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    PROF. D, FREUD
    WIEN IX., BERGGASSE 19.

    15.1.1929

    Dear Ruth

    Nein, ich schicke noch keine Begrüßung 
    für das Baby, es soll sich noch Zeit lassen, 
    kommt immer früh genug in diese 
    problematische Welt, in der es gegen-
    wärtig so kalt ist, daß ich in der Zeit 
    des gewohnten Morgenspaziergangs 
    mit Wolf u Lun Brief schreiben 
    darf. Sie fragen ja soviel und es giebt 
    soviel zu beantworten.

    Um den Sinn davon frei zu bekommen, 
    erzäle ich Ihnen zuerst, daß sich auf An-
    regung von Marie, die am 12 dM in bester 
    Verfassung abgereist ist, sich eine förmliche 
    G., m b.H.., in b. H. zur Ausbeutung meines Katarrhs 
    gebildet hat.  Sie besteht aus Schur, Hirsch 
    u dem Bakteriologen Frisch. Haupt-
    aktionär scheint Schur zu sein, der 
    in der Leitung von Marie’s Behandlung 
    therapeutische Triumphe gefeiert hat. Die 
    therapeutische Maßregeln sind 1) Kalk-
    medikation, 2) Quarzlampenbestralung 
    3) antibakterielle Einwirkungen nach 
    Untersuchung und Isolirung der in 
    meiner Nase domizilirenden Arten. 
    Ich erwarte die Aufforderung zur 
    Zusammenkunft bei Hirsch zu er-
    scheinen, in den nächsten Tagen.

    Nun zu David, der Ihnen ja Beiden nahe 
    steht. Nach meiner ersten Drohung hat 
    er sich zusam̄engenom̄en und das Studium 
    für die Prüfung in Anatomie fort-
    gesetzt. Das hielt zwei Tage an, dann 
    produzirte er einen ausgiebigen Rück-
    fall in seine Perversion und 
    erschien bei mir mit den Worten: 
    das ist wahrscheinlich meine letzte Stunde.  
    Da er aber das Honorar nicht mitge-
    bracht hatte, hatte ich Grund auch an 
    dem Ernst dieser Entscheidung zu 
    zweifeln und räumte ihm noch

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    eine Stunde ein. Zu dieser (am Samstag) erschien 
    er wieder beruhigt, erklärt zwar, die 
    Medizin habe er endgiltig aufgegeben, 
    aber sein Benehmen war zum ersten 
    Mal seit einem Jahr vernünftig und 
    analytisch brauchbar so daß wir überein-
    kammen, vorläufig fortzusetzen.  Er gieng 
    dann über Weekend zu seiner Frau 
    auf den Semmering, kam gestern 
    (Montag) wieder ganz der Alte, ganz im 
    sinnlosen Widerstand, ganz fixirt an 
    das „Trauma“ meiner ersten Kritik bei 
    Beginn der Kur, das seine paranoische 
    Reaktion ausgelöst hat. Lange läßt 
    sich das Spiel nicht fortsetzen, wir 
    werden plötzlich mit einander fertig 
    sein. Trost schein er für diesen Fall 
    nicht zu bedürfen.  Er hat bereits den 
    Plan, sich nach London unter Lawrence 
    Kubies’s (?) Flügel zu flüchten und 
    es mit seinem Analytiker Glover 
    zu versuchen.  Mir ist alles recht, wenn 
    er nur überhaupt eine Entscheidung 
    zustande bringt.  Die Genugthuung, 
    von mir weggejagt zu werden, möchte 
    ich ihm ja nicht verschaffen.

    Pribram habe ich einmal, Eckstein schon 
    zweimal gesehen. Nichts Neues. Gestern 
    hatten wir Gesellschaftsabend, Federn’s 
    Referat über die Charaktere der 
    Lehranalyse war so eine Quälerei 
    und ärgerte mich so sehr, daß ich 
    selbst einen langen Vortrag im-
    provisirte. Der Verlag ist in elender 
    Situation, schließt seine Bilanz für 1928 
    mit einem Defizit von 15.000 $!  Das ist 
    einerseits die Folge der kostspieligen Über-
    siedlung und der schlechten Wirtschaft des 
    meschuggenen Storfer, anderseits führt 
    es sich nachweisbar auf den verringerten 
    Absatz der analytischen Bücher zurück, 
    die sich nun einmal für die Popularität 
    nicht eignen. Wer soll dieses Defizit 
    bezalen? Der Krach wird kaum

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    zu vermeiden 
    sein. Eitingon u Ferenczi kom̄en 
    am 23st nach Wien, um über 
    den Zustand zu beraten. 
    Bei Busch heißt es einmal 
    sehr erfreigend: 

    „Hirt, Hund und Herde stehen 
    stumm 
    um diesen Unglücksfall 
    herum“

    Ich sehe, daß Sie sich 
    große Mühe geben, in ein 
    gutes Verhältnis zu den 
    NY Kollegen zu kommen, 
    aber es wird lange dauern, 
    bis es gelingt, und wenn 
    Sie nicht bleiben, lohnt 
    es kaum die Mühe. 
    Über Wittels habe Ihnen 
    schon geschrieben. Sein Ver-
    leger, ein gewisser Furman
    war bei mir, er will mit 
    meinen Büchern in Amerika 
    ein Geschäft machen, kennt 
    aber die Situation nicht 
    und wußte nicht einmal, 
    daß die Hogarth Press 
    existirt. Ich habe ihm grad-
    heraus erklärt, die 
    amerik Öffentlichkeit 
    interessirt sich nicht für 
    Wissenschaft, sondern 
    nur für scandal, er 
    soll die Idee aufgeben.

    Editorische Anmerkung: 
    Busch, Wilhelm Adelens Spaziergang. In: Fliegend Blätter und Münchner Bilderbogen 1859-1964. http://www.zeno.org/Literatur/M/Busch,+Wilhelm/Vermischtes/Fliegende+Blätter+und+Münchner+Bilderbogen+1859+-+1864 []2025-09-09]
    Volltext: https://www.projekt-gutenberg.org/wbusch/adele/adele3.html

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    Derselbe Mann hat auch die Bücher 
    von Calverton u von einem 
    gewissen Schmalhausen her-
    ausgebracht, der auch unter 
    den Namen House u sogar 
    King schreibt. Elende Mach-
    werke, auf die neueste 
    Sensation der befreiten 
    Sexualität berechnet.  Er 
    plagt mich u auch Anna mit 
    Zuschriften u Sendungen, 
    ich antworte ihm nicht, 
    mehr neugierig, ob er 
    sich auch an Sie herandrängt.

    Ich darf Ihnen nicht ver-
    raten, wie oft die Frauen 
    bei Tisch davon sprechen, 
    daß man Sie und Mark 
    bei jedem Anlaß ver-
    mißt, nachdem das Zusam̄en-
    leben so selbstverständlich 
    war.

    Seit Marie’s Abreise habe ich 
    an ihrer Statt Eva Rosenfeld 
    in Analyse genom̄en. Ruths 
    ist noch in Assouan, der von 
    ihm angekündigte Gott ist 
    noch nicht gekommen. Es muß 
    eine Art Messias sein.

    Mit herzlichen Grüßen 
    für Ihre Dreieinigkeit 
    Ihr 
    Freud