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S.
Prof. Dr. Freud
Wien, IX. Berggasse 19.2.5.11
Lieber Freund
Dank für Ihren interessanten Brief.
Die Erythrophobie läßt sich also gut durch-
schauen, sie ist aber besonders schwer
zu heilen, vielleicht liegt die Schwierig-
keit gerade in der Übertragg.Ich hatte seit Bozen sehr gute Zeiten, auch
etwas Erleichterung in der Praxis,
gerade heute den ersten Müdigkeits-
anfall, dem Sie diesen Brief verdanken.
An den guten Abenden habe ich nämlich ge-
arbeitet, die zweite Auflage des „Traumes“
für Bergmann und die kleine folklorist.
Sache mit Oppenheim (nicht dem Berliner).
Jetzt soll mich noch in diesem Monat
die Programmschrift für den australischen
Kongreß beschäftigen.Rank ist rotbraun u selig von Griechenland
zurück u fördert jetzt energisch die Traum-
deutung. Das Jahrbuch geht recht langsam.
Von einem holländischen Kriegsschiff in
Patang erhielt ich unlängst einen enthus-
iastischen Brief eines Dr v. Römer, der im
Oktober nach Wien kom̄en will.
Sie werden den Namen aus einigen
guten Arbeiten in Hirschfelds’ Jahrb. f.
sex. Zwischenstufen kennen. -
S.
Dr. Drosnes aus Odessa ist heute angekom̄en
u berichtet, daß er im Herbst mit zwei
Moskauern – Ossipow u Wirnbow (?) –
die erste russische Gruppe bilden wird.
Von Jung, der in Stuttgart war, erwarte
ich täglich Nachricht über den dortigen
Kongreß, der kaum etwas Besonderes
gebracht haben wird.Hier ist auch einiges vorgefallen. Stekel
hat sich genähert u einen Separatfrieden
geschloßen, versichert, daß seine Gemein-
schaft mit Adler beim Zentralbl endigt.
Ich muß ihn also behalten, aus den mannig-
fachsten persönlichen Gründen, u weil
nicht zu berechnen ist, was für Unheil er
anstiftet, wenn man ihn abstößt. Auch
ist er im Grunde gutmütig. Ich verlas
die Ihnen bekannte Kritik seines Traum-
buches in der letzten Sitzung, u er behauptete
– es habe sanft geregnet. Beim anderen
hat sich nichts geändert, u da warte
ich auf einen Anlaß, ihn auszuschiffen –
wenn er diesen Anlaß gibt.Wir haben also wirklich beim Hofer in Ober-
bozen gemietet. Ich gedenke heuer
am 8 Juli zu schließen, um nach Karlsbad
noch etwas von dem schönen Hoch-
plateau zu genießen.Ich grüße Sie und Frau G. herzlich
Ihr Freud.Editorische Anmerkungen
die zweite Auflage des „Traumes“ für Bergmann: Über den Traum (1901a), 2. Auflage, Wiesbaden 1911.
die kleine folkloristische Sache mit Oppenheim: Freud, mit David Ernst Oppenheim, posthum publiziert (Träume im Folklore (1958a[1911]; GWN:576-600.
David Ernst Oppenheim (* 20. April 1881 in Brünn, Mähren; † 18. Februar 1943 im KZ Theresienstadt) war ein österreichischer Altphilologe und Gymnasiallehrer, am Akademischen Gymnasium in Wien. Er plante eine gemeinsame Arbeit mit Freud, die aber dann nicht abetschlossen und publiziert wurde. Es liegt ein Entwurf vor, der posthum publiziert wurde.
Oppenheim wurde 1910 Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, verließ´diese im Oktober 1911 mit der Gruppe um Alferd Adler wieder. Er "und wurde Gründungsmitglied der neuen tiefenpsychologischen Schule der Individualpsychologie.
Im Ersten Weltkrieg kämpfte er – anfänglich begeistert – an mehreren Fronten, wurde verwundet und hoch dekoriert. Später entwickelte er sich immer mehr zum überzeugten Pazifisten, trat 1918 der SPÖ bei und blieb bis zu deren Verbot 1934 aktives Mitglied. In den 1920er Jahren war er im Verein für Individualpsychologie aktiv. Seine Zusammenarbeit mit Adler dauerte bis 1930.
Während seine beiden Töchter nach Australien fliehen konnten, wurde er trotz seiner Kriegsauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg zusammen mit seiner Frau Amalie am 21. Oktober 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er starb, weil man ihm als Diabetiker das lebensnotwendige Insulin vorenthielt. Seine Ehefrau überlebte das Konzentrationslager und emigrierte 1946 zu ihren Töchtern nach Melbourne in Australien." (https://de.wikipedia.org/wiki/David_Ernst_Oppenheim)Von einem holländischen Kriegsschiff in Patang: Auf Sumatra; damals Niederländisch Ostindien, heute Indonesien.
