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S.
Wien, am 3. Jan 1913
Geehrter Herr Praesident.
Lieber Herr Doktor
Ich teile Ihre Meinung, daß die Rundschreiben
der Redakteure dieser Zeitschrift (nicht
meine Rundschreiben, wie es in Ihrem Brief
heißt) den Weg über das Praesidium
hätten machen sollen, und werde den beiden
von Ihrer Rekrimination Mitteilung
machen. Böse Absicht darf man wol mit Sicher-
heit ausschließen.Die Arbeit von Burrow ist heute angelangt.
Ihr Wunsch, ihn auf dem Kopf der Zeitschrift
zu sehen, wird für die Redakteure – die
ich in diesen Tagen nicht gesprochen habe –
gewiß ebenso maßgebend sein wie für
mich.Beide Anregungen sind uns als
Anzeichen Ihres Interesses für das
neue Organ sehr willkommen. -
S.
Aus Ihrem vorigen Brief kann ich nur einen
Punkt ausführlich beant worten. Ihre Vor-
aussetzung, daß ich meine Schüler wie Patienten
behandle, ist nachweisbar unzutreffend. In
Wien macht man mir den entgegengesetzten
Vorwurf. Ich soll für die Unarten von Stekel
und Adler verantwortlich sein; aber in
Wirklichkeit hat Stekel, seit er vor etwa
10 Jahren aus der Behandlung entlassen
wurde, kein Wort zu seiner Analyse
mehr von mir gehört, und ebensowenig habe
ich die Analyse bei Adler verwendet,
der nie mein Patient war. Was ich je
analytisches über die beiden geäußert,
geschah zu anderen und größtenteils zu
einer Zeit, da sie nicht mehr im Verkehr
mit mir standen. – Sie haben es sich hier
mit der Grundlage für Ihre Konstruktion
ebenso leicht ge macht wie bei der berühmten
„Geste von Kreuzlingen“.Im übrigen ist Ihr Brief nicht zu beant-
worten. Er schafft eine Situa tion, die im
mündlichen Verkehr Schwierigkeiten
bereiten würde, im schriftlichen Wege
ganz unlösbar ist. Es ist unter uns Analyt-
ikern aus gemacht, daß keiner sich seines
Stückes Neurose zu schämen braucht.
Wer aber bei abnormem Benehmen -
S.
unaufhörlich schreit, er sei normal, erweckt
den Verdacht, daß ihm die Krankheitsein-
sicht fehlt. Ich schlage Ihnen also vor, daß
wir unsere privaten Beziehungen über haupt-
aufgeben. Ich verlire nichts dabei,
denn ich bin gemütlich längst nur durch
den dünnen Faden der Fortwirkung
früher erlebter Enttäuschungen an Sie
geknüpft, und Sie können nur gewinnen,
da Sie letzthin in München bekannt haben,
eine intimere Beziehung zu einem Mann
wirke hemmend auf Ihre wissenschaftliche
Freiheit. Nehmen Sie sich also die volle
Freiheit und ersparen Sie mir die
angeblichen „Freundschaftsdienste“.Wir sind einig darin, daß der Mensch
seine persönlichen Empfindungen den
allgemeinen Interessen in seinem
Bereich unterordnen soll. Sie werden
also niemals Grund finden, sich über
Mangel an Korrektheit bei mir -
S.
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
1003 Seestraße
Küsnacht 8700
Switserland
C32F28