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XXXVII. 1896
L’hérédité et l’étiologie des névroses.
(Aus: Revue neurologique T. IV, 1896, Nr. 6.)
Die bisherigen Resultate der Psychoanalyse betreffs der
Aetiologie der Neurosen werden zur Kritik der herrschenden Lehre
von der Allmacht der Heredität in der Neuropathologie verwendet.
Man hat die Rolle der Heredität nach mehrfachen Richtungen über-
schätzt. Erstens, indem man zu den vererbbaren Neuropathien Zu-S.
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scheinlich zumeist von organischen Affectionen der Kopfhöhlen
(Nase) abzuleiten sind. Zweitens, indem man alle auffindbaren Ner-
venleiden der Verwandten als Zeugen hereditärer Belastung ver-
werthete und so von vornherein keinen Raum für erworbene
Neuropathien liess, welche als solche Zeugnisse kein Gewicht be-
sitzen konnten. Drittens hat man die ätiologische Rolle der
Syphilis verkannt und von ihr stammende Nervenleiden auf die
Rechnung der Heredität gesetzt. Es ist aber auch ein principieller
Einspruch gegen die Form der Heredität gestattet, die man als
„ähnliche Vererbung“ (oder mit Verwandlung der Erkrankungs-
form) bezeichnet, und welcher eine beiweitem wichtigere Rolle als
der gleichartigen Vererbung zufällt. Wenn die Thatsache der here-
ditären Belastung in einer Familie sich darin ausdrückt, dass bei
den Mitgliedern derselben beliebige Nervenleiden, Chorea, Epilepsie,
Hysterie, Apoplexien etc. ohne nähere Determinirung einander er-
setzen, so bedarf es entweder der Kenntniss der Gesetze, nach
welchen solche Vertretung erfolgt, oder es ist Raum übrig für be-
sondere Ätiologien, welche eben die Auswahl der wirklich er-
folgenden Neuropathie bestimmen. Gilt gar solche besondere Ätio-
logien, so sind dies die gesuchten specifischen Ursachen der ein-
zelnen klinischen Formen, und die Heredität tritt in die Rolle einer
Förderung oder Bedingung zurück.
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