• S.

    21. 4. 07

    Lieber u geehrter Herr College.

    Es ist schön, daß Sie mich um sovieles fragen, wenngleich 
    Sie wissen, daß ich nur den kleineren Theil 
    davon beantworten kann; auch mir wird der 
    Gedankenaustausch mit Ihnen wenigstens am 
    Sonntag zum Bedürf­niß.

    Ich sehe, daß Sie der Idee, die Rückbildung zum 
    Autoerotismus für die Dem. p. gelten zu lassen, 
    nähergetreten sind. Ich kann da ohne den Eindruck 
    des Materials nichts machen und weiß, daß man 
    aus drei ins Einzelne dringenden Analysen 
    mehr erfährt, als man je am Schreibtisch zusam̄en-
    stückeln kann. Was ich Ihnen unlängst von sol­cher 
    Provenienz geschickt, hat nur einen Wert, inso-
    fern es Rückschlüssen aus dem mir stets gegen-
    wärtigen Stoffe der beiden andern ΨΑ (Sie 
    gestatten u verstehen solche Abkürzungen) entspricht. 
    Im Ganzen meine ich, man muß mit der Beant-
    wortung gewißer Fragen Geduld haben, bis 
    man sehr viel mehr erfahren hat. Vermutungen 
    darf man indeß äußern, z B über die hysteriform 
    oder zwangsartig beginnenden Fälle. Aus der 
    Theorie läßt sich leicht verstehen, daß zuerst die 
    eine bei der Hy gebräuchliche Art der Abwehr 
    (die Niederhaltung der mit lib. Affekt besetzten 
    Vorstellg im Unbew) versucht wird, und sodann, 
    wenn die nicht mehr ausreicht, die weit radikalere 
    u verhängnisvolle der Abspaltg der Besetzu 
    u Zurückziehg derselben ins Ich an die Stelle 
    tritt. Der Fall wäre demnach wirklich anfangs 
    eine Hy und wandelte sich später in D. pr. um.

  • S.

    Sie merken, es wäre inkorrekt zu sagen, daß sich die 
    Hy in D. pr umwandle; die wird vielmehr abgebrochen 
    und durch die D. p. ersetzt. Alle unsere Redensarten 
    werden ja erst dem Urtheil zugänglich, wenn wir 
    so bestim̄te Vorstellungen über den Verdränggs-
    prozeß in die Sachlage eintragen. Andere Fälle 
    können direkt mit der für D. p. charakteristischen 
    Abwehrmetho­de beginnen; in noch anderen bleibt 
    es bei der Hy, weil das „so­matische Entgegenkom̄en“ 
    einen reichlichen Durchbruch gestattet. Das analoge 
    Beispiel von auf organischem Gebiet wäre etwa 
    das Verhältniß von Tabes u Paralyse. Gewöhnlich 
    tritt eine Paralyse nur zu einer kärglichen 
    Tabes hinzu; es ist bekannt, daß der sonstige 
    metaluetische Prozeß nicht fortschreitet, wenn 
    eine ordentliche tabische Blindheit ent­wickelt 
    wird. Ob man das dem Prozeß schon zu Anfang 
    ansehen kann, wird eine Frage der feineren 
    Diagnostik oder der vertiefteren Erfah­rung 
    bleiben.

    Ich bin übrigens sehr erstaunt, daß sich die 
    Rückkehr zum Aut. Erot. bei Ihren Fällen in 
    so großartigen Erfolgen durchsetzt. Wahr­scheinlich 
    ist wirklich die Jugend die Bedingung dafür u 
    ein seiner­ zeit schlecht durchgeführter Übergang 
    vom AutoEr zur Objekt­liebe das praedisponirende 
    Moment, worin das „Originäre“ der Autoren 
    zu suchen wäre. Grob gesagt, entspräche die 
    Demenz dem Gelingen dieser Rückkehr, die 
    Paranoia dem Mißlingen, dh. der Wiederkehr 
    der Libido von den Wahrnehmungen her. Dazu 
    alle Übergänge. Die Rückkehr zum AutoEr.

