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8. X. 07
PROF. DR. FREUD WIEN, IX. BERGGASSE 19.Geehrter Herr College
Meine erste Regung des Bedauerns, als ich Ihren Brief las, habe ich bald unterdrückt. Einem jugendlichen Manne wie Ihnen geschieht nichts Übles, wenn er gewaltsam ins freie Leben "au grand air" gedrängt wird, und daß Sie es als Jude schwerer haben, wird wie bei uns allen die Wirkung haben, alle Ihre Leistungsfähigkeit zum Vorschein zu bringen. Daß meine Sympathien und Wünsche Sie auf dem neuen Wege begleiten, ist selbstverständlich; wenn irgend möglich soll es mehr sein. Bestünde meine intime Freundschaft mit Dr. W. Fließ in Berlin noch, so wäre der Weg für Sie geebnet; leider ist dieser Weg jetzt ganz verschlossen. Im abgelaufenen Jahre kam ich wiederholt in die Lage, gegen Patienten aus Deutschland zu bedauern, daß ich keinen Vertrauensmann im Reich hätte, an den ich sie empfehlen könnte. Wenn solche Fälle sich heuer wiederholen, so weiß ich also, was ich zu tun habe. Steigt mein Ansehen in Deutschland, so wird es gewiß für Sie fruchtbar sein, und wenn ich Sie direkt als meinen Schüler und Anhänger bezeichnen darf - Sie scheinen mir nicht der Mann zu sein, der sich dessen schämt -, so kann ich energisch für Sie eintreten. Anderseits wissen Sie selbst, mit welchen Anfeindungen ich noch in Deutschland zu kämpfen habe. Ich hoffe, Sie werden es gar nicht versuchen, sich bei Ihren neuen Collegen in Gunst zu setzen, die erstens so sind wie überall und dann noch um ein Stück brutaler, sondern sich direkt ans Publikum -
S.
wenden. Zur Zeit, da der Kampf gegen die Hypnose in Berlin am heftigsten geführt wurde, hat ein sehr unsympathischer Hypnotiseur Großmann sich auf Grund dieser Therapie rasch eine große Praxis geschaffen. Man sollte doch erwarten, das müßte Ihnen mit Hilfe der Psychoanalyse doch eher besser gelingen.
Sie deuten an, daß Sie mir noch etwas vorlegen wollen, wissen doch hoffentlich, daß ich, soweit ich kann, zu Ihrer Verfügung stehe. Führt der Weg von Zürich nach Berlin nicht auch bequem über Wien?
Ihren letzten Brief suche ich zur Beantwortung hervor, sobald Sie wieder Ruhe genug haben, um über Wissenschaftliches zu diskutieren.
Mit den intensivsten guten Wünschen
Ihr ergebener
Dr. Freud