S.

Wien, 26. Nov. 1922

Liebe Freunde!

Eine Bemerkung in Abraham’s letztem Rundbrief veranlaßt mich, in die- sem Brief selbständig aufzutreten und das Wort direkt an Euch zu rich- ten.2 Ehe ihr aber weiter lest, bitte, vergeßt nicht daran, daß eine besonde- re Einschränkung des intellektuellen Horizonts, sowie eine künstliche Aufhöhung der emotionellen Besetzung für alles Folgende erforderlich werden. Wie unsere Beziehung zueinander im Komitee einmal ist, ge- gründet zumindest auf großen Respekt vor dem anderen und absolute In- teressengemeinschaft, läge es weit näher, einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus gesehen Eure gegenwärtigen Dissonanzen unter die Wahr- nehmungsschwelle fallen.

Abr. hat sein Bedauern ausgedrückt, daß die beiden letzten Briefe Rank’s nicht durch meine Hände gegangen sind, als ob er mir ein derartiges Be- nehmen oder solche Äußerungen niemals zutrauen würde. Nun, daran ist etwas irrig. Die Rundbriefe sind von uns beiden gemeinsam entworfen und werden mir nach der Ausfertigung nochmals vorgelegt. Es steht also nichts drin, wofür ich nicht die Verantwortung mitzutragen hätte. Abr.’s Vermutung sehe ich gewiß im freundschaftlichsten Licht, aber ich kann es doch nicht unterstützen, wenn irgendwo eine Neigung bestehen sollte, Af- fekte, die mir gelten, an Rank zum Vorschein zu bringen.

Um die Einzelheiten dieser ersten »Affaire« habe ich mich allerdings we- nig bekümmert. Rank hat in einem Zirkular, das nicht von ihm ausging und nicht auf seine Initiative hin ausgeschickt wurde, die Termine einge- setzt, die ihm im Interesse der Zeitschriften zweckmäßig erschienen. Ob damit eine Eigenmächtigkeit und ein Eingriff in die Rechte der Zentrale verbunden ist, erscheint mit so gleichgiltig und so schwer faßbar, daß ich gerne Rank die Aufklärung oder Rechtfertigung seines Vorgehens über- lasse. Er hat sie, glaube ich, in einem besonderen Schreiben an Abr. ver- sucht. Es tut mir leid, an dem so korrekten und grundgütigen Freund Abr. ein Anzeichen von solcher Reizbarkeit, gewiß aus ferner liegender Quelle zu bemerken.

Ernsthafter schätze ich die anderen Differenzen, die bald an dies, bald an jenes sich anheftet, zwischen Jones und Rank spielen und hier glaube ich sicher zu sein, daß ich selbst der Hauptbeteiligte bin und daß Rank ziem- lich unschuldig dazu kommt, als Schirm, der den negativen Anteil einer Ambivalenzäußerung aufzufangen hat. Seit mehreren Monaten bin ich in die peinliche, aber unvermeidliche Lage versetzt, Freund Jones zu kriti- sieren, ihm meine Unzufriedenheit mit seinem Vorgehen gegen verschie- dene Personen auszudrücken, seine Tätigkeit als Direktor der Press an- zugreifen u dgl. u ich tue es mit gewohnter Offenheit, hoffentlich ohne alle Bitterkeit und ohne den Eindruck zu erwecken, daß ich darum Jones’ Wert und Verdienste vergessen hätte.

Ich wollte, ich wäre wirklich unfehlbar und Ihr wüßtet es alle, dann wäre es auch für Euch leichter, Stellung zu nehmen und Entscheidungen zu treffen. Da dieser Wunsch gewiß nicht zu erfüllen ist, kann ich nichts an- deres tun, als den Sachverhalt vor Euch offen darzulegen. Gibt mir der und jener von Euch so und soweit Unrecht, so rechne ich eben auf die To- leranz, die ich selbst zu üben bereit bin. Es wird sich wohl auf keiner Sei- te etwas wirklich Arges und Unverzeihliches finden lassen. Differenzen sind auch in einer Familie nicht zu vermeiden, dahinter steht die Sicher- heit, daß man nicht von einander loskommen kann und auch gar nicht will.3

Eine praktische Folgerung möchte ich aber schon jetzt aus den angedeute- ten Wechselbeziehungen ableiten. Ich will an der nächsten Komiteezu- sammenkunft nicht teilnehmen. Es ist mir zu wichtig, daß Ihr, in deren Händen die Zukunft der Analyse ruht, Euch an einander abgleicht und in direkte Beziehungen zu einander tretet. Meine Gegenwart ist wahrschein- lich das Hindernis dabei. Wenn meine Ausstellungen an Jones berechtigt sind, so sollte noch etwas anderes geschehen: Jones sollte die kurze Ana- lyse, die er seinerzeit bei Ferenczi gehabt hat, vervollständigen lassen.