Lucien Sophie Albert Marie von Römer (?-?), niederländischer Neurologe. Autor mehrerer Arbeiten, vor allem über Homosexualität in den Niederlanden, in Hirschfelds Jahrbuch für Sexuelle Zwischenstufen und Mitarbeiter an einem psychoanalytischen Fragebogen, der 1908 in dessen Zeitschrift für Sexualwissenschaft (Band I, Nr. 12) erschienen war.
Leonid Drosnés (?-?), jener russische Psychiater, der den als "Wolfsmann" bekanntgewordenen Patienten betreut und im Jänner 1910 zu Freud nach Wien gebracht hatte (vgl. 110 F und Anm. 3); seit 18.1.1911 Mitglied der Wiener Vereinigung, später in St. Petersburg als Psychoanalytiker tätig.
mit zwei Moskauern ‑ Ossipow und Wirnbow:
Dazu: Luria, Al. (1925): Psychoanalytische Bewegung: Die Psychoanalyse in Rußland. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse,11(3):395-398
"Die psychoanalytische Bewegung in Rußland hat eine Geschichte von ungefähr 17 bis 18 Jahren.1
Schon in den Jahren 1908 bis 1909 war das Interesse für die Psychoanalyse hauptsächlich in den psychiatrischen Kreisen deutlich hervorgetreten und in diese Jahre fallen die ersten psychoanalytischen Publikationen von einigen Ärzten, die man als Pioniere der russischen psychoanalytischen Bewegung bezeichnen kann. Das waren nämlich Dr. M. O. Felzmann, Dr. N. E. Ossipow, Professor N. A. Wyrubow und Dr. M. Wulff, der heutige Präsident der Russischen PsA. Vereinigung, die ersten drei in Moskau, der letzte damals in Odessa.
Schon nach einigen Jahren erschienen selbständige Publikationen, die der Psychoanalyse nahestanden und die Grundarbeiten der psychoanalytischen Schriftsteller dem Leser vermittelten. Damals wurde auch die erste russische Bibliothek, die sich mit psychoanalytischen Problemen beschäftigte, nämlich die „Psychotherapeutische Bibliothek“ von Dr. Ossipow und Dr. Felzmann, herausgegeben; dort erschienen als Einzellieferungen die Arbeiten von Freud („Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“, „Über die Psychoanalyse“, „Über den Traum“, „Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“), außerdem Marcinowsky u. a. m. Ungefähr in derselben Zeit wurde auch eine psychoanalytische Bibliothek von Dr. Wulff in Odessa herausgegeben, in der Freuds „Gradiva“, Abrahams „Giovanni Segantini“, einige Werke von Stekel u. a. erschienen.
Im Jahre 1913 erschien die russische Übersetzung der „Traumdeutung“ und einige der anderen Werke Freuds.
In den Jahren 1910 bis 1914 wurde eine große russische Zeitschrift, die der Psychoanalyse sehr nahestand und sehr regelmäßig den russischen Leser über die Fortschritte der psychoanalytischen Bewegung unterrichtete, von Prof. Wyrubow u. a. begründet. Eine Reihe von Aufsätzen von Freud, Alf. Alf. Adler, Stekel, Jung u. a. erschienen dort, bis der Krieg im Jahre 1914 der Zeitschrift ein Ende bereitete.
Während der Kriegszeit war das groß gewordene Interesse für die Psychoanalyse in den Hintergrund getreten, und nur nach der Revolution bemerken wir ein lebhaftes Wiederaufflackern der psychoanalytischen Bewegung, die schon bald in die Phase der systematischeren Arbeit tritt. Im Jahre 1921 wurde nämlich von Prof. Ermakow und Dr. M. Wulff die „Russische Psychoanalytische Vereinigung“ in Moskau gegründet. In demselben Jahre wurde auch in Kasan (an der Wolga) eine kleine psychoanalytische Vereinigung ins Leben gerufen, in welcher sich einige Ärzte, die einst in Zürich studierten, und einige Psychologen (darunter Dr. R. Averbuch, Al. Luria, Dr. Friedmann u. a.) vereinigten."die erste russische Gruppe: Aufgrund politischer Auseinandersetzungen an den Hochschulen kündigten einige Professoren und Assistenten, unter ihnen Ossipow, ihre Stellung an der Universität und trafen sich privat an sogenannten "Kleinen Freitagen", wo psychoanalytische Arbeiten referiert und diskutiert wurden (René und Eugenie Fischer, >Psychoanalyse in Russland<; in: Dieter Eicke, Hg., Tiefenpsychologie, Band 2, Weinheim 1982, S. 699f.). Die Gründung einer offiziellen Ortsgruppe in Moskau wird in der Zeitschrift erst 1922 (8: S. 236 und 525) gemeldet.
über den dortigen Kongreß: Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie am 21. und 22. April.
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