• S.

    PROF. DR. FREUD    WIEN IX., BERGGASSE 19
    Semmering

    1 Juli 27

    Dear Ruth

    Ich danke für Ihre beiden 
    Briefe aus Paris und 
    erwarte Ihre weiteren 
    Nachrichten aus dem lieben 
    Land Amerika.

    Hier ist schönes Wetter, wirk-
    licher Sommer. Die Familien-
    invasion sehr erfreulich, das 
    kleine Evchen in großes 
    Vergnügen, Minna in der 
    Schweiz, alle wol.

    Ich bin seit einigen Tagen ohne 
    Arbeit, genieße es nicht 
    recht, denn mein Allgemein-
    gefül ist nicht gut, obwol 
    das Herz ganz Ruhe giebt. 
    Mit der Prothese bin ich 
    recht unzufrieden. Das 
    hören Sie gewiß gern, aber 
    Sie werden nichts davon 
    haben.

    Ich habe einen kurzen Nachtrag 
    zur Diskussion der Laien-
    analyse geschrieben, der 
    in eine Kritik unserer 
    amerikanischen Kollegen 
    ausläuft. Diese ist aber 
    so bitterböse ausgefallen, 
    daß ich hoffe, Eitingon,

  • S.

    dem ich die Entscheidung über-
    lassen, wird dieses Stück 
    als unpolitisch u gefährlich 
    streichen. Anderes habe 
    ich noch nicht begonnen.

    Rank’s „genetische Psycho-
    logie I ist ebenso frech 
    wie falsch. Er wird sich mit 
    Riesenschritten von uns 
    abgesondert haben.

    Marie will nach dem Kongreß 
    auf 3 Monate kom̄en. Das 
    Programm für Sept ist 
    überhaupt sehr reichhaltig. 
    Ferenczi längst in Europa
    jetzt Baden‑Baden, läßt 
    wenig von sich hören. Wenn 
    man alt wird, merkt man 
    doch, wie man allen im 
    Weg steht.

    Empfehlen sie mich Ihren Eltern 
    und denken Sie selbst oft 
    an unsere schöne schwere 
    Arbeit wie an unser gutes 
    Einverständnis.

    Herzlich Ihr
    Freud