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24. 2. 10
PROF. DR. FREUD WIEN, IX. BERGGASSE 19.Lieber Herr Kollege
Es freut mich ungemein, daß ich Ihnen mit etwas dienen kann. Leider ist es nur sehr wenig, aber verfügen Sie darüber nach Ihrem Belieben.
Ich habe nur einen Fall genau untersucht, von anderen, in denen das Thema des Fetischismus in lehrreicher Weise gestreift wurde, nur die Ergebnisse, nicht die Notizen. Der Fall betraf einen 25-jährigen hochgebildeten, feinen und geistreichen Mann, der, ehe er sich das erste Mal aufs psychoanalytische Sofa niederstreckte, sorgsam die Hosenfalte spannte. Er erwies sich als Kleiderfetischist in besserem Sinne, legte großen Wert auf Eleganz und Geschmack in der eigenen Kleidung und fand ein weibliches Wesen ’unmöglich’, wenn ihre Kleidung nicht idealen Ansprüchen entsprach. Ein Mädchen, das ihn sehr gereizt hatte, verlor plötzlich alles Interesse für ihn, als sie einmal in unpassender Gewandung zum Rendez-vous kam.
Er war psychisch impotent und laut Analyse an die Mutter fixiert, die ihn Jahre hindurch zum Zuschauer bei ihrem An- und Auskleiden, bis zum Vorletzten wenigstens, gemacht hatte, ganz in ihn verliebt ist und auch heute noch, wo er abwehrt, einer solchen Intimität nicht abgeneigt wäre. (Während der Kur hat er glänzende Potenz erworben, ist aber psychisch anästhetisch geblieben). Er war auch Stiefelfetischist, auch nicht der gröbsten Art. -
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Seine Kindheit war voll von ungewöhnlich intensiver koprophiler Betätigung. Er brachte es z.B. im Alter von acht bis zehn Jahren zustande, sich eine harte Wurst aus dem Darm heraushängen zu lassen, von der er im Lauf des Tages immer mehr abbröckelte. Er war noch immer ein überempfindlicher Riecher. In den Pubertätsjahren Voyeur, seine Onanie begann mit Spionieren nach sich entkleidenden Amerikanerinnen in einem Schweizer Hotel.
Aus anderen Fällen habe ich gelernt, daß der Stiefelfetischismus auf eine ursprüngliche Lust (Riechlust) am schmutzigen und stinkenden Fuß geht. Wie ja dies Objekt auch in der positiven Perversion wiederkehrt. Die koprophile Riechlust sehe ich als der Träger der meisten Fälle von Fuß- und Stiefelfetischismus an.
Überdies ist zu betonen, daß der Weiberfuß wahrscheinlich den schmerzlich vermißten, prähistorisch postulierten Penis des Weibes ersetzt. Ersatz für ebendasselbe dürfte der Zopf sein. Zopfabschneiden ist also Kastration an Frauen, Frauen »machen«, da man durch Kastration zum Weib wird.
Grelle Fälle von Fetischisms habe ich nicht analysiert.————————————
Ihre Annonce hat mich sehr erfreut. Sie stehen wirklich auf dem dürrsten Boden Deutschlands, und er wird Ihnen Früchte tragen. Vom Kongreß weiß ich sonst noch folgendes: außer Ihrem Vortrag: Adler über psychischen Hermaphroditismus, voll allerlei Irrlichter, Marcinowski Über sejunktive Prozesse als Grundlage der Psychoneurosen, wohl auch etwas außer der
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Richtung. Ferenczi über Organisation und Propaganda (er will nach Verabredung mit mir vorschlagen, daß wir eine Vereinigung bilden und ein Korrespondenzblättchen herausgeben, durch das die einzelnen Mitglieder und die Vereine in Zürich und Wien in Kontakt treten können), Jung Über die Aufnahme der Psychoanalyse in Amerika; ich über die zukünftigen Chancen der psychoanalytischen Therapie.
Jung schreibt heute, daß er bisher 22 Meldungen hat, darunter erst zwei Wiener, von denen aber 10-15 kommen werden. Ich erwarte übrigens keine wesentlich größere Beteiligung als in Salzburg, aber einen innigeren Zusammenschluß der Getreuen.
Meine Wiener erfreuen mich nicht sehr. Eigentlich habe ich das schwere Kreuz mit der älteren Generation – Stekel, Adler, Sadger; sie werden mich bald als Hindernis empfinden und behandeln, und ich kann nicht glauben, daß sie mich durch Besseres zu ersetzen haben.
Ich schreibe jetzt at odd times am Leonardo, von nächster Woche an tritt ein Abschwellen meiner Praxis ein, und dann will ich endlich weiter kommen. Ich habe sonst für die Sammlung nichts im Vorrat. Einen Essay von Riklin über die "Schöne Seele" Goethes werde ich als matt und langweilig zurücksenden müssen. -
S.
Die amerikanische Reise wird wohl das Nachspiel haben, daß ich am 15. Juli als Kurgast in Karlsbad auftauchen werde. Sonst halte ich mich ziemlich gut. Die Plage war bisher sehr groß, die Gegnerschaften grimmig und die Freunde fern. Am meisten hat mir Ferenczi geleistet, bei dem ich einmal in Budapest war, und der mich dafür an einem Sonntag besucht hat. Den klugen Artikel in der Frankfurter Zeitung habe ich bekommen und eigentlich an die Versicherung, daß er vor Lektüre des Buches geschrieben worden, nicht geglaubt.
Schrieb ich Ihnen schon, daß Stanley Hall am 1. April ein Heft des American Journal of Psychology erscheinen läßt, das nur mit unseren Vorträgen etc. erfüllt sein soll?
Ich grüße Sie und Ihre liebe Frau herzlich
Ihr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
Schönberger Ufer 22
Berlin 10785
Deutschland
C14F25