• S.

    PROF. DR. FREUD. WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    17.2.08

    Lieber Freund

    Gestatten Sie, daß ich nach genügender Vorbereitung 
    den Collegen abwerfe und der Befriedigg Ausdruck 
    gebe, daß Ihre Influenza überwunden ist, sowie 
    der weiteren, daß Ihr Schweigen nicht Complex­erfolg 
    war. Ich kann Ihnen allerlei, worüber Sie klagen, nach-
    fühlen, denn ich bin – seit dem gleichen Anlaß – nicht 
    wieder bright geworden u schlage mich ebenfalls 
    mit ungezälten kleinen Schwierigkeiten herum, die 
    ich natürlich geneigt bin, für überflüssige zu halten. 
    Man bekom̄t hier in Wien ganz besonders leicht 
    den Eindruck, daß nichts zu machen ist, daß nichts 
    sich ändern läßt, daß man bei einer Mohren­wäsche 
    angestellt ist, dem seligen Sisyphus das Fels den Stein rollen 
    hilft usw. Aber diese Stim̄ungen gehen vorüber 
    u bis zu den Ferien ist es für mich noch lange.                   ·

    Meine kleine Arbeit mit den Hysterieformeln 
    wird in Ihre Hände ge­langt sein. Andere Kleinigkeiten 
    stehen bevor; ich bin fest entschloßen, mir nichts mehr 
    abpressen zu lassen, es wird das alles soviel 
    schlechter als die spontanen Produktionen, u ich 
    rate Ihnen nur dringend, sich gleichfalls mit Unliebens-
    würdigkeit gegen alle unbequemen Zumutun­gen 
    zu wappnen. Eine eigene Zeitung brauchen wir 
    allerdings. Ich bin überzeugt, sowie Sie wieder normale 
    Temperatur haben, werden Sie die Bemühungen wieder 
    aufnehmen. Eine deutsche Gründung wäre nicht 
    das Ärgste; Ihrem Namen könnte es keine Schwierig-
    keiten berei­ten, einen respektabeln deutschen 
    Verleger dafür zu gewinnen. Deu­ticke wäre gewiß 
    bereit, aber es ist kein Vorteil für ein neues 

  • S.

    Unter­ nehmen, in Wien geboren zu werden. Warum Ihre 
    Diagn. As­s. Studien Sie dabei geniren, weiß ich 
    nicht. Die Publikationen zum II. B. könnten daneben 
    an der früheren Stelle fortlaufen u mit dem 
    dritten träten Sie über, wenn Sie an dieser 
    Form noch festhalten.

    Für die Unterkunft in Salzbg werde ich sorgen, sobald 
    ich von Ihnen weiß, für wieviel Häupter wir zu 
    sorgen haben. Von hier aus werden es 12‑14 sein; ich 
    hoffe zwar, es kom̄en nicht alle, die sich angemeldet 
    haben, denn nicht mit allen kann ich Staat machen. 
    Ich koche hier häufig mit Wasser. – Wenn ich zum Program̄ 
    noch zurecht kom̄e, möchte ich Sie beeinflußen, der 
    Mittheilsamkeit meiner Wiener möglichst große 
    Schwierigkeiten in den Weg zu legen, damit wir 
    alle nicht in der Fülle ersticken. Sie können 
    ja Zeitbeschränkung einführen und gewiße Anmeldgen 
    als ungeeignet höflich abweisen. Ich denke da an 
    einen Vortrag über „Psychophys. Parallelism“, den 
    einer von den Meinen, Dr Schwerdtner, halten will; es 
    kann nur eine Di­lettantenleistung sein, muß unendlich 
    lange Zeit beanspruchen, un am Manne selbst, der im 
    Kreise ganz jung ist u sich eher zurückzieht, braucht 
    uns nicht zuviel gelegen zu sein. Ich möchte nicht, daß 
    wir uns vor Ihnen allzu deutlich blamiren, 
    wofür einige Aussicht besteht. Sie werden fragen, 
    warum ich nicht persönlich hier verhüte, was ich kann. 
    Ich versuche es auch, aber die Leute sind schrecklich 
    empfindlich u haben natürlich gar keine ègards für 
    mich, viel eher für Sie, den di­stinguierten Fremden. 
    Sie wissen, was in Wien der Fremde gilt.

