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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN IX., BERGGASSE 195. 6. 21.
Liebe Frau Doktor
Stellen wir pro u contra gegeneinander
auf. Für Frl Otter v. Weinfelden spricht
zunächst, daß sie von Ihnen empfohlen
ist (trotz seltener persönlicher Beziehung
fühle ich Sie so zugehörig und zuverläß-
lich). Sodann, daß sie Zeit und Geld hat,
sich der Sache zu widmen, drittens,
daß sie Deutsch spricht, mich also nicht
in dem Grade anstrengen kann wie
andere, angebliche pupils, in Wirk-
lichkeit, patients.Gegen sie spricht die Erfahrung, daß
diese Personen meist kleine und
uninteressante Neurosen mitbringen,
dieichjetzt, wo ich meine Arbeits-
zeit einschränken sollte – ich bin
mitten zwischen 60 u 70 –ebensowol
von anderer Seite behandelt wer-
den könnten.Daraus ergiebt sich natürlich keine Ent-
scheidung. Eine solche ist aber über-
haupt derzeit unmöglich. Ich weiß
nämlich nicht, wieviele Fälle mir vom
heurigen Status fürs nächste Jahr
übrig bleiben werden. Vielleicht
vier, vielleicht keiner. Die Anzal
der Anmeldungen aus England u
Amerika ist aber so groß, daß ich
ein Versprechen nicht geben kann. Ich -
S.
denke am 1 Okt werde ich Musterung halten
u annehmen, wer mir von den Anwesen-
den am besten zusagt, vorausgesetzt,
daß er das Vorkriegshonorar, die
alten 50 Kr zalen will. Wie die
Sybille möchte ich den Rest meiner Arbeits-
kraft etwas theurer verkaufen.
Frl. Otter v W. sollte es sich nicht ver-
drießen lassen, am 1 Okt hier zu sein.
Wenn sie bei mir nicht unterkom̄t,
wird sie bei Rank es kaum
zu bedauern haben.Wissen Sie schon, daß eine kleine
Massenpsychologie von mir im Druck ist?Ich grüße Sie u Ihren Mann
herzlich.
Ihr ergebener
Freud