otter v. Weinfelden spricht 
    zunächst, daß sie von Ihnen empfohlen 
    ist (trotz seltener persönlicher Beziehung 
    fühle ich Sie so zugehörig und zuverläß-
    lich).  Sodann, daß sie Zeit und Geld hat, 
    sich der Sache zu widmen, drittens, 
    daß sie Deutsch spricht, mich also nicht 
    in dem Grade anstrengen kann wie 
    andere, angebliche pupils, in Wirk-
    lichkeit, patients.

    Gegen sie spricht die Erfahrung, daß 
    diese Personen meist kleine und 
    uninteressante Neurosen mitbringen, 
    die ich jetzt, wo ich meine Arbeits-
    zeit einschränken sollte – ich bin 
    mitten zwischen 60 u 70 –ebensowol 
    von anderer Seite behandelt wer-
    den könnten.

    Daraus ergiebt sich natürlich keine Ent-
    scheidung. Eine solche ist aber über-
    haupt derzeit unmöglich. Ich weiß 
    nämlich nicht, wieviele Fälle mir vom 
    heurigen Status fürs nächste Jahr 
    übrig bleiben werden. Vielleicht 
    vier, vielleicht keiner. Die Anzal 
    der Anmeldungen aus England u 
    Amerika ist aber so groß, daß ich 
    ein Versprechen nicht geben kann.  Ich 

  • S.

    denke am 1 Okt werde ich Musterung halten 
    u annehmen, wer mir von den Anwesen-
    den am besten zusagt, vorausgesetzt, 
    daß er das Vorkriegshonorar, die 
    alten 50 Kr zalen will. Wie die 
    Sybille möchte ich den Rest meiner Arbeits-
    kraft etwas theurer verkaufen.
    Frl. Otter v W. sollte es sich nicht ver-
    drießen lassen, am 1 Okt hier zu sein. 
    Wenn sie bei mir nicht unterkom̄t, 
    wird sie bei Rank es kaum 
    zu bedauern haben.

    Wissen Sie schon, daß eine kleine 
    Massenpsychologie von mir im Druck ist?

    Ich grüße Sie u Ihren Mann 
    herzlich. 
    Ihr ergebener
    Freud