  • S.

    Um zu Erfreulicherem überzugehen: Bleulers 
    Anwesenheit ist mir sehr merkwürdig. Ich habe ein 
    unreines Gefühl gegen ihn, möchte ihm gerne etwas 
    Ehrenvolles anthun. Meinen Sie nicht, daß es zweck-
    mäßig ist, ihm den Vorsitz anzutragen? Meine Wiener 
    werden besser pariren, u ich spiele ja als Feldgeschrei 
    eine genug große Rolle. Ich bitte Sie sehr, mich in dieser 
    Modifikation des ursprünglichen Programms zu 
    unter­stützen. Frank hat gewiß recht nicht zu kom̄en; 
    ich vermute, das ist ein Gauner.

    Die Ehre einer Übersetzg ist mir bisher nicht zu Theil 
    geworden; was Sie schreiben, also eine große 
    Verlockung. Aber ich werde widerstehen. Ich 
    müßte doch Breuer um die Zustim̄ung zu dieser 
    Sejunktion bit­ten, und mag das nicht. Auch weiß ich, 
    daß er sich kränken würde. Übrigens sind meine 
    Krankengeschichten in den Studien nicht weniger 
    antiquirt als die Breuer’schen Theorien u lohnen 
    keine Übersetzg. Nebenbei, wie will man die 
    ganze Sache ohne Breuers „Ersten Fall“ entwickeln? 
    Ebenso unmöglich wie historisch ungerecht. Anders 
    wenn Dr Brill das Ganze übersetzen will. Wenn 
    er wirklich daran denkt, etwas von mir dem 
    englischen Publikum ¿ vorzulegen, so kann ich nur 
    die „Sexualtheorie“ oder die „Sam̄lung“ vorschlagen. 
    Wahrscheinlich werden ihm aber beide nicht passen. 
    Die Traumdeutg ist leider un­ übersetzbar u müßte 
    in jeder Sprache neu gemacht werden, was eine 
    verdienstvolle Aufgabe für einen Englishman 
    abgäbe.

  • S.

    Endlich komme ich zur Wissenschaft. Ich habe einige Paranoiafälle 
    in der Praxis gestreift u kann Ihnen ein Geheimniß 
    mittheilen. (Ich schreibe Paranoia u nicht Dem pr, denn erstere 
    halte ich für einen guten klinischen Typus, letztere 
    für einen schlechten noso­graphischen Terminus). 
    Also regelmäßig handelte es sich um Ablösung der Libido 
    von der bisher mäßig‑normal besetzten homosex. 
    Componente. Das übrige, Rückkehr d Libido auf 
    dem Wege der Pro jektion usw ist ja nicht neu. 
    Ich lege keinen Wert darauf, daß es die homosex 
    Comp, sondern darauf, daß.es eine partielle Ablö­sg 
    ist. Wahrscheinlich ist dieser ein Vorstoß der Libido 
    vorangegan gen, die Ablösg ist eine Art. der Verdrängg. 
    Die totalen Ablösugen werden wol der Dem pr entsprechen, 
    der Ausgang in Demenz nach hartem Kampf dem 
    Gelingen u der Rückkehr zum AutoEr. Die paranoide 
    Form wird wol durch die Beschrän­kg auf die homosex 
    Componente bedingt sein. Auch meine alte Analyse 
    (1896) zeigt den Beginn mit Entfremdg von den 
    Schwe­stern des Mannes. Mein einstiger Freund Fliess 
    hat eine schöne Para­noia entwickelt, nachdem er sich 
    der gewiß nicht geringen Neigung zu mir entledigt. 
    Ihm, dh. seinem Benehmen, verdanke ich ja diese Idee. 
    Man muß aus Allem etwas zu lernen suchen. 
    Daß bei der Par. ­die Sublimirungen rückgebildet 
    werden, gehört in denselben Zu­sam̄enhang. 
    Ich hätte Ihnen überhaupt viel Unfertiges und 
    Keimen­des zu erzählen. Schade, daß wir in Salzburg 
    nicht ganz ungestört sein werden!

    Ihr herzlich ergebener 
    Freud