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S.
[Briefkopf Wien] Semmering, 11. 9. 25
Lieber Freund
Es ist also so geworden, wie ich gefürchtet hatte. Der Kongreß hat Sie schwer angestrengt, und ich kann nur hoffen, daß Ihre Jugendlichkeit die Störung bald überwinden wird.
Vielen Dank für Ihre Mühe, mich durch Ihren ausführlichen Bericht für meine Abwesenheit zu entschädigen. Das einzig voll Erfreuliche war mir Ihre Befriedigung über das Auftauchen meines Aufsatzes auf dem Programm. Ich hatte nicht daran gedacht, es war eine im letzten Moment geäußerte Idee meiner Tochter. Über vieles andere hätte ich lieber mündlich mit Ihnen Meinung getauscht, wenn man schreibt, kommen die Differenzen zu grell heraus. So z.B. halte ich die Amerikaner für recht wertlos. Coriat ist sympathisch, steht übrigens den N[ew] Yorkern ferne, Jelliffe ist sehr gescheit, brauchbar und wenig skrupulös, P. Clark kenne ich am wenigsten, die anderen verdienen nicht, daß man sich um sie bemüht. Ihr Widerstand gegen Ranks Wiederkunft ruht auf den kleinlichsten Motiven, gerade so wie ihre Einstellung zur Laienanalyse. Ranks neuerliche Reise nach Amerika ist kein manisches Symptom, sie hat mehrere wichtige, reale Motivierungen und ich habe ihm sehr entschieden zu ihr geraten. Ob mit Recht, kann sich erst später zeigen. -
S.
Die jetzt glücklich erledigte Filmsache hat mir einen übeln Nachgeschmack hinterlassen. Denken Sie, was für Eindruck es macht, wenn wegen einer so unwertigen Angelegenheit zuerst der eine, dann der andere Mitarbeiter seine Demission anbietet! Ich beurteile Sachs viel strenger, Bernfeld und Storfer viel milder als Sie, möchte die beiden überhaupt gegen Ihre Härte in Schutz nehmen. Storfer hat seine Demission zurückgezogen, er wäre unersetzlich gewesen. Daß er an den Verlegenheiten des Verlags Schuld trägt, ist nicht aufrecht zu halten. Seine Besonderheiten, die Toleranz verlangen, hat er wie jeder andere. Von Bernfeld ist mir in all den Jahren nichts Böses bekannt geworden.
Ich will kein Cato sein, aber die victrix causa der Ufa gefällt mir nicht. Ich will hoffen, daß Sachs, der sich immer als ihr Sachanwalt benimmt, keinen Versuch mehr macht, mich für sie in Anspruch zu nehmen. Am liebsten wäre es mir, wenn auch Sie sich nicht eingelassen hätten. Unser Kreis hat diese Probe nicht gut bestanden. Wenden wir uns lieber Würdigerem zu.
Ich bleibe bis Ende September hier. Das Wetter ist leider sehr ungünstig, aber ich höre, Sie frieren in Berlin nicht weniger. Lassen Sie mich von Ihrer vollen Herstellung hören und seien Sie herzlich gegrüßt von
Ihrem Freud
Südbahnstraße 27
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Österreich
Bismarckallee 14
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C15F2