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XXIX.
1894
Die Abwehr-Neuropsychosen.
Versuch einer psychologischen Theorie der acquirirten Hysterie, vieler Phobien
und Zwangsvorstellungen und gewisser hallucinatorischer Psychosen.
(Aus: Neurolog. Centralbl. 1894, Nr. 10. u. 11.)
Die erste einer nun folgenden Reihe von kurzen Abhandlungen,
welche sich die Aufgabe stellen, für eine in Bearbeitung begriffene Ge-
samtdarstellung der Neurosen auf neuer Grundlage vorzubereiten.
Die Bewusstseinsspaltung der Hysterie ist kein primärer, auf
degenerativer Schwäche beruhender Charakter dieser Neurose, wie
Janet versichert, sondern der Erfolg eines eigenthümlichen psychi-
schen Vorganges, der als „Abwehr“ bezeichnet und ausser bei
Hysterie bei zahlreichen anderen Neurosen und Psychosen durch
kurz mitgetheilte Analyse nachgewiesen wird. Die Abwehr tritt
ein, wo sich im Vorstellungskreis ein Fall von Unverträglichkeit
zwischen einer einzelnen Vorstellung und dem „Ich“ ergiebt. Der
Abwehrvorgang lässt sich bildlich so darstellen, als ob der zu
verdrängenden Vorstellung ihr Erregungsbetrag entrissen und einer
anderen Verwendung zugeführt wurde. Dies kann auf mehrfache
Art geschehen: bei der Hysterie wird die frei gewordene Erregungs-
summe in körperliche Innervation umgesetzt (Conversionshysterie);
bei der Zwangneurose verbleibt sie auf psychischem Gebiete und
hängt sich an andere, an sich nicht unverträgliche Vorstellungen,
welche somit die verdrängte Vorstellung substituiren. Die Sache
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