Ich kehre zu dem Schauplatz zurück, auf dem sich dieser latente Konflikt manifest abspielt, zur Affaire Jones-Rank aus Anlaß der Verlegung des Verlags nach Berlin, und benutze gleichzeitig die Gelegenheit zur Dar- stellung der realen Situation, wie sie mir erscheint.

Ganz zu oberst stoße ich da auf eine Verwechslung auf Seiten Jones’, die leicht zurechtzurücken ist. Er beklagt sich darüber, daß nicht auch die an- deren Direktoren befragt worden sind, und sieht in dieser Unterlassung gewiß einen neuen Beweis für Rank’s Neigung zu diktatorischen Akten. Allein Jones irrt sich: es gibt keinen anderen Direktor des Verlags als Rank. Er verwechselt den Verlag mit der Ge.m.b.H., welche als Gesell- schafter ihn, Ferenczi, Rank, mich u Eitingon (als in Aussicht genomme- nen Nachfolger Freund’s) umfaßt. Keiner dieser Gesellschafter – außer Rank – ist Direktor des Verlags, keiner hat als Einzelperson ein Recht dareinzureden, nur die Gesellschaft als Ganzes. Wenn der Gesellschafter Jones mit der Entschließung des Direktors nicht einverstanden ist, so er- gibt sich als einzig korrekter Weg, eine Zusammenkunft der Gesellschaft zu verlangen, in der der Direktor sich rechtfertigen soll. Erklärt dieser ge- gen die Majorität der Gesellschafter, daß er das Geschäft nicht anders betreiben kann, so muß die Gesellschaft einen anderen Direktor bestellen. Wahrscheinlich würde der Direktor aber geltend machen, daß die ganze Angelegenheit eine rein interne ist, da es der Gesellschaft gleichgiltig sein kann, wo die Bücher hergestellt und wie ihr Verkauf betrieben wird, vor- ausgesetzt es geschieht auf zweckmäßige und billige Weise. Wohlge- merkt – Rank hätte dies gleich klar machen sollen – Verlegung des Ver- lags ist nicht die zutreffendste Bezeichnung, denn die Firma bleibt in Wien, ebenso die Redaktion, – auch die Lokalitäten werden beibehalten – nur die Herstellung und der kaufmännische Betrieb werden übersiedeln. Den Herstellungs-, d. h. den Druckort hat der Verlag bereits früher einmal gewechselt, ohne daß es jemand bekümmert hätte.

Eine zweite Verwechslung oder Unklarheit liegt darin, daß J. glaubt, er sei durch den Rundbrief wieder vor ein fait accompli gestellt worden,

d. h. er meint die Nachricht erhalten zu haben, daß das Stück der Verlags- tätigkeit nach Berlin übersiedelt ist, anstatt der Ankündigung, daß es ge- schehen soll. Rank macht eben, sobald er die Übersiedlung als notwendig erkannt hat, Mitteilung von dieser seiner Absicht. Es ist Zeit genug, Ein- sprüche geltend zu machen. Es ist nichts geschehen, als daß einige Ange- stellte für’s Jahresende gekündigt wurden. Wenn jemand uns alle vom Komité‚ das die Gesellschafter einschließt, überzeugt, daß die Verlegung schädlich ist und uns die Mittel giebt, in Österreich auszuharren, können sie wieder engagiert werden oder andere an ihrer Stelle.

Fast möchte ich annehmen, daß eine dritte Verwechslung Platz gegriffen hat, nämlich als ob Rank angekündigt oder verlangt hätte, die Press über- siedle nach Berlin und nicht bloß der Verlag.

