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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.12.XII.09
Lieber Freund
Vielen Dank für die Beilagen, von denen
der unpersönliche Theil hier zurückgeleitet
wird. Ich will nur sagen, noch zwei solcher
Paranoiaanalysen, u es gibt einen vortreff-
lichen Beitrag zum Jahrbuch. Wie deutlich […]
doch das Hervortreten der homosex. Komponenten,
also die Rückbildung der Sublimirungen.
Was Sie über die Homos selbst phantasiren,
wird geschont u am wenigsten Sadger mit-
getheilt. Wenn es sich Ihnen zu etwas Fertigem
gestaltet, gebe ich gerne meine Ahnungen daz[…]Ihre Arbeit im Jahrb. wird jetzt allgem
gelesen; anstatt des eigenen Urteils gebe […]
Ihnen das eines sachkundigen Dritten. Er
fand den ersten Theil ganz hervorragend gu[…]
den zweiten über die Suggestion weniger
originell, da Sie sich auf die Ausarbeitung meiner
Bemerkg in der Sexualtheorie beschränkt
hätten. Ich zweifle nicht am vollen Erfolg des
Ganzen, nur scheint mir unsicher, ob der
Terminus Introjektion sich als haltbar erweisen
wird.Ein geringer Trost ist es, daß ich den Verlauf bei
Dr P so gut vorhersehen konnte. Freuen wir
uns, daß wir soviel davon gehabt haben.
Indeß sind das die Dinge, gegen die man sich
abstumpfen muß, wozu man nur zu reich-
liche Gelegenheit findet.[CD: Ergänzung am linken Rand:]
Das Notizbuch werden Sie erhalten haben.
Ich werde mich freuen, wen̄ es Sie
öfters an meine Anregung erin̄ert. -
S.
Der Mißstand mit den Ärzten in der Vorrede
fiel mir am Tag nach der Absendung auf, nicht
aber gleichzeitig, wie man ihm abhelfen könne.
Ich bin mit Ihrem Vorschlag zufrieden, wie
ich es mit jeder Ihnen beliebigen Abänderung
gewesen wäre.Dr Wulff aus Odessa hat auch mir unlängst wegen
eines Falles, den er analysirt, geschrieben. Er
stam̄t von Juliusburger her, scheint noch recht
wenig zu verstehen. – Daß Sie an Jung in solchem
Sinne geschrieben haben, beweist wieder, welche
Erfrischung u Forderung Ihnen die Amerika-
reise gebracht hat.Ich bin noch immer nicht auf der Höhe, will aber
nicht, daß Sie mich in Sachen der Gedanken-
übertragg schonen. Diese Schwachheit ist im
Begriffe, der Überwindung zu verfallen. Die
diesmaligen Versuche mit Frau J. scheinen mir
nichts besonders Prägnantes ergeben zu haben,
wiewol sie die früheren Schlüße nur unter-
stützen. Wenn ich Ihnen eine Versuchsanordnung
raten soll, so finde ich mich besonders unge-
schickt, so daß mir die Sache im Innersten
noch immer nicht recht ist. Aber Sie werden es
allein finden.Ich revidire jetzt die Sextheorie für die zweite
Auflage, erhole mich sonst langsam bei nach-
lassender Beschäftigung.Herzliche Grüße von Ihrem
FreudCD:
Frau J: Frau JelinekAnmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911)
A Der ganze Brief scheint mehrfach zerrissen gewesen zu sein. Er liegt jetzt in geflicktem Zustand vor. Alle textkritischen Einfügungen mit Fragezeichen in eckigen Klammern beziehen sich auf dadurch entstandene Lücken.
Isidor Sadger (1867-194?), aus Galizien stammender Wiener Nervenarzt und Literaturkritiker, seit 1906 Mitglied der Mittwoch-Gesellschaft. Onkel von Fritz Wittels. Er publizierte unter anderem zu Fragen der Homosexualität. Im Zweiten Weltkrieg verschollen.
Otto Juliusburger (1867-1952), deutscher Psychiater und Psychoanalytiker in Berlin. Gründungsmitglied der Berliner Vereinigung (1908), aus der er jedoch später wieder austrat. 1941 emigrierte er nach New York.
Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905d), 2. Auflage 1910. Freud schloß die Revision noch im Dezember ab (vgl. auch 92 F und Freuds Vorwort zur zweiten Auflage in Freud, Studienausgabe V, S. 43).
Berggasse 9
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VII Erzsebet-kőrut 54
Budapest 1073
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