-
S.
Prof. DR. FREUD. Wien, IX. Berggasse 19.
10. 1. 12
Lieber Freund
Zuerst hatte ich mir zwei Wochen lang den
Kopf zerbrochen, warum ich eigentlich
keine Antwort von Ihnen erhalte, –
Frau H. konnte doch nicht der Grund sein –,
dann fand ich mit freudiger Überraschung
in einem Couvert aus dem Engadin
die lang erwartete Nachricht von Ihnen,
u heute bezieht sich Pfister darauf, ich
müßte ja wissen, daß Sie von einem
Hund gebissen worden seien u heftig
gelitten haben. Ich wußte es also nicht,
kann mich hineinfinden, daß Sie nichts
davon geschrieben haben, würde mich etwa
in ähnlichem Fall ähnlich benehmen,
aber jetzt, da ich es weiß, ist es mir doch
lieber, ich hätte gleich darum gewußt.
Die Wunde muß ja wieder gut sein, da
Sie selbst geschrieben haben, u Sorge
wegen des Thieres ist doch hoffentlich
keine dabei?Was Sie über die Angelegenheit der
Frau H. geschrieben, hat mir fast leid
gethan. Sie sollen sich keinen Vorwurf
mir gegenüber daraus machen, sondern
vielleicht eher die Technik im Sinne einer -
S.
stärkeren Zurückhaltung gegen die Pat. modifiziren.
Was die Arme speziell sucht, ist ein intellekt.
Flirt, bei dem sie die Thatsache ihres Krank-
seins eine Weile vergeßen kann. Ich pflege
sie hart daran zu mahnen.Die Arbeit über Audit colorée der Frau Dr
Hellmuth schicke ich Ihnen also nicht, sondern
habe sie der neuen Zeitung „Imago“ über-
wiesen. Der Name scheint in Z nicht viel
Gunst zu finden, aber wir brauchen
einen handlichen Namen der nicht direkt
literarisch klingt, haben keinen besseren,
und Imago hat vielleicht die nötige Unbestim̄t-
heit. Gestern haben wir den Inhalt der ersten
Num̄er festgestellt. Ich steuere die erste
von 3 kurzen Abhandlgen bei die sich mit
Analogien zwischen dem Seelenleben der
Wilden u dem der Neurotiker beschäftigen,
die erste heißt: Die Inzestscheu. Die anderen
werden heißen „Die Ambivalenz der
Gefülsrichtungen“ und „Die Magie u die
Allmacht der Gedanken“.Meinen Beitrag zum Liebesleben habe
ich eben einer häuslichen Instanz zur
Beförderung an Sie übergeben.Wenn Sie eine Außerung über Frau Salome’s
Angebot von mir hören wollen ich
meine folgendes: Wir sollen uns
nicht prinzipiell ablehnend verhalten, -
S.
vorausgesetzt, daß sie sich mit
der „Sublimirung“ begnügt
u die Sublimation“ der
Chemie überläßt. Wenn es
dann ein Idealgeschwätz ist, so
sollen wir es ebenso höflich
als entschieden abweisen.An der „Verweltlichung“ der ΨΑ
liegt nicht viel im Moment,
da wir die „Imago“ ins Leben
rufen, und das Jahrbuch braucht
sich nicht „steif und vornehm“ zu-
rückzuhalten. Ich denke ohne-
dieß daran, daß zwei Beiträge
der letzten Zeit zur ΨΑ, –
die beiden bedeutsamsten –
Ihr Nachweis der unbewußten
Erbschaft in der Symbolik,
also eigentlich der Nachweis
der „angeborenen Ideen“, und
Ferenczi’s Beweise für die -
S.
Gedankenübertragung uns
über die anfängliche
Abgrenzung der ΨΑ weit
hinausführen, u daß wir
folgen sollen. Ich will auch
F. nicht länger zurückhalten,
er soll anfangs 1913 publiziren,
sich vorher mit Ihnen aus-
einandersetzen.Es gehört zu den königlichen
Vorrechten, seinen Nachfolger
zu bestimm̄en. Gestatten wir das
unserer königlichen Wissen-
schaft.Mit herzlichen Grüßen,
Wünschen u Bitten um
baldige Nachreicht
Ihr
FreudVielen Dank Ihrer lieben
Frau für das famose Feuilleton
über den Keplerbundvortrag.Keplerbund] Vom Biologe Eberhard Dennert 1907 gegründet, widmete sich der Keplerbund der „Förderung der Naturerkenntnis“, bekämpfte die Evolutionstheorie Darwins und einen materialistischen Monismus, wie er von Ernst Haeckel vertreten wurde. Er gilt als Antwort christlich (evangelisch) orientierter Naturwissenschaftler auf den Deutschen Monistenbundes.
Am 15.12.1911 griff Dr. Max Kesselring, ein Neurologe in Zürich in einem öffentlichen Vortrag, den er im Rahmen des Keplerbundes hielt, die Psychoanalyse heftig an. (Siehe dazu: Zentralblatt (II)8:480; Korrespondenzblatt) Dies erfolgte im Kontext einer in der NZZ umfassend ausgetragenen Kontroverse, die dort um die Psychoanalyse geführt wurde. Ausgelöst wurde sie von Franz Riklin (Assistenzarzt am Burghölzli), als er in seinem Vortrag in der Gesellschaft für deutsche Sprache in Zürich über die Bedeutung der Psychoanalyse für die Mythen- und Märchenforschung, die sexuelle Bedeutung von Symbolen wie Sonne, Schlange sprach und etwa das Gold im Märchen in einen Zusammenhang mit der kindlichen Analerotik brachte. Die NZZ berichtete am 7. Dezember 1911 darüber ausführlich und der Keplerbund reagierte darauf mit einer heftigen Gegendarstellung, die wiederum am 2. Jänner 1912 im dritten Morgenblatt kritisiert wurde. Zu dieser Debatte wurden bis Februar 1912 21 Beiträge verfasst und C. G. Jung schrieb dazu an Freud am 19.2.1912: "Die grosse Befehdung in den Zeitungen hat nur vermocht, dass die Sache im Publikum unaufhörlich diskutiert wird. Sogar in Karnevalsblättern kommt die Psychoanalyse. Ich bitte um Vergebung für die Kürze, aber ich bin im Kriegszustand."
Dennert, Eberhart (1912): Monistenwaffen! Ein Bericht für die Freunde des Keplerbundes und ein Appell an seine ehrlichen Gegner. Godersberg-Bonn: Naturwissenschaftlicher Verlag. 2. Auflage, 1913.(Quelle: http://www.erlesenes.org/produkt/monistenwaffen-ein-bericht-fuer-die-fr… [2025-08-18]
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
1003 Seestraße
Küsnacht 8700
Switzerland
C32F26