Davon ist natürlich nicht die Rede gewesen. Die Sache der Press sehe ich in folgendem Licht. Es war von Anfang an unrichtig, die Beziehung von Press u Verlag im Unklaren zu lassen und die Lösung aller möglichen Komplikationen von dem guten Einvernehmen der daran Beteiligten zu erwarten. Die ersten Schwierigkeiten brachte Hiller mit sich, ein braver Junge und gewissenhafter Arbeiter, der aber unbrauchbar war in kauf- männischer und geschäftlicher Hinsicht, das artistische Interesse an der Buchherstellung – nach unserer Meinung – übertrieb, darum viel Geld kostete, wenig einbrachte und nicht kontrolliert werden konnte, da er sich nicht als Angestellter des Verlags, sondern als Ambassador Jones’ fühlte u benahm. In Berlin forderte ich darum ein möglichst vollkommenes Aufgehen der Press im Verlag, oder eine weitgehende Trennung der bei- den. Jones schien mit allem einverstanden, aber es geschah nichts zur Än- derung. Nun kam nach dem Kongreß der plötzliche Sturz der Mark, damit die Unfähigkeit des Verlags in Deutschland Bücher zu verkaufen u die Nötigung, die Buchherstellung der Billigkeit wegen, nach Deutschland zu verlegen. Jetzt war das Verhältnis Verlag – Press zur Lösung reif. Die bisherige Unklarheit konnte nicht fortbestehen. Für die Press besteht die Nötigung der Übersiedlung nach Berlin nicht, denn sie stellt Bücher her, die nicht mit deutschen sondern mit englischen konkurrieren werden. Sie könnte auch in Wien bleiben, nur würde sie die Anlehnung an den Verlag (Regie u Personal) nicht mehr finden. Ich weiß, daß bei manchen Englän- dern der Verdacht besteht, der Verlag oder Rank wolle die Press, an der sie eine Art Eigentumsrecht haben, gleichsam an sich reißen. Nichts daran ist wahr, vielmehr werden die Engländer die freie Wahl zwischen mehre- ren Möglichkeiten haben und wir in Wien – Rank u ich – werden gewiß nicht die Entscheidung treffen, auch wenn Jones sie uns ausdrücklich überträgt.

Die Möglichkeiten sind:

a) Die Press kann sich dem Verlag anschließen, Redaktion u Geschäftli- ches besser als bisher trennen, also Herstellung u Vertrieb geschultem Personal in Berlin übertragen, während in London ein Redaktionskomité gebildet wird, welches wie die Wiener Redaktion arbeitet. Die beiden Be- triebe würden in Berlin gesonderte Buchhaltung u finanzielle Gebarung haben, einander sonst schwesterlich fördern und aushelfen. Die Schwie- rigkeit dabei [ist] gewiß die, daß die Engländer einem deutschen Herstel- ler kein Vertrauen schenken werden.

b) Die Press geht auch mit der Herstellung nach London, bleibt dabei in intimen Beziehungen zum Verlag. Ideale Lösung, vorausgesetzt, daß sich die Mittel finden, den gewiß weit kostspieligeren Betrieb in London durchzuführen.

c) Der Direktor der Press überträgt Herstellung und Betrieb einem engli- schen Verleger unter Wahrung aller Rechte der Redaktion. Nachteil: der etwaige Gewinn fiele dem Verleger, nicht der ya Bewegung zu und der Verleger könnte sein Material an deutschen Arbeiten nicht ohne gute Ent- schädigg zur Verfügung stellen. 
Ich bin froh, die mir fremde Materie verlassen zu können. Zu unserer Be- friedigung ist Dr. Rickman hieher gekommen, um die Situation zu studie- ren u das Material zu sammeln, auf Grund dessen Jones mit seinen Eng- ländern in London die Entscheidung treffen wird.
So sehe ich die Situation und wiederum finde ich keinen Grund Rank, der diesmal, wie immer bisher, sein Letztes gibt, Vorwürfe zu machen. Ich meine, es wäre keinem von Euch eingefallen, wenn fremde Affekte nicht die freundschaftliche Einstellung trüben würden. Mich aber solltet Ihr nicht in die pathetische Rolle des alten Attinghaus drängen, dessen letzte Worte bekanntlich lauteten:

Seid einig – einig – einig.4

Ich lebe noch u hoffe Euch erhaben über derartige Empfindlichkeiten, durch gemeinsame Arbeit untrennbar verbunden zu sehen.

Freud

[Beilage auf Freuds Briefpapier:]

 

27. XI. 22

 

P. S.

Es ist mir eingefallen, daß der Betrag von $ 948, um die allerdings nicht großen Summen vermindert werden muß, die ich (Harzreise/Reik) vom Fond bezogen habe.

Ich bitte Sie auch Rickman zum Meeting, das er aufschreiben will, zu drängen.

Herzlich

Freud

Freud, letter to the ›Secret Committee‹, 26.11.1922

„Eine Bemerkung in Abraham’s letztem Rundbrief veranlaßte mich, in diesem Brief selbständig aufzutreten und das Wort direkt an Euch zu richten. […] Die Rundbriefe sind von uns beiden gemeinsam entworfen und werden mir nach der Ausfertigung nochmals vorgelegt. Es steht also nichts drin, wofür ich nicht die Verantwortung mitzutragen hätte. Abr.’s Vermutung sehe ich gewiß im freundschaftlichen Licht, aber ich kann es doch nicht unterstützen, wenn irgendwo eine Neigung bestehen sollte, Affekte, die mir gelten, an Rank zum Vorschein zu bringen.“