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    Rom 22. 9. 07

    Geehrter Herr College

    Ich mache Ihnen die Mittheilung, daß ich mich 
    entschloßen habe, die kleine Vereinigung, die sich 
    jeden Mittwoch abend bei mir zu treffen pflegte, 
    und der auch sie angehörten, mit Beginn dieses 
    Arbeitsjahr aufzulösen, um sie unmittelbar darauf 
    von Neuem ins Leben zu rufen. Eine kurze 
    Äußerung, die Sie bis zum 10Okt. d. J. unserem 
    Sekretär, Herrn Otto Rank, schriftlich zukom̄en 
    lassen, wird hinrichten reichen, Ihre Mitgliedschaft 
    neu zu begründen; im Falle aber solche Äußerung 
    bis zu dem genan̄ten Termin ausbleibt, werden 
    wir annehmen müßen, Daß sie nicht mehr 
    zur Vereinigung zälen. Ich brauche wol nicht 
    ausdrücklich zu betonen, wie sehr ich mich mit 
    Ihrem Widereintritt freuen würde.

    Gestatten Sie mir, diese Ihnen wahrscheinlich 
    überflüssig erscheinende Maßregel kurz zu be-
    gründen. Es heißt nur dem natürlichen Wandel 
    menschlicher Beziehungen Rechnung tragen, wenn 
    man annim̄t, daß den Einen oder Anderen 
    aus unserer Anzal die Zugehörigkeit zu unserer 
    Vereinigung nicht mehr dasselbe bedeutet wie

  • S.

    vor Jahren, sei es daß sein Interesse sich erschöpft habe 
    oder daß seine Muße und Lebensführung sich widersetzen 
    oder daß persönliche Beziehungen ihn abzuhalten 
    drohen. Vermutlich wird er dennoch Mitglied 
    verblieben sein, weil er befürchet, daß sein Austritt 
    im Lichte einer unfreundlichen Handlung betrachtet 
    werden könnte. In all diesen Fällen soll die Auflösung 
    und Neugründung der Vereinigung die persönliche 
    Freiheit des Einzelnen widerherstellen u es ihm 
    ermöglichen ohne Trübung der persönlichen Verhältniße 
    zu den Anderen dem Vereine ferne zu bleiben. 
    Es ist wol auch in Betracht zu ziehen, dapß wir im 
    Laufe der Jahre Verpflichtungen auf uns genom̄en 
    haben wie die Anstellung eines Sekretärs, von 
    denen Anfangs die Rede nicht war. 

    Wenn Sie nach diesen Ausführungen an die 
    Zweckmäßigkeit einer solchen Vereinserneuerung 
    glauben, werden Sie wol auch damit einver-
    standen sein, daß dieselbe in regelmäßigen 
    Intervallen, etwa alle drei Jahre, wiederholt 
    werde.

    'ich belibe in collegialer Hochachtung 
    und mit herzlichem Gruße 
    Ihr 
    DrFreud