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[In der gedruckten Korrespondenz ist das Datum mit 5. 12. 1912 angegeben. NAch Prüfung der Inhalte, wird er auch mit diesem Datum eingereiht.]
5.11.1912
PROF: DR. FREUD. WIEN, IX. BERGGASSE 19.
Lieber Herr Doktor
Besorgen Sie nicht wieder, daß ich nun Ihren
„neuen Stil“ übel nehme. Ich meine, daß im
internen Verkehr der Analytiker wie
in der Analyse selbst jede Form der Auf-
richtigkeit gestattet ist. Die Misbräuche der ΨΑ
auf die Sie hindeuten, in der Polemik und
zur Abwehr des Neuen, machen mich selbst
seit längerer Zeit nachdenklich; ich weiß
nicht, ob sie ganz zu verhüten sind u kann
vorläufig nur das Hausmittelchen dagegen
empfehlen, daß sich jeder von uns mit
der eigenen Neurose eifriger beschäftige
als mit der des Nächsten.Verzeihen Sie, wenn ich die in Ihrem Brief
eingehaltene Relation umkehre und mehr
Raum dem Praktischen widme, was sich
wenigstens leichter brieflich erledigen
läßt. Ich meine die Bergmann‑Sache,
in welcher ich ein Stück Unbefriedigung
nicht verberge. Ich finde Ihre Informationen
wie von fern her gegeben und kann
die Stücke derselben nicht zusam̄en-
leimen, auch keinen Schluß auf die
Stellung der neuen Zeitschrift daraus
ableiten. Ebensowenig kann ich mit meinen -
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Vorschlägen hervortreten, einen dem Verein
erwachsenden Schaden ganz oder theilweise
selbst zu decken, solange ich nicht weiß, was
dadurch abgekauft werden soll. Endlich fällt
es mir schwer, Ihre eigene Parteinahme
zu verstehen oder als berechtigt anzuer-
kennen.Sie haben sich gewiß selbst in Amerika den
Grundsatz angeeignet, daß, wer auf Er-
werb ausgeht, verpflichtet ist, sich Personen
und Verhältniße genau anzusehen, von
denen seine Erwerbschancen abhängen.
Unorientiertheit ist auch in Europa keine
Entschuldigung für den Geschäftsmann.Ich habe weniger Mitleid als Sie mit B., wen̄
er sich von St. hat irreführen lassen, ist
es seine Sache. Er hat auch mich genug ge-
schädigt.Wenn B. meint, er habe mim in seinem
Brief nicht meines Amtes als Herausgeber
entbunden, so setzt er den Wert seiner
Äußerungen selbst herab. Ich lege
Ihnen diesen Brief bei, sowie seine
vorhergehende Äußerung. Er akzeptirt
glatt meine Ankündigung des Rücktritts
und verspricht in der nächsten Num̄er
des Blattes davon Nachricht zu geben.
Das soll nun nicht heißen, daß er mich ausläßt! -
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Fand er, daß ich kontraktlich gebunden
bin, bis zum Ende des Jahrganges zu bleiben,
so war das der Moment, mich darauf auf-
merksam zu machen, anstatt mir die Ver-
öffentlimung zuzusagen. Mein etwaiger
„Kontraktbruch“ kom̄t also überhaupt
nicht in Frage. Von dieser Antwort B’s an
konnte ich mich als frei betrachten, ob ich
es vorher war oder nicht.Was also B. jetzt von mir will, weiß ich
nicht. Sein Benehmen gegen mich, seine
Parteinahme für St. u sein Brief
lassen sich nicht ungeschehen machen; auch habe
ich keine Lust, den Druck der ersten
Num̄er der Zeitschrift aus Rücksimt auf
ihn zu inhibiren. (Ich bitte Sie um Rück-
sendung der beiden beigelegten Briefstücke)Nun zur Imagofrage, in der Sie zu meinem
Bedauern gegen mich Partei nehmen. Im muß
mich dabei erinnern, daß Sie auch bei der
Schöpfung der Imago nicht als Praesident der
I. ., sondern als Redakteur des Jahrbuches
reagirt haben. Ich kann weder den Verleger‑
noch den Redakteurstandpunkt einnehmen
u lasse mich vom Standpunkt der ΨΑ Sache gerne
mit dem Vorwurf belasten. Das Zentralblatt -
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war für die nichtärztlichen Aufgaben insuffizient, wir brauchten ein anderes Organ, das ich mir als Anhang ans >Zentralblatt< vorstellte und darum zuallererst Bergmann" anbot. Er lehnte ab, so mußte es von anderer Seite gemacht werden. Die Gefahr, daß der Verleger ein Jahr später zu einer gewissen" Abonnentenzahl komme, machte mir keinen großen Eindruck. Die heiden Blätter sind entschieden werbekräftiger als eines allein, das eine kommt schließlich dem anderen zu Hilfe. Stekel hat von Anfang an gegen die >Imago< geschürt. -
Es tut mir leid, daß im auf die Würdigung" Ihrer Benlerkungen über die Neurosen der Analytiker nicht weiter eingehen kann, es soll nicht als Ablehnung gefaßt werden. Im einen Punkt wage ich einen krassen Widerspruch: Durch meine Neurose sind Sie nicht zu Schaden gekommen, wie Sie meinen.
Obwohl Sie die Reise zu Bergmann in offizieller Eigenschaft gemacht haben, danke ich Ihnen doch privatim für Ihre Bemühung und grüße Sie, Ihrer gefälligen weiteren Mitteilung gewärtig,
herzlich
Ihr
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
1003 Seestraße
Küsnacht 8700
Switserland
C32F27