• S.

    [Briefkopf Wien] Semmering, Villa Schüler
    21. 7. 25

    Lieber Freund
    Nein, das Schreiben ist mir wirklich keine Beschwerde. Ich freue mich, so bald Nachricht von Ihnen erhalten zu haben, denn meine Gedanken schweifen oft von dem in seinen Ansprüchen lästig gewordenen Ich zu anderen, lieben Objekten. Wenn Sie beschreiben, wie sehr die ungewohnte Nötigung, an Ihren »armen Konrad« zu denken, Sie beschäftigt, so tröstet mich Erfahrenen die Gewißheit, daß Sie nur eine für kurze Zeit berechnete Adaptation zu leisten haben. Eine dauernde Neu-Einstellung ist weit schwieriger.
    Es hat sich der unerwartete Fall zugetragen, daß ich bei der Durchsicht des Verzeichnisses der Kongreßvorträge froh war, Ihren Namen nicht unter den Vortragenden zu finden. Mit einer
    solchen Aufgabe vor sich brächte man es nicht zur Ruhestellung der geistigen Tätigkeit. Wir hoffen aber alle, daß in der ersten September-Woche unser Präsident seine Atemfreiheit und seine Aktionsfreiheit wiederbekommen haben wird.
    In dem Ihnen bekannten Semmering-Milieu leben wir heuer sehr behaglich. Der Sommer hat einen anderen, freundlicheren Charakter, und die bescheidenen Reize der Gegend entfalten bei längerer Intimität doch eine starke Wirkung. Das Wirtschaften wird den Frauen sehr bequem, und das Wohnen in dem schön ausgestatteten Haus ist fast ideal zu heißen.