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Rundbrief
vom 20. Oktober 1925.Liebe Freunde!
Nach Erhalt der beiden Briefe von London und Berlin nehmen auch
wir die Berichterstattung auf.Ueber das größte Ereignis der Ferien, den Kongreß in Homburg, bin
ich von verschiedenen Seiten genau unterrichtet worden. Mehrere der Vor-
tragenden haben mir auch eine Abschrift ihrer Vorträge zugeschickt. Die
Eindrücke von dieser Versammlung scheinen vorwiegend günstig gewe-
sen zu sein. Ich muß mich nachträglich bei der Kongreßleitung bedanken, daß
sie mit der Verlesung meines Aufsatzes eröffnet hat. Ich will nur sagen,
daß die amerikanische Beteiligung mir weniger imponiert hat als vielleicht
anderen, da ich den geringen Wert der Herren als Personen und als Mit-
glieder einer Vereinigung kenne.Die peinliche Folge des Kongresses, das Aufflackern der Erkrankung
bei unserem Präsidenten, scheint ja jetzt glücklich überwunden. Wir geben
beide unserer Freude darüber Ausdruck. Ich persönlich will Abraham gerne
zugestehen, daß sein Konsiliarius Fließ ein ganz hervorragender Arzt
ist. Aber wenn er berichtet, daß er sich teilnahmsvoll nach meinem Zustand
erkundigt hat, so muß ich sagen, diese Sympathiebezeugung nach zwanzig
Jahren läßt mich ziemlich kalt. Unsere große Freundschaft ging daran
zugrunde, daß er ein latenter Paranoiker ist.Leider muß ich auch bekennen, daß mir die Filmangelegenheit einen
üblen Geschmack hinterlassen hat. Ich finde, unsere Berliner Freunde haben
ein Maß von Schroffheit gezeigt, das sie in ihren harten Urteilen über die
betreffenden Personen fortsetzen und das ich nicht rechtfertigen kann.
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2.
Ich kenne die beiden Wiener ziemlich gut, habe eine bessere Meinung von
ihnen und kann die Nachrichten aus Berlin über die Entlarvung ihres
„Bluffs“ nicht glaubwürdig finden. Wenn das Material dafür von der Ufa
stammt, so werden meine Zweifel zur Sicherheit. Es ist mir übrigens als
sicher bekannt, daß sie reale Angebote von Firmen in Wien gehabt haben.Die Vereinstätigkeit hier hat mit einer Geschäftssitzung begonnen.
In nächster Woche finden die Wahlen statt, die wahrscheinlich nur die
Veränderung bringen werden, daß Rank als Sekretär durch Nunberg abge-
löst wird. Ich kann leider nur indirekten Einfluß auf die Vorgänge im
Verein nehmen, es besteht auch keine Aussicht, daß ich in diesem Jahr
den Sitzungen beiwohne. Von ferne bemühe ich mich, gewisse Einschrän-
kungen im Lehrinstitut, die jetzt festgelegt werden sollen, zu mäßigen.
Ich bin ja bekanntlich ein Fürsprecher der Laienanalyse und möchte die
analytische Belehrung in liberaler Weise allen Personen zugänglich machen,
die sie anstreben, auch wenn sie sich nicht den strengen Bedingungen
des vollständigen Lehrkurses unterwerfen können.Von den literarischen Zusendungen erwähne ich das Buch von
Fritz Mohr, Coblenz, welches therapeutisch orientiert ist und unserer
Psychoanalyse einen sehr großen Platz einräumt. Ich habe bei dem Autor
schriftlich gegen einige Auffassungen Einspruch erhoben.Wir versprechen, in den späteren Berichten die Vorgänge im Verein
und in der Literatur mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen.Mit herzlichen Wünschen für das Gedeihen der Jahresarbeit
Freud
Anna Freud