• S.

    Rundbrief  
    vom 20. Januar 1926.

    Liebe Freunde!  
    Der beklagenswerte Tod unseres Freundes Karl Abraham wirkt weiterhin  
    lähmend auf uns und nimmt uns jede Lust, das Interesse den kleinen Vor-  
    gängen um uns zuzuwenden. Wir heben nur hervor, daß wir in der ersten  
    Januarwoche den Besuch von Eitingon hatten, der sich so pflichtgetreu 
    in die Bresche gestellt hat und vorläufig die Geschäfte der Präsident-
    schaft weiterführen wird. Da er die Absicht hat, mit Anfangs März  
    dauernd nach Berlin zurückzukehren, erscheinen die nächsten und dringend-
    sten Sorgen hiermit beseitigt.  

    Ich habe einen kurzen Nachruf für Abraham für die I. Nummer des  
    neuen Jahrgangs geschrieben. Ich schlage vor, daß die 2., Frühjahrsnummer,  
    ganz oder vorwiegend seinem Andenken gewidmet sein soll. Diese Nummer  
    soll sein Bild bringen und den Abdruck aller Reden, die in den einzelnen  
    Vereinigungen zur Würdigung seiner Person und seiner Werke gehalten worden  
    sind. In Wien hat sich sein direkter Schüler, Dr. Th. Reik, der Aufgabe  
    unterzogen, zum Ausdruck zu bringen, was uns alle bei der Todesnachricht  
    bewegt hatte. Es geschah in einer Trauersitzung am 6. Januar, der ich aus-  
    nahmsweise selbst anwohnte. Ich habe von den anderen Vereinigungen keine  
    Nachrichten, aber ich nehme an, daß es in London und Budapest und Haag  
    ebenso gewesen sein wird und werde die Redaktion veranlassen, sich all  
    das Material für die Gedenknummer zu verschaffen. Einer der Aufsätze – ich  
    denke etwa von Jones – könnte als offizielle Würdigung der Sammlung voran-  
    gestellt werden.  

    In Erwartung der Anregungen, die jetzt von Ihrer Seite kommen mögen,  
    grüßen wir alle herzlich.  

    Freud  
    Anna Freud
     

  • S.

    Abschrift des Briefes von Prof. Freud an Rado.  

    Prof. Dr. Freud                             Wien IX., Berggasse 19.  
                                              28. 1. 26.  

    Lieber Herr Doktor!  

    Ihre Ansicht, das Abraham-Heft auf den Dezember zu verschieben,  
    war mir nicht sympathisch und Ihre Motivierung erschien mir undurch-  
    sichtig. Ich stellte dann Storfer zur Rede und erhielt von ihm die  
    Lösung, die ich nicht selbst erraten hatte, daß die Redaktionen bei-  
    der Zeitschriften die Absicht haben, meinen rundzähligen Geburtstag  
    durch je 1 Heft gesammelter Beiträge zu feiern. Prinzipiell gegen  
    alle Feierlichkeiten eingestellt, kann ich mich doch diesem Plane  
    nicht widersetzen und hoffe nur, daß Ihr Takt darüber wachen wird,  
    daß die Begrüßungsaufsätze so knapp und zurückhaltend als mög-  
    lich ausfallen werden, damit die Welt nicht das Schauspiel erhal-  
    te, wie der Herausgeber sich in seinen eigenen Organen feiern läßt.  
    Darüber darf ich wohl beruhigt sein.  

    Umso dringender erscheint es mir aber, die Huldigung für Abraham  
    nicht länger aufzuschieben, wenn ich selbst das Hindernis für ihre  
    Erledigung sein soll: Man kann keine Feste feiern, solange man die  
    Trauerpflicht nicht erfüllt hat. Es scheint mir unausweichlich,  
    daß die Nachrufe für Abraham früher erscheinen als die Festnummern  
    und ich habe mit Storfer darin folgende Lösung ausgearbeitet, die  
    ich Ihnen hier vortrage. Da das Datum der Festnummern determiniert  
    ist, so soll das zweite Heft der Zeitschrift möglichst bald nach  
    dem ersten, jedenfalls einige Wochen vor der Mainummer erscheinen.  
    Es braucht nichts anderes zu enthalten als die Protokolle der Trauer-  
    sitzungen und die gehaltenen Nachrufe, den von Jones etwa als offi-  
    ziellen vorangestellt. Dieses Heft wird nach Storfers Schätzung etwa  
    drei Bogen enthalten, der Überschuß kann auf die folgenden, das  
    dritte und vierte Heft verteilt werden. Es scheint mir auch unzweck–
     

  • S.

    Blatt 2)

    mäßig, Arbeiten aus dem Gebiet des Verstorbenen bei seinen  
    Schülern für eine Sondernummer zu bestellen, denn diese Bedin-  
    gungen vertragen sich schlecht mit der wissenschaftlichen  
    Arbeit und sind bekanntlich nicht imstande, Leistungen hervorzu-  
    rufen, durch die sich der Verstorbene geehrt fühlen könnte. Diese  
    Kritik gilt natürlich auch für die Beiträge, die für mich bestimmt  
    sind. Aber bei diesen fällt immerhin die Einengung auf bestimmte  
    Themata weg und die Zeitschriften bringen eben, was sie haben  
    und womit sie auch sonst den Raum gefüllt hätten.  

    Ich hoffe, daß Sie meinen Wünschen zugänglich sein werden.  
    Wenn es wirklich ein Festtag sein soll, daß ich bereits so alt  
    geworden bin, so soll unsere Stimmung keinen Moment durch die Er-  
    wägung gestört werden, daß wir die dringende Pflicht der Ehrung  
    des früh Dahingeschiedenen darum aufgeschoben haben.  

    Mit herzlichem Gruß  
                                 Ihr  
                                 gez. Freud.