  • S.

    wäre wirklich so vernichtend für die Integrität der Person, 
    wie Sie es vermuten. Bei dem ganzen Prozeß wä­ren 
    noch die einzelnen Lib‑componenten u vor allem 
    die Bise­x in Betracht zu ziehen. Ich gäbe etwas darum 
    wenn ich mein Geschäft im Stiche lassen u mit Ihnen 
    diese gewiß lehrreichste u verständlichste Form der 
    ΨN studiren könnte, aber ich bin leider auf den 
    Erwerb angewiesen u muß beim Tagewerk bleiben, 
    was mich ge­rade jetzt sehr müde macht.

    Eine ψ Determ. für die Katatonie scheint mir 
    nicht un­bedingt erforderlich (ich muß da Riklin 
    nachlesen). Mit der Verschie­bg der Besetzgen 
    müßen ja große Modifikationen der Innerva­tion, 
    also physiolog. Erfolge verbunden sein wie bei Hy
    Die Verschiebg des sex. Reizgefüls auf die Aftergegend 
    bei De­m. pr. und die andern Perversionen deute 
    ich natürlich im Sinne der „Sexualtheorie“ nicht als 
    Verschiebgen, sondern als Wieder­herstellgen der 
    alten primären Macht dieser erogenen Zonen, 
    die sich so bei Dem pr. prächtig verraten würden. 
    Die Magengrube gehört zur Mundzone. resp 
    zu dem vorderen den Magen einschließen­den 
    Abschnitt des Darmtraktes, siehe Hy. 

    Die Arbeit von Sollier habe ich nicht gelesen. Was ich 
    sonst von ihm kenne (Hysterie, Ge­dächtniß) ist 
    hilfloses Geschwätz u grobe Misdeutung der 
    Natur. Sie werden finden, daß ich wider als 
    Papst gegen die Ketzer wüte. Aber kann ich 
    die Dinge auf zweierlei Art sehen?

    Eigentlich muß ich doch sagen, was Sie im vorigen 
    Brief über das Reak­tionsverhalten einer Pat. 
    mit Dem pr, die Widerstands­losigkeit der Analyse 
    die Flüchtigkeit der Übertragg mittheilten, das 

  • S.

    fordert doch die Diagnose des AutoEr geradezu heraus? 
    Daß dieser AutoEr sich ganz anders dar stellt als 
    beim Kinde, ist doch ganz selbstverständlich. Der 
    senile Schwachsinn ist doch auch sehr von dem intellekt 
    Verhalten des Kindes verschieden, wenngleich er 
    einer Rückbildg zur infantilen Stufe entspricht. Es 
    fehlt doch die Fä­higkeit Fortschritte zu machen. 
    Hier wie dort. Der Aphasische und das sprachlernende 
    Kind geben die gleichen Verschiedenheiten. –

    Gestern ist meine Vergleichung von Zw und Religion 
    in der ersten Num̄er der neuen Zeitsch f. 
    Religionspsychologie erschienen. Ich besitze noch 
    keine S.Abdrucke. Auch auf die „Gradiva“ muß ich 
    noch warten.

    Den Görlitzer Jungen werden Sie vielleicht später 
    nehmen können. Er dürfte höchst lehrreich sein.

    Nehmen Sie die Bürde, mich zu vertreten, nicht 
    allzu schwer. Sie sind so beneidenswert jung 
    unabhängig, haben vielleicht das onus aber nicht 
    das odium der Sache u werden in späteren 
    Jahren die volle Be­lohnung für die Arbeit 
    einheimsen. In Anbetracht der Wichtigkeit der 
    Sache ist der Widerstand vielleicht nicht 
    einmal so exorbitant.

    Lassen Sie mich bald wieder Neues 
    aus Burghölzli hören. Wenn Bleuler u Sie 
    auch die Libidotheorie bekannt haben, wird 
    es doch einen hör­baren Krach in der 
    Literatur geben.
    Ihr herzlich ergebener 
    Dr Freud

    odium] Beigeschmack
    onus] latein., Bürde, Last