-
S.
PROF. DR. FREUD WIEN, IX. BERGGASSE 19.
29. XI. 12
Lieber Herr Doktor
Vielen Dank für Ihren freundschaftlichen
Brief der mir zeigt, daß Sie viele irrige
Auffassungen meines Benehmens über-
wunden haben, und der mich für unser weiteres
Zusammenwirken das Beste erwarten
läßt. Glauben Sie mir, es ist mir nicht leicht
geworden, meine Ansprüche an Sie zu er-
mäßigen; aber nachdem ich es zu Stande gebracht
hatte, ist die Schwankung nach der Gegenseite
nicht sehr arg ausgefallen, und von mir
aus wird unser nunmehriges Verhältnis
stets den Nachklang der früheren Intimität
beibehalten. Ich meine, wir müßen auch
wirklich ein neues Kapital von Wol-
wollen füreinander einlegen, denn
es ist leicht vorauszusehen, daß wir sachlichen
Streit mit einander führen werden,
und etwas ärgerlich wird man ja immer,
wenn der andere seine eigene Meinung
haben will.Ich beantworte nun gerne Ihre Anfragen.
Mein Münchener Zustand war nicht folgen-
schwerer als der ähnliche im Essighaus in
Bremen, er klang abends ab u ließ mich
die Nacht darauf vortrefflich schlafen. Nach -
S.
meiner privaten Diagnostik war es wieder eine
qualificirte Migraine (vom Typus der M. ophthalm.)
nicht ohne psychische Ausfüllung, der nachzuspüren
mir jetzt leider die Zeit mangelt. Der Speise-
saal des Parkhotels ist -mir übrigens verhäng-
nisvoll. Vor 6 J. habe ich dort einen ersten
solchen Zustand gehabt, vor 4 Jahren einen
zweiten. Also ein Stückchen Neurose, um das de Äußerungen von SEiten
man sich doch küm̄ern sollte.Die Genugtuung darüber, daß Sie der neuen
Zeitschrift Ihren Namen nicht verweigern,
ist bei Herausgeber u Redakteuren sehr
groß. Sie werden auch für kleinere Beiträge
Beispiele aus der Praxis u. dgl dankbar
sein. Am meisten würde es mich erfreuen,
wenn meine techni schen Aufsätze, von
denen ja schon drei im Zentralbl veröffent-
licht sind, u die jetzt in jeder Num̄er fortge
setzt werden sollen, kritische oder zu-
stim̄en Äußerungen von seiten der
anderen Analytiker im „Sprechsaal“ hervor-
rufen würden. Es liegt überhpt vorwiegend
an den Schweizern, wenn die Zeitschrift
dem Charakter, ein Wiener Parteiorgan
zu scheinen, entgehen soll.In der zweiten Num̄er wird wahrscheinlich
Ferenczi eine Studie über Ihre Libido-
arbeit bringen, die dem Werk wie dem
Autor gerecht wer den soll. Ich gewinne
langsam ein Verhältnis zu dieser Arbeit -
S.
(der Ihrigen, meine ich)
u glaube jetzt, daß Sie uns
darin eine große Aufklärung
geschenkt haben, wenn auch
nicht die, welche Sie beabsichtigten.
Es scheint daß Sie das Rätsel
aller Mystik gelöst haben,
welche auf der symbolischen
Verwendung der außer Dienst
gestellten Komplexe ruht.Rank nimmt die ihm gestellte
Aufgabe dankend an.
Er ist kein guter Redner
aber er spricht doch gescheut
u hat ja ein günstiges Vor-
urteil für sich, so daß man
ihm eine gewiße Unge-
lenkigkeit verzeihen wird.Vom Jahrbuch möchte
ich nur die Überschriften
der Arbeiten in der nächsten
Num̄er wissen, und -
S.
wieviel Raum in der darauf
folgenden noch verfügbar ist,
da ich manchmal danach
gefragt werde.Mich selbst bedrücken arg
die beiden nächsten Artikel,
zu den „Übereinstim̄ungen“
in der Imago, von denen
ich durch die Mehraufgaben
der letzten Wochen völlig
abgedrängt worden bin.Im Hause ist alles wol
u wartet auf die Hochzeit
Ende Januar. Meine Tochter
geht nach Hamburg.Indem ich Sie u Ihre
liebe Frau herzlich grüße
Ihr unverwandelter
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
1003 Seestraße
Küsnacht 8700
Switserland
C32F27