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[Briefkopf Wien] 17. 2. 1918 Lieber Freund Gestern ist mein Sohn Martin in »bester Form« vom Tagliamento auf Urlaub nach Hause gekommen. Ernst ist gleichfalls hier, aber recht leidend. Oli dankt einem allgemeinen Ekzem einen längeren Aufenthalt in einem galizischen Spital. Vor wenigen Tagen erhielt ich eine Schrift aus Deutschland, die für Sie besonders interessant sein muß. Ich kann sie Ihnen nicht schicken, weil mir daran liegt, daß sie hier allgemein be- kannt wird, aber Sie werden sie leicht bekommen können: »Kriegsneurosen und Psychisches Trauma«. Ihre gegenseitigen Beziehungen dargestellt auf Grund psychoanalytischer, hypnotischer Studien von Drmed Ernst Simmel z.Zt. Oberarzt d. L. und leitender Arzt eines Speziallazaretts für Kriegsneurotiker Mit einem Geleitwort von DrAdolf Schnee Verlag Otto Nemnich, Leipzig – München 1918. Das ist zum ersten Mal ein deutscher Arzt, der sich ohne gönnerhafte Herablassung ganz auf den Boden der Psychoanalyse stellt, ihre vortreffliche Brauchbarkeit in der Therapie der Kriegsneurosen vertritt
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und mit Beispielen belegt, und sich auch in der Frage der sexuellen Ätiologie durchaus rechtschaffen benimmt. Er ist der Psychoanalyse allerdings nicht ganz nachgekommen, steht im Wesen auf dem kathartischen Standpunkt, arbeitet mit der Hypnose, die ihm ja Widerstand und sexuelle Triebkräfte verdecken muß, entschuldigt dies aber richtig mit der Notwendigkeit eines raschen Erfolges und mit dem Massenbetrieb. Ich glaube, ein Jahr Schulung würde einen guten Analytiker aus dem Manne machen. Sein Benehmen ist korrekt. Die Arbeit ist im Lazarett in Posen gemacht worden und soll wohl nur der Vorläufer einer ausführlichen Publikation sein. Ich denke, Sie sollen das Büchlein lesen und es für uns referieren; es wird Ihnen leicht werden, und ich mute es Ihnen als Erholung von Ihrer Dissertation zu, die mir doch nicht aussichtsreich scheint. Ich hoffe, wir können unsere Zeitungen fortführen. Heller scheint gut disponiert. Mit Material sind wir reichlich versehen. – In der Welt geht es ja drunter und drüber. Mit herzlichem Gruß für Sie und Ihre liebe Familie Ihr getreuer Freud
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