• S.

    10. 7. 14.
    PROF. DR. FREUD        WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    Lieber Freund
    Die Gefahr, von der ich im letzten Briefe
    schrieb, ist glücklich vorüber. Meine
    Schwägerin geht zur Rekonvaleszenz
    in ein Sanatorium, u wir können
    Sonntag abends reisen. Von Karlsbad
    erhalten Sie dann meine – mir selbst
    noch unbekannte – Adresse.
    Ich habe die zwei arbeitsschwersten Wochen
    des Jahres hinter mir, habe gut ausge-
    halten. Ich merke, das bißchen Sympathie,
    das mir die Freunde aus Anlaß der
    „Bombe“ bezeugen, tut mir doch sehr wohl.
    Noch keine Reaktion von Zürich! Habe
    ich Ihnen vorgeschlagen, mit Ihrem Send-
    schreiben bis zum 20. zu warten?
    Die Lou Salomé hat mir einen Briefwechsel
    mit Adler eingeschickt, der ihre Einsicht u
    Klarheit im glänzenden Lichte zeigt,
    aber ebenso Adlers Giftigkeit und
    Gemeinheit; und mit solchem Gesindel
    etc.! Manchmal verliert da auch Casimiro
    den Mut.
    Ihre Reisepläne haben mich in Verwirrung
    getroffen. Irgendwie hatte ich aus Ihren

  • S.

    früheren Briefen geschlossen, daß ich Ihren
    Besuch in Seis zu Anfang Sept zu erwarten
    habe. Die Zeit wäre mir lieber gewesen
    als der 9./10. Aug, von dem Sie jetzt schreiben,
    denn wir kommen erst nach dem 4. Aug
    hin, u ich möchte einige Wochen isoliert
    bleiben, um die schwierige Arbeit für
    Kraus zu machen. Auf dieses Mißverständ-
    nis bezog sich eine Bemerkung
    eines früheren Briefes, daß ich Sie
    eventuell bitten würde, anstatt nach
    Seis ein Stückchen weiter zu kommen.
    Wenn ich nämlich frühzeitig fertig
    werde, könnte es sein, daß wir die
    letzte Woche vor dem Kongreß an
    einen der oberitalienischen Seen fahren,
    wo es sich mit Frauen sehr schön weilen
    läßt. Jetzt werden Sie die Ihnen gewiß
    mißverständliche Bemerkung an ihre
    Stelle setzen können.
    Die Traumdeutung ist heute gekommen u wird
    bald bei Ihnen einkehren.
    Mit den Vorträgen in Dresden läßt sich
    ja erst etwas anfangen, wenn wir
    der Nicht-Schweizer sicher sind. Vor
    dem Volk reden wir doch kein Wort.
    Die Ej. pr. schiene mir dann als Thema

  • S.

    sehr geeignet. Die Kastrationsange-
    legenheit behandeln Sie nur, soweit
    sie sich Ihnen dienlich gezeigt hat. Für
    mich ist die Zeit zur Veröffentlichung
    noch nicht gekommen. Die Sache hat sich
    kompliziert und vergrößert und
    damit von der Lösung entfernt, so daß
    ich Sie auch um Zurückhaltung im Dienste
    der Vorsicht bitte.
    Hotel in Seis: Pension Edelweiß.
    Ich habe Einblicke in den Uraufbau der
    menschlichen Frühsexualität bekommen,
    die ich Ihnen dann anhängen werde.
    Nur bin ich jetzt, nach 3 Wochen von
    12- 13 st. Arbeit im Tag, keiner Synthese
    fähig u lechze nach Ferien.
    Es ist möglich, daß meine Großpatientin
    Frau Hirschfeld Sie nächster Zeit bitten
    läßt. Sie wird eine Zeit lang in Berlin
    weilen. Ich bitte Sie, sich ihr nicht zu
    versagen, aber sie merken zu lassen,
    daß ein nicht Eingeweihter nicht in
    die höchst verwickelte Sache eingreifen
    kann. Sie sagt auch niemand etwas
    Brauchbares, das Ganze ist zum

  • S.

    Teil Demonstration von Untreue, zum
    anderen Bedürfnis nach jemand, der
    nicht im Gegensatz zu mir steht. Sie hat
    heute davon gesprochen, daß sie mög-
    licherweise übhpt in Berlin bleibt.
    Dann wären Sie natürlich der Berufene,
    den ich möglichst informieren würde.
    Aber es dürfte wenig Vergnügen
    dabei sein.
    In der Hoffnung, daß sich die Ihrigen
    nun an der Ostsee sehr wohl be-
    finden werden,
    Ihr herzlich ergebener
